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Berliner Abendblätter.
14tes Blatt. Den 16ten October 1810.
Kunst-Ausstellung.
(Fortsetzung des im 9ten Blatt abgebrochenen Aufsatzes.)
Es ist keinesweges die Absicht, die Büryschen Bilder hier mit unverdienten Lobsprüchen überschütten zu wollen. Der bescheidene Künstler würde sich dadurch am meisten verletzt halten. Aber das Bestreben, die Absicht und den Sinn desselben zu verständigen, das ist es, was hier versucht werden soll, wobei der unerschütterlichen und strengen Ehrfurcht vor der Natur, neben der Gegenwart wahrer Kunst in seinen Werken die gebührende Achtung nicht versagt werden kann.
Es sind in Allem fünf Porträte, welche Hr. Büry ausgestellt hat, und welche angesehen werden können als eine Stufenfolge künstlerischer Behandlungsarten des Porträts überhaupt, von dem einfachen, ausdrucksvollen Charakterbilde an, bis hinauf zur bedeutungsvollesten symbolischen Vergötterung der menschlichen Gestalt. Wenn daher oben das Porträt nur brauchte von seiner gewöhnlichen, gleichsam natürlichen Seite betrachtet zu werden, so sind wir dagegen durch die Büryschen Bilder veranlaßt, dasselbe nunmehr in einer höheren Beziehung und vom Standpunkte der Kunstansicht selbst ins Auge zu fassen.
Der große Haufe von Beschauern und die sogenannten Liebhaber verlangen von einem Bilde zuerst, daß es ihre Aufmerksamkeit und Theilnahme errege, und außerdem noch ein gewisses, ihnen selbst nicht recht deutliches Etwas, welches sie bald Grazie, bald Schönheit, bald Ideal zu nennen pflegen; die Professionisten der Mahlerei hingegen und die sogenannten Kenner dringen auf Richtigkeit der Zeichnung, auf Wahrheit der Farben, auf Wirkung des Lichtes und 56 Schattens und auf Fertigkeit des Pinsels. Beide haben Recht, sowohl jene, welche die Idee, wie diese, welche deren angemessene Darstellung verlangen, und wenn die wohlverstandenen Forderungen beider erfüllt sind, so ist die Kunst erschienen. Denn alle Kunst überhaupt besteht in Darstellung einer Idee, d. h. eines Ganzen, eines Einen in in [gesperrt] Allem. Durch welches Mittel die Idee dargestellt werde, ist an und für sich einerlei; am schönsten und erhabensten geschieht es, wenn der sittliche Mensch sich selbst zum Kunstwerk macht, oder der begeisterte sein ganzes Geschlecht. Die Mahlerei aber erwählt zu ihrem Mittel die sichtbare Gestalt und Erscheinung der Dinge durch Farbe und Licht. Wie vermittelst derselben die unsichtbare Idee auf das verständlichste ausgedrückt werden könne, ist ihr Studium, und die Natur und das Leben selbst sind ihre Schule.
Damit aber Ideen wirklich dargestellt werden können, ist vor allen Dingen nöthig, daß dergleichen überhaupt vorhanden seyen; und nie haben sie der Welt gefehlt. Keine Zeit hat derselben entbehrt; jede ist von ihnen auf andere, eigene Weise bewegt worden und jede hat demzufolge auch ihre besondere eigenthümliche Kunst hervorgebracht oder begünstigt.
Was nun unser Zeitalter betrift, so ist demselben überhaupt und dem Deutschen Volke insonderheit bereits zur Genüge die mangelnde Begeisterung für Religion, Freiheit und Vaterland vorgeworfen und dagegen Selbstsucht und Empfindelei zugeschrieben worden. Auch widerlegt der gegenwärtige Zustand der Kunst und insbesondere der Malerei diese Vorwürfe keinesweges, indem dieselbe ihres eigentlichen und würdigsten Gebietes, der Religion und Geschichte, ganz zu entbehren und auf Porträt und Landschaft eingeschränkt worden zu sein scheint. Allein nur zu leicht wird übersehen, wie dagegen unsere Zeit und unser Volk von zwei anderen, nicht minder erhabenen, Ideen auf- und angeregt werde, welche das Leben selbst und 57 dessen politische und gesellschaftliche Verhältnisse zu gestalten unternommen haben, vom Rechte nämlich und von der Sitte. Jeder, der zu dieser Zeit wirklich lebt, ist von ihnen berührt und bewegt worden; jedes wahrhafte Werk dieser Zeit trägt den Stempel derselben und die ganze Richtung derjenigen Kunst, welche dieser Zeit in der That und Wahrheit angehört, ist durch sie bestimmt worden.
