Michael Kohlhaas.
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Michael Kohlhaas.
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des ſechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhaͤndler, Namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeiſters, einer der rechtſchaffenſten zugleich und entſetzlichſten Menſchen ſeiner Zeit. — Dieſer außerordentliche Mann wuͤrde, bis in ſein dreißigſtes Jahr fuͤr das Muſter eines guten Staatsbuͤrgers haben gelten koͤnnen. Er beſaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen fuͤhrt, einen Meierhof, auf welchem er ſich durch ſein Gewerbe ruhig ernaͤhrte; die Kinder, die ihm ſein Weib ſchenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitſamkeit und Treue; nicht Einer war unter ſeinen Nachbarn, der ſich nicht ſeiner Wohlthaͤtigkeit, oder ſeiner Gerechtigkeit 2erfreut haͤtte; kurz, die Welt wuͤrde ſein Andenken haben ſegnen muͤſſen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeſchweift haͤtte. Das Rechtgefuͤhl aber machte ihn zum Raͤuber und Moͤrder.
Er ritt einſt, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenaͤhrt alle und glaͤnzend, ins Ausland, und uͤberſchlug eben, wie er den Gewinnſt, den er auf den Maͤrkten damit zu machen hoffte, anlegen wolle: theils, nach Art guter Wirthe, auf neuen Gewinnſt, theils aber auch auf den Genuß der Gegenwart: als er an die Elbe kam, und bei einer ſtattlichen Ritterburg, auf ſaͤchſiſchem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er ſonſt auf dieſem Wege nicht gefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick, da eben der Regen heftig ſtuͤrmte, mit den Pferden ſtill, und rief den Schlagwaͤrter, der auch bald darauf, mit einem graͤmlichen Geſicht, aus dem Fenſter ſah. Der Roßhaͤndler ſagte, daß er ihm oͤffnen ſolle. Was giebt’s hier Neues? fragte er, da der Zoͤllner, nach einer geraumen Zeit, aus dem Hauſe trat. Landesherrliches Privilegium, antwortete 3dieſer, indem er aufſchloß: dem Junker Wenzel von Tronka verliehen. — So, ſagte Kohlhaas. Wenzel heißt der Junker? und ſah ſich das Schloß an, das mit glaͤnzenden Zinnen uͤber das Feld blickte. Iſt der alte Herr todt? — Am Schlagfluß geſtorben, erwiederte der Zoͤllner, indem er den Baum in die Hoͤhe ließ. — Hm! Schade! verſetzte Kohlhaas. Ein wuͤrdiger alter Herr, der ſeine Freude am Verkehr der Menſchen hatte, Handel und Wandel, wo er nur vermogte, forthalf, und einen Steindamm einſt bauen ließ, weil mir eine Stute, draußen, wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun! Was bin ich ſchuldig? — fragte er; und holte die Groſchen, die der Zollwaͤrter verlangte, muͤhſelig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor. „Ja, Alter,“ ſetzte er noch hinzu, da dieſer: hurtig! hurtig! murmelte, und uͤber die Witterung fluchte: „wenn der Baum im Walde ſtehen geblieben waͤre, waͤrs beſſer geweſen, fuͤr mich und euch;“ und damit gab er ihm das Geld und wollte reiten. Er war aber noch kaum unter den Schlagbaum gekommen, 4als eine neue Stimme ſchon: halt dort, der Roßkamm! hinter ihm vom Thurm erſcholl, und er den Burgvoigt ein Fenſter zuwerfen und zu ihm herabeilen ſah. Nun, was giebt’s Neues? fragte Kohlhaas bei ſich ſelbſt, und hielt mit den Pferden an. Der Burgvoigt, indem er ſich noch eine Weſte uͤber ſeinen weitlaͤufigen Leib zuknuͤpfte, kam, und fragte, ſchief gegen die Witterung geſtellt, nach dem Paßſchein. — Kohlhaas fragte: der Paßſchein? Er ſagte, ein wenig betreten, daß er, ſo viel er wiſſe, keinen habe; daß man ihm aber nur beſchreiben moͤgte, was dies fuͤr ein Ding des Herrn ſey: ſo werde er vielleicht zufaͤlligerweiſe damit verſehen ſeyn. Der Schloßvoigt, indem er ihn von der Seite anſah, verſetzte, daß ohne einen landesherrlichen Erlaubnißſchein, kein Roßkamm mit Pferden uͤber die Graͤnze gelaſſen wuͤrde. Der Roßkamm verſicherte, daß er ſiebzehn Mal in ſeinem Leben, ohne einen ſolchen Schein, uͤber die Graͤnze gezogen ſey; daß er alle landesherrlichen Verfuͤgungen, die ſein Gewerbe angingen, genau kennte; daß dies wohl nur ein Irrthum ſeyn 5wuͤrde, wegen deſſen er ſich zu bedenken bitte, und daß man ihn, da ſeine Tagereiſe lang ſey, nicht laͤnger unnuͤtzer Weiſe hier aufhalten moͤge. Doch der Voigt erwiederte, daß er das achtzehnte Mal nicht durchſchluͤpfen wuͤrde, daß die Verordnung deshalb erſt neuerlich erſchienen waͤre, und daß er entweder den Paßſchein noch hier loͤſen, oder zuruͤckkehren muͤſſe, wo er hergekommen ſey. Der Roßhaͤndler, den dieſe ungeſetzlichen Erpreſſungen zu erbittern anfingen, ſtieg, nach einer kurzen Beſinnung, vom Pferde, gab es einem Knecht, und ſagte, daß er den Junker von Tronka ſelbſt daruͤber ſprechen wuͤrde. Er ging auch auf die Burg; der Voigt folgte ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nuͤtzlichen Aderlaͤſſen derſelben murmelte; und beide traten, mit ihren Blicken einander meſſend, in den Saal. Es traf ſich, daß der Junker eben, mit einigen muntern Freunden, beim Becher ſaß, und, um eines Schwanks willen, ein unendliches Gelaͤchter unter ihnen erſcholl, als Kohlhaas, um ſeine Beſchwerde anzubringen, ſich ihm naͤherte. Der Junker fragte, was er wolle;6 die Ritter, als ſie den fremden Mann erblickten, wurden ſtill; doch kaum hatte dieſer ſein Geſuch, die Pferde betreffend, angefangen, als der ganze Troß ſchon: Pferde? Wo ſind ſie? ausrief, und an die Fenſter eilte, um ſie zu betrachten. Sie flogen, da ſie die glaͤnzende Koppel ſahen, auf den Vorſchlag des Junkers, in den Hof hinab; der Regen hatte aufgehoͤrt; Schloßvoigt und Verwalter und Knechte verſammelten ſich um ſie, und alle muſterten die Thiere. Der Eine lobte den Schweißfuchs mit der Bleſſe, dem Andern gefiel der Kaſtanienbraune, der Dritte ſtreichelte den Schecken mit ſchwarzgelben Flecken; und Alle meinten, daß die Pferde wie Hirſche waͤren, und im Lande keine beſſern gezogen wuͤrden. Kohlhaas erwiederte munter, daß die Pferde nicht beſſer waͤren, als die Ritter, die ſie reiten ſollten; und forderte ſie auf, zu kaufen. Der Junker, den der maͤchtige Schweißhengſt ſehr reizte, befragte ihn auch um den Preis; der Verwalter lag ihm an, ein Paar Rappen zu kaufen, die er, wegen Pferdemangels, in der Wirthſchaft gebrauchen zu koͤn7nen glaubte; doch als der Roßkamm ſich erklaͤrt hatte, fanden die Ritter ihn zu theuer, und der Junker ſagte, daß er nach der Tafelrunde reiten und ſich den Koͤnig Arthur aufſuchen muͤſſe, wenn er die Pferde ſo anſchlage. Kohlhaas, der den Schloßvoigt und den Verwalter, indem ſie ſprechende Blicke auf die Rappen warfen, mit einander fluͤſtern ſah, ließ es, aus einer dunkeln Vorahndung, an nichts fehlen, die Pferde an ſie los zu werden. Er ſagte zum Junker: „Herr, die Rappen habe ich vor ſechs Monaten fuͤr 25 Goldguͤlden gekauft; gebt mir 30, ſo ſollt ihr ſie haben.“ Zwei Ritter, die neben dem Junker ſtanden, aͤußerten nicht undeutlich, daß die Pferde wohl ſo viel werth waͤren; doch der Junker meinte, daß er fuͤr den Schweißfuchs wohl, aber nicht eben fuͤr die Rappen, Geld ausgeben moͤgte, und machte Anſtalten, aufzubrechen; worauf Kohlhaas ſagte, er wuͤrde vielleicht das naͤchſte Mal, wenn er wieder mit ſeinen Gaulen durchzoͤge, einen Handel mit ihm machen; ſich dem Junker empfahl, und die Zuͤgel ſeines Pferdes ergriff, um abzureiten. In dieſem Augen8blick trat der Schloßvoigt aus dem Haufen vor, und ſagte, er hoͤre, daß er ohne einen Paßſchein nicht reiſen duͤrfe. Kohlhaas wandte ſich und fragte den Junker, ob es denn mit dieſem Umſtand, der ſein ganzes Gewerbe zerſtoͤre, in der That ſeine Richtigkeit habe? Der Junker antwortete, mit einem verlegnen Geſicht, indem er abging: ja, Kohlhaas, den Paß mußt du loͤſen. Sprich mit dem Schloßvoigt, und zieh deiner Wege. Kohlhaas verſicherte ihn, daß es gar nicht ſeine Abſicht ſey, die Verordnungen, die wegen Ausfuͤhrung der Pferde beſtehen moͤgten, zu umgehen; verſprach, bei ſeinem Durchzug durch Dresden, den Paß in der Geheimſchreiberei zu loͤſen, und bat, ihn nur diesmal, da er von dieſer Forderung durchaus nichts gewußt, ziehen zu laſſen. Nun! ſprach der Junker, da eben das Wetter wieder zu ſtuͤrmen anfing, und ſeine duͤrren Glieder durchſauſte: laßt den Schlucker laufen. Kommt! ſagte er zu den Rittern, kehrte ſich um, und wollte nach dem Schloſſe gehen. Der Schloßvoigt ſagte, zum Junker gewandt, daß er wenigſtens ein Pfand,9 zur Sicherheit, daß er den Schein loͤſen wuͤrde, zuruͤcklaſſen muͤſſe. Der Junker blieb wieder unter dem Schloßthor ſtehen. Kohlhaas fragte, welchen Werth er denn, an Geld oder an Sachen, zum Pfande, wegen der Rappen, zuruͤcklaſſen ſolle? Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er koͤnne ja die Rappen ſelbſt zuruͤcklaſſen. Allerdings, ſagte der Schloßvoigt, das iſt das Zweckmaͤßigſte; iſt der Paß geloͤſ’t, ſo kann er ſie zu jeder Zeit wieder abholen. Kohlhaas, uͤber eine ſo unverſchaͤmte Forderung betreten, ſagte dem Junker, der ſich die Wamsſchoͤße frierend vor den Leib hielt, daß er die Rappen ja verkaufen wolle; doch dieſer, da in demſelben Augenblick ein Windſtoß eine ganze Laſt von Regen und Hagel durch’s Thor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen: wenn er die Pferde nicht loslaſſen will, ſo ſchmeißt ihn wieder uͤber den Schlagbaum zuruͤck; und ging ab. Der Roßkamm, der wohl ſah, daß er hier der Gewaltthaͤtigkeit weichen mußte, entſchloß ſich, die Forderung, weil doch nichts anders uͤbrig blieb, zu erfuͤllen; ſpannte die Rappen aus, und 10fuͤhrte ſie in einen Stall, den ihm der Schloßvoigt anwies. Er ließ einen Knecht bei ihnen zuruͤck, verſah ihn mit Geld, ermahnte ihn, die Pferde, bis zu ſeiner Zuruͤckkunft, wohl in Acht zu nehmen, und ſetzte ſeine Reiſe, mit dem Reſt der Koppel, halb und halb ungewiß, ob nicht doch wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein ſolches Gebot, im Saͤchſiſchen, erſchienen ſeyn koͤnne, nach Leipzig, wo er auf die Meſſe wollte, fort.
In Dresden, wo er, in einer der Vorſtaͤdte der Stadt, ein Haus mit einigen Staͤllen beſaß, weil er von hier aus ſeinen Handel auf den kleineren Maͤrkten des Landes zu beſtreiten pflegte, begab er ſich, gleich nach ſeiner Ankunft, auf die Geheimſchreiberei, wo er von den Raͤthen, Rathen deren er einige kannte, erfuhr, was ihm allerdings ſein erſter Glaube ſchon geſagt hatte, daß die Geſchichte von dem Paßſchein ein Maͤhrchen ſey. Kohlhaas, dem die mißvergnuͤgten Raͤthe, auf ſein Anſuchen, einen ſchriftlichen Schein uͤber den Ungrund derſelben gaben, laͤchelte uͤber den Witz des duͤrren Junkers, obſchon 11er noch nicht recht einſah, was er damit bezwecken mogte; und die Koppel der Pferde, die er bei ſich fuͤhrte, einige Wochen darauf, zu ſeiner Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohne irgend weiter ein bitteres Gefuͤhl, als das der allgemeinen Noth der Welt, zur Tronkenburg zuruͤck. Der Schloßvoigt, dem er den Schein zeigte, ließ ſich nicht weiter daruͤber aus, und ſagte, auf die Frage des Roßkamms, ob er die Pferde jetzt wieder bekommen koͤnne: er moͤgte nur hinunter gehen und ſie holen. Kohlhaas hatte aber ſchon, da er uͤber den Hof ging, den unangenehmen Auftritt, zu erfahren, daß ſein Knecht, ungebuͤhrlichen Betragens halber, wie es hieß, wenige Tage nach deſſen Zuruͤcklaſſung in der Tronkenburg, zerpruͤgelt und weggejagt worden ſey. Er fragte den Jungen, der ihm dieſe Nachricht gab, was denn derſelbe gethan? und wer waͤhrend deſſen die Pferde beſorgt haͤtte? worauf dieſer aber erwiederte, er wiſſe es nicht, und darauf dem Roßkamm, dem das Herz ſchon von Ahnungen ſchwoll, den Stall, in welchem ſie ſtanden, oͤffnete. Wie groß war aber ſein Erſtaunen, als 12er, ſtatt ſeiner zwei glatten und wohlgenaͤhrten Rappen, ein Paar duͤrre, abgehaͤrmte Maͤhren erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, haͤtte Sachen aufhaͤngen koͤnnen; Maͤhnen und Haare, ohne Wartung und Pflege, zuſammengeknetet: das wahre Bild des Elends im Thierreiche! Kohlhaas, den die Pferde, mit einer ſchwachen Bewegung, anwieherten, war auf das Aeußerſte entruͤſtet, und fragte, was ſeinen Gaulen widerfahren waͤre? Der Junge, der bei ihm ſtand, antwortete, daß ihnen weiter kein Ungluͤck zugeſtoßen waͤre, daß ſie auch das gehoͤrige Futter bekommen haͤtten, daß ſie aber, da gerade Ernte geweſen ſey, wegen Mangels an Zugvieh, ein wenig auf den Feldern gebraucht worden waͤren. Kohlhaas fluchte uͤber dieſe ſchaͤndliche und abgekartete Gewaltthaͤtigkeit, verbiß jedoch, im Gefuͤhl ſeiner Ohnmacht, ſeinen Ingrimm, und machte ſchon, da doch nichts anders uͤbrig blieb, Anſtalten, das Raubneſt mit den Pferden nur wieder zu verlaſſen, als der Schloßvoigt, von dem Wortwechſel herbeigerufen, erſchien, und fragte, was es hier gaͤbe? Was es 13giebt? antwortete Kohlhaas. Wer hat dem Junker von Tronka und deſſen Leuten die Erlaubniß gegeben, ſich meiner bei ihm zuruͤckgelaſſenen Rappen zur Feldarbeit zu bedienen? Er ſetzte hinzu, ob das wohl menſchlich waͤre? verſuchte, die erſchoͤpften Gaule durch einen Gertenſtreich zu erregen, und zeigte ihm, daß ſie ſich nicht ruͤhrten. Der Schloßvoigt, nachdem er ihn eine Weile trotzig angeſehen hatte, verſetzte: ſeht den Grobian! Ob der Flegel nicht Gott danken ſollte, daß die Maͤhren uͤberhaupt noch leben? Er fragte, wer ſie, da der Knecht weggelaufen, haͤtte pflegen ſollen? Ob es nicht billig geweſen waͤre, daß die Pferde das Futter, das man ihnen gereicht habe, auf den Feldern abverdient haͤtten? Er ſchloß, daß er hier keine Flauſen machen moͤgte, oder daß er die Hunde rufen, und ſich durch ſie Ruhe im Hofe zu verſchaffen wiſſen wuͤrde. — Dem Roßhaͤndler ſchlug das Herz gegen den Wams. Es draͤngte ihn, den nichtswuͤrdigen Dickwanſt in den Koth zu werfen, und den Fuß auf ſein kupfernes Antlitz zu ſetzen. Doch ſein Rechtgefuͤhl, das einer 14Goldwaage glich, wankte noch; er war, vor der Schranke ſeiner eigenen Bruſt, noch nicht gewiß, ob eine Schuld ſeinen Gegner druͤcke; und waͤhrend er, die Schimpfreden niederſchluckend, zu den Pferden trat, und ihnen, in ſtiller Erwaͤgung der Umſtaͤnde, die Maͤhnen zurecht legte, fragte er mit geſenkter Stimme: um welchen Verſehens halber der Knecht denn aus der Burg entfernt worden ſey? Der Schloßvoigt erwiederte: weil der Schlingel trotzig im Hofe geweſen iſt! Weil er ſich gegen einen nothwendigen Stallwechſel geſtraͤubt, und verlangt hat, daß die Pferde zweier Jungherren, die auf die Tronkenburg kamen, um ſeiner Maͤhren willen, auf der freien Straße uͤbernachten ſollten! — Kohlhaas haͤtte den Werth der Pferde darum gegeben, wenn er den Knecht zur Hand gehabt, und deſſen Ausſage mit der Ausſage dieſes dickmaͤuligen Burgvoigts haͤtte vergleichen koͤnnen. Er ſtand noch, und ſtreifte den Rappen die Zoddeln aus, und ſann, was in ſeiner Lage zu thun ſey, als ſich die Scene ploͤtzlich aͤnderte, und der Junker Wenzel von Tronka, mit einem Schwarm 15von Rittern, Knechten und Hunden, von der Haſenhetze kommend, in den Schloßplatz ſprengte. Der Schloßvoigt, als er fragte, was vorgefallen ſey, nahm ſogleich das Wort, und waͤhrend die Hunde, beim Anblick des Fremden, von der einen Seite, ein Mordgeheul gegen ihn anſtimmten, und die Ritter ihnen, von der andern, zu ſchweigen geboten, zeigte er ihm, unter der gehaͤſſigſten Entſtellung der Sache, an, was dieſer Roßkamm, weil ſeine Rappen ein wenig gebraucht worden waͤren, fuͤr eine Rebellion verfuͤhre. Er ſagte, mit Hohngelaͤchter, daß er ſich weigere, die Pferde als die ſeinigen anzuerkennen. Kohlhaas rief: „das ſind nicht meine Pferde, geſtrenger Herr! Das ſind die Pferde nicht, die dreißig Goldguͤlden werth waren! Ich will meine wohlgenaͤhrten und geſunden Pferde wieder haben!“ —Der Junker, indem ihm eine fluͤchtige Blaͤſſe in’s Geſicht trat, ſtieg vom Pferde, und ſagte: wenn der H... A... die Pferde nicht wiedernehmen will, ſo mag er es bleiben laſſen. Komm, Guͤnther! rief er — Hans! Kommt! indem er ſich den Staub mit 16der Hand von den Beinkleidern ſchuͤttelte; und: ſchafft Wein! rief er noch, da er mit den Rittern unter der Thuͤr war; und ging in’s Haus. Kohlhaas ſagte, daß er eher den Abdecker rufen, und die Pferde auf den Schindanger ſchmeißen laſſen, als ſie ſo, wie ſie waͤren, in ſeinen Stall zu Kohlhaaſenbruͤck fuͤhren wolle. Er ließ die Gaule, ohne ſich um ſie zu bekuͤmmern, auf dem Platz ſtehen, ſchwang ſich, indem er verſicherte, daß er ſich Recht zu verſchaffen wiſſen wuͤrde, auf ſeinen Braunen, und ritt davon.
Spornſtreichs auf dem Wege nach Dresden war er ſchon, als er, bei dem Gedanken an den Knecht, und an die Klage, die man auf der Burg gegen ihn fuͤhrte, ſchrittweis zu reiten anfieng, ſein Pferd, ehe er noch tauſend Schritt gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgaͤngigen Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug und gerecht ſchien, nach Kohlhaaſenbruͤck einbog. Denn ein richtiges, mit der gebrechlichen Einrichtung der Welt ſchon bekanntes Gefuͤhl machte ihn, trotz der erlittenen Beleidigungen, geneigt, falls nur wirklich dem Knecht, wie der Schloß17voigt behauptete, eine Art von Schuld beizumeſſen ſey, den Verluſt der Pferde, als eine gerechte Folge davon, zu verſchmerzen. Dagegen ſagte ihm ein eben ſo vortreffliches Gefuͤhl, und dies Gefuͤhl faßte tiefere und tiefere Wurzeln, in dem Maaße, als er weiter ritt, und uͤberall, wo er einkehrte, von den Ungerechtigkeiten hoͤrte, die taͤglich auf der Tronkenburg gegen die Reiſenden veruͤbt wurden: daß wenn der ganze Vorfall, wie es allen Anſchein habe, bloß abgekartet ſeyn ſollte, er mit ſeinen Kraͤften der Welt in der Pflicht verfallen ſey, ſich Genugthuung fuͤr die erlittene Kraͤnkung, und Sicherheit fuͤr zukuͤnftige ſeinen Mitbuͤrgern zu verſchaffen.
