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Das vorsorgliche Gefühl und der mannichfache Antheil, den diese berühmte Frau gegen die deut/sche Nation und Literatur äuſsert, kann ihr nicht besser vergolten werden, als durch ein deutsches, /unbefangenes Wort über ihren Character und ihre Werke. Als Frau ist sie über alle persönliche Be/leidigung erhaben und als Schriftstellerinn hat sie den Lichtstrahl ihres Wesens zu oft schon in die /verschiedenartigsten Farben zu brechen gewuſst, hat sie die Ansichten fremdartiger Naturen sich zu /sicher schon angeeignet, um noch durch die bestimmte nationelle Farbe irgend eines Urtheils ver/letzt zu werden. Wer ganz Europa über sich urtheilen sieht, wird die einseitige Critik nicht mehr /scheuen, denn es wird ihm niemals an Trost und Gegengift fehlen. /
Der Geist der Frau von Stael hat — es läſst sich nicht besser ausdrücken als mit ihren eignen / 10 Worten über Herrn Necker — un clavier d’ une singulière étendue. Der Umfang des Instruments, /auf dem sie spielt, ist auſserordentlich: die streitendsten Empfindungen stehn ihr zu Gebot; für jede /ist die Saite schon gespannt und gestimmt, und erwartet nur noch die Berührung. Gegen das musi/kalische Gehör der Seele ist auch nichts einzuwenden: welche Melodie ihr irgend ein Herz vorem/pfunden hat, weiſs sie mit groſser Präcision nachzuspielen. Nur gegen die Resonanz des Instruments /und gegen die Manier, in welcher die Meisterinn darauf phantasirt, ist viel zu sagen. Es ist ein son/derbarer Nachhall der Töne im Innern des Instruments: unter den frei’sten Modulationen der Künst/lerinn laufen klagende Accorde her, deren sie nicht mächtig werden kann, und welche die Welt bald /dem Instrument, bald der Neigung und der Manier der Frau von Stael zugeschrieben hat. Je /mehr sie, um durch den Umfang des Instruments zu glänzen, alle Tonarten und Bewegungen geltend / 20 machen will, um so schneidender ist der Contrast zwischen der Fertigkeit, der Gewandtheit ihres /Geistes und der Einförmigkeit des Grundgefühls, welches sich nicht zum Schweigen bringen läſst. /
Ja selbst die Ruhe, den Frieden des Gemüths kann sie nicht denken ohne diese alles begleitende /Melancholie. Von der Musik, welche in der letzten Krankheit der Madame Necker in den Abend/stunden herbeigerufen wurde, sagt Frau von Stael: daſs diese Töne erhabne Gedanken in der Seele der /Sterbenden hätten erwecken sollen — um ihr Gemüth zu beruhigen, würde jeder andre denken — /Nein! um dem Tode zu geben un caractère de melancolie et de paix. Um alles in der Welt läſst /sich Frau von Stael diese Melancholie nicht nehmen. /
Ferner: da sie die Liebe ihres Vaters zu seiner Gemahlinn beschreibt — in ihren Augen die /höchste Liebe, welche allen Jahrhunderten, die dieses heiligste Verhältniſs darzustellen und zu be/ 30 schreiben nicht müde werden, gelungen ist und gelingen wird — legt sie den letzten Drucker in die /begeisterte Schilderung mit den Worten: plein de remords sans avoir commis de fautes. /
Also keine Liebe und keine Tugend ohne remords, kein Glück und keine Ruhe ohne melancolie. /Solche Eigenheiten eines Autors sind leicht entdeckt, und eben so leicht mit dem Namen der Senti/mentalität bezeichnet: edler und unsrer Absichten würdiger ist das Bemühn, sie in der Eigenthüm/lichkeit der Frau von Stael zu erklären. /
Ihre Werke drücken sehr deutlich die Umwandlung aus, in der die ganze französische Literatur /begriffen ist, denn allenthalben sieht man die durch Sitte und vornehme Gewohnheit längst ver/schlossenen Sinne sich wieder öffnen, und die eigenthümlichen Formen fremder Nationen, Gesinnun/gen und Zeiten ihnen klar werden. In den Werken der Frau von Stael läſst sich der Einfluſs der alt/ 40 französischen Erziehung nur noch in den verborgenen Adern, in den geheimsten, ihrem Bewuſst/sein selbst geheim gebliebenen Stellen des Herzens spüren: die äuſsere Neigung und Handelsweise /verräth es nicht. — Die ihr in frühester Jugend angebildete Form ist dem ungewöhnlich lebhaften /55Geiste frühe verdächtig geworden, und wiewohl sich noch immer eine innere Behaglichkeit über /den Besitz der ihr angebornen Sprache und Sitte wahrnehmen läſst, [nicht emendiert] so scheint sie doch dies Gefühl /in sich kaum zu kennen, verläugnet es vielmehr und strebt auf höchst ungemeine Weise nach einer /gewissen Paradoxie der Empfindungen. — Die Empfindungen der seltsamsten Zustände, /der entlegensten Zeiten will sie ihrem Gemüthe geläufig machen, wie die Sprachen dem Munde: und /wie einst die Franzosen nur wahrzunehmen wuſsten das Abweichende, Nichtfranzösische, so will /sie vielmehr mit der Gerechtigkeit, die dem poetischen Genie eigen ist, das Fremde in seiner eigen/ 50 thümlichen und lebendigen Schönheit, d. h. gerade das Antifranzösische erkennen. — Demnach in /der Freude des Gelingens gefällt sie sich in recht grellen Contrasten von Empfindungsweisen: wie /ein junger Schauspieler, der sich der Fähigkeit, die entgegengesetztesten Charactere darzustellen, /zuerst bewuſst wird, so schmeichelt sie sich und der Welt mit einem zauberhaften Wechsel unzäh/liger Geistercostüme. Daher ihre Werke, ohne eigentliches Colorit, dennoch zeigen, welche Welt /von Farben ihr zu Gebot steht. /