Auch die Büryschen Bilder bekräftigen nun dieses. Sowohl das große Gemälde, von welchem an einem andern Orte geredet werden soll, als auch ein Theil der Porträte tragen das unverkennbare Gepräge einer wirklichen, ächten und Deutschen Begeisterung für das Recht und die Sitte.
(Wird fortgesetzt.)
Schreiben eines Berliner Einwohners an den Herausgeber der Abendblätter.
Mein Herr!
Dieselben haben in dem 11ten Stück der Berliner Abendblätter, unter der Rubrik: Nützliche Erfindungen, den Entwurf einer Bombenpost zur Sprache gebracht; einer Post, die der Mangelhaftigkeit des elektrischen Telegraphen, nämlich, sich mit nichts, als kurzen Anzeigen, befassen zu können, dadurch abhilft, daß sie dem Publico auf zweckmäßig angelegten Artillerie-Stationen, Briefe und Packete mit Bomben und Granaten zuwirft. Erlauben Dieselben mir zu bemerken, daß diese Post, nach einer, in Ihrem eigenen Aufsatz enthaltenen Aeußerung, voraussetzt, der Stettiner oder Breslauer Freund habe auf die Frage des Berliners an ihn: wie geht’s dir? zu antworten: recht gut! Wenn derselbe jedoch, gegen die Annahme, zu antworten hätte: so, so! oder: mittelmäßig! oder die Wahrheit zu sagen, schlecht; oder gestern Nacht, da ich verreis’t war, hat mich meine Frau hintergangen; oder: ich bin in Prozessen verwickelt, von denen ich kein Ende absehe; oder: ich habe Bankerot gemacht, Haus und Hof verlassen und bin im Begriff in die weite Welt weiteWelt zu gehen: so gingen, für einen solchen Mann, unsere ordinairen Posten geschwind schnell schnell genug. Da nun die Zeiten von der Art sind, daß von je hundert Briefen, die zwei Städte einander zuschicken, neun und neunzig Anzeigen von der besagten Art enthalten, so dünkt uns, sowohl die elektrische Donnerwetterpost, als auch die Bomben- und Granatenpost könne vorläufig noch auf sich beruhen, und wir fragen dagegen an, ob Dieselben nicht die Organisation 58einer anderen Post zu Wege bringen können, die, gleichviel, ob sie mit Ochsen gezogen, oder von eines Fußboten Rücken getragen würde, auf die Frage: wie geht’s dir? von allen Orten mit der Antwort zurückkäme: je nun! oder: nicht eben übel! oder: so wahr ich lebe, gut! oder: mein Haus habe ich wieder aufgebaut; oder: die Pfandbriefe stehen wieder al pari; oder: meine beiden Töchter habe ich kürzlich verheirathet; oder: morgen werden wir, unter dem Donner der Kanonen, ein Nationalfest feiern; — und was dergleichen Antworten mehr sind. Hiedurch würden Dieselben sich das Publikum auf das lebhafteste verbinden, und da wir von Dero Eifer zum Guten überall, wo es auf Ihrem Wege liegt, mitzuwirken, überzeugt sind, so halten wir uns nicht auf, die Freiheit dieses Briefes zu entschuldigen, und haben die Ehre, mit der vollkommensten und ungeheucheltsten Hochachtung [liest ›Hochachtung‹] [liest ›Hochachtung‹] zu sein, u. s. w.
Berlin den 14. Okt. 1810. Der Anonymus.
Antwort an den Einsender des obigen Briefes.
Dem Einsender obigen witzigen Schreibens geben wir hiemit zur Nachricht, daß wir uns mit der Einrichtung seiner Ochsenpost, oder seines moralischen und publizistischen Eldorados nicht befassen können. Persiflage und Ironie sollen uns, in dem Bestreben, das Heil des menschlichen Geschlechts, soviel als auf unserem Wege liegt, zu befördern, nicht irre machen. Auch in dem, Gott sei Dank! doch noch keineswegs allgemeinen Fall, daß die Briefe mit lauter Seufzern beschwert wären, würde es, aus ökonomischen und kaufmännischen Gesichtspunkten noch vortheilhaft sein, sich dieselben mit Bomben zuzuwerfen. Demnach soll nicht nur der Prospectus der Bombenpost, sondern auch ein Plan, zur Einsammlung der Actien, in einem unserer nächsten Blätter erfolgen.
Die Redaktion.
Fragment eines Haushofmeisters-Examens aus dem Shakespear.
Ehrn Matthias. Was ist des Pythagoras Lehre wildes Geflügel anlangend? — —
Was achtest du von dieser Lehre? —
Vx.