Sobald er, bei ſeiner Ankunft in Kohlhaaſenbruͤck, Lisbeth, ſein treues Weib, umarmt, und ſeine Kinder, die um ſeine Kniee frohlockten, gekuͤßt hatte, fragte er gleich nach Herſe, dem Großknecht: und ob man nichts von ihm gehoͤrt habe? Lisbeth ſagte: ja liebſter Michael, dieſer Herſe! Denke dir, daß dieſer unſeelige Menſch, vor etwa vierzehn Tagen, auf das jaͤmmerlichſte zerſchlagen, hier eintrifft; nein, ſo zerſchlagen, 18daß er auch nicht frei athmen kann. Wir bringen ihn zu Bett, wo er heftig Blut ſpeit, und vernehmen, auf unſre wiederholten Fragen, eine Geſchichte, die keiner verſteht. Wie er von dir mit Pferden, denen man den Durchgang nicht verſtattet, auf der Tronkenburg zuruͤckgelaſſen worden ſey, wie man ihn, durch die ſchaͤndlichſten Mißhandlungen, gezwungen habe, die Burg zu verlaſſen, und wie es ihm unmoͤglich geweſen waͤre, die Pferde mitzunehmen. So? ſagte Kohlhaas, indem er den Mantel ablegte. Iſt er denn ſchon wieder hergeſtellt? — Bis auf das Blutſpeien, antwortete ſie, halb und halb. Ich wollte ſogleich einen Knecht nach der Tronkenburg ſchicken, um die Pflege der Roſſe, bis zu deiner Ankunft daſelbſt, beſorgen zu laſſen. Denn da ſich der Herſe immer wahrhaftig gezeigt hat, und ſo getreu uns, in der That wie kein Anderer, ſo kam es mir nicht zu, in ſeine Ausſage, von ſo viel Merkmalen unterſtuͤtzt, einen Zweifel zu ſetzen, und etwa zu glauben, daß er der Pferde auf eine andere Art verluſtig gegangen waͤre. Doch er beſchwoͤrt mich, Nieman19den zuzumuthen, ſich in dieſem Raubneſte zu zeigen, und die Thiere aufzugeben, wenn ich keinen Menſchen dafuͤr aufopfern wolle. — Liegt er denn noch im Bette? fragte Kohlhaas, indem er ſich von der Halsbinde befreite. — Er geht, erwiederte ſie, ſeit einigen Tagen ſchon wieder im Hofe umher. Kurz, du wirſt ſehen, fuhr ſie fort, daß Alles ſeine Richtigkeit hat, und daß dieſe Begebenheit einer von den Freveln iſt, die man ſich ſeit Kurzem auf der Tronkenburg gegen die Fremden erlaubt. — Das muß ich doch erſt unterſuchen, erwiederte Kohlhaas. Ruf’ ihn mir, Lisbeth, wenn er auf iſt, doch her! Mit dieſen Worten ſetzte er ſich in den Lehnſtuhl; und die Hausfrau, die ſich uͤber ſeine Gelaſſenheit ſehr freute, ging, und holte den Knecht.
Was haſt du in der Tronkenburg gemacht? fragte Kohlhaas, da Lisbeth mit ihm in das Zimmer trat. Ich bin nicht eben wohl mit dir zufrieden. — Der Knecht, auf deſſen blaſſem Geſicht ſich, bei dieſen Worten, eine Roͤthe fleckig zeigte, ſchwieg eine Weile; und: da habt ihr Recht, Herr! antwortete er; denn einen 20Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fuͤgung bei mir trug, um das Raubneſt, aus dem ich verjagt worden war, in Brand zu ſtecken, warf ich, als ich ein Kind darin jammern hoͤrte, in das Elbwaſſer, und dachte: mag es Gottes Blitz einaͤſchern; ich will’s nicht! — Kohlhaas ſagte betroffen: wodurch aber haſt du dir die Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen? Drauf Herſe: durch einen ſchlechten Streich, Herr; und trocknete ſich den Schweiß von der Stirn: Geſchehenes iſt aber nicht zu aͤndern. Ich wollte die Pferde nicht auf der Feldarbeit zu Grunde richten laſſen, und ſagte, daß ſie noch jung waͤren und nicht gezogen haͤtten. — Kohlhaas erwiederte, indem er ſeine Verwirrung zu verbergen ſuchte, daß er hierin nicht ganz die Wahrheit geſagt, indem die Pferde ſchon zu Anfange des verfloſſenen Fruͤhjahrs ein wenig im Geſchirr geweſen waͤren. Du haͤtteſt dich auf der Burg, fuhr er fort, wo du doch eine Art von Gaſt wareſt, ſchon ein oder etliche Mal, wenn gerade, wegen ſchleuniger Einfuͤhrung der Ernte Noth war, gefaͤllig zeigen koͤnnen. — 21Das habe ich auch gethan, Herr, ſprach Herſe. Ich dachte, da ſie mir graͤmliche Geſichter machten, es wird doch die Rappen juſt nicht koſten. Am dritten Vormittag ſpannt’ ich ſie vor, und drei Fuhren Getreide fuͤhrt’ ich ein. Kohlhaas, dem das Herz emporquoll, ſchlug die Augen zu Boden, und verſetzte: davon hat man mir nichts geſagt, Herſe! — Herſe verſicherte ihn, daß es ſo ſey. Meine Ungefaͤlligkeit, ſprach er, beſtand darin, daß ich die Pferde, als ſie zu Mittag kaum ausgefreſſen hatten, nicht wieder in’s Joch ſpannen wollte; und daß ich dem Schloßvoigt und dem Verwalter, als ſie mir vorſchlugen frei Futter dafuͤr anzunehmen, und das Geld, das ihr mir fuͤr Futterkoſten zuruͤckgelaſſen hattet, in den Sack zu ſtecken, antwortete — ich wuͤrde ihnen ſonſt was thun; mich umkehrte und wegging. — Um dieſer Ungefaͤlligkeit aber, ſagte Kohlhaas, biſt du von der Tronkenburg nicht weggejagt worden. — Behuͤte Gott, rief der Knecht, um eine gottvergeſſene Miſſethat! Denn auf den Abend wurden die Pferde zweier Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in 22den Stall gefuͤhrt, und meine an die Stallthuͤre angebunden. Und da ich dem Schloßvoigt, der ſie daſelbſt einquartirte, die Rappen aus der Hand nahm, und fragte, wo die Thiere jetzo bleiben ſollten, ſo zeigte er mir einen Schweinekoben an, der von Latten und Brettern an der Schloßmauer auferbaut war. — Du meinſt, unterbrach ihn Kohlhaas, es war ein ſo ſchlechtes Behaͤltniß fuͤr Pferde, daß es einem Schweinekoben aͤhnlicher war, als einem Stall. — Es war ein Schweinekoben, Herr, antwortete Herſe; wirklich und wahrhaftig ein Schweinekoben, in welchem die Schweine aus- und einliefen, und ich nicht aufrecht ſtehen konnte. — Vielleicht war ſonſt kein Unterkommen fuͤr die Rappen aufzufinden, verſetzte Kohlhaas; die Pferde der Ritter gingen, auf eine gewiſſe Art, vor. — Der Platz, erwiederte der Knecht, indem er die Stimme fallen ließ, war eng. Es hauſeten jetzt in Allem ſieben Ritter auf der Burg. Wenn ihr es geweſen waͤret, ihr haͤttet die Pferde ein wenig zuſammenruͤcken laſſen. Ich ſagte, ich wolle mir im Dorf einen Stall 23zu miethen ſuchen; doch der Schloßvoigt verſetzte, daß er die Pferde unter ſeinen Augen behalten muͤſſe, und daß ich mich nicht unterſtehen ſolle, ſie vom Hofe wegzufuͤhren. — Hm! ſagte Kohlhaas. Was gabſt du darauf an? — Weil der Verwalter ſprach, die beiden Gaͤſte wuͤrden bloß uͤbernachten, und am andern Morgen weiter reiten, ſo fuͤhrte ich die Pferde in den Schweinekoben hinein. Aber der folgende Tag verfloß, ohne daß es geſchah; und als der dritte anbrach, hieß es, die Herren wuͤrden noch einige Wochen auf der Burg verweilen. — Am Ende wars nicht ſo ſchlimm, Herſe, im Schweinekoben, ſagte Kohlhaas, als es dir, da du zuerſt die Naſe hineinſteckteſt, vorkam. — S’ iſt wahr, erwiederte jener. Da ich den Ort ein Biſſel ausfegte, gings an. Ich gab der Magd einen Groſchen, daß ſie die Schweine wo anders einſtecke. Und den Tag uͤber bewerkſtelligte ich auch, daß die Pferde aufrecht ſtehen konnten, indem ich die Bretter oben, wenn der Morgen daͤmmerte, von den Latten abnahm, und Abends wieder auflegte. Sie guckten nun, wie Gaͤnſe, aus dem 24Dach vor, und ſahen ſich nach Kohlhaaſenbruͤck, oder ſonſt, wo es beſſer iſt, um. — Nun denn, fragte Kohlhaas, warum alſo, in aller Welt, jagte man dich fort? — Herr, ich ſags euch, verſetzte der Knecht, weil man meiner los ſeyn wollte. Weil ſie die Pferde, ſo lange ich dabei war, nicht zu Grunde richten konnten. Ueberall ſchnitten ſie mir, im Hofe und in der Geſindeſtube, widerwaͤrtige Geſichter; und weil ich dachte, zieht ihr die Maͤuler, daß ſie verrenken, ſo brachen ſie die Gelegenheit vom Zaune, und warfen mich vom Hofe herunter. — Aber die Veranlaſſung! rief Kohlhaas. Sie werden doch irgend eine Veranlaſſung gehabt haben! — O allerdings, antwortete Herſe, und die allergerechteſte. Ich nahm, am Abend des zweiten Tages, den ich im Schweinekoben zugebracht, die Pferde, die ſich darin doch zugeſudelt hatten, und wollte ſie zur Schwemme reiten. Und da ich eben unter dem Schloßthore bin, und mich wenden will, hoͤr’ ich den Voigt und den Verwalter, mit Knechten, Hunden und Pruͤgeln, aus der Geſindeſtube, hinter mir herſtuͤrzen, 25und: halt, den Spitzbuben! rufen: halt, den Galgenſtrick! als ob ſie beſeſſen waͤren. Der Thorwaͤchter tritt mir in den Weg; und da ich ihn und den raſenden Haufen, der auf mich anlaͤuft, frage: was auch giebt’s? was es giebt? antwortet der Schloßvoigt; und greift meinen beiden Rappen in den Zuͤgel. Wo will er hin mit den Pferden? fragt er, und packt mich an die Bruſt. Ich ſage, wo ich hin will? Himmeldonner! Zur Schwemme will ich reiten. Denkt er, daß ich — ? Zur Schwemme? ruft der Schloßvoigt. Ich will dich, Gauner, auf der Heerſtraße, nach Kohlhaaſenbruͤck ſchwimmen lehren! und ſchmeißt mich, mit einem haͤmiſchen Mordzug, er und der Verwalter, der mir das Bein gefaßt hat, vom Pferd’ herunter, daß ich mich, lang wie ich bin, in den Koth meſſe. Mord! Hagel! ruf’ ich, Sielzeug und Decken liegen, und ein Buͤndel Waͤſche von mir, im Stall; doch er und die Knechte, indeſſen der Verwalter die Pferde wegfuͤhrt, mit Fuͤßen und Peitſchen und Pruͤgeln uͤber mich her, daß ich halbtodt hinter dem Schloßthor niederſinke. 26Und da ich ſage: die Raubhunde! Wo fuͤhren ſie mir die Pferde hin? und mich erhebe: heraus aus dem Schloßhof! ſchreit der Voigt, und: hetz, Kaiſer! hetz, Jaͤger! erſchallt es, und: hetz, Spitz! und eine Koppel von mehr denn zwoͤlf Hunden faͤllt uͤber mich her. Drauf brech’ ich, war es eine Latte, ich weiß nicht was, vom Zaune, und drei Hunde todt ſtreck’ ich neben mir nieder; doch da ich, von jaͤmmerlichen Zerfleiſchungen gequaͤlt, weichen muß: Fluͤt! gellt eine Pfeife; die Hunde in den Hof, die Thorfluͤgel zuſammen, der Riegel vor: und auf der Straße ohnmaͤchtig ſink’ ich nieder. — Kohlhaas ſagte, bleich im Geſicht, mit erzwungener Schelmerei: haſt du auch nicht entweichen wollen, Herſe? Und da dieſer, mit dunkler Roͤthe, vor ſich niederſah: geſteh’ mir’s, ſagte er; es gefiel dir im Schweinekoben nicht; du dachteſt, im Stall zu Kohlhaaſenbruͤck iſt’s doch beſſer. — Himmelſchlag! rief Herſe: Sielzeug und Decken ließ ich ja, und einen Buͤndel Waͤſche, im Schweinekoben zuruͤck. Wuͤrd’ ich drei Reichsguͤlden nicht zu mir geſteckt haben, die ich, 27im rothſeidnen Halstuch, hinter der Krippe verſteckt hatte? Blitz, Hoͤll’ und Teufel! Wenn ihr ſo ſprecht, ſo moͤgt’ ich nur gleich den Schwefelfaden, den ich wegwarf, wieder anzuͤnden! Nun, nun! ſagte der Roßhaͤndler; es war eben nicht boͤſe gemeint! Was du geſagt haſt, ſchau, Wort fuͤr Wort, ich glaub’ es dir; und das Abendmahl, wenn es zur Sprache kommt, will ich ſelbſt nun darauf nehmen. Es thut mir leid, daß es dir in meinen Dienſten nicht beſſer ergangen iſt; geh, Herſe, geh zu Bett, laß dir eine Flaſche Wein geben, und troͤſte dich: dir ſoll Gerechtigkeit widerfahren! Und damit ſtand er auf, fertigte ein Verzeichniß der Sachen an, die der Großknecht im Schweinekoben zuruͤckgelaſſen; ſpecificirte den Werth derſelben, fragte ihn auch, wie hoch er die Kurkoſten anſchlage; und ließ ihn, nachdem er ihm noch einmal die Hand gereicht, abtreten.
Hierauf erzaͤhlte er Lisbeth, ſeiner Frau, den ganzen Verlauf und inneren Zuſammenhang der Geſchichte, erklaͤrte ihr, wie er entſchloſſen ſey, die oͤffentliche Gerechtigkeit fuͤr ſich aufzufordern, 28und hatte die Freude, zu ſehen, daß ſie ihn, in dieſem Vorſatz, aus voller Seele beſtaͤrkte. Denn ſie ſagte, daß noch mancher andre Reiſende, vielleicht minder duldſam, als er, uͤber jene Burg ziehen wuͤrde; daß es ein Werk Gottes waͤre, Unordnungen, gleich dieſen, Einhalt zu thun; und daß ſie die Koſten, die ihm die Fuͤhrung des Prozeſſes verurſachen wuͤrde, ſchon beitreiben wolle. Kohlhaas nannte ſie ſein wackeres Weib, erfreute ſich dieſen und den folgenden Tag in ihrer und ſeiner Kinder Mitte, und brach, ſobald es ſeine Geſchaͤfte irgend zuließen, nach Dresden auf, um ſeine Klage vor Gericht zu bringen.
Hier verfaßte er, mit Huͤlfe eines Rechtsgelehrten, den er kannte, eine Beſchwerde, in welcher er, nach einer umſtaͤndlichen Schilderung des Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka, an ihm ſowohl, als an ſeinem Knecht Herſe, veruͤbt hatte, auf geſetzmaͤßige Beſtrafung desſelben, Wiederherſtellung der Pferde in den vorigen Stand, und auf Erſatz des Schadens antrug, den er ſowohl, als ſein Knecht, dadurch 29erlitten hatten. Die Rechtsſache war in der That klar. Der Umſtand, daß die Pferde geſetzwidriger Weiſe feſtgehalten worden waren, warf ein entſcheidendes Licht auf alles Uebrige; und ſelbſt wenn man haͤtte annehmen wollen, daß die Pferde durch einen bloßen Zufall erkrankt waͤren, ſo wuͤrde die Forderung des Roßkamms, ſie ihm geſund wieder zuzuſtellen, noch gerecht geweſen ſeyn. Es fehlte Kohlhaas auch, waͤhrend er ſich in der Reſidenz umſah, keineswegs an Freunden, die ſeine Sache lebhaft zu unterſtuͤtzen verſprachen; der ausgebreitete Handel, den er mit Pferden trieb, hatte ihm die Bekanntſchaft, und die Redlichkeit, mit welcher er dabei zu Werke ging, ihm das Wohlwollen der bedeutendſten Maͤnner des Landes verſchafft. Er ſpeiſete bei ſeinem Advocaten, der ſelbſt ein anſehnlicher Mann war, mehrere Mal heiter zu Tiſch; legte eine Summe Geldes, zur Beſtreitung der Prozeßkoſten, bei ihm nieder; und kehrte, nach Verlauf einiger Wochen, voͤllig von demſelben uͤber den Auſgang ſeiner Rechtsſache beruhigt, zu Lisbeth, ſeinem Weibe, nach Kohl30haaſenbruͤck zuruͤck. Gleichwohl vergingen Monate, und das Jahr war daran, abzuſchließen, bevor er, von Sachſen aus, auch nur eine Erklaͤrung uͤber die Klage, die er daſelbſt anhaͤngig gemacht hatte, geſchweige denn die Reſolution ſelbſt, erhielt. Er fragte, nachdem er mehrere Male von neuem bei dem Tribunal eingekommen war, ſeinen Rechtsgehuͤlfen, in einem vertrauten Briefe, was eine ſo uͤbergroße Verzoͤgerung verurſache; und erfuhr, daß die Klage, auf eine hoͤhere Inſinuation, bei dem Dresdner Gerichtshofe, gaͤnzlich niedergeſchlagen worden ſey. — Auf die befremdete Ruͤckſchrift des Roßkamms, worin dies ſeinen Grund habe, meldete ihm jener: daß der Junker Wenzel von Tronka mit zwei Jungherren, Hinz und Kunz von Tronka, verwandt ſey, deren Einer, bei der Perſon des Herrn, Mundſchenk, der Andre gar Kaͤmmerer ſey. — Er rieth ihm noch, er moͤgte, ohne weitere Bemuͤhungen bei der Rechtsinſtanz, ſeiner, auf der Tronkenburg befindlichen, Pferde wieder habhaft zu werden ſuchen; gab ihm zu verſtehen, daß der Junker, 31der ſich jetzt in der Hauptſtadt aufhalte, ſeine Leute angewieſen zu haben ſcheine, ſie ihm auszuliefern; und ſchloß mit dem Geſuch, ihn wenigſtens, falls er ſich hiermit nicht beruhigen wolle, mit ferneren Auftraͤgen in dieſer Sache zu verſchonen.
Kohlhaas befand ſich um dieſe Zeit gerade in Brandenburg, wo der Stadthauptmann, Heinrich von Geuſau, unter deſſen Regierungsbezirk Kohlhaaſenbruͤck gehoͤrte, eben beſchaͤftigt war, aus einem betraͤchtlichen Fonds, der der Stadt zugefallen war, mehrere wohlthaͤtige Anſtalten, fuͤr Kranke und Arme, einzurichten. Beſonders war er bemuͤht, einen mineraliſchen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend ſprang, und von deſſen Heilkraͤften man ſich mehr, als die Zukunft nachher bewaͤhrte, verſprach, fuͤr den Gebrauch der Preßhaften einzurichten; und da Kohlhaas ihm, wegen manchen Verkehrs, in dem er, zur Zeit ſeines Aufenthalts am Hofe, mit demſelben geſtanden hatte, bekannt war, ſo erlaubte er Herſen, dem Großknecht, dem ein Schmerz beim Athemholen uͤber der Bruſt, ſeit jenem ſchlimmen Tage auf der Tronkenburg, 32zuruͤckgeblieben war, die Wirkung der kleinen, mit Dach und Einfaſſung verſehenen, Heilquelle zu verſuchen. Es traf ſich, daß der Stadthauptmann eben, am Rande des Keſſels, in welchen Kohlhaas den Herſe gelegt hatte, gegenwaͤrtig war, um einige Anordnungen zu treffen, als jener, durch einen Boten, den ihm ſeine Frau nachſchickte, den niederſchlagenden Brief ſeines Rechtsgehuͤlfen aus Dresden empfing. Der Stadthauptmann, der, waͤhrend er mit dem Arzte ſprach, bemerkte, daß Kohlhaas eine Thraͤne auf den Brief, den er bekommen und eroͤffnet hatte, fallen ließ, naͤherte ſich ihm, auf eine freundliche und herzliche Weiſe, und fragte ihn, was fuͤr ein Unfall ihn betroffen; und da der Roßhaͤndler ihm, ohne ihm zu antworten, den Brief uͤberreichte: ſo klopfte dieſer wuͤrdige Mann, dem die abſcheuliche Ungerechtigkeit, die man auf der Tronkenburg an ihm veruͤbt hatte, und an deren Folgen Herſe eben, vielleicht auf die Lebenszeit, krank danieder lag, bekannt war, auf die Schulter, und ſagte ihm: er ſolle nicht muthlos ſeyn; er werde ihm zu ſeiner Genug33thuung verhelfen! Am Abend, da ſich der Roßkamm, ſeinem Befehl gemaͤß, zu ihm auf’s Schloß begeben hatte, ſagte er ihm, daß er nur eine Supplik, mit einer kurzen Darſtellung des Vorfalls, an den Kurfuͤrſten von Brandenburg aufſetzen, den Brief des Advocaten beilegen, und wegen der Gewaltthaͤtigkeit, die man ſich, auf ſaͤchſiſchem Gebiet, gegen ihn erlaubt, den landesherrlichen Schutz aufrufen moͤgte. Er verſprach ihm, die Bittſchrift, unter einem anderen Paket, das ſchon bereit liege, in die Haͤnde des Kurfuͤrſten zu bringen, der ſeinethalb unfehlbar, wenn es die Verhaͤltniſſe zuließen, bei dem Kurfuͤrſten von Sachſen einkommen wuͤrde; und mehr als eines ſolchen Schrittes beduͤrfe es nicht, um ihm bei dem Tribunal in Dresden, den Kuͤnſten des Junkers und ſeines Anhanges zum Trotz, Gerechtigkeit zu verſchaffen. Kohlhaas, lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann, fuͤr dieſen neuen Beweis ſeiner Gewogenheit, aufs herzlichſte; ſagte, es thue ihm nur leid, daß er nicht, ohne irgend Schritte in Dresden zu thun, ſeine Sache gleich in Berlin anhaͤngig 34gemacht habe; und nachdem er, in der Schreiberei des Stadtgerichts, die Beſchwerde, ganz den Forderungen gemaͤß, verfaßt, und dem Stadthauptmann uͤbergeben hatte, kehrte er, beruhigter uͤber den Ausgang ſeiner Geſchichte, als je, nach Kohlhaaſenbruͤck zuruͤck. Er hatte aber ſchon, in wenig Wochen, den Kummer, durch einen Gerichtsherrn, der in Geſchaͤften des Stadthauptmanns nach Potsdam ging, zu erfahren, daß der Kurfuͤrſt die Supplik ſeinem Kanzler, dem Grafen Kallheim, uͤbergeben habe, und daß dieſer nicht unmittelbar, wie es zweckmaͤßig ſchien, bei dem Hofe zu Dresden, um Unterſuchung und Beſtrafung der Gewaltthat, ſondern um vorlaͤufige, naͤhere Information bei dem Junker von Tronka eingekommen ſey. Der Gerichtsherr, der, vor Kohlhaaſens Wohnung, im Wagen haltend, den Auftrag zu haben ſchien, dem Roßhaͤndler dieſe Eroͤffnung zu machen, konnte ihm auf die betroffene Frage: warum man alſo verfahren? keine befriedigende Auskunft geben. Er fuͤgte nur noch hinzu: der Stadthauptmann ließe ihm ſagen, er moͤgte 35ſich in Geduld faſſen; ſchien bedraͤngt, ſeine Reiſe fortzuſetzen; und erſt am Schluß der kurzen Unterredung errieth Kohlhaas, aus einigen hingeworfenen Worten, daß der Graf Kallheim mit dem Hauſe derer von Tronka verſchwaͤgert ſey. — Kohlhaas, der keine Freude mehr, weder an ſeiner Pferdezucht, noch an Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte, in truͤber Ahndung der Zukunft, den naͤchſten Mond; und ganz ſeiner Erwartung gemaͤß kam, nach Verlauf dieſer Zeit, Herſe, dem das Bad einige Linderung verſchafft hatte, von Brandenburg zuruͤck, mit einem, ein groͤßeres Reſcript begleitenden, Schreiben des Stadthauptmanns, des Inhalts: es thue ihm leid, daß er nichts in ſeiner Sache thun koͤnne; er ſchicke ihm eine, an ihn ergangene, Reſolution der Staatskanzlei, und rathe ihm, die Pferde, die er in der Tronkenburg zuruͤckgelaſſen, wieder abfuͤhren, und die Sache uͤbrigens ruhen zu laſſen. — Die Reſolution lautete: „er ſey, nach dem Bericht des Tribunals in Dresden, ein unnuͤtzer Quaͤrulant; der Junker, bei dem er die 36 Pferde zuruͤckgelaſſen, halte ihm dieſelben, auf keine Weiſe, zuruͤck; er moͤgte nach der Burg ſchicken, und ſie holen, oder dem Junker wenigſtens wiſſen laſſen, wohin er ſie ihm ſenden ſolle; die Staatskanzlei aber, auf jeden Fall, mit ſolchen Plackereien und Staͤnkereien verſchonen.“ Kohlhaas, dem es nicht um die Pferde zu thun war — er haͤtte gleichen Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten haͤtte — Kohlhaas ſchaͤumte vor Wuth, als er dieſen Brief empfing. Er ſah, ſo oft ſich ein Geraͤuſch im Hofe hoͤren ließ, mit der widerwaͤrtigſten Erwartung, die ſeine Bruſt jemals bewegt hatte, nach dem Thorwege, ob die Leute des Jungherren erſcheinen, und ihm, vielleicht gar mit einer Entſchuldigung, die Pferde, abgehungert und abgehaͤrmt, wieder zuſtellen wuͤrden; der einzige Fall, in welchem ſeine von der Welt wohlerzogene Seele, auf nichts das ihrem Gefuͤhl voͤllig entſprach gefaßt war. Er hoͤrte aber in kurzer Zeit ſchon, durch einen Bekannten, der die Straße gereiſet war, daß die Gaule auf der Tronkenburg, nach wie vor, den 37uͤbrigen Pferden des Landjunkers gleich, auf dem Felde gebraucht wuͤrden; und mitten durch den Schmerz, die Welt in einer ſo ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor, ſeine eigne Bruſt nunmehr in Ordnung zu ſehen. Er lud einen Amtmann, ſeinen Nachbar, zu ſich, der laͤngſt mit dem Plan umgegangen war, ſeine Beſitzungen durch den Ankauf der, ihre Graͤnze beruͤhrenden, Grundſtuͤcke zu vergroͤßern, und fragte ihn, nachdem ſich derſelbe bei ihm niedergelaſſen, was er fuͤr ſeine Beſitzungen, im Brandenburgiſchen und im Saͤchſiſchen, Haus und Hof, in Pauſch und Bogen, es ſey nagelfeſt oder nicht, geben wolle? Lisbeth, ſein Weib, erblaßte bei dieſen Worten. Sie wandte ſich, und hob ihr Juͤngſtes auf, das hinter ihr auf dem Boden ſpielte, Blicke, in welchen ſich der Tod malte, bei den rothen Wangen des Knaben vorbei, der mit ihren Halsbaͤndern ſpielte, auf den Roßkamm, und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der Amtmann fragte, indem er ihn befremdet anſah, was ihn ploͤtzlich auf ſo ſonderbare Gedan38ken bringe; worauf jener, mit ſo viel Heiterkeit, als er erzwingen konnte, erwiederte: der Gedanke, ſeinen Meierhof, an den Ufern der Havel, zu verkaufen, ſey nicht allzuneu; ſie haͤtten beide ſchon oft uͤber dieſen Gegenſtand verhandelt; ſein Haus in der Vorſtadt in Dresden ſey, in Vergleich damit, ein bloßer Anhang, der nicht in Erwaͤgung komme; und kurz, wenn er ihm ſeinen Willen thun, und beide Grundſtuͤcke uͤbernehmen wolle, ſo ſey er bereit, den Contract daruͤber mit ihm abzuſchließen. Er ſetzte, mit einem etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohlhaaſenbruͤck ſey ja nicht die Welt; es koͤnne Zwecke geben, in Vergleich mit welchen, ſeinem Hausweſen, als ein ordentlicher Vater, vorzuſtehen, untergeordnet und nichtswuͤrdig ſey; und kurz, ſeine Seele, muͤſſe er ihm ſagen, ſey auf große Dinge geſtellt, von welchen er vielleicht bald hoͤren werde. Der Amtmann, durch dieſe Worte beruhigt, ſagte, auf eine luſtige Art, zur Frau, die das Kind einmal uͤber das andere kuͤßte: er werde doch nicht gleich Bezahlung verlangen? legte Huth und Stock, die er zwiſchen 39den Knieen gehalten hatte, auf den Tiſch, und nahm das Blatt, das der Roßkamm in der Hand hielt, um es zu durchleſen. Kohlhaas, indem er demſelben naͤher ruͤckte, erklaͤrte ihm, daß es ein von ihm aufgeſetzter eventueller in vier Wochen verfallener Kaufcontract ſey; zeigte ihm, daß darin nichts fehle, als die Unterſchriften, und die Einruͤckung der Summen, ſowohl was den Kaufpreis ſelbſt, als auch den Reukauf, d. h. die Leiſtung betreffe, zu der er ſich, falls er binnen vier Wochen zuruͤcktraͤte, verſtehen wolle; und forderte ihn noch einmal munter auf, ein Gebot zu thun, indem er ihm verſicherte, daß er billig ſeyn, und keine großen Umſtaͤnde machen wuͤrde. Die Frau ging in der Stube auf und ab; ihre Bruſt flog, daß das Tuch, an welchem der Knabe gezupft hatte, ihr voͤllig von der Schulter herabzufallen drohte. Der Amtmann ſagte, daß er ja den Werth der Beſitzung in Dresden keineswegs beurtheilen koͤnne; worauf ihm Kohlhaas, Briefe, die bei ihrem Ankauf gewechſelt worden waren, hinſchiebend, antwortete: daß er ſie zu 100 Goldguͤlden an40ſchlage; obſchon daraus hervorgieng, daß ſie ihm faſt um die Haͤlfte mehr gekoſtet hatten. Der Amtmann, der den Kaufcontract noch einmal uͤberlas, und darin auch von ſeiner Seite, auf eine ſonderbare Art, die Freiheit ſtipulirt fand, zuruͤckzutreten, ſagte, ſchon halb entſchloſſen: daß er ja die Geſtuͤtpferde, die in ſeinen Staͤllen waͤren, nicht brauchen koͤnne; doch da Kohlhaas erwiederte, daß er die Pferde auch gar nicht loszuſchlagen willens ſey, und daß er auch einige Waffen, die in der Ruͤſtkammer hingen, fuͤr ſich behalten wolle, ſo — zoͤgerte jener noch und zoͤgerte, und wiederholte endlich ein Gebot, das er ihm vor kurzem ſchon einmal, halb im Scherz, halb im Ernſt, nichtswuͤrdig gegen den Werth der Beſitzung, auf einem Spaziergange gemacht hatte. Kohlhaas ſchob ihm Tinte und Feder hin, um zu ſchreiben; und da der Amtmann, der ſeinen Sinnen nicht traute, ihn noch einmal gefragt hatte, ob es ſein Ernſt ſey? und der Roßkamm ihm ein wenig empfindlich geantwortet hatte: ob er glaube, daß er bloß ſeinen Scherz mit ihm treibe? ſo nahm jener zwar, mit 41einem bedenklichen Geſicht, die Feder, und ſchrieb; dagegen durchſtrich er den Punct, in welchem von der Leiſtung, falls dem Verkaͤufer der Handel gereuen ſollte, die Rede war; verpflichtete ſich, zu einem Darlehn von 100 Goldguͤlden, auf die Hypothek des Dresdenſchen Grundſtuͤcks, das er auf keine Weiſe kaͤuflich an ſich bringen wollte; und ließ ihm, binnen zwei Monaten voͤllige Freiheit, von dem Handel wieder zuruͤckzutreten. Der Roßkamm, von dieſem Verfahren geruͤhrt, ſchuͤttelte ihm mit vieler Herzlichkeit die Hand; und nachdem ſie noch, welches eine Hauptbedingung war, uͤbereingekommen waren, daß des Kaufpreiſes vierter Theil unfehlbar gleich baar, und der Reſt, in drei Monaten, in der Hamburger Bank, gezahlt werden ſollte, rief jener nach Wein, um ſich eines ſo gluͤcklich abgemachten Geſchaͤfts zu erfreuen. Er ſagte einer Magd, die mit den Flaſchen hereintrat, Sternbald, der Knecht, ſolle ihm den Fuchs ſatteln; er muͤſſe, gab er an, nach der Hauptſtadt reiten, wo er Verrichtungen habe; und gab zu verſtehen, daß er in Kurzem, wenn 42er zuruͤckkehre, ſich offenherziger uͤber das, was er jetzt noch fuͤr ſich behalten muͤſſe, auslaſſen wuͤrde. Hierauf, indem er die Glaͤſer einſchenkte, fragte er nach dem Pohlen und Tuͤrken, die gerade damals mit einander im Streit lagen; verwickelte den Amtmann in mancherlei politiſche Conjecturen daruͤber; trank ihm ſchluͤßlich hierauf noch einmal das Gedeihen ihres Geſchaͤfts zu, und entließ ihn. — Als der Amtmann das Zimmer verlaſſen hatte, fiel Lisbeth auf Knieen vor ihm nieder. Wenn du mich irgend, rief ſie, mich und die Kinder, die ich dir geboren habe, in deinem Herzen traͤgſt; wenn wir nicht im Voraus ſchon, um welcher Urſach willen, weiß ich nicht, verſtoßen ſind: ſo ſage mir, was dieſe entſetzlichen Anſtalten zu bedeuten haben! Kohlhaas ſagte: liebſtes Weib, nichts, das dich noch, ſo wie die Sachen ſtehn, beunruhigen duͤrfte. Ich habe eine Reſolution erhalten, in welcher man mir ſagt, daß meine Klage gegen den Junker Wenzel von Tronka eine nichtsnutzige Staͤnkerei ſey. Und weil hier ein Mißverſtaͤndniß obwalten muß: ſo habe ich mich entſchloſſen, meine 43Klage noch einmal, perſoͤnlich bei dem Landesherrn ſelbſt, einzureichen. — Warum willſt du dein Haus verkaufen? rief ſie, indem ſie mit einer verſtoͤrten Gebaͤhrde, aufſtand. Der Roßkamm, indem er ſie ſanft an ſeine Bruſt druͤckte, erwiederte: weil ich in einem Lande, liebſte Lisbeth, in welchem man mich, in meinen Rechten, nicht ſchuͤtzen will, nicht bleiben mag. Lieber ein Hund ſeyn, wenn ich von Fuͤßen getreten werden ſoll, als ein Menſch! Ich bin gewiß, daß meine Frau hierin ſo denkt, als ich. — Woher weißt du, fragte jene wild, daß man dich in deinen Rechten nicht ſchuͤtzen wird? Wenn du dem Herrn beſcheiden, wie es dir zukommt, mit deiner Bittſchrift nahſt: woher weißt du, daß ſie bei Seite geworfen, oder mit Verweigerung, dich zu hoͤren, beantwortet werden wird? — Wohlan, antwortete Kohlhaas, wenn meine Furcht hierin ungegruͤndet iſt, ſo iſt auch mein Haus noch nicht verkauft. Der Herr ſelbſt, weiß ich, iſt gerecht; und wenn es mir nur gelingt, durch die, die ihn umringen, bis an ſeine Perſon zu kommen, ſo zweifle ich nicht, 44ich verſchaffe mir Recht, und kehre froͤhlich, noch ehe die Woche verſtreicht, zu dir und meinen alten Geſchaͤften zuruͤck. Moͤgt’ ich alsdann noch, ſetzt’ er hinzu, indem er ſie kuͤßte, bis an das Ende meines Lebens bei dir verharren! — Doch rathſam iſt es, fuhr er fort, daß ich mich auf jeden Fall gefaßt mache; und daher wuͤnſchte ich, daß du dich, auf einige Zeit, wenn es ſeyn kann, entfernteſt, und mit den Kindern zu deiner Muhme nach Schwerin gingſt, die du uͤberdies laͤngſt haſt beſuchen wollen. — Wie? rief die Hausfrau. Ich ſoll nach Schwerin gehen? Ueber die Graͤnze mit den Kindern, zu meiner Muhme nach Schwerin? Und das Entſetzen erſtickte ihr die Sprache. — Allerdings, antwortete Kohlhaas, und das, wenn es ſeyn kann, gleich, damit ich in den Schritten, die ich fuͤr meine Sache thun will, durch keine Ruͤckſichten geſtoͤrt werde. — „O! ich verſtehe dich!“ rief ſie. „Du brauchſt jetzt nichts mehr, als Waffen und Pferde; alles Andere kann nehmen, wer will!“ Und damit wandte ſie ſich, warf ſich auf einen Seſſel nieder, und weinte. — Kohl45haas ſagte betroffen: liebſte Lisbeth, was machſt du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und Guͤtern geſegnet; ſoll ich heute zum Erſtenmal wuͤnſchen, daß es anders waͤre? — — — Er ſetzte ſich zu ihr, die ihm, bei dieſen Worten, erroͤthend um den Hals gefallen war, freundlich nieder. — Sag’ mir an, ſprach er, indem er ihr die Locken von der Stirne ſtrich: was ſoll ich thun? Soll ich meine Sache aufgeben? Soll ich nach der Tronkenburg gehen, und den Ritter bitten, daß er mir die Pferde wieder gebe, mich aufſchwingen, und ſie dir herreiten? — Lisbeth wagte nicht: ja! ja! ja! zu ſagen — ſie ſchuͤttelte weinend mit dem Kopf, ſie druͤckte ihn heftig an ſich, und uͤberdeckte mit heißen Kuͤſſen ſeine Bruſt. „Nun alſo!“ rief Kohlhaas. „Wenn du fuͤhlſt, daß mir, falls ich mein Gewerbe forttreiben ſoll, Recht werden muß: ſo goͤnne mir auch die Freiheit, die mir noͤthig iſt, es mir zu verſchaffen! Und damit ſtand er auf, und ſagte dem Knecht, der ihm meldete, daß der Fuchs geſattelt ſtuͤnde: morgen muͤßten auch die Braunen eingeſchirrt werden, um ſeine Frau 46nach Schwerin zu fuͤhren. Lisbeth ſagte: ſie habe einen Einfall! Sie erhob ſich, wiſchte ſich die Thraͤnen aus den Augen, und fragte ihn, der ſich an einem Pult niedergeſetzt hatte: ob er ihr die Bittſchrift geben, und ſie, ſtatt ſeiner, nach Berlin gehen laſſen wolle, um ſie dem Landesherrn zu uͤberreichen. Kohlhaas, von dieſer Wendung, um mehr als einer Urſach willen, geruͤhrt, zog ſie auf ſeinen Schooß nieder, und ſprach: liebſte Frau, das iſt nicht wohl moͤglich! Der Landesherr iſt vielfach umringt, mancherlei Verdrießlichkeiten iſt der auſgeſetzt, der ihm naht. Lisbeth verſetzte, daß es in tauſend Faͤllen einer Frau leichter ſey, als einem Mann, ihm zu nahen. Gieb mir die Bittſchrift, wiederholte ſie; und wenn du weiter nichts willſt, als ſie in ſeinen Haͤnden wiſſen, ſo verbuͤrge ich mich dafuͤr: er ſoll ſie bekommen! Kohlhaas, der von ihrem Muth ſowohl, als ihrer Klugheit, mancherlei Proben hatte, fragte, wie ſie es denn anzuſtellen denke; worauf ſie, indem ſie verſchaͤmt vor ſich niederſah, erwiederte: daß der Caſtellan des kurfuͤrſtlichen Schloſſes, in fruͤheren Zeiten, da 47er zu Schwerin in Dienſten geſtanden, um ſie geworben habe; daß derſelbe zwar jetzt verheirathet ſey, und mehrere Kinder habe; daß ſie aber immer noch nicht ganz vergeſſen waͤre; — und kurz, daß er es ihr nur uͤberlaſſen moͤgte, aus dieſem und manchem andern Umſtand, der zu beſchreiben zu weitlaͤufig waͤre, Vortheil zu ziehen. Kohlhaas kuͤßte ſie mit vieler Freude, ſagte, daß er ihren Vorſchlag annaͤhme, belehrte ſie, daß es weiter nichts beduͤrfe, als einer Wohnung bei der Frau desſelben, um den Landesherrn, im Schloſſe ſelbſt, anzutreten, gab ihr die Bittſchrift, ließ die Braunen anſpannen, und ſchickte ſie mit Sternbald, ſeinem treuen Knecht, wohleingepackt ab.