Das Element nun, welches diesen oft ermüdenden Gestaltenwechsel durchdringt, welches wie /Atmosphäre das ungleichartigste in ihr verbindet, ist vielleicht unkünstlerisch, aber gewiſs nicht /unmenschlich: es ist eben ihre Melancholie. Wenn sie einen auſserordentlichen Menschen, un être /superieur, oder ein recht wunderbares Gefühl darstellen will, so greift sie zuerst nach Ausdrücken, / 60 wie: reunion de contrastes, reunion de qualités opposées, mélange de respect et d’intérêt u. s. f. Sie /ahndet richtig, daſs es bei allem Groſsen und Schönen auf Erden auf eine Vereinigung des Entgegenge/setzten ankomme, aber dieses Verschiedenartige assaisonnirt sie vielmehr durch ein immer wieder/kehrendes Gewürz, als daſs sie es vereinigend beseelte. Wir kennen alle Gemeinplätze gegen die /Oeffentlichkeit und besonders gegen die Schriftstellerei der Frauen, gestehen aber dennoch, daſs wir /Frau von Stael in ihrer Melancholie oft sehr weiblich finden: in diesem sonderbaren Heimweh nach /einer Stelle der Welt, die man nicht zu nennen, oder auf der Landcharte zu zeigen weiſs, und die /man doch verscherzt zu haben glaubt, indem man den vielfachen und schönen Lockungen eines /neuen Zeitgeistes folgte — indem man mit einer Lust, deren Befriedigung damals das reinste Herz nicht /zu tadeln vermochte, der von den Vätern zugemutheten steifen Einförmigkeit des Lebens entwich. / 70 Die gegenwärtige Generation ist überhaupt abtrünnig geworden von der Generation ihrer Väter; sie /ist ihren Vätern ungleicher als irgend eine frühere. Und so ist es also nicht blos der Vater, wie Frau von /Stael glaubt; nicht blos das Vaterland, wie andre in ähnlicher Schwermuth befangene meinen: in /diesem Heimweh, welches den verlornen Vater, oder das verlorne Vaterland zu verklären strebt, /verbirgt sich das schöne Verlangen, allen Reichthum, der uns so rasch überkommen ist, mit der /entflohenen Ureinfalt des Genusses, mit einem gewissen väterlichen, patriarchalischen Geiste zu ver/söhnen. So, als eine Luft, die unbegreiflich aus dem vergangnen Leben herweht, fühlen wir sie /in der Corinna; recht weiblich wird ihr Ursprung von dem wirklichen Vater, dem Herrn Necker, /hergeleitet. Dieser aber ist in allen Werken der Frau von Stael viel mehr, als sie glaubt; er ist eine / ächt-allegorische ächt allegorische Person. / 80
So erklären wir uns ihr Wesen und überlassen der Welt die gemeine Auslegung, da man /sagt: sie stehe mit ihrem Geiste und ihrem äuſseren Glück als orpheline in der Welt und strebe /deshalb und als Gegengewicht gegen die Ahnen andrer die Apotheose ihres Vaters zu Stande zu /bringen. Aber nun ein deutsches Wort gegen diese Melancholie: /
In der Schrift über ihren Vater ruft Frau v. St. begeistert aus: Délicieuse protection que celle de /la génération qui nous précède — Ah! quand elle tombe cette génération — wenn eine neue aufsteigt, /zu der wir uns verhalten, wie sich einst die dahin gesunkene zu uns verhielt — was ist natürlicher, /als daſs wir den väterlichen Character nun gegen die neue behaupten, und uns in unserem Stande so /gefallen und betragen als unsre Väter einst in dem ihrigen — so wird die Väterlichkeit ver/ewigt, deren Idee Frau v. Stael in ihrem Vater anbeten sollte. Es giebt in jedem Leben einen Wen/ 90 56depunct, wo sich das Herz von der Vergangenheit und ihrem Repräsentanten dem Vater, hinwendet /auf die Zukunft und ihrem Repräsentanten dem eignen Kinde: eine Mutter muſs vornehmlich das Ge/heimniſs dieses Weitergebens der heiligsten Gefühle begreifen. — So viel über die schriftstel/lerische Persönlichkeit der Frau von Stael: in unserem nächsten Hefte wird die Betrachtung ihrer /Corinna uns zu einer interessanten Vergleichung der deutschen und der französischen Sentimentalität /Gelegenheit geben. Um besonders denen verständlich zu werden, die eine Vorliebe für die französi/sche Literatur hegen, und um für sie einen Vergleichungspunct Vergleichspunct festzustellen, theilen wir das vor/treffliche Fragment einer französischen Uebersetzung des Schillerschen Gedichtes: Resignation mit, /welches uns von einem erleuchteten Beschützer der Kunst mitgetheilt worden. Unsre Absicht dabei /wird erst im zweiten Hefte vollständig klar werden: / 100
Quellenangabe für Zitat:
https://kleist-digital.de/phoebus/01/09 [ + Angabe von Zeile / Vers oder Seite ], 26.12.2024
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