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Berliner Abendblätter.
26tes Blatt. Den 30ten October 1810.
Allerneuester Erziehungsplan.
(Fortsetzung.)
Einige Beispiele, hochverehrtes Publicum, werden dies deutlicher machen.
Das gemeine Gesetz des Widerspruchs ist jedermann, aus eigner Erfahrung, bekannt; das Gesetz, das uns geneigt macht, uns, mit unserer Meinung, immer auf die entgegengesetzte Seite hinüber zu werfen. Jemand sagt mir, ein Mensch, der am Fenster vorübergeht, sei so dick, wie eine Tonne. Die Wahrheit zu sagen, er ist von gewöhnlicher Corpulenz. Ich aber, da ich ans Fenster komme, ich berichtige diesen Irrthum nicht bloß: ich rufe Gott zum Zeugen an, der Kerl sei so dünn, als ein Stecken.
Oder eine Frau hat sich, mit ihrem Liebhaber, ein Rendezvous menagirt. Der Mann, in der Regel, geht des Abends, um Triktrak zu spielen, in die Tabagie; gleichwohl um sicher zu gehen, schlingt sie den Arm um ihn, und spricht: mein lieber Mann! Ich habe die Hammelkeule, von heute Mittag, aufwärmen lassen. Niemand besucht mich, wir sind ganz allein; laß uns den heutigen Abend einmal, in recht heiterer und vertraulicher Abgeschlossenheit zubringen. Der Mann, der gestern schweres Geld in der Tabagie verlor, dachte in der That heut, aus Rücksicht auf seine Casse, zu Hause zu bleiben; doch plötzlich wird ihm die entsetzliche Langeweile klar, die ihm, seiner Frau gegenüber, im Hause verwartet. Er spricht: liebe Frau! Ich habe einem Freunde versprochen, ihm im Triktrak, worin ich gestern gewann, Revange zu geben. Laß mich, auf eine Stunde, wenn es sein kann, in die Tabagie gehn; morgen von Herzen gern stehe ich zu deinen Diensten.
(Die Fortsetzung folgt.)
Aëronautik.
(Beschluß.)
Zudem bemerken wir, daß wenn 7) der Luftschifffahrer, aller dieser Hülfsmittel ungeachtet, Tage und Wochen lang auf den Wind, der ihm passend ist, warten müßte, derselbe sich mit dem Seefahrer zu trösten hätte, der auch Wochen, oft Monate lang, auf günstige Winde im Hafen harren muß: wenn er ihn aber gefunden hat, binnen wenigen Stunden damit weiter kommt, als wenn er sich, von Anfang herein, während der ganzen verlornen Zeit, zur Axe oder zu Pferde fortbewegt hätte.
Endlich selbst zugegeben 8) — was wir bei der Möglichkeit, auch selbst in der wolkigsten Nacht, den Polarstern, wenigstens auf Augenblicke, aufzufinden, keinesweges thun — dem Luftschiffer fehle es schlechthin an Mittel, sich in der Nacht im Luftraum zu orientiren: so halten wir den von dem unbekannten Hrn. R. berechneten Irrthum von 6 Meilen, auf einen Radius von 30 Meilen, für einen sehr mäßigen und erträglichen. Der Aeronaut würde immer noch, wenn x die Zeit ist, die er gebraucht haben würde, um den Radius zur Axe zurückzulegen, in x/5 den Radius und die Sehne zurücklegen können. Wenn er dies, gleichviel aus welchen Gründen, ohne seinen Ballon, nicht wollte, so würde er sich wieder mit dem Seefahrer trösten müssen, der auch oft, widriger Winde wegen, statt in den Hafen einzulaufen, auf der Rhede vor Anker gehen, oder gar in einen andern ganz entlegenen Hafen einlaufen muß, nach dem er gar nicht bei seiner Abreise gewollt hat.
Was Hr. Garnerin betrift, so werden wir im Stande sein, in Kurzem bestimmtere Facta, als die im 13ten Abendblatt enthalten waren, zur Erwiderung auf die gemachten Einwurfe, beizubringen.
rm.
Schreiben aus Berlin.
Den 28. Octbr.