Dieſe Reiſe war aber von allen erfolgloſen Schritten, die er in ſeiner Sache gethan hatte, der allerungluͤcklichſte. Denn ſchon nach wenig Tagen zog Sternbald in den Hof wieder ein, Schritt vor Schritt den Wagen fuͤhrend, in welchem die Frau, mit einer gefaͤhrlichen Quetſchung an der Bruſt, ausgeſtreckt darnieder lag. Kohlhaas, der bleich an das Fuhrwerk trat, konnte 48nichts Zuſammenhaͤngendes uͤber das, was dieſes Ungluͤck verurſacht hatte, erfahren. Der Caſtellan war, wie der Knecht ſagte, nicht zu Hauſe geweſen; man war alſo genoͤthigt worden, in einem Wirthshauſe, das in der Naͤhe des Schloſſes lag, abzuſteigen; dies Wirthshaus hatte Lisbeth am andern Morgen verlaſſen, und dem Knecht befohlen, bei den Pferden zuruͤckzubleiben; und eher nicht, als am Abend, ſey ſie, in dieſem Zuſtand, zuruͤckgekommen. Es ſchien, ſie hatte ſich zu dreiſt an die Perſon des Landesherrn vorgedraͤngt, und, ohne Verſchulden desſelben, von dem bloßen rohen Eifer einer Wache, die ihn umringte, einen Stoß, mit dem Schaft einer Lanze, vor die Bruſt erhalten. Wenigſtens berichteten die Leute ſo, die ſie, in bewußtloſem Zuſtand, gegen Abend in den Gaſthof brachten; denn ſie ſelbſt konnte, von aus dem Mund vorquellendem Blute gehindert, wenig ſprechen. Die Bittſchrift war ihr nachher durch einen Ritter abgenommen worden. Sternbald ſagte, daß es ſein Wille geweſen ſey, ſich gleich auf ein Pferd zu ſetzen, und ihm von 49dieſem ungluͤcklichen Vorfall Nachricht zu geben; doch ſie habe, trotz der Vorſtellungen des herbeigerufenen Wundarztes, darauf beſtanden, ohne alle vorgaͤngige Benachrichtigungen, zu ihrem Manne nach Kohlhaaſenbruͤck abgefuͤhrt zu werden. Kohlhaas brachte ſie, die von der Reiſe voͤllig zu Grunde gerichtet worden war, in ein Bett, wo ſie, unter ſchmerzhaften Bemuͤhungen, Athem zu holen, noch einige Tage lebte. Man verſuchte vergebens, ihr das Bewußtſeyn wieder zu geben, um uͤber das, was vorgefallen war, einige Aufſchluͤſſe zu erhalten; ſie lag, mit ſtarrem, ſchon gebrochenen Auge, da, und antwortete nicht. Nur kurz vor ihrem Tode kehrte ihr noch einmal die Beſinnung wieder. Denn da ein Geiſtlicher lutheriſcher Religion (zu welchem eben damals aufkeimenden Glauben ſie ſich, nach dem Beiſpiel ihres Mannes, bekannt hatte) neben ihrem Bette ſtand, und ihr mit lauter und empfindlich-feierlicher Stimme, ein Capitel aus der Bibel vorlas: ſo ſah ſie ihn ploͤtzlich, mit einem finſtern Ausdruck, an, nahm ihm, als ob ihr daraus nichts vorzuleſen waͤre, die Bibel 50aus der Hand, blaͤtterte und blaͤtterte, und ſchien etwas darin zu ſuchen; und zeigte dem Kohlhaas, der an ihrem Bette ſaß, mit dem Zeigefinger, den Vers: „Vergieb deinen Feinden; thue wohl auch denen, die dich haſſen.“ — Sie druͤckte ihm dabei mit einem uͤberaus ſeelenvollen Blick die Hand, und ſtarb. — Kohlhaas dachte: „ſo moͤge mir Gott nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe!“ kuͤßte ſie, indem ihm haͤufig die Thraͤnen floſſen, druͤckte ihr die Augen zu, und verließ das Gemach. Er nahm die hundert Goldguͤlden, die ihm der Amtmann ſchon, fuͤr die Staͤlle in Dresden, zugefertigt hatte, und beſtellte ein Leichenbegaͤngniß, das weniger fuͤr ſie, als fuͤr eine Fuͤrſtinn, angeordnet ſchien: ein eichener Sarg, ſtark mit Metall beſchlagen, Kiſſen von Seide, mit goldnen und ſilbernen Troddeln, und ein Grab von acht Ellen Tiefe, mit Feldſteinen gefuͤttert und Kalk. Er ſtand ſelbſt, ſein Juͤngſtes auf dem Arm, bei der Gruft, und ſah der Arbeit zu. Als der Begraͤbnißtag kam, ward die Leiche, weiß wie Schnee, in einen Saal aufgeſtellt, den er mit ſchwarzem 51Tuch hatte beſchlagen laſſen. Der Geiſtliche hatte eben eine ruͤhrende Rede an ihrer Bahre vollendet, als ihm die landesherrliche Reſolution auf die Bittſchrift zugeſtellt ward, welche die Abgeſchiedene uͤbergeben hatte, des Inhalts: er ſolle die Pferde von der Tronkenburg abholen, und bei Strafe, in das Gefaͤngniß geworfen zu werden, nicht weiter in dieſer Sache einkommen. Kohlhaas ſteckte den Brief ein, und ließ den Sarg auf den Wagen bringen. Sobald der Huͤgel geworfen, das Kreuz darauf gepflanzt, und die Gaͤſte, die die Leiche beſtattet hatten, entlaſſen waren, warf er ſich noch einmal vor ihrem, nun veroͤdeten Bette nieder, und uͤbernahm ſodann das Geſchaͤft der Rache. Er ſetzte ſich nieder und verfaßte einen Rechtsſchluß, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka, kraft der ihm angeborenen Macht, verdammte, die Rappen, die er ihm abgenommen, und auf den Feldern zu Grunde gerichtet, binnen drei Tagen nach Sicht, nach Kohlhaaſenbruͤck zu fuͤhren, und in Perſon in ſeinen Staͤllen dick zu fuͤttern. Dieſen Schluß ſandte er durch einen 52reitenden Boten an ihn ab, und inſtruirte denſelben, flugs nach Uebergabe des Papiers, wieder bei ihm in Kohlhaaſenbruͤck zu ſeyn. Da die drei Tage, ohne Ueberlieferung der Pferde, verfloſſen, ſo rief er Herſen; eroͤffnete ihm, was er dem Jungherrn, die Dickfuͤtterung derſelben anbetreffend, aufgegeben; fragte ihn zweierlei, ob er mit ihm nach der Tronkenburg reiten und den Jungherrn holen; auch, ob er uͤber den Hergeholten, wenn er bei Erfuͤllung des Rechtsſchluſſes, in den Staͤllen von Kohlhaaſenbruͤck, faul ſey, die Peitſche fuͤhren wolle? und da Herſe, ſo wie er ihn nur verſtanden hatte: „Herr, heute noch!“ aufjauchzte, und, indem er die Muͤtze in die Hoͤhe warf, verſicherte: einen Riemen, mit zehn Knoten, um ihm das Striegeln zu lehren, laſſe er ſich flechten! ſo verkaufte Kohlhaas das Haus, ſchickte die Kinder, in einen Wagen gepackt, uͤber die Graͤnze; rief, bei Anbruch der Nacht, auch die uͤbrigen Knechte zuſammen, ſieben an der Zahl, treu ihm jedweder, wie Gold; bewaffnete und beritt ſie, und brach nach der Tronkenburg auf.
53Er fiel auch, mit dieſem kleinen Haufen, ſchon, beim Einbruch der dritten Nacht, den Zollwaͤrter und Thorwaͤchter, die im Geſpraͤch unter dem Thor ſtanden, niederreitend, in die Burg, und waͤhrend, unter ploͤtzlicher Aufpraſſelung aller Baraken im Schloßraum, die ſie mit Feuer bewarfen, Herſe, uͤber die Windeltreppe, in den Thurm der Voigtei eilte, und den Schloßvoigt und Verwalter, die, halb entkleidet, beim Spiel ſaßen, mit Hieben und Stichen uͤberfiel, ſtuͤrzte Kohlhaas zum Junker Wenzel ins Schloß. Der Engel des Gerichts faͤhrt alſo vom Himmel herab; und der Junker, der eben, unter vielem Gelaͤchter, dem Troß junger Freunde, der bei ihm war, den Rechtsſchluß, den ihm der Roßkamm uͤbermacht hatte, vorlas, hatte nicht ſobald deſſen Stimme im Schloßhof vernommen: als er den Herren ſchon, ploͤtzlich leichenbleich: Bruͤder, rettet euch! zurief, und verſchwand. Kohlhaas, der, beim Eintritt in den Saal, einen Junker Hans von Tronka, der ihm entgegen kam, bei der Bruſt faßte, und in den Winkel des Saals ſchleuderte, daß er ſein 54Hirn an den Steinen verſpruͤtzte, fragte, waͤhrend die Knechte die anderen Ritter, die zu den Waffen gegriffen hatten, uͤberwaͤltigten, und zerſtreuten: wo der Junker Wenzel von Tronka ſey? Und da er, bei der Unwiſſenheit der betaͤubten Maͤnner, die Thuͤren zweier Gemaͤcher, die in die Seitenfluͤgel des Schloſſes fuͤhrten, mit einem Fußtritt ſprengte, und in allen Richtungen, in denen er das weitlaͤufige Gebaͤude durchkreuzte, niemanden fand, ſo ſtieg er fluchend in den Schloßhof hinab, um die Ausgaͤnge beſetzen zu laſſen. Inzwiſchen war, vom Feuer der Baraken ergriffen, nun ſchon das Schloß, mit allen Seitengebaͤuden, ſtarken Rauch gen Himmel qualmend, angegangen, und waͤhrend Sternbald, mit drei geſchaͤftigen Knechten, Alles, was niet- und nagelfeſt war, zuſammenſchleppten, und zwiſchen den Pferden, als gute Beute, umſtuͤrzten, flogen, unter dem Jubel Herſens, aus den offenen Fenſtern der Voigtei, die Leichen des Schloßvoigts und Verwalters, mit Weib und Kindern, herab. Kohlhaas, dem ſich, als er die Treppe vom Schloß niederſtieg, 55die alte, von der Gicht geplagte Haushaͤlterinn, die dem Junker die Wirthſchaft fuͤhrte, zu Fuͤßen warf, fragte ſie, indem er auf der Stufe ſtehen blieb: wo der Junker Wenzel von Tronka ſey? und da ſie ihm, mit ſchwacher, zitternder Stimme, zur Antwort gab: ſie glaube, er habe ſich in die Kapelle gefluͤchtet; ſo rief er zwei Knechte mit Fackeln, ließ, in Ermangelung der Schluͤſſel, den Eingang mit Brechſtangen und Beilen eroͤffnen, kehrte Altaͤre und Baͤnke um, und fand gleichwohl, zu ſeinem grimmigen Schmerz, den Junker nicht. Es traf ſich, daß ein junger, zum Geſinde der Tronkenburg gehoͤriger Knecht, in dem Augenblick, da Kohlhaas aus der Kapelle zuruͤckkam, herbeieilte, um aus einem weitlaͤufigen, ſteinernen Stall, den die Flamme bedrohte, die Streithengſte des Junkers herauszuziehen. Kohlhaas, der, in eben dieſem Augenblick, in einem kleinen, mit Stroh bedeckten Schuppen, ſeine beiden Rappen erblickte, fragte den Knecht: warum er die Rappen nicht rette? und da dieſer, indem er den Schluͤſſel in die Stallthuͤr 56ſteckte, antwortete: der Schuppen ſtehe ja ſchon in Flammen; ſo warf Kohlhaas den Schluͤſſel, nachdem er ihn mit Heftigkeit aus der Stallthuͤre geriſſen, uͤber die Mauer, trieb den Knecht, mit hageldichten, flachen Hieben der Klinge, in den brennenden Schuppen hinein, und zwang ihn, unter entſetzlichem Gelaͤchter der Umſtehenden, die Rappen zu retten. Gleichwohl, als der Knecht ſchreckenblaß, wenige Momente nachdem der Schuppen hinter ihm zuſammenſtuͤrzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr; und da er ſich zu den Knechten auf den Schloßplatz begab, und den Roßhaͤndler, der ihm mehreremal den Ruͤcken zukehrte, fragte: was er mit den Thieren nun anfangen ſolle? — hob dieſer ploͤtzlich, mit einer fuͤrchterlichen Gebaͤhrde, den Fuß, daß der Tritt, wenn er ihn gethan haͤtte, ſein Tod geweſen waͤre: beſtieg, ohne ihm zu antworten, ſeinen Braunen, ſetzte ſich unter das Thor der Burg, und erharrte, inzwiſchen die Knechte ihr Weſen forttrieben, ſchweigend den Tag.
57Als der Morgen anbrach, war das ganze Schloß, bis auf die Mauern, niedergebrannt, und niemand befand ſich mehr darin, als Kohlhaas und ſeine ſieben Knechte. Er ſtieg vom Pferde, und unterſuchte noch einmal, beim hellen Schein der Sonne, den ganzen, in allen ſeinen Winkeln jetzt von ihr erleuchteten Platz, und da er ſich, ſo ſchwer es ihm auch ward, uͤberzeugen mußte, daß die Unternehmung auf die Burg fehlgeſchlagen war, ſo ſchickte er, die Bruſt voll Schmerz und Jammer, Herſen mit einigen Knechten aus, um uͤber die Richtung, die der Junker auf ſeiner Flucht genommen, Nachricht einzuziehen. Beſonders beunruhigte ihn ein reiches Fraͤuleinſtift, Namens Erlabrunn, das an den Ufern der Mulde lag, und deſſen Aebtiſſinn, Antonia von Tronka, als eine fromme, wohlthaͤtige und heilige Frau, in der Gegend bekannt war; denn es ſchien dem ungluͤcklichen Kohlhaas nur zu wahrſcheinlich, daß der Junker ſich, entbloͤßt von aller Nothdurft, wie er war, in dieſes Stift gefluͤchtet hatte, indem die Aebtiſſinn ſeine leibliche Tante und 58die Erzieherinn ſeiner erſten Kindheit war. Kohlhaas, nachdem er ſich von dieſem Umſtand unterrichtet hatte, beſtieg den Thurm der Voigtei, in deſſen Innerem ſich noch ein Zimmer, zur Bewohnung brauchbar, darbot, und verfaßte ein ſogenanntes „Kohlhaaſiſches Mandat,“ worin er das Land aufforderte, dem Junker Wenzel von Tronka, mit dem er in einem gerechten Krieg liege, keinen Vorſchub zu thun, vielmehr jeden Bewohner, ſeine Verwandten und Freunde nicht auſgenommen, verpflichtete, demſelben bei Strafe Leibes und des Lebens, und unvermeidlicher Einaͤſcherung alles deſſen, was ein Beſitzthum heißen mag, an ihn auszuliefern. Dieſe Erklaͤrung ſtreute er, durch Reiſende und Fremde, in der Gegend aus; ja, er gab Waldmann, dem Knecht, eine Abſchrift davon, mit dem beſtimmten Auftrage, ſie in die Haͤnde der Dame Antonia nach Erlabrunn zu bringen. Hierauf beſprach er einige Tronkenburgiſche Knechte, die mit dem Junker unzufrieden waren, und von der Ausſicht auf Beute gereizt, in ſeine Dienſte zu treten wuͤnſchten; 59bewaffnete ſie, nach Art des Fußvolks, mit Armbruͤſten und Dolchen, und lehrte ſie, hinter den berittenen Knechten aufſitzen; und nachdem er Alles, was der Troß zuſammengeſchleppt hatte, zu Geld gemacht und das Geld unter denſelben vertheilt hatte, ruhete er einige Stunden, unter dem Burgthor, von ſeinen jaͤmmerlichen Geſchaͤften aus.
Gegen Mittag kam Herſe und beſtaͤtigte ihm, was ihm ſein Herz, immer auf die truͤbſten Ahnungen geſtellt, ſchon geſagt hatte: naͤmlich, daß der Junker in dem Stift zu Erlabrunn, bei der alten Dame Antonia von Tronka, ſeiner Tante, befindlich ſey. Es ſchien, er hatte ſich, durch eine Thuͤr, die, an der hinteren Wand des Schloſſes, in die Luft hinausging, uͤber eine ſchmale, ſteinerne Treppe gerettet, die, unter einem kleinen Dach, zu einigen Kaͤhnen in die Elbe hinablief. Wenigſtens berichtete Herſe, daß er, in einem Elbdorf, zum Befremden der Leute, die wegen des Brandes in der Tronkenburg verſammelt geweſen, um Mitternacht, in einem Nachen, ohne 60Steuer und Ruder, angekommen, und mit einem Dorffuhrwerk nach Erlabrunn weiter gereiſet ſey. — — — Kohlhaas ſeufzte bei dieſer Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde gefreſſen haͤtten? und da man ihm antwortete: ja: ſo ließ er den Haufen aufſitzen, und ſtand ſchon in drei Stunden vor Erlabrunn. Eben, unter dem Gemurmel eines entfernten Gewitters am Horizont, mit Fackeln, die er ſich vor dem Ort angeſteckt, zog er mit ſeiner Schaar in den Kloſterhof ein, und Waldmann, der Knecht, der ihm entgegen trat, meldete ihm, daß das Mandat richtig abgegeben ſey, als er die Aebtiſſin und den Stiftsvoigt, in einem verſtoͤrten Wortwechſel, unter das Portal des Kloſters treten ſah; und waͤhrend jener, der Stiftsvoigt, ein kleiner, alter, ſchneeweißer Mann, grimmige Blicke auf Kohlhaas ſchießend, ſich den Harniſch anlegen ließ, und den Knechten, die ihn umringten, mit dreiſter Stimme zurief, die Sturmglocke zu ziehn: trat jene, die Stiftsfrau, das ſilberne Bildniß des Gekreuzigten in der Hand, bleich, wie Linnen61zeug, von der Rampe herab, und warf ſich mit allen ihren Jungfrauen, vor Kohlhaaſens Pferd nieder. Kohlhaas, waͤhrend Herſe und Sternbald den Stiftsvoigt, der kein Schwerdt in der Hand hatte, uͤberwaͤltigten, und als Gefangenen zwiſchen die Pferde fuͤhrten, fragte ſie: wo der Junker Wenzel von Tronka ſey? und da ſie, einen großen Ring mit Schluͤſſeln von ihrem Gurt losloͤſend: in Wittenberg, Kohlhaas, wuͤrdiger Mann! antwortete, und, mit bebender Stimme, hinzuſetzte: fuͤrchte Gott und thue kein Unrecht! — ſo wandte Kohlhaas, in die Hoͤlle unbefriedigter Rache zuruͤckgeſchleudert, das Pferd, und war im Begriff: ſteckt an! zu rufen, als ein ungeheurer Wetterſchlag, dicht neben ihm, zur Erde niederfiel. Kohlhaas, indem er ſein Pferd zu ihr zuruͤckwandte, fragte ſie: ob ſie ſein Mandat erhalten? und da die Dame mit ſchwacher, kaum hoͤrbarer Stimme, antwortete: eben jetzt! — „Wann?“ — Zwei Stunden, ſo wahr mir Gott helfe, nach des Junkers, meines Vetters, bereits vollzogener Abreiſe! — — — und Waldmann, der Knecht, 62zu dem Kohlhaas ſich, unter finſteren Blicken, umkehrte, ſtotternd dieſen Umſtand beſtaͤtigte, indem er ſagte, daß die Gewaͤſſer der Mulde, vom Regen geſchwellt, ihn verhindert haͤtten, fruͤher, als eben jetzt, einzutreffen: ſo ſammelte ſich Kohlhaas; ein ploͤtzlich fruchtbarer Regenguß, der die Fackeln verloͤſchend, auf das Pflaſter des Platzes niederrauſchte, loͤſte den Schmerz in ſeiner ungluͤcklichen Bruſt; er wandte, indem er kurz den Huth vor der Dame ruͤckte, ſein Pferd, druͤckte ihm, mit den Worten: folgt mir meine Bruͤder; der Junker iſt in Wittenberg! die Sporren ein, und verließ das Stift.
Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirthshauſe auf der Landſtraße ein, wo er, wegen großer Ermuͤdung der Pferde, einen Tag ausruhen mußte, und da er wohl einſah, daß er mit einem Haufen von zehn Mann (denn ſo ſtark war er jetzt), einem Platz wie Wittenberg war, nicht trotzen konnte, ſo verfaßte er ein zweites Mandat, worin er, nach einer kurzen Erzaͤhlung deſſen, was ihm im Lande begegnet, „jeden guten Chriſten“, wie er ſich ausdruͤckte,63 „unter Angelobung eines Handgelds und anderer kriegeriſchen Vortheile“, aufforderte „ſeine Sache gegen den Junker von Tronka, als dem allgemeinen Feind aller Chriſten, zu ergreifen.“ In einem anderen Mandat, das bald darauf erſchien, nannte er ſich: „einen Reichs- und Weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn;“ eine Schwaͤrmerei krankhafter und mißgeſchaffener Art, die ihm gleichwohl, bei dem Klang ſeines Geldes und der Ausſicht auf Beute, unter dem Geſindel, das der Friede mit Pohlen außer Brodt geſetzt hatte, Zulauf in Menge verſchaffte: dergeſtalt, daß er in der That dreißig und etliche Koͤpfe zaͤhlte, als er ſich, zur Einaͤſcherung von Wittenberg, auf die rechte Seite der Elbe zuruͤckbegab. Er lagerte ſich, mit Pferden und Knechten, unter dem Dache einer alten verfallenen Ziegelſcheune, in der Einſamkeit eines finſteren Waldes, der damals dieſen Platz umſchloß, und hatte nicht ſobald durch Sternbald, den er, mit dem Mandat, verkleidet in die Stadt ſchickte, erfahren, daß das Mandat daſelbſt ſchon bekannt ſey, als er auch 64mit ſeinen Haufen ſchon, am heiligen Abend vor Pfingſten, aufbrach, und den Platz, waͤhrend die Bewohner im tiefſten Schlaf lagen, an mehreren Ecken zugleich, in Brand ſteckte. Dabei klebte er, waͤhrend die Knechte in der Vorſtadt pluͤnderten, ein Blatt an den Thuͤrpfeiler einer Kirche an, des Inhalts: „er, Kohlhaas, habe die Stadt in Brand geſteckt, und werde ſie, wenn man ihm den Junker nicht ausliefere, dergeſtalt einaͤſchern, daß er,“ wie er ſich ausdruͤckte, „hinter keiner Wand werde zu ſehen brauchen, um ihn zu finden.“ — Das Entſetzen der Einwohner, uͤber dieſen unerhoͤrten Frevel, war unbeſchreiblich; und die Flamme, die bei einer zum Gluͤck ziemlich ruhigen Sommernacht, zwar nicht mehr als neunzehn Haͤuſer, worunter gleichwohl eine Kirche war, in den Grund gelegt hatte, war nicht ſobald, gegen Anbruch des Tages, einigermaaßen gedaͤmpft worden, als der alte Landvoigt, Otto von Gorgas, bereits ein Faͤhnlein von funfzig Mann ausſandte, um den entſetzlichen Wuͤtherich aufzuheben. Der Hauptmann aber, der es fuͤhrte, Namens 65Gerſtenberg, benahm ſich ſo ſchlecht dabei, daß die ganze Expedition Kohlhaaſen, ſtatt ihn zu ſtuͤrzen, vielmehr zu einem hoͤchſt gefaͤhrlichen kriegeriſchen Ruhm verhalf; denn da dieſer Kriegsmann ſich in mehrere Abtheilungen aufloͤſete, um ihn, wie er meinte, zu umzingeln und zu erdruͤcken, ward er von Kohlhaas, der ſeinen Haufen zuſammenhielt, auf vereinzelten Puncten, angegriffen und geſchlagen, dergeſtalt, daß ſchon, am Abend des naͤchſtfolgenden Tages, kein Mann mehr von dem ganzen Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde ſtand. Kohlhaas, der durch dieſe Gefechte einige Leute eingebuͤßt hatte, ſteckte die Stadt, am Morgen des naͤchſten Tages, von neuem in Brand, und ſeine moͤrderiſchen Anſtalten waren ſo gut, daß wiederum eine Menge Haͤuſer, und faſt alle Scheunen der Vorſtadt, in die Aſche gelegt wurden. Dabei plackte er das bewußte Mandat wieder, und zwar an die Ecken des Rathhauſes ſelbſt, an, und fuͤgte eine Nachricht uͤber das Schickſal des, von dem Landvoigt abgeſchickten und von ihm zu Grunde gerichte66ten, Hauptmanns von Gerſtenberg bei. Der Landvoigt, von dieſem Trotz aufs Aeußerſte entruͤſtet, ſetzte ſich ſelbſt, mit mehreren Rittern, an die Spitze eines Haufens von hundert und funfzig Mann. Er gab dem Junker Wenzel von Tronka, auf ſeine ſchriftliche Bitte, eine Wache, die ihn vor der Gewaltthaͤtigkeit des Volks, das ihn platterdings aus der Stadt entfernt wiſſen wollte, ſchuͤtzte; und nachdem er, auf allen Doͤrfern in der Gegend, Wachen ausgeſtellt, auch die Ringmauer der Stadt, um ſie vor einem Ueberfall zu decken, mit Poſten beſetzt hatte, zog er, am Tage des heiligen Gervaſius, ſelbſt aus, um den Drachen, der das Land verwuͤſtete, zu fangen. Dieſen Haufen war der Roßkamm klug genug, zu vermeiden; und nachdem er den Landvoigt, durch geſchickte Maͤrſche, fuͤnf Meilen von der Stadt hinweggelockt, und vermittelſt mehrerer Anſtalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, daß er ſich, von der Uebermacht gedraͤngt, ins Brandenburgiſche werfen wuͤrde: wandte er ſich ploͤtzlich, beim Einbruch der dritten Nacht, kehrte, in einem Ge67waltritt, nach Wittenberg zuruͤck, und ſteckte die Stadt zum drittenmal in Brand. Herſe, der ſich verkleidet in die Stadt ſchlich, fuͤhrte dieſes entſetzliche Kunſtſtuͤck aus; und die Feuersbrunſt war, wegen eines ſcharf wehenden Nordwindes, ſo verderblich und um ſich freſſend, daß, in weniger als drei Stunden, zwei und vierzig Haͤuſer, zwei Kirchen, mehrere Kloͤſter und Schulen, und das Gebaͤude der kurfuͤrſtlichen Landvoigtei ſelbſt, in Schutt und Aſche lagen. Der Landvoigt, der ſeinen Gegner, beim Anbruch des Tages, im Brandenburgiſchen glaubte, fand, als er von dem, was vorgefallen, benachrichtigt, in beſtuͤrzten Maͤrſchen zuruͤckkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk hatte ſich zu Tauſenden vor dem, mit Balken und Pfaͤhlen verrammelten, Hauſe des Junkers gelagert, und forderte, mit raſendem Geſchrei, ſeine Abfuͤhrung aus der Stadt. Zwei Buͤrgermeiſter, Namens Jenkens und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magiſtrats gegenwaͤrtig waren, bewieſen vergebens, daß man platterdings die Ruͤckkehr eines Eilbo68ten abwarten muͤſſe, den man wegen Erlaubniß den Junker nach Dresden bringen zu duͤrfen, wohin er ſelbſt aus mancherlei Gruͤnden abzugehen wuͤnſche, an den Praͤſidenten der Staatskanzlei geſchickt habe; der unvernuͤnftige, mit Spießen und Stangen bewaffnete Haufen gab auf dieſe Worte nichts, und eben war man, unter Mißhandlung einiger zu kraͤftigen Maaßregeln auffordernden Raͤthe, im Begriff das Haus worin der Junker war zu ſtuͤrmen, und der Erde gleich zu machen, als der Landvoigt, Otto von Gorgas, an der Spitze ſeines Reuterhaufens, in der Stadt erſchien. Dieſem wuͤrdigen Herrn, der ſchon durch ſeine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorſam einzufloͤßen gewohnt war, war es, gleichſam zum Erſatz fuͤr die fehlgeſchlagene Unternehmung, von welcher er zuruͤckkam, gelungen, dicht vor den Thoren der Stadt drei zerſprengte Knechte von der Bande des Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwiſchen die Kerle vor dem Angeſicht des Volks mit Ketten belaſtet wurden, den Magiſtrat in einer klugen Anrede verſicherte, 69den Kohlhaas ſelbſt denke er in kurzem, indem er ihm auf die Spur ſey, gefeſſelt einzubringen: ſo gluͤckte es ihm, durch die Kraft aller dieſer beſchwichtigenden Umſtaͤnde, die Angſt des verſammelten Volks zu entwaffnen, und uͤber die Anweſenheit des Junkers, bis zur Zuruͤckkunft des Eilboten aus Dresden, einigermaßen zu beruhigen. Er ſtieg, in Begleitung einiger Ritter, vom Pferde, und verfuͤgte ſich, nach Wegraͤumung der Palliſaden und Pfaͤhle, in das Haus, wo er den Junker, der aus einer Ohnmacht in die andere fiel, unter den Haͤnden zweier Aerzte fand, die ihn mit Eſſenzen und Irritanzen wieder ins Leben zuruͤck zu bringen ſuchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fuͤhlte, daß dies der Augenblick nicht war, wegen der Auffuͤhrung, die er ſich zu Schulden kommen laſſe, Worte mit ihm zu wechſeln: ſo ſagte er ihm bloß, mit einem Blick ſtiller Verachtung, daß er ſich ankleiden, und ihm, zu ſeiner eigenen Sicherheit, in die Gemaͤcher der Ritterhaft folgen moͤgte. Als man dem Junker ein Wams angelegt, und einen 70Helm aufgeſetzt hatte, und er, die Bruſt, wegen Mangels an Luft, noch halb offen, am Arm des Landvoigts und ſeines Schwagers, des Grafen von Gerſchau, auf der Straße erſchien, ſtiegen gotteslaͤſterliche und entſetzliche Verwuͤnſchungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von den Landsknechten nur muͤhſam zuruͤckgehalten, nannte ihn einen Blutigel, einen elenden Landplager und Menſchenquaͤler, den Fluch der Stadt Wittenberg, und das Verderben von Sachſen; und nach einem jaͤmmerlichen Zuge durch die in Truͤmmern liegende Stadt, waͤhrend welchem er mehreremal, ohne ihn zu vermiſſen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder aufſetzte, erreichte man endlich das Gefaͤngniß, wo er in einem Thurm, unter dem Schutz einer ſtarken Wache, verſchwand. Mittlerweile ſetzte die Ruͤckkehr des Eilboten, mit der kurfuͤrſtlichen Reſolution, die Stadt in neue Beſorgniß. Denn die Landesregierung, bei welcher die Buͤrgerſchaft von Dresden, in einer dringenden Supplik, unmittelbar eingekommen war, wollte, vor Ueber71waͤltigung des Mordbrenners, von dem Aufenthalt des Junkers in der Reſidenz nichts wiſſen; vielmehr verpflichtete ſie den Landvoigt, denſelben da, wo er ſey, weil er irgendwo ſeyn muͤſſe, mit der Macht, die ihm zu Gebote ſtehe, zu beſchirmen: wogegen ſie der guten Stadt Wittenberg, zu ihrer Beruhigung, meldete, daß bereits ein Heerhaufen von fuͤnfhundert Mann, unter Anfuͤhrung des Prinzen Friedrich von Meißen im Anzuge ſey, um ſie vor den ferneren Belaͤſtigungen desſelben zu beſchuͤtzen. Der Landvoigt, der wohl einſah, daß eine Reſolution dieſer Art, das Volk keinesweges beruhigen konnte: denn nicht nur, daß mehrere kleinen Vortheile, die der Roßhaͤndler, an verſchiedenen Punkten, vor der Stadt erfochten, uͤber die Staͤrke, zu der er herangewachſen, aͤußerſt unangenehme Geruͤchte verbreiteten; der Krieg, den er, in der Finſterniß der Nacht, durch verkleidetes Geſindel, mit Pech, Stroh und Schwefel fuͤhrte, haͤtte, unerhoͤrt und beiſpiellos, wie er war, ſelbſt einen groͤßeren Schutz, als mit welchem der Prinz von Meißen heran72ruͤckte, unwirkſam machen koͤnnen: der Landvoigt, nach einer kurzen Ueberlegung, entſchloß ſich, die Reſolution, die er empfangen, ganz und gar zu unterdruͤcken. Er plackte bloß einen Brief, in welchem ihm der Prinz von Meiſſen ſeine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt an; ein verdeckter Wagen, der, beim Anbruch des Tages, aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier ſchwer bewaffneten Reutern begleitet, auf die Straße nach Leipzig hinaus, wobei die Reuter, auf eine unbeſtimmte Art verlauten ließen, daß es nach der Pleißenburg gehe; und da das Volk uͤber den heilloſen Junker, an deſſen Daſeyn Feuer und Schwerdt gebunden, dergeſtalt beſchwichtigt war, brach er ſelbſt, mit einem Haufen von dreihundert Mann, auf, um ſich mit dem Prinzen Friedrich von Meißen zu vereinigen. Inzwiſchen war Kohlhaas in der That, durch die ſonderbare Stellung, die er in der Welt einnahm, auf hundert und neun Koͤpfe herangewachſen; und da er auch in Jaſſen einen Vorrath an Waffen aufgetrieben, und ſeine Schaar, auf 73das Vollſtaͤndigſte, damit auſgeruͤſtet hatte: ſo faßte er, von dem doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entſchluß, demſelben, mit der Schnelligkeit des Sturmwinds, ehe es uͤber ihn zuſammenſchluͤge, zu begegnen. Demnach griff er ſchon, Tags darauf, den Prinzen von Meißen, in einem naͤchtlichen Ueberfall, bei Muͤhlberg an; bei welchem Gefechte er zwar, zu ſeinem großen Leidweſen, den Herſe einbuͤßte, der gleich durch die erſten Schuͤſſe an ſeiner Seite zuſammenſtuͤrzte: durch dieſen Verluſt erbittert aber, in einem drei Stunden langen Kampfe, den Prinzen, unfaͤhig ſich in dem Flecken zu ſammeln, ſo zurichtete, daß er beim Anbruch des Tages, mehrerer ſchweren Wunden, und einer gaͤnzlichen Unordnung ſeines Haufens wegen, genoͤthigt war, den Ruͤckweg nach Dresden einzuſchlagen. Durch dieſen Vortheil tollkuͤhn gemacht, wandte er ſich, ehe derſelbe noch davon unterrichtet ſeyn konnte, zu dem Landvoigt zuruͤck, fiel ihn bei dem Dorfe Damerow, am hellen Mittag, auf freiem Felde an, und ſchlug ſich, unter moͤr74deriſchem Verluſt zwar, aber mit gleichen Vortheilen, bis in die ſinkende Nacht mit ihm herum. Ja, er wuͤrde den Landvoigt, der ſich in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte, am andern Morgen unfehlbar mit dem Reſt ſeines Haufens wieder angegriffen haben, wenn derſelbe nicht durch Kundſchafter von der Niederlage, die der Prinz bei Muͤhlberg erlitten, benachrichtigt worden waͤre, und ſomit fuͤr rathſamer gehalten haͤtte, gleichfalls, bis auf einen beſſeren Zeitpunct, nach Wittenberg zuruͤckzukehren. Fuͤnf Tage, nach Zerſprengung dieſer beiden Haufen, ſtand er vor Leipzig, und ſteckte die Stadt an drei Seiten in Brand. — Er nannte ſich in dem Mandat, das er, bei dieſer Gelegenheit, ausſtreute, „einen Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen ſey, an Allen, die in dieſer Streitſache des Junkers Parthei ergreifen wuͤrden, mit Feuer und Schwerdt, die Argliſt, in welcher die ganze Welt verſunken ſey, zu beſtrafen.“ Dabei rief er, von dem Luͤtzner Schloß aus, das er uͤberrumpelt, und worin er ſich feſtgeſetzt hatte, das Volk auf, ſich, zur 75Errichtung einer beſſeren Ordnung der Dinge, an ihn anzuſchließen; und das Mandat war, mit einer Art von Verruͤckung, unterzeichnet: „Gegeben auf dem Sitz unſerer proviſoriſchen Weltregierung, dem Erzſchloſſe zu Luͤtzen.“ Das Gluͤck der Einwohner von Leipzig wollte, daß das Feuer, wegen eines anhaltenden Regens der vom Himmel fiel, nicht um ſich griff, dergeſtalt, daß bei der Schnelligkeit der beſtehenden Loͤſchanſtalten, nur einige Kramlaͤden, die um die Pleißenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Beſtuͤrzung in der Stadt, uͤber das Daſeyn des raſenden Mordbrenners, und den Wahn, in welchem derſelbe ſtand, daß der Junker in Leipzig ſey, unausſprechlich; und da ein Haufen von hundert und achtzig Reiſigen, den man gegen ihn ausſchickte, zerſprengt in die Stadt zuruͤckkam: ſo blieb dem Magiſtrat, der den Reichthum der Stadt nicht ausſetzen wollte, nichts anderes uͤbrig, als die Thore gaͤnzlich zu ſperren, und die Buͤrgerſchaft Tag und Nacht, außerhalb der Mauern, wachen zu laſſen. Vergebens ließ der Magiſtrat, auf den Doͤrfern der 76umliegenden Gegend, Deklarationen anheften, mit der beſtimmten Verſicherung, daß der Junker nicht in der Pleißenburg ſey; der Roßkamm, in aͤhnlichen Blaͤttern, beſtand darauf, daß er in der Pleißenburg ſey, und erklaͤrte, daß, wenn derſelbe nicht darin befindlich waͤre, er mindeſtens verfahren wuͤrde, als ob er darin waͤre, bis man ihm den Ort, mit Namen genannt, werde angezeigt haben, worin er befindlich ſey. Der Kurfuͤrſt, durch einen Eilboten, von der Noth, in welcher ſich die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklaͤrte, daß er bereits einen Heerhaufen von zweitauſend Mann zuſammenzoͤge, und ſich ſelbſt an deſſen Spitze ſetzen wuͤrde, um den Kohlhaas zu fangen. Er ertheilte dem Herrn Otto von Gorgas einen ſchweren Verweis, wegen der zweideutigen und unuͤberlegten Liſt, die er angewendet, um des Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; und niemand beſchreibt die Verwirrung, die ganz Sachſen und insbeſondere die Reſidenz ergriff, als man daſelbſt erfuhr, daß, auf den Doͤrfern bei Leipzig, man wußte nicht von wem, 77eine Deklaration an den Kohlhaas angeſchlagen worden ſey, des Inhalts: „Wenzel, der Junker, befinde ſich bei ſeinen Vettern Hinz und Kunz, in Dresden.“
Unter dieſen Umſtaͤnden uͤbernahm der Doctor Martin Luther das Geſchaͤft, den Kohlhaas, durch die Kraft beſchwichtigender Worte, von dem Anſehn, das ihm ſeine Stellung in der Welt gab, unterſtuͤtzt, in den Damm der menſchlichen Ordnung zuruͤckzudruͤcken, und auf ein tuͤchtiges Element in der Bruſt des Mordbrenners bauend, erließ er ein Placat folgenden Inhalts an ihn, das in allen Staͤdten und Flecken des Kurfuͤrſtenthums angeſchlagen ward:
„Kohlhaas, der du dich geſandt zu ſeyn vorgiebſt, das Schwerdt der Gerechtigkeit zu handhaben, was unterfaͤngſt du dich, Vermeſſener, im Wahnſinn ſtockblinder Leidenſchaft, du, den Ungerechtigkeit ſelbſt, vom Wirbel bis zur Sohle erfuͤllt? Weil der Landesherr dir, dem du unterthan biſt, dein Recht verweigert hat, dein Recht in dem Streit um 78ein nichtiges Gut, erhebſt du dich, Heilloſer, mit Feuer und Schwerdt, und brichſt, wie der Wolf der Wuͤſte, in die friedliche Gemeinheit, die er beſchirmt. Du, der die Menſchen mit dieſer Angabe, voll Unwahrhaftigkeit und Argliſt, verfuͤhrt: meinſt du, Suͤnder, vor Gott dereinſt, an dem Tage, der in die Falten aller Herzen ſcheinen wird, damit auszukommen? Wie kannſt du ſagen, daß dir dein Recht verweigert worden iſt, du, deſſen grimmige Bruſt, vom Kitzel ſchnoͤder Selbſtrache gereizt, nach den erſten, leichtfertigen Verſuchen, die dir geſcheitert, die Bemuͤhung gaͤnzlich aufgegeben hat, es dir zu verſchaffen? Iſt eine Bank voll Gerichtsdienern und Schergen, die einen Brief, der gebracht wird, unterſchlagen, oder ein Erkenntniß, das ſie abliefern ſollen, zuruͤckhalten, deine Obrigkeit? Und muß ich dir ſagen, Gottvergeſſener, daß deine Obrigkeit von deiner Sache nichts weiß — 79was ſag ich? daß der Landesherr, gegen den du dich auflehnſt, auch deinen Namen nicht kennt, dergeſtalt, daß wenn dereinſt du vor Gottes Thron trittſt, in der Meinung, ihn anzuklagen, er, heiteren Antlitzes, wird ſprechen koͤnnen: dieſem Mann, Herr, that ich kein Unrecht, denn ſein Daſeyn iſt meiner Seele fremd? Das Schwerdt, wiſſe, das du fuͤhrſt, iſt das Schwerdt des Raubes und der Mordluſt, ein Rebell biſt du und kein Krieger des gerechten Gottes, und dein Ziel auf Erden iſt Rad und Galgen, und jenſeits die Verdammniß, die uͤber die Miſſethat und die Gottloſigkeit verhaͤngt iſt. Wittenberg, u. s. w. Martin Luther.“
Kohlhaas waͤlzte eben, auf dem Schloſſe zu Luͤtzen, einen neuen Plan, Leipzig einzuaͤſchern, in ſeiner zerriſſenen Bruſt herum: — denn auf die, in den Doͤrfern angeſchlagene Nachricht, daß der Junker Wenzel in Dresden ſey, gab er 80nichts, weil ſie von Niemand, geſchweige denn vom Magiſtrat, wie er verlangt hatte, unterſchrieben war: — als Sternbald und Waldmann das Placat, das, zur Nachtzeit, an den Thorweg des Schloſſes, angeſchlagen worden war, zu ihrer großen Beſtuͤrzung, bemerkten. Vergebens hofften ſie, durch mehrere Tage, daß Kohlhaas, den ſie nicht gern deshalb antreten wollten, es erblicken wuͤrde; finſter und in ſich gekehrt, in der Abendſtunde erſchien er zwar, aber bloß, um ſeine kurzen Befehle zu geben, und ſah nichts: dergeſtalt, daß ſie an einem Morgen, da er ein Paar Knechte, die in der Gegend, wieder ſeinen Willen, gepluͤndert hatten, aufknuͤpfen laſſen wollte, den Entſchluß faßten, ihn darauf aufmerkſam zu machen. Eben kam er, waͤhrend das Volk von beiden Seiten ſchuͤchtern auswich, in dem Aufzuge, der ihm, ſeit ſeinem letzten Mandat, gewoͤhnlich war, von dem Richtplatz zuruͤck: ein großes Cherubsſchwerdt, auf einem rothledernen Kiſſen, mit Quaſten von Gold verziert, ward ihm vorangetragen, und zwoͤlf Knechte, mit brennenden 81Fackeln folgten ihm: da traten die beiden Maͤnner, ihre Schwerdter unter dem Arm, ſo, daß es ihn befremden mußte, um den Pfeiler, an welchen das Placat angeheftet war, herum. Kohlhaas, als er, mit auf dem Ruͤcken zuſammengelegten Haͤnden, in Gedanken vertieft, unter das Portal kam, ſchlug die Augen auf und ſtutzte; und da die Knechte, bei ſeinem Anblick, ehrerbietig auswichen: ſo trat er, indem er ſie zerſtreut anſah, mit einigen raſchen Schritten, an den Pfeiler heran. Aber wer beſchreibt, was in ſeiner Seele vorging, als er das Blatt, deſſen Inhalt ihn der Ungerechtigkeit zieh, daran erblickte: unterzeichnet von dem theuerſten und verehrungswuͤrdigſten Namen, den er kannte, von dem Namen Martin Luthers! Eine dunkle Roͤthe ſtieg in ſein Antlitz empor; er durchlas es, indem er den Helm abnahm, zweimal von Anfang bis zu Ende; wandte ſich, mit ungewiſſen Blicken, mitten unter die Knechte zuruͤck, als ob er etwas ſagen wollte, und ſagte nichts; loͤſte das Blatt von der Wand los, durchlas es noch einmal; und rief: Waldmann! laß 82mir mein Pferd ſatteln! ſodann: Sternbald! folge mir ins Schloß! und verſchwand. Mehr als dieſer wenigen Worte bedurfte es nicht, um ihn, in der ganzen Verderblichkeit, in der er daſtand, ploͤtzlich zu entwaffnen. Er warf ſich in die Verkleidung eines thuͤringiſchen Landpaͤchters; ſagte Sternbald, daß ein Geſchaͤft, von bedeutender Wichtigkeit, ihn nach Wittenberg zu reiſen noͤthige; uͤbergab ihm, in Gegenwart einiger der vorzuͤglichſten Knechte, die Anfuͤhrung des in Luͤtzen zuruͤckbleibenden Haufens; und zog, unter der Verſicherung, daß er in drei Tagen, binnen welcher Zeit kein Angriff zu fuͤrchten ſey, wieder zuruͤck ſeyn werde, nach Wittenberg ab.
Er kehrte, unter einem fremden Namen, in ein Wirthshaus ein, wo er, ſobald die Nacht angebrochen war, in ſeinem Mantel, und mit einem Paar Piſtolen verſehen, die er in der Tronkenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins Zimmer trat. Luther, der unter Schriften und Buͤchern an ſeinem Pulte ſaß, und den fremden, beſonderen Mann die Thuͤr oͤffnen und hinter ſich verriegeln ſah, fragte ihn: wer er ſey? und was er wolle? 83und der Mann, der ſeinen Huth ehrerbietig in der Hand hielt, hatte nicht ſobald, mit dem ſchuͤchternen Vorgefuͤhl des Schreckens, den er verurſachen wuͤrde, erwiedert: daß er Michael Kohlhaas, der Roßhaͤndler ſey; als Luther ſchon: weiche fern hinweg! ausrief, und indem er, vom Pult erſtehend, nach einer Klingel eilte, hinzuſetzte: dein Odem iſt Peſt und deine Naͤhe Verderben! Kohlhaas, indem er, ohne ſich vom Platz zu regen, ſein Piſtol zog, ſagte: Hochwuͤrdiger Herr, dies Piſtol, wenn ihr die Klingel ruͤhrt, ſtreckt mich leblos zu euren Fuͤßen nieder! Setzt euch und hoͤrt mich an; unter den Engeln, deren Pſalmen ihr aufſchreibt, ſeyd ihr nicht ſicherer, als bei mir. Luther, indem er ſich niederſetzte, fragte: was willſt du? Kohlhaas erwiederte: eure Meinung von mir, daß ich ein ungerechter Mann ſey, widerlegen! Ihr habt mir in eurem Placat geſagt, daß meine Obrigkeit von meiner Sache nichts weiß: wohlan, verſchafft mir freies Geleit, ſo gehe ich nach Dresden, und lege ſie ihr vor. „Heilloſer und entſetzlicher Mann!“ rief Luther, durch dieſe 84 Worte verwirrt zugleich und beruhigt: „wer gab dir das Recht, den Junker von Tronka, in Verfolg eigenmaͤchtiger Rechtsſchluͤſſe, zu uͤberfallen, und da du ihn auf ſeiner Burg nicht fandſt mit Feuer und Schwerdt die ganze Gemeinſchaft heimzuſuchen, die ihn beſchirmt?“ Kohlhaas erwiderte: hochwuͤrdiger Herr, niemand, fortan! Eine Nachricht, die ich aus Dresden erhielt, hat mich getaͤuſcht, mich verfuͤhrt! Der Krieg, den ich mit der Gemeinheit der Menſchen fuͤhre, iſt eine Miſſethat, ſobald ich aus ihr nicht, wie ihr mir die Verſicherung gegeben habt, verſtoßen war! Verſtoßen! rief Luther, indem er ihn anſah. Welch eine Raſerei der Gedanken ergriff dich? Wer haͤtte dich aus der Gemeinſchaft des Staats, in welchem du lebteſt, verſtoßen? Ja, wo iſt, ſo lange Staaten beſtehen, ein Fall, daß jemand, wer es auch ſey, daraus verſtoßen worden waͤre? — Verſtoßen, antwortete Kohlhaas, indem er die Hand zuſammendruͤckte, nenne ich den, dem der Schutz der Geſetze verſagt iſt! Denn dieſes Schutzes, zum Gedeihen meines friedlichen Ge85werbes, bedarf ich; ja, er iſt es, deſſenhalb ich mich, mit dem Kreis deſſen, was ich erworben, in dieſe Gemeinſchaft fluͤchte; und wer mir ihn verſagt, der ſtoͤßt mich zu den Wilden der Einoͤde hinaus; er giebt mir, wie wollt ihr das leugnen, die Keule, die mich ſelbſt ſchuͤtzt, in die Hand. — Wer hat dir den Schutz der Geſetze verſagt? rief Luther. Schrieb ich dir nicht, daß die Klage, die du eingereicht, dem Landesherrn, dem du ſie eingereicht, fremd iſt? Wenn Staatsdiener hinter ſeinem Ruͤcken Prozeſſe unterſchlagen, oder ſonſt ſeines geheiligten Namens, in ſeiner Unwiſſenheit, ſpotten; wer anders als Gott darf ihn wegen der Wahl ſolcher Diener zur Rechenſchaft ziehen, und biſt du, gottverdammter und entſetzlicher Menſch, befugt, ihn deshalb zu richten? — Wohlan, verſetzte Kohlhaas, wenn mich der Landesherr nicht verſtoͤßt, ſo kehre ich auch wieder in die Gemeinſchaft, die er beſchirmt, zuruͤck. Verſchafft mir, ich wiederhol’ es, freies Geleit nach Dresden: ſo laſſe ich den Haufen, den ich im Schloß zu Luͤtzen verſammelt, auseinander gehen, und bringe die Klage, mit der 86ich abgewieſen worden bin, noch einmal bei dem Tribunal des Landes vor. — Luther, mit einem verdrießlichen Geſicht, warf die Papiere, die auf ſeinem Tiſch lagen, uͤbereinander, und ſchwieg. Die trotzige Stellung, die dieſer ſeltſame Menſch im Staat einnahm, verdroß ihn; und den Rechtsſchluß, den er, von Kohlhaaſenbruͤck aus, an den Junker erlaſſen, erwaͤgend, fragte er: was er denn von dem Tribunal zu Dresden verlange? Kohlhaas antwortete: Beſtrafung des Junkers, den Geſetzen gemaͤß; Wiederherſtellung der Pferde in den vorigen Stand; und Erſatz des Schadens, den ich ſowohl, als mein bei Muͤhlberg gefallener Knecht Herſe, durch die Gewaltthat, die man an uns veruͤbte, erlitten. — Luther rief: Erſatz des Schadens! Summen zu Tauſenden, bei Juden und Chriſten, auf Wechſeln und Pfaͤndern, haſt du, zur Beſtreitung deiner wilden Selbſtrache, aufgenommen. Wirſt du den Werth auch, auf der Rechnung, wenn es zur Nachfrage kommt, anſetzen? — Gott behuͤte! erwiderte Kohlhaas. Haus und Hof, und den Wohlſtand, den ich beſeſſen, for87dere ich nicht zuruͤck; ſo wenig als die Koſten des Begraͤbniſſes meiner Frau! Herſens alte Mutter wird eine Berechnung der Heilkoſten, und eine Specification deſſen, was ihr Sohn in der Tronkenburg eingebuͤßt, beibringen; und den Schaden, den ich wegen Nichtverkaufs der Rappen erlitten, mag die Regierung durch einen Sachverſtaͤndigen abſchaͤtzen laſſen. — Luther ſagte: raſender, unbegreiflicher und entſetzlicher Menſch! und ſah ihn an. Nachdem dein Schwerdt ſich, an dem Junker, Rache, die grimmigſte, genommen, die ſich erdenken laͤßt: was treibt dich, auf ein Erkenntniß gegen ihn zu beſtehen, deſſen Schaͤrfe, wenn es zuletzt faͤllt, ihn mit einem Gewicht von ſo geringer Erheblichkeit nur trifft? — Kohlhaas erwiederte, indem ihm eine Thraͤne uͤber die Wangen rollte: hochwuͤrdiger Herr! es hat mich meine Frau gekoſtet; Kohlhaas will der Welt zeigen, daß ſie in keinem ungerechten Handel umgekommen iſt. Fuͤgt euch in dieſen Stuͤcken meinem Willen, und laßt den Gerichtshof ſprechen; in allem Anderen, was ſonſt noch ſtreitig ſeyn mag, fuͤge 88ich mich euch. — Luther ſagte: ſchau her, was du forderſt, wenn anders die Umſtaͤnde ſo ſind, wie die oͤffentliche Stimme hoͤren laͤßt, iſt gerecht; und haͤtteſt du den Streit, bevor du eigenmaͤchtig zur Selbſtrache geſchritten, zu des Landesherrn Entſcheidung zu bringen gewußt, ſo waͤre dir deine Forderung, zweifle ich nicht, Punkt vor Punkt bewilligt worden. Doch haͤtteſt du nicht, Alles wohl erwogen, beſſer gethan, du haͤtteſt, um deines Erloͤſers willen, dem Junker vergeben, die Rappen, duͤrre und abgehaͤrmt, wie ſie waren, bei der Hand genommen, dich aufgeſetzt, und zur Dickfuͤtterung in deinen Stall nach Kohlhaaſenbruͤck heimgeritten? — Kohlhaas antwortete: kann ſeyn! indem er ans Fenſter trat: kann ſeyn, auch nicht! Haͤtte ich gewußt, daß ich ſie mit Blut aus dem Herzen meiner lieben Frau wuͤrde auf die Beine bringen muͤſſen: kann ſeyn, ich haͤtte gethan, wie ihr geſagt, hochwuͤrdiger Herr, und einen Scheffel Hafer nicht geſcheut! Doch, weil ſie mir einmal ſo theuer zu ſtehen gekommen ſind, 89ſo habe es denn, meine ich, ſeinen Lauf: laßt das Erkenntniß, wie es mir zukoͤmmt, ſprechen, und den Junker mir die Rappen auffuͤttern. — — Luther ſagte, indem er, unter mancherlei Gedanken, wieder zu ſeinen Papieren griff: er wolle mit dem Kurfuͤrſten ſeinethalben in Unterhandlung treten. Inzwiſchen moͤgte er ſich, auf dem Schloſſe zu Luͤtzen, ſtill halten; wenn der Herr ihm freies Geleit bewillige, ſo werde man es ihm auf dem Wege oͤffentlicher Anplackung bekannt machen. — Zwar, fuhr er fort, da Kohlhaas ſich herabbog, um ſeine Hand zu kuͤſſen: ob der Kurfuͤrſt Gnade fuͤr Recht ergehen laſſen wird, weiß ich nicht; denn einen Heerhaufen, vernehm’ ich, zog er zuſammen, und ſteht im Begriff, dich im Schloſſe zu Luͤtzen aufzuheben: inzwiſchen, wie ich dir ſchon geſagt habe, an meinem Bemuͤhen ſoll es nicht liegen. Und damit ſtand er auf, und machte Anſtalt, ihn zu entlaſſen. Kohlhaas meinte, daß ſeine Fuͤrſprache ihn uͤber dieſen Punkt voͤllig beruhige; worauf Luther ihn mit der Hand gruͤßte, jener aber ploͤtzlich ein Knie vor ihm ſenkte und ſprach: 90er habe noch eine Bitte auf ſeinem Herzen. Zu Pfingſten naͤmlich, wo er an den Tiſch des Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche, dieſer ſeiner kriegeriſchen Unternehmung wegen, verſaͤumt; ob er die Gewogenheit haben wolle, ohne weitere Vorbereitung, ſeine Beichte zu empfangen, und ihm, zur Auswechſelung dagegen, die Wohlthat des heiligen Sakraments zu ertheilen? Luther, nach einer kurzen Beſinnung, indem er ihn ſcharf anſah, ſagte: ja, Kohlhaas, das will ich thun! Der Herr aber, deſſen Leib du begehrſt, vergab ſeinem Feind. — Willſt du, ſetzte er, da jener ihn betreten anſah, hinzu, dem Junker, der dich beleidigt hat, gleichfalls vergeben: nach der Tronkenburg gehen, dich auf deine Rappen ſetzen, und ſie zur Dickfuͤtterung nach Kohlhaaſenbruͤck heimreiten? — „Hochwuͤrdiger Herr,“ ſagte Kohlhaas erroͤthend, indem er ſeine Hand ergriff, — nun? — „der Herr auch vergab allen ſeinen Feinden nicht. Laßt mich den Kurfuͤrſten, meinen beiden Herren, dem Schloßvoigt und Verwalter, den Herren Hinz und Kunz, und wer mich ſonſt in dieſer 91Sache gekraͤnkt haben mag, vergeben: den Junker aber, wenn es ſeyn kann, noͤthigen, daß er mir die Rappen wieder dick fuͤttere.“ — Bei dieſen Worten kehrte ihm Luther, mit einem mißvergnuͤgten Blick, den Ruͤcken zu, und zog die Klingel. Kohlhaas, waͤhrend, dadurch herbeigerufen, ein Famulus ſich mit Licht in dem Vorſaal meldete, ſtand betreten, indem er ſich die Augen trocknete, vom Boden auf; und da der Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeſchoben war, an der Thuͤre wirkte, Luther aber ſich wieder zu ſeinen Papieren niedergeſetzt hatte: ſo machte Kohlhaas dem Mann die Thuͤre auf. Luther, mit einem kurzen, auf den fremden Mann gerichteten Seitenblick, ſagte dem Famulus: leuchte! worauf dieſer, uͤber den Beſuch, den er erblickte, ein wenig befremdet, den Hausſchluͤſſel von der Wand nahm, und ſich, auf die Entfernung desſelben wartend, unter die halboffene Thuͤr des Zimmers zuruͤckbegab. — Kohlhaas ſprach, indem er ſeinen Huth bewegt zwiſchen beide Haͤnde nahm: und ſo kann ich, hochwuͤrdigſter Herr, der Wohlthat verſoͤhnt zu wer92den, die ich mir von euch erbat, nicht theilhaftig werden? Luther antwortete kurz: deinem Heiland, nein; dem Landesherrn, — das bleibt einem Verſuch, wie ich dir verſprach, vorbehalten! Und damit winkte er dem Famulus, das Geſchaͤft, das er ihm aufgetragen, ohne weiteren Aufſchub, abzumachen. Kohlhaas legte, mit dem Ausdruck ſchmerzlicher Empfindung, ſeine beiden Haͤnde auf die Bruſt; folgte dem Mann, der ihm die Treppe hinunter leuchtete, und verſchwand.
Am anderen Morgen erließ Luther ein Sendſchreiben an den Kurfuͤrſten von Sachſen, worin er, nach einem bitteren Seitenblick auf die ſeine Perſon umgebenden Herren Hinz und Kunz, Kaͤmmerer und Mundſchenk von Tronka, welche die Klage, wie allgemein bekannt war, untergeſchlagen hatten, dem Herrn, mit der Freimuͤthigkeit, die ihm eigen war, eroͤffnete, daß bei ſo aͤrgerlichen Umſtaͤnden, nichts Anderes zu thun uͤbrig ſey, als den Vorſchlag des Roßhaͤndlers anzunehmen, und ihm des Vorgefallenen wegen, zur Erneuerung ſeines Pro93zeſſes, Amneſtie zu ertheilen. Die oͤffentliche Meinung, bemerkte er, ſey auf eine hoͤchſt gefaͤhrliche Weiſe, auf dieſes Mannes Seite, dergeſtalt, daß ſelbſt in dem dreimal von ihm eingeaͤſcherten Wittenberg, eine Stimme zu ſeinem Vortheil ſpreche; und da er ſein Anerbieten, falls er damit abgewieſen werden ſollte, unfehlbar, unter gehaͤſſigen Bemerkungen, zur Wiſſenſchaft des Volks bringen wuͤrde, ſo koͤnne dasſelbe leicht in dem Grade verfuͤhrt werden, daß mit der Staatsgewalt gar nichts mehr gegen ihn auszurichten ſey. Er ſchloß, daß man, in dieſem außerordentlichen Fall, uͤber die Bedenklichkeit, mit einem Staatsbuͤrger, der die Waffen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen muͤſſe; daß derselbe in der That durch das Verfahren, das man gegen ihn beobachtet, auf gewiſſe Weiſe außer der Staatsverbindung geſetzt worden ſey; und kurz, daß man ihn, um aus dem Handel zu kommen, mehr als eine fremde, in das Land gefallene Macht, wozu er ſich auch, da er ein Auslaͤnder ſey, gewiſſermaßen qualifizire, als einen Rebellen, der ſich 94gegen den Thron auflehne, betrachten muͤſſe. — Der Kurfuͤrſt erhielt dieſen Brief eben, als der Prinz Chriſtiern von Meißen, Generaliſſimus des Reichs, Oheim des bei Muͤhlberg geſchlagenen und an ſeinen Wunden noch daniederliegenden Prinzen Friedrich von Meißen; der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede; Graf Kallheim, Praͤſident der Staatskanzlei; und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieſer Kaͤmmerer, jener Mundſchenk, die Jugendfreunde und Vertrauten des Herrn, in dem Schloſſe gegenwaͤrtig waren. Der Kaͤmmerer, Herr Kunz, der, in der Qualitaͤt eines Geheimenraths, des Herrn geheime Correſpondenz, mit der Befugniß, ſich ſeines Namens und Wappens zu bedienen, beſorgte, nahm zuerſt das Wort, und nachdem er noch einmal weitlaͤufig auseinander gelegt hatte, daß er die Klage, die der Roßhaͤndler gegen den Junker, ſeinen Vetter, bei dem Tribunal eingereicht, nimmermehr durch eine eigenmaͤchtige Verfuͤgung niedergeſchlagen haben wuͤrde, wenn er ſie nicht, durch falſche Angaben verfuͤhrt, fuͤr eine voͤllig grundloſe und 95nichtsnutzige Plackerei gehalten haͤtte, kam er auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge. Er bemerkte, daß, weder nach goͤttlichen noch menſchlichen Geſetzen, der Roßkamm, um dieſes Mißgriffs willen, befugt geweſen waͤre, eine ſo ungeheure Selbſtrache, als er ſich erlaubt, auszuuͤben; ſchilderte den Glanz, der durch eine Verhandlung mit demſelben, als einer rechtlichen Kriegsgewalt, auf ſein gottverdammtes Haupt falle; und die Schmach, die dadurch auf die geheiligte Perſon des Kurfuͤrſten zuruͤckſpringe, ſchien ihm ſo unertraͤglich, daß er, im Feuer der Beredtſamkeit, lieber das Aeußerſte erleben, den Rechtsſchluß des raſenden Rebellen erfuͤllt, und den Junker, ſeinen Vetter, zur Dickfuͤtterung der Rappen nach Kohlhaaſenbruͤck abgefuͤhrt ſehen, als den Vorſchlag, den der Doctor Luther gemacht, angenommen wiſſen wollte. Der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, aͤußerte, halb zu ihm gewandt, ſein Bedauern, daß eine ſo zarte Sorgfalt, als er, bei der Aufloͤſung dieſer allerdings mißlichen Sache, fuͤr den Ruhm des Herrn zeige, ihn nicht, bei der erſten 96Veranlaſſung derſelben, erfuͤllt haͤtte. Er ſtellte dem Kurfuͤrſten ſein Bedenken vor, die Staatsgewalt, zur Durchſetzung einer offenbar unrechtlichen Maßregel, in Anſpruch zu nehmen; bemerkte, mit einem bedeutenden Blick auf den Zulauf, den der Roßhaͤndler fortdauernd im Lande fand, daß der Faden der Frevelthaten ſich auf dieſe Weiſe ins Unendliche fortzuſpinnen drohe, und erklaͤrte, daß nur ein ſchlichtes Rechtthun, indem man unmittelbar und ruͤckſichtslos den Fehltritt, den man ſich zu Schulden kommen laſſen, wieder gut machte, ihn abreißen und die Regierung gluͤcklich aus dieſem haͤßlichen Handel herausziehen koͤnne. Der Prinz Chriſtiern von Meißen, auf die Frage des Herrn, was er davon halte? aͤußerte, mit Verehrung gegen den Großkanzler gewandt: die Denkungsart, die er an den Tag lege, erfuͤlle ihn zwar mit dem groͤßeſten Reſpect; indem er aber dem Kohlhaas zu ſeinem Recht verhelfen wolle, bedenke er nicht, daß er Wittenberg und Leipzig, und das ganze durch ihn mißhandelte Land, in ſeinem gerechten Anſpruch auf Schadenerſatz, oder wenigſtens 97Beſtrafung, beeintraͤchtige. Die Ordnung des Staats ſey, in Beziehung auf dieſen Mann, ſo verruͤckt, daß man ſie ſchwerlich durch einen Grundſatz, aus der Wiſſenſchaft des Rechts entlehnt, werde einrenken koͤnnen. Daher ſtimme er, nach der Meinung des Kaͤmmerers, dafuͤr, das Mittel, das fuͤr ſolche Faͤlle eingeſetzt ſey, ins Spiel zu ziehen: einen Kriegshaufen, von hinreichender Groͤße zuſammenzuraffen, und den Roßhaͤndler, der in Luͤtzen aufgepflanzt ſey, damit aufzuheben oder zu erdruͤcken. Der Kaͤmmerer, indem er fuͤr ihn und den Kurfuͤrſten Stuͤhle von der Wand nahm, und auf eine verbindliche Weiſe ins Zimmer ſetzte, ſagte: er freue ſich, daß ein Mann von ſeiner Rechtſchaffenheit und Einſicht mit ihm in dem Mittel, dieſe Sache zweideutiger Art beizulegen, uͤbereinſtimme. Der Prinz, indem er den Stuhl, ohne ſich zu ſetzen, in der Hand hielt, und ihn anſah, verſicherte ihn: daß er gar nicht Urſache haͤtte ſich deshalb zu freuen, indem die damit verbundene Maßregel nothwendig die waͤre, einen Verhaftsbefehl vorher gegen ihn zu erlaſſen, und wegen 98Mißbrauchs des landesherrlichen Namens den Prozeß zu machen. Denn wenn Nothwendigkeit erfordere, den Schleier vor dem Thron der Gerechtigkeit niederzulaſſen, uͤber eine Reihe von Frevelthaten, die unabſehbar wie ſie ſich forterzeugt, vor den Schranken desſelben zu erſcheinen, nicht mehr Raum faͤnden, ſo gelte das nicht von der erſten, die ſie veranlaßt; und allererſt ſeine Anklage auf Leben und Tod koͤnne den Staat zur Zermalmung des Roßhaͤndlers bevollmaͤchtigen, deſſen Sache, wie bekannt, ſehr gerecht ſey, und dem man das Schwerdt, das er fuͤhre, ſelbſt in die Hand gegeben. Der Kurfuͤrſt, den der Junker bei dieſen Worten betroffen anſah, wandte ſich, indem er uͤber das ganze Geſicht roth ward, und trat ans Fenſter. Der Graf Kallheim, nach einer verlegenen Pauſe von allen Seiten, ſagte, daß man auf dieſe Weiſe aus dem Zauberkreiſe, in dem man befangen, nicht herauskaͤme. Mit demſelben Rechte koͤnne ſeinem Neffen, dem Prinzen Friedrich, der Prozeß gemacht werden; denn auch er haͤtte, auf dem Streifzug ſonderbarer 99Art, den er gegen den Kohlhaas unternommen, ſeine Inſtruktion auf mancherlei Weiſe uͤberſchritten: dergeſtalt, daß wenn man nach der weitlaͤufigen Schaar derjenigen frage, die die Verlegenheit, in welcher man ſich befinde, veranlaßt, er gleichfalls unter die Zahl derſelben wuͤrde benannt, und von dem Landesherrn wegen deſſen was bei Muͤhlberg vorgefallen, zur Rechenſchaft gezogen werden muͤſſen. Der Mundſchenk, Herr Hinz von Tronka, waͤhrend der Kurfuͤrſt mit ungewiſſen Blicken an ſeinen Tiſch trat, nahm das Wort und ſagte: er begriffe nicht, wie der Staatsbeſchluß, der zu faſſen ſey, Maͤnnern von ſolcher Weisheit, als hier verſammelt waͤren, entgehen koͤnne. Der Roßhaͤndler habe, ſeines Wiſſens, gegen bloß freies Geleit nach Dresden, und erneuerte Unterſuchung ſeiner Sache, verſprochen, den Haufen, mit dem er in das Land gefallen, auseinander gehen zu laſſen. Daraus aber folge nicht, daß man ihm, wegen dieſer frevelhaften Selbſtrache, Amneſtie ertheilen muͤſſe: zwei Rechtsbegriffe, die der Doctor Luther ſowohl,100als auch der Staatsrath zu verwechſeln ſcheine. Wenn, fuhr er fort, indem er den Finger an die Naſe legte, bei dem Tribunal zu Dresden, gleichviel wie, das Erkenntniß der Rappen wegen gefallen iſt; ſo hindert nichts, den Kohlhaas auf den Grund ſeiner Mordbrennereien und Raͤubereien einzuſtecken: eine ſtaatskluge Wendung, die die Vortheile der Anſichten beider Staatsmaͤnner vereinigt, und des Beifalls der Welt und Nachwelt gewiß iſt. — Der Kurfuͤrſt, da der Prinz ſowohl als der Großkanzler dem Mundſchenk, Herrn Hinz, auf dieſe Rede mit einem bloßen Blick antworteten, und die Verhandlung mithin geſchloſſen ſchien, ſagte: daß er die verſchiedenen Meinungen, die ſie ihm vorgetragen, bis zur naͤchſten Sitzung des Staatsraths bei ſich ſelbſt uͤberlegen wuͤrde. — Es ſchien, die Praͤliminar-Maßregel, deren der Prinz gedacht, hatte ſeinem fuͤr Freundſchaft ſehr empfaͤnglichen Herzen die Luſt benommen, den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu welchem ſchon Alles vorbereitet war, auszufuͤhren. Wenigſtens behielt er den Großkanzler, Großkanzler, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Großkanzler, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Grafen 101Wrede, deſſen Meinung ihm die zweckmaͤßigſte ſchien, bei ſich zuruͤck; und da dieſer ihm Briefe vorzeigte, aus welchen hervorging, daß der Roßhaͤndler in der That ſchon zu einer Staͤrke von vierhundert Mann herangewachſen ſey; ja, bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kaͤmmerers im Lande herrſchte, in kurzem auf eine doppelte und dreifache Staͤrke rechnen koͤnne: ſo entſchloß ſich der Kurfuͤrſt, ohne weiteren Anſtand, den Rath, den ihm der Doctor Luther ertheilt, anzunehmen. Dem gemaͤß uͤbergab er dem Grafen Wrede die ganze Leitung der Kohlhaaſiſchen Sache; und ſchon nach wenigen Tagen erſchien ein Placat, das wir, dem Hauptinhalt nach, folgendermaßen mittheilen:
„Wir ⁊c. ⁊c. etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. Kurfuͤrſt von Sachſen, ertheilen, in beſonders gnaͤdiger Ruͤckſicht auf die an Uns ergangene Fuͤrſprache des Doctors Martin Luther, dem Michael Kohlhaas, Roßhaͤndler aus dem Brandenburgiſchen, unter der Bedingung, binnen drei Tagen nach Sicht die Waffen, die er ergriffen, 102niederzulegen, Behufs einer erneuerten Unterſuchung ſeiner Sache, freies Geleit nach Dresden; dergeſtalt zwar, daß, wenn derſelbe, wie nicht zu erwarten, bei dem Tribunal zu Dresden mit ſeiner Klage, der Rappen wegen, abgewieſen werden ſollte, gegen ihn, ſeines eigenmaͤchtigen Unternehmens wegen, ſich ſelbſt Recht zu verſchaffen, mit der ganzen Strenge des Geſetzes verfahren werden ſolle; im entgegengeſetzten Fall aber, ihm mit ſeinem ganzen Haufen, Gnade fuͤr Recht bewilligt, und voͤllige Amneſtie, ſeiner in Sachſen ausgeuͤbten Gewaltthaͤtigkeiten wegen, zugeſtanden ſeyn ſolle.“
Kohlhaas hatte nicht ſobald, durch den Doctor Luther, ein Exemplar dieſes in allen Plaͤtzen des Landes angeſchlagenen Placats erhalten, als er, ſo bedingungsweiſe auch die darin gefuͤhrte Sprache war, ſeinen ganzen Haufen ſchon, mit Geſchenken, Dankſagungen und zweckmaͤßigen Ermahnungen auseinander gehen ließ. Er legte Alles, 103was er an Geld, Waffen und Geraͤthſchaften erbeutet haben mogte, bei den Gerichten zu Luͤtzen, als kurfuͤrſtliches Eigenthum, nieder; und nachdem er den Waldmann mit Briefen, wegen Wiederkaufs ſeiner Meierei, wenn es moͤglich ſey, an den Amtmann nach Kohlhaaſenbruͤck, und den Sternbald zur Abholung ſeiner Kinder, die er wieder bei ſich zu haben wuͤnſchte, nach Schwerin geſchickt hatte, verließ er das Schloß zu Luͤtzen, und ging, unerkannt, mit dem Reſt ſeines kleinen Vermoͤgens, das er in Papieren bei ſich trug, nach Dresden.
Der Tag brach eben an, und die ganze Stadt ſchlief noch, als er an die Thuͤr der kleinen, in der Pirnaiſchen Vorſtadt gelegenen Beſitzung, die ihm durch die Rechtſchaffenheit des Amtmanns uͤbrig geblieben war, anklopfte, und Thomas, dem alten, die Wirthſchaft fuͤhrenden Hausmann, der ihm mit Erſtaunen und Beſtuͤrzung aufmachte, ſagte: er moͤgte dem Prinzen von Meißen auf dem Gubernium melden, daß er, Kohlhaas der Roßhaͤndler, da waͤre. Der Prinz von Meißen, der auf dieſe Mel104dung fuͤr zweckmaͤßig hielt, augenblicklich ſich ſelbſt von dem Verhaͤltniß, in welchem man mit dieſem Mann ſtand, zu unterrichten, fand, als er mit einem Gefolge von Rittern und Troßknechten bald darauf erſchien, in den Straßen, die zu Kohlhaaſens Wohnung fuͤhrten, ſchon eine unermeßliche Menſchenmenge verſammelt. Die Nachricht, daß der Wuͤrgengel da ſey, der die Volksbedruͤcker mit Feuer und Schwerdt verfolge, hatte ganz Dresden, Stadt und Vorſtadt, auf die Beine gebracht; man mußte die Hausthuͤr vor dem Andrang des neugierigen Haufens verriegeln, und die Jungen kletterten an den Fenſtern heran, um den Mordbrenner, der darin fruͤhſtuͤckte, in Augenſchein zu nehmen. Sobald der Prinz, mit Huͤlfe der ihm Platz machenden Wache, ins Haus gedrungen, und in Kohlhaaſens Zimmer getreten war, fragte er dieſen, welcher halb entkleidet an einem Tiſche ſtand: ob er Kohlhaas, der Roßhaͤndler, waͤre? worauf Kohlhaas, indem er eine Brieftaſche mit mehreren uͤber ſein Verhaͤltniß lautenden Papieren aus ſeinem Gurt nahm, und ihm ehrerbie105tig uͤberreichte, antwortete: ja! und hinzuſetzte: er finde ſich nach Aufloͤſung ſeines Kriegshaufens, der ihm ertheilten landesherrlichen Freiheit gemaͤß, in Dresden ein, um ſeine Klage, der Rappen wegen, gegen den Junker Wenzel von Tronka vor Gericht zu bringen. Der Prinz, nach einem fluͤchtigen Blick, womit er ihn von Kopf zu Fuß uͤberſchaute, durchlief die in der Brieftaſche befindlichen Papiere; ließ ſich von ihm erklaͤren, was es mit einem von dem Gericht zu Luͤtzen ausgeſtellten Schein, den er darin fand, uͤber die zu Gunſten des kurfuͤrſtlichen Schatzes gemachte Depoſition fuͤr eine Bewandtniß habe; und nachdem er die Art des Mannes noch, durch Fragen mancherlei Gattung, nach ſeinen Kindern, ſeinem Vermoͤgen und der Lebensart die er kuͤnftig zu fuͤhren denke, gepruͤft, und uͤberall ſo, daß man wohl ſeinetwegen ruhig ſeyn konnte, befunden hatte, gab er ihm die Briefſchaften wieder, und ſagte: daß ſeinem Prozeß nichts im Wege ſtuͤnde, und daß er ſich nur unmittelbar, um ihn einzuleiten, an den Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede, 106ſelbſt wenden moͤgte. Inzwiſchen, ſagte der Prinz, nach einer Pauſe, indem er ans Fenſter trat, und mit großen Augen das Volk, das vor dem Hauſe verſammelt war, uͤberſchaute: du wirſt auf die erſten Tage eine Wache annehmen muͤſſen, die dich, in deinem Hauſe ſowohl, als wenn du ausgehſt, ſchuͤtze! — — Kohlhaas ſah betroffen vor ſich nieder, und ſchwieg. Der Prinz ſagte: „gleichviel!“ indem er das Fenſter wieder verließ. „Was daraus entſteht, du haſt es dir ſelbſt beizumeſſen;“ und damit wandte er ſich wieder nach der Thuͤr, in der Abſicht, das Haus zu verlaſſen. Kohlhaas, der ſich beſonnen hatte, ſprach: Gnaͤdigſter Herr! thut, was ihr wollt! Gebt mir euer Wort, die Wache, ſobald ich es wuͤnſche, wieder aufzuheben: ſo habe ich gegen dieſe Maßregel nichts einzuwenden! Der Prinz erwiederte: das beduͤrfe der Rede nicht; und nachdem er drei Landsknechten, die man ihm zu dieſem Zweck vorſtellte, bedeutet hatte: daß der Mann, in deſſen Hauſe ſie zuruͤckblieben, frei waͤre, und daß ſie ihm bloß zu ſeinem Schutz, wenn er ausginge, folgen ſollten, 107gruͤßte er den Roßhaͤndler mit einer herablaſſenden Bewegung der Hand, und entfernte ſich.
Gegen Mittag begab ſich Kohlhaas, von ſeinen drei Landsknechten begleitet, unter dem Gefolge einer unabſehbaren Menge, die ihm aber auf keine Weiſe, weil ſie durch die Polizei gewarnt war, etwas zu Leide that, zu dem Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede. Der Großkanzler, der ihn mit Milde und Freundlichkeit in ſeinem Vorgemach empfing, unterhielt ſich waͤhrend zwei ganzer Stunden mit ihm, und nachdem er ſich den ganzen Verlauf der Sache, von Anfang bis zu Ende, hatte erzaͤhlen laſſen, wies er ihn, zur unmittelbaren Abfaſſung und Einreichung der Klage, an einen, bei dem Gericht angeſtellten, beruͤhmten Advocaten der Stadt. Kohlhaas, ohne weiteren Verzug, verfuͤgte ſich in deſſen Wohnung; und nachdem die Klage, ganz der erſten niedergeſchlagenen gemaͤß, auf Beſtrafung des Junkers nach den Geſetzen, Wiederherſtellung der Pferde in den vorigen Stand, und Erſatz ſeines Schadens ſowohl, als auch deſſen, 108den ſein bei Muͤhlberg gefallener Knecht Herſe erlitten hatte, zu Gunſten der alten Mutter desſelben, aufgeſetzt war, begab er ſich wieder, unter Begleitung des ihn immer noch angaffenden Volks, nach Hauſe zuruͤck, wohl entſchloſſen, es anders nicht, als nur wenn nothwendige Geſchaͤfte ihn riefen, zu verlaſſen.
Inzwiſchen war auch der Junker ſeiner Haft in Wittenberg entlaſſen, und nach Herſtellung von einer gefaͤhrlichen Roſe, die ſeinen Fuß entzuͤndet hatte, von dem Landesgericht unter peremtoriſchen Bedingungen aufgefordert worden, ſich zur Verantwortung auf die von dem Roßhaͤndler Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage, wegen widerrechtlich abgenommener und zu Grunde gerichteter Rappen, in Dresden zu ſtellen. Die Gebruͤder Kaͤmmerer und Mundſchenk von Tronka, Lehnsvettern des Junkers, in deren Hauſe er abtrat, empfingen ihn mit der groͤßeſten Erbitterung und Verachtung; ſie nannten ihn einen Elenden und Nichtswuͤrdigen, der Schande und Schmach uͤber die ganze Familie bringe, kuͤndigten ihm an, daß er ſei109nen Prozeß nunmehr unfehlbar verlieren wuͤrde, und forderten ihn auf, nur gleich zur Herbeiſchaffung der Rappen, zu deren Dickfuͤtterung er, zum Hohngelaͤchter der Welt, verdammt werden werde, Anſtalt zu machen. Der Junker ſagte, mit ſchwacher, zitternder Stimme: er ſey der bejammernswuͤrdigſte Menſch von der Welt. Er verſchwor ſich, daß er von dem ganzen verwuͤnſchten Handel, der ihn ins Ungluͤck ſtuͤrze, nur wenig gewußt, und daß der Schloßvoigt und der Verwalter an Allem Schuld waͤren, indem ſie die Pferde, ohne ſein entfernteſtes Wiſſen und Wollen, bei der Ernte gebraucht, und durch unmaͤßige Anſtrengungen, zum Theil auf ihren eigenen Feldern, zu Grunde gerichtet haͤtten. Er ſetzte ſich, indem er dies ſagte, und bat ihn nicht durch Kraͤnkungen und Beleidigungen in das Uebel, von dem er nur ſo eben erſt erſtanden ſey, muthwillig zuruͤckzuſtuͤrzen. Am andern Tage ſchrieben die Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeaͤſcherten Tronkenburg Guͤter beſaßen, auf Anſuchen des Junkers, ihres Vetters, weil 110doch nichts anders uͤbrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Paͤchter, um Nachricht uͤber die an jenem ungluͤcklichen Tage abhanden gekommenen und ſeitdem gaͤnzlich verſchollenen Rappen einzuziehn. Aber Alles, was ſie bei der gaͤnzlichen Verwuͤſtung des Platzes, und der Niedermetzelung faſt aller Einwohner, erfahren konnten, war, daß ein Knecht ſie, von den flachen Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in welchem ſie ſtanden, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo er ſie hinfuͤhren, und was er damit anfangen ſolle, von dem grimmigen Wuͤtherich einen Fußtritt zur Antwort erhalten habe. Die alte, von der Gicht geplagte Haushaͤlterin des Junkers, die ſich nach Meißen gefluͤchtet hatte, verſicherte demſelben, auf eine ſchriftliche Anfrage, daß der Knecht ſich, am Morgen jener entſetzlichen Nacht, mit den Pferden nach der brandenburgiſchen Graͤnze gewandt habe; doch alle Nachfragen, die man daſelbſt anſtellte, waren vergeblich, und es ſchien dieſer Nachricht ein Irrthum zum Grunde zu liegen, indem der Junker keinen 111Knecht hatte, der im Brandenburgiſchen, oder auch nur auf der Straße dorthin, zu Hauſe war. Maͤnner aus Dresden, die wenige Tage nach dem Brande der Tronkenburg in Wilsdruf geweſen waren, ſagten aus, daß um die benannte Zeit ein Knecht mit zwei an der Halfter gehenden Pferden dort angekommen, und die Thiere, weil ſie ſehr elend geweſen waͤren, und nicht weiter fort gekonnt haͤtten, im Kuhſtall eines Schaͤfers, der ſie wieder haͤtte aufbringen wollen, ſtehen gelaſſen haͤtte. Es ſchien mancherlei Gruͤnde wegen ſehr wahrſcheinlich, daß dies die in Unterſuchung ſtehenden Rappen waren; aber der Schaͤfer aus Wilsdruf hatte ſie, wie Leute, die dorther kamen, verſicherten, ſchon wieder, man wußte nicht an wen, verhandelt; und ein drittes Geruͤcht, deſſen Urheber unentdeckt blieb, ſagte gar aus, daß die Pferde bereits in Gott verſchieden, und in der Knochengrube zu Wilsdruf begraben waͤren. Die Herren Hinz und Kunz, denen dieſe Wendung der Dinge, wie man leicht begreift, die erwuͤnſchteſte war, indem ſie dadurch, bei des Junkers ihres Vetters Erman112gelung eigener Staͤlle, der Nothwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufuͤttern, uͤberhoben waren, wuͤnſchten gleichwohl, voͤlliger Sicherheit wegen, dieſen Umſtand zu bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erließ demnach, als Erb-, Lehns- und Gerichtsherr, ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruf, worin er dieſelben, nach einer weitlaͤufigen Beſchreibung der Rappen, die, wie er ſagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen waͤren, dienſtfreundlichſt erſuchte, den dermaligen Aufenthalt derſelben zu erforſchen, und den Eigner, wer er auch ſey, aufzufordern und anzuhalten, ſie, gegen reichliche Wiedererſtattung aller Koſten, in den Staͤllen des Kaͤmmerers, Herrn Kunz, zu Dresden abzuliefern. Dem gemaͤß erſchien auch wirklich, wenige Tage darauf, der Mann an den ſie der Schaͤfer aus Wilsdruf verhandelt hatte, und fuͤhrte ſie, duͤrr und wankend, an die Runge ſeines Karrens gebunden, auf den Markt der Stadt; das Ungluͤck aber Herrn Wenzels, und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, daß es der Abdecker aus Doͤbbeln war.