Miscellen.
Außer dem Feuer in der Landsberger Straße soll auch in der vorgestrigen Nacht in Wilmersdorf wieder Feuer gewesen sein.
[Hierbei ein Extrablatt.]
Extrablatt
zum 14ten Berliner Abendblatt.
Ueber die gestrige Luftschiffahrt des Herrn Claudius.
Herr Claudius hat seinen Versuch, den Ballon willkührlich, vermittelst einer Maschiene, zu dirigiren, nicht zu Stande bringen können. Sei es nun, daß der Wind, indem er die Taftwände zusammendrückte, der Anfüllung hinderlich, oder aber die Materialien (welches das Wahrscheinlichere ist), von schlechter Beschaffenheit waren: der Ballon hatte um 4 Uhr noch keine Steigekraft. Das Volk ist, bei solchen Gelegenheiten, immer wie ein Kind; und während sich Hr. Reichard, der sich der Sache angenommen hatte, der augenscheinlichen Gefahr ungeachtet, erbot, in die Lüfte zu gehen, ward Hr. Claudius, durch die Vorsorge der Polizei, im Stillen in Sicherheit gebracht. Hr. Reichard, dieser erfahrne und muthige Luftschiffahrer, dessen Einsicht man diese Sache überlassen mußte, setzte sich demnach in der That in die Gondel; sein Glück aber wollte, daß er, sogleich beim Aufsteigen, in die Bäume des zunächst liegenden Gartens gerieth: ohne welchen Glücksfall er unfehlbar auf halsbrechende Weise über die Dächer der Stadt hinweg geschleift haben würde. Hierauf, nachdem man den Ballon wieder niedergezogen und in die Mitte des Schützenplatzes gebracht hatte, ward er von höherer Hand befragt: ob er anders nicht, als mit Lebensgefahr steigen könne? und da Hr. Reichard antwortete: „steigen könne und wolle er; aber, unter solchen Umständen, ohne Lebensgefahr nicht!“ so ward ihm, auf unbedingte Weise, befohlen, auszusteigen: worauf die Herren Unternehmer, nachdem dies bewerkstelligt war, dem Volk noch, um es zu befriedigen, das kostspielige Schauspiel gaben, den Ballon für sich, ohne Schiffahrer, in das Reich der Lüfte empor gehen zu lassen. In weniger als einer Vier58btelstunde, war derselbe nunmehr den Augen entschwunden; und ob man ihn wieder auffinden wird, steht dahin.
Bei dieser Gelegenheit müssen wir auf den Versuch Hrn. Garnerins zurückkommen, den Ballon, auf ganz leichte und ungewaltsame Weise, ohne alle Maschienerie, willkührlich zu bewegen. Dieser Versuch scheint Hrn. Claudius nicht in seinem ganzen Umfange bekannt geworden zu sein. Hr. Garnerin hat, bei seinem interessanten Experiment, zwei Erfahrungen zum Grunde gelegt: einmal, daß in der Luft alle nur möglichen Winde in horizontaler Richtung, über einander liegen; und dann, daß diese Winde, während der Nacht, den mindesten Wechseln (Veränderungen) unterworfen sind. Demnach ist er, im August d. J., zu Paris, mit der Vorherbestimmung, daß er nach Rheims gehen würde, zur Zeit der Abenddämmerung, aufgestiegen: überzeugt, daß er, in senkrechten Auf- und Niederschwebungen, vermittelst des Compasses, den er bei sich hatte, den Luftstrom finden würde, der ihn nach dieser Stadt hintragen würde. Hier bei der Morgendämmerung des nächsten Tages angekommen, hat er sich ausgeruht und restaurirt, und ist, bei Einbruch der Nacht, mit der Vorherbestimmung, daß er nach Trier gehen würde, mit demselben Ballon, von Neuem in Luft gegangen. Diese Vorherbestimmung schlug in so fern fehl, daß er, am andern Morgen, nach Cölln kam: aber der Versuch war entscheidend genug, um darzuthun, daß man, bei der Direction des Luftballons, schlechthin keiner Maschienen bedürfe. — Hr. Claudius kann die nähere Beschreibung davon in den öffentlichen Blättern finden.
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Im Backhause eines Bäckermeisters in der Landsberger Straße brach vorgestern Abend Feuer aus, wurde aber in kurzer Zeit glücklich gelöscht.
Ein Uhlan hat seinen Vize-Wachtmeister, der ihn arretiren wollen, vorgestern Nachmittag um 3 Uhr in seiner Wohnung durch zwei Pistolenschüsse getödtet.