Die Oper Cendrillon, welche sich Mad. Bethmann zum Benefiz gewählt hat, und Herr Herklots bereits, zu diesem Zweck, übersetzt, soll, wie man sagt, der zum Grunde liegenden, französischen Musik wegen, welche 105 ein dreisilbiges Wort erfordert, Ascherlich, Ascherling oder Ascherlein u. s. w. nicht Aschenbrödel, genannt werden. Brödel, von Brod oder, altdeutsch, Brühe (brode im Französischen) heißt eine mit Fett und Schmutz bedeckte Frau; eine Bedeutung, in der sich das Wort, durch eben das, in Rede stehende, Mährchen, in welchem es, mit dem Muthwillen freundlicher Ironie, einem zarten und lieben Kinde von überaus schimmernder Reinheit an Leib und Seele, gegeben wird, allgemein beim Volk erhalten hat. Warum, ehe man diesem Mährchen dergestalt, durch Unterschiebung eines, an sich gut gewählten, aber gleichwohl willkührlichen und bedeutungslosen Namens, an das Leben greift, zieht man nicht lieber, der Musik zu Gefallen, das „del“ in „d‘l“ zusammen, oder elidirt das d ganz und gar? Ein österreichischer Dichter würde ohne Zweifel keinen Anstand nehmen, zu sagen: Aschenbröd’l oder Aschenbröl.
Ascherlich oder Aschenbröd’l selbst, wird Madmois. Maas; Mad. Bethmann, wie es heißt, die Rolle einer der eifersüchtigen Schwestern übernehmen. Mlle. Maas ist ohne Zweifel durch mehr, als die bloße Jugend, zu dieser Rolle berufen; von Mad. Bethmann aber sollte es uns leid thun, wenn sie glauben sollte, daß sie, ihres Alters wegen, davon ausgeschlossen wäre. Diese Resignation käme (wir meinen, wenn nicht den größesten, doch den verständigsten Theil des Publicums, auf unserer Seite zu haben) noch um viele Jahre zu früh. Es ist, mit dem Spiel dieser Künstlerin, wie mit dem Gesang manchen alten Musikmeisters am Fortepiano. Er hat eine, von manchen Seiten mangelhafte, Stimme und kann sich, was den Vortrag betrift, mit keinem jungen, rüstigen Sänger messen. Gleichwohl, durch den Verstand und die ungemein zarte Empfindung, mit welcher er zu Werke geht, führt er, alle Verletzungen vermeidend, die Einbildung, in einzelnen Momenten, auf so richtige Wege, daß jeder sich mit Leichtigkeit das Fehlende ergänzt, und ein in der That höheres Vergnügen genießt, als ihm eine bessere Stimme, aber von einem geringern Genius regiert, gewährt haben würde. — Mad. Bethmanns größester Ruhm, meinen wir, nimmt allererst, wenn sie sich anders auf ihre Kräfte versteht, in einigen Jahren (in dem Alter, wo Andere ihn verlieren,) seinen Anfang.
y.
An die Verfasser schlechter Epigramme.
Des Satyrs Geißel schmerzt von Rosenstrauch am meisten. Wer nur den Knieriem führt, der bleibe ja beim Leisten.
st.
Miscellen.
Die Insel Bonaparte (ehemals Bourbon) ist den 7ten Juli von 6000 Engländern, welche daselbst gelandet, erobert worden. Der französische Obrist Sainte-Suzanne, der auf der Insel kommandirte, hat gleichwohl eine ehrenvolle Capitulation abgeschlossen. Isle de France, den Angriffen der Engländer nunmehr ausgesetzt, ist in zweckmäßigen Vertheidigungsstand gesetzt worden. (Mon.)
Mehrere Generale und höhere Offiziere sind im Oesterreichischen vor ein Spezial-Kriegsgericht gezogen worden, um wegen ihres Verhaltens, während des Kriegs, Rechenschaft abzulegen. Man sagt, die Akten werden zur Kenntniß des Publikums gebracht werden.
Hr. Grattan ist beauftragt worden, die Addresse der Irrländer, wegen Zurücknahme der Unionsacte, dem Parlament vorzulegen.
Der Englische Admiral Saumarez soll Befehl erhalten haben, gegen den schwedischen Handel feindlich zu agiren. Demnach wäre der Krieg zwischen England und Schweden erklärt. (Frk. St. Rist.)
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Es sind gestern 4 Personen wegen begangener Marktdiebstäle zur Untersuchung gezogen.
Bei der heute früh um 4 Uhr beendigten Generalvisitation sind 22 Männer und 2 Weiber verhaftet, deren Verhältnisse näher untersucht werden.
Ein angeblicher Oekonom hat sich mit Bettelbriefen bei einem hiesigen Einwohner introduzirt und ist verhaftet.
Die Viehtransporte waren besonders bedeutend blos an Ochsen 286 Stück, größtentheils fremde.
Bei J. E. Hitzig, hinter der katholischen Kirche Nr. 3, und in der Expedition der Abendblätter, Jägerstraße Nr. 25, ist zu haben:
Taschenbuch für denkende Frauen 1811. Enthaltend: Briefe über Zweck und Richtung weiblicher Bildung, von Caroline, Baronin Fouqué. Eine Weihnachtsgabe. 16. Elegant gebunden 12 gr.