113Sobald Herr Wenzel, in Gegenwart des Kaͤmmerers, ſeines Vetters, durch ein unbeſtimmtes Geruͤcht vernommen hatte, daß ein Mann mit zwei ſchwarzen aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der Stadt angelangt ſey, begaben ſich beide, in Begleitung einiger aus dem Hauſe zuſammengerafften Knechte, auf den Schloßplatz, wo er ſtand, um ſie demſelben, falls es die dem Kohlhaas zugehoͤrigen waͤren, gegen Erſtattung der Koſten abzunehmen, und nach Hauſe zu fuͤhren. Aber wie betreten waren die Ritter, als ſie bereits einen, von Augenblick zu Augenblick ſich vergroͤßernden Haufen von Menſchen, den das Schauſpiel herbeigezogen, um den zweiraͤdrigen Karren, an dem die Thiere befeſtigt waren, erblickten; unter unendlichem Gelaͤchter einander zurufend, daß die Pferde ſchon, um derenthalben der Staat wanke, an den Schinder gekommen waͤren! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war, und die jaͤmmerlichen Thiere, die alle Augenblicke ſterben zu wollen ſchienen, betrachtet hatte, ſagte verlegen: das waͤren die Pferde 114nicht, die er dem Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der Kaͤmmerer, einen Blick ſprachloſen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eiſen geweſen waͤre, ihn zerſchmettert haͤtte, trat, indem er ſeinen Mantel, Orden und Kette entbloͤßend, zuruͤckſchlug, zu dem Abdecker heran, und fragte ihn: ob das die Rappen waͤren, die der Schaͤfer von Wilsdruf an ſich gebracht, und der Junker Wenzel von Tronka, dem ſie gehoͤrten, bei den Gerichten daſelbſt requirirt haͤtte? Der Abdecker, der, einen Eimer Waſſer in der Hand, beſchaͤftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul, der ſeinen Karren zog, zu traͤnken, ſagte: „die ſchwarzen?“ —Er ſtreifte dem Gaul, nachdem er den Eimer niedergeſetzt, das Gebiß aus dem Maul, und ſagte: „die Rappen, die an die Runge gebunden waͤren, haͤtte ihm der Schweinehirte von Hainichen verkauft. Wo der ſie her haͤtte, und ob ſie von dem Wilsdrufer Schaͤfer kaͤmen, das wiſſe er nicht. Ihm haͤtte,“ ſprach er, waͤhrend er den Eimer wieder aufnahm, und zwiſchen Deichſel und Knie anſtemmte: „ihm haͤtte der 115Gerichtsbote aus Wilsdruf geſagt, daß er ſie nach Dresden in das Haus derer von Tronka bringen ſolle; aber der Junker, an den er gewieſen ſey, heiße Kunz.“ Bei dieſen Worten wandte er ſich mit dem Reſt des Waſſers, den der Gaul im Eimer uͤbrig gelaſſen hatte, und ſchuͤttete ihn auf das Pflaſter der Straße aus. Der Kaͤmmerer, der, von den Blicken der hohnlachenden Menge umſtellt, den Kerl, der mit empfindungsloſem Eifer ſeine Geſchaͤfte betrieb, nicht bewegen konnte, daß er ihn anſah, ſagte: daß er der Kaͤmmerer, Kunz von Tronka, waͤre; die Rappen aber, die er an ſich bringen ſolle, muͤßten dem Junker, ſeinem Vetter, gehoͤren; von einem Knecht, der bei Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an den Schaͤfer zu Wilsdruf gekommen, und urſpruͤnglich zwei dem Roßhaͤndler Kohlhaas zugehoͤrige Pferde ſeyen! Er fragte den Kerl, der mit geſpreizten Beinen daſtand, und ſich die Hoſen in die Hoͤhe zog: ob er davon nichts wiſſe? Und ob ſie der Schweinehirte von Hainichen nicht vielleicht, auf welchen Umſtand Alles an116komme, von dem Wilsdrufer Schaͤfer, oder von einem Dritten, der ſie ſeinerſeits von demſelben gekauft, erſtanden haͤtte? — Der Abdecker, der ſich an den Wagen geſtellt und ſein Waſſer abgeſchlagen hatte, ſagte: „er waͤre mit den Rappen nach Dresden beſtellt, um in dem Hauſe derer von Tronka ſein Geld dafuͤr zu empfangen. Was er da vorbraͤchte, verſtaͤnde er nicht; und ob ſie, vor dem Schweinehirten aus Hainichen, Peter oder Paul beſeſſen haͤtte, oder der Schaͤfer aus Wilsdruf, gelte ihm, da ſie nicht geſtohlen waͤren, gleich.“Und damit ging er, die Peitſche quer uͤber ſeinen breiten Ruͤcken, nach einer Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Abſicht, hungrig wie er war, ein Fruͤhſtuͤck einzunehmen. Der Kaͤmmerer, der auf der Welt Gottes nicht wußte, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den Schinder in Doͤbbeln verkauft, machen ſolle, falls es nicht diejenigen waͤren, auf welchen der Teufel durch Sachſen ritt, forderte den Junker auf, ein Wort zu ſprechen; doch da dieſer mit bleichen, bebenden Lippen erwiederte: das Rathſamſte waͤre, daß man 117die Rappen kaufe, ſie moͤgten dem Kohlhaas gehoͤren oder nicht: ſo trat der Kaͤmmerer, Vater und Mutter, die ihn geboren, verfluchend, indem er ſich den Mantel zuruͤckſchlug, gaͤnzlich unwiſſend, was er zu thun oder zu laſſen habe, aus dem Haufen des Volks zuruͤck. Er rief den Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der uͤber die Straße ritt, zu ſich heran, und trotzig, den Platz nicht zu verlaſſen, eben weil das Geſindel hoͤhniſch auf ihn einblickte, und, mit vor dem Mund zuſammengedruͤckten Schnupftuͤchern, nur auf ſeine Entfernung zu warten ſchien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, Grafen Wrede, abzuſteigen, und durch deſſen Vermittelung den Kohlhaas zur Beſichtigung der Rappen herbeizuſchaffen. Es traf ſich, daß Kohlhaas eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des Großkanzlers, gewiſſer, die Depoſition in Luͤtzen betreffenden Erlaͤuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwaͤrtig war, als der Freiherr, in der eben erwaͤhnten Abſicht, zu ihm ins Zimmer trat; und waͤhrend der Großkanzler ſich mit einem 118verdrießlichen Geſicht vom Seſſel erhob, und den Roßhaͤndler, deſſen Perſon jenem unbekannt war, mit den Papieren, die er in der Hand hielt, zur Seite ſtehen ließ, ſtellte der Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher ſich die Herren von Tronka befanden, vor. Der Abdecker von Doͤbbeln ſey, auf mangelhafte Requiſition der Wilsdrufer Gerichte, mit Pferden erſchienen, deren Zuſtand ſo heillos beſchaffen waͤre, daß der Junker Wenzel anſtehen muͤſſe, ſie fuͤr die dem Kohlhaas gehoͤrigen anzuerkennen; dergeſtalt, daß, falls man ſie gleichwohl dem Abdecker abnehmen ſolle, um in den Staͤllen der Ritter, zu ihrer Wiederherſtellung, einen Verſuch zu machen, vorher eine Ocular-Inſpection des Kohlhaas, um den beſagten Umſtand außer Zweifel zu ſetzen, nothwendig ſey. „Habt demnach die Guͤte, ſchloß er, den Roßhaͤndler durch eine Wache aus ſeinem Hauſe abholen und auf den Markt, wo die Pferde ſtehen, hinfuͤhren zu laſſen.“ Der Großkanzler, indem er ſich eine Brille von der Naſe nahm, ſagte: daß er in einem doppelten Irrthum ſtuͤnde; einmal, wenn 119er glaube, daß der in Rede ſtehende Umſtand anders nicht, als durch eine Ocular-Inſpection des Kohlhaas auszumitteln ſey; und dann, wenn er ſich einbilde, er, der Kanzler, ſey befugt, den Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abfuͤhren zu laſſen. Dabei ſtellte er ihm den Roßhaͤndler, der hinter ihm ſtand, vor, und bat ihn, indem er ſich niederließ und ſeine Brille wieder aufſetzte, ſich in dieſer Sache an ihn ſelbſt zu wenden. — Kohlhaas, der mit keiner Miene, was in ſeiner Seele vorging, zu erkennen gab, ſagte: daß er bereit waͤre, ihm zur Beſichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. Er trat, waͤhrend der Freiherr ſich betroffen zu ihm umkehrte, wieder an den Tiſch des Großkanzlers heran, und nachdem er demſelben noch, aus den Papieren ſeiner Brieftaſche, mehrere, die Depoſition in Luͤtzen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er ſich von ihm; der Freiherr, der, uͤber das ganze Geſicht roth, ans Fenſter getreten war, empfahl ſich ihm gleichfalls; und beide gingen, begleitet von den drei 120durch den Prinzen von Meißen eingeſetzten Landsknechten, unter dem Troß einer Menge von Menſchen, nach dem Schloßplatz hin. Der Kaͤmmerer, Herr Kunz, der inzwiſchen den Vorſtellungen mehrerer Freunde, die ſich um ihn eingefunden hatten, zum Trotz, ſeinen Platz, dem Abdecker von Doͤbbeln gegenuͤber, unter dem Volke behauptet hatte, trat, ſobald der Freiherr mit dem Roßhaͤndler erſchien, an den letzteren heran, und fragte ihn, indem er ſein Schwerdt, mit Stolz und Anſehen, unter dem Arm hielt: ob die Pferde, die hinter dem Wagen ſtuͤnden, die ſeinigen waͤren? Der Roßhaͤndler, nachdem er, mit einer beſcheidenen Wendung gegen den die Frage an ihn richtenden Herrn, den er nicht kannte, den Huth gezuͤckt hatte, trat, ohne ihm zu antworten, im Gefolge ſaͤmmtlicher Ritter, an den Schinderkarren heran; und die Thiere, die, auf wankenden Beinen, die Haͤupter zur Erde gebeugt, daſtanden, und von dem Heu, das ihnen der Abdecker vorgelegt hatte, nicht fraßen, fluͤchtig, aus einer Ferne von zwoͤlf Schritt, in welcher er ſtehen blieb, betrachtet: 121gnaͤdigſter Herr! wandte er ſich wieder zu dem Kaͤmmerer zuruͤck, der Abdecker hat ganz Recht; die Pferde, die an ſeinen Karren gebunden ſind, gehoͤren mir! Und damit, indem er ſich in dem ganzen Kreiſe der Herren umſah, ruͤckte er den Huth noch einmal, und begab ſich, von ſeiner Wache begleitet, wieder von dem Platz hinweg. Bei dieſen Worten trat der Kaͤmmerer, mit einem raſchen, ſeinen Helmbuſch erſchuͤtternden Schritt zu dem Abdecker heran, und warf ihm einen Beutel mit Geld zu; und waͤhrend dieſer ſich, den Beutel in der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare uͤber die Stirn zuruͤckkaͤmmte, und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die Pferde abzuloͤſen und nach Hauſe zu fuͤhren! Der Knecht, der auf den Ruf des Herrn, einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem Volke beſaß, verlaſſen hatte, trat auch, in der That, ein wenig roth im Geſicht, uͤber eine große Miſtpfuͤtze, die ſich zu ihren Fuͤßen gebildet hatte, zu den Pferden heran; doch kaum hatte er ihre Halftern erfaßt, um ſie loszubinden, als ihn Meiſter Him122boldt, ſein Vetter, ſchon beim Arm ergriff, und mit den Worten: du ruͤhrſt die Schindmaͤhren nicht an! von dem Karren hinwegſchleuderte. Er ſetzte, indem er ſich mit ungewiſſen Schritten uͤber die Miſtpfuͤtze wieder zu dem Kaͤmmerer, der uͤber dieſen Vorfall ſprachlos daſtand, zuruͤck wandte, hinzu: daß er ſich einen Schinderknecht anſchaffen muͤſſe, um ihm einen ſolchen Dienſt zu leiſten! Der Kaͤmmerer, der, vor Wuth ſchaͤumend, den Meiſter auf einen Augenblick betrachtet hatte, kehrte ſich um, und rief uͤber die Haͤupter der Ritter, die ihn umringten, hinweg, nach der Wache; und ſobald, auf die Beſtellung des Freiherrn von Wenk, ein Officier mit einigen kurfuͤrſtlichen Trabanten, aus dem Schloß erſchienen war, forderte er denſelben unter einer kurzen Darſtellung der ſchaͤndlichen Aufhetzerei, die ſich die Buͤrger der Stadt erlaubten, auf, den Raͤdelsfuͤhrer, Meiſter Himboldt, in Verhaft zu nehmen. Er verklagte den Meiſter, indem er ihn bei der Bruſt faßte: daß er ſeinen, die Rappen auf ſeinen Befehl losbindenden Knecht von dem Karren hinweggeſchleu123dert und mißhandelt haͤtte. Der Meiſter, indem er den Kaͤmmerer mit einer geſchickten Wendung, die ihn befreiete, zuruͤckwies, ſagte: gnaͤdigſter Herr! einem Burſchen von zwanzig Jahren bedeuten, was er zu thun hat, heißt nicht, ihn verhetzen! Befragt ihn, ob er ſich gegen Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, die an die Karre gebunden ſind, befaſſen will; will er es, nach dem, was ich geſagt, thun: ſey’s! Meinethalb mag er ſie jetzt abludern und haͤuten! Bei dieſen Worten wandte ſich der Kaͤmmerer zu dem Knecht herum, und fragte ihn: ob er irgend Anſtand naͤhme, ſeinen Befehl zu erfuͤllen, und die Pferde, die dem Kohlhaas gehoͤrten, loszubinden, und nach Hauſe zu fuͤhren? und da dieſer ſchuͤchtern, indem er ſich unter die Buͤrger miſchte, erwiederte: die Pferde muͤßten erſt ehrlich gemacht werden, bevor man ihm das zumuthe; ſo folgte ihm der Kaͤmmerer von hinten, riß ihm den Huth ab, der mit ſeinem Hauszeichen geſchmuͤckt war, zog, nachdem er den Huth mit Fuͤßen getreten, von Leder, und jagte den Knecht mit wuͤthenden Hieben der 124Klinge augenblicklich vom Platz weg und aus ſeinen Dienſten. Meiſter Himboldt rief: ſchmeißt den Mordwuͤtherich doch gleich zu Boden! und waͤhrend die Buͤrger, von dieſem Auftritt empoͤrt, zuſammentraten, und die Wache hinwegdraͤngten, warf er den Kaͤmmerer von hinten nieder, riß ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihm das Schwerdt aus der Hand, und ſchleuderte es, in einem grimmigen Wurf, weit uͤber den Platz hinweg. Vergebens rief der Junker Wenzel, indem er ſich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu, ſeinem Vetter beizuſpringen; ehe ſie noch einen Schritt dazu gethan hatten, waren ſie ſchon von dem Andrang des Volks zerſtreut, dergeſtalt, daß der Kaͤmmerer, der ſich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wuth der Menge Preis gegeben war. Nichts, als die Erſcheinung eines Trupps berittener Landsknechte, die zufaͤllig uͤber den Platz zogen, und die der Officier der kurfuͤrſtlichen Trabanten zu ſeiner Unterſtuͤtzung herbeirief, konnte den Kaͤmmerer retten. Der Officier, nachdem er den Haufen verjagt, ergriff den wuͤthenden 125Meiſter, und waͤhrend derſelbe durch einige Reuter nach dem Gefaͤngniß gebracht ward, hoben zwei Freunde den ungluͤcklichen mit Blut bedeckten Kaͤmmerer vom Boden auf, und fuͤhrten ihn nach Hauſe. Einen ſo heilloſen Ausgang nahm der wohlgemeinte und redliche Verſuch, dem Roßhaͤndler wegen des Unrechts, das man ihm zugefuͤgt, zugefuͤgt, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] zugefuͤgt, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Genugthuung zu verſchaffen. Der Abdecker von Doͤbbeln, deſſen Geſchaͤft abgemacht war, und der ſich nicht laͤnger aufhalten wollte, band, da ſich das Volk zu zerſtreuen anfing, die Pferde an einen Laternenpfahl, wo ſie, den ganzen Tag uͤber, ohne daß ſich jemand um ſie bekuͤmmerte, ein Spott der Straßenjungen und Tagediebe, ſtehen blieben; dergeſtalt, daß in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei ſich ihrer annehmen mußte, und gegen Einbruch der Nacht den Abdecker von Dresden herbeirief, um ſie, bis auf weitere Verfuͤgung, auf der Schinderei vor der Stadt zu beſorgen.
Dieſer Vorfall, ſo wenig der Roßhaͤndler ihn in der That verſchuldet hatte, erweckte gleichwohl, auch bei den Gemaͤßigtern und Beſ126ſeren, eine, dem Ausgang ſeiner Streitſache hoͤchſt gefaͤhrliche Stimmung im Lande. Man fand das Verhaͤltniß desſelben zum Staat ganz unertraͤglich, und in Privathaͤuſern und auf oͤffentlichen Plaͤtzen, erhob ſich die Meinung, daß es beſſer ſey, ein offenbares Unrecht an ihm zu veruͤben, und die ganze Sache von Neuem niederzuſchlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Gewaltthaten ertrotzt, in einer ſo nichtigen Sache, zur bloßen Befriedigung ſeines raſenden Starrſinns, zukommen zu laſſen. Zum voͤlligen Verderben des armen Kohlhaas mußte der Großkanzler ſelbſt, aus uͤbergroßer Rechtlichkeit, und einem davon herruͤhrenden Haß gegen die Familie von Tronka, beitragen, dieſe Stimmung zu befeſtigen und zu verbreiten. Es war hoͤchſt unwahrſcheinlich, daß die Pferde, die der Abdecker von Dresden jetzt beſorgte, jemals wieder in den Stand, wie ſie aus dem Stall zu Kohlhaaſenbruͤck gekommen waren, hergeſtellt werden wuͤrden; doch geſetzt, daß es durch Kunſt und anhaltende Pflege moͤglich geweſen waͤre: die Schmach, die zu Folge der beſtehenden Um127ſtaͤnde, dadurch auf die Familie des Junkers fiel, war ſo groß, daß bei dem ſtaatsbuͤrgerlichen Gewicht, das ſie, als eine der erſten und edelſten, im Lande hatte, nichts billiger und zweckmaͤßiger ſchien, als eine Verguͤtigung der Pferde in Geld einzuleiten. Gleichwohl, auf einen Brief, in welchem der Praͤſident, Graf Kallheim, im Namen des Kaͤmmerers, den ſeine Krankheit abhielt, dem Großkanzler, einige Tage darauf, dieſen Vorſchlag machte, erließ derſelbe zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, worin er ihn ermahnte, einen ſolchen Antrag, wenn er an ihn ergehen ſollte, nicht von der Hand zu weiſen; den Praͤſidenten ſelbſt aber bat er, in einer kurzen, wenig verbindlichen Antwort, ihn mit Privatauftraͤgen in dieſer Sache zu verſchonen, und forderte den Kaͤmmerer auf, ſich an den Roßhaͤndler ſelbſt zu wenden, den er ihm als einen ſehr billigen und beſcheidenen Mann ſchilderte. Der Roßhaͤndler, deſſen Wille, durch den Vorfall, der ſich auf dem Markt zugetragen, in der That gebrochen war, wartete auch nur, dem Rath des Groß128kanzlers gemaͤß, auf eine Eroͤffnung von Seiten des Junkers, oder ſeiner Angehoͤrigen, um ihnen mit voͤlliger Bereitwilligkeit und Vergebung alles Geſchehenen, entgegenzukommen; doch eben dieſe Eroͤffnung war den ſtolzen Rittern zu thun empfindlich; und ſchwer erbittert uͤber die Antwort, die ſie von dem Großkanzler empfangen hatten, zeigten ſie dieſelbe dem Kurfuͤrſten, der, am Morgen des naͤchſtfolgenden Tages, den Kaͤmmerer krank, wie er an ſeinen Wunden danieder lag, in ſeinem Zimmer beſucht hatte. Der Kaͤmmerer, mit einer, durch ſeinen Zuſtand, ſchwachen und ruͤhrenden Stimme, fragte ihn, ob er, nachdem er ſein Leben daran geſetzt, um dieſe Sache, ſeinen Wuͤnſchen gemaͤß, beizulegen, auch noch ſeine Ehre dem Tadel der Welt ausſetzen, und mit einer Bitte um Vergleich und Nachgiebigkeit, vor einem Manne erſcheinen ſolle, der alle nur erdenkliche Schmach und Schande uͤber ihn und ſeine Familie gebracht habe. Der Kurfuͤrſt, nachdem er den Brief geleſen hatte, fragte den Grafen Kallheim verlegen: ob das 129Tribunal nicht befugt ſey, ohne weitere Ruͤckſprache mit dem Kohlhaas, auf den Umſtand, daß die Pferde nicht wieder herzuſtellen waͤren, zu fußen, und dem gemaͤß das Urtheil, gleich, als ob ſie todt waͤren, auf bloße Verguͤtigung derſelben in Geld abzufaſſen? Der Graf antwortete: „gnaͤdigſter Herr, ſie ſind todt: ſind in ſtaatsrechtlicher Bedeutung todt, weil ſie keinen Werth haben, und werden es phyſiſch ſeyn, bevor man ſie, aus der Abdeckerei, in die Staͤlle der Ritter gebracht hat;“ worauf der Kurfuͤrſt, indem er den Brief einſteckte, ſagte, daß er mit dem Großkanzler ſelbſt daruͤber ſprechen wolle, den Kaͤmmerer, der ſich halb aufrichtete und ſeine Hand dankbar ergriff, beruhigte, und nachdem er ihm noch empfohlen hatte, fuͤr ſeine Geſundheit Sorge zu tragen, mit vieler Huld ſich von ſeinem Seſſel erhob, und das Zimmer verließ.
So ſtanden die Sachen in Dresden, als ſich uͤber den armen Kohlhaas, noch ein anderes, bedeutenderes Gewitter, von Luͤtzen her, zuſammenzog, deſſen Strahl die argliſtigen130 Ritter geſchickt genug waren, auf das ungluͤckliche Haupt desſelben herabzuleiten. Johann Nagelſchmidt naͤmlich, Einer von den durch den Roßhaͤndler zuſammengebrachten, und nach Erſcheinung der kurfuͤrſtlichen Amneſtie wieder abgedankten Knechten, hatte fuͤr gut befunden, wenige Wochen nachher, an der boͤhmiſchen Graͤnze, einen Theil dieſes zu allen Schandthaten aufgelegten Geſindels von neuem zuſammenzuraffen, und das Gewerbe, auf deſſen Spur ihn Kohlhaas gefuͤhrt hatte, auf ſeine eigne Hand fortzuſetzen. Dieſer nichtsnutzige Kerl nannte ſich, theils um den Haͤſchern von denen er verfolgt ward, Furcht einzufloͤßen, theils um das Landvolk, auf die gewohnte Weiſe, zur Theilnahme an ſeine Spitzbuͤbereien zu verleiten, einen Statthalter des Kohlhaas; ſprengte mit einer ſeinem Herrn abgelernten Klugheit aus, daß die Amneſtie an mehreren, in ihre Heimath ruhig zuruͤckgekehrten Knechten nicht gehalten, ja der Kohlhaas ſelbſt, mit himmelſchreiender Wortbruͤchigkeit, bei ſeiner Ankunft in Dresden eingeſteckt, und einer Wache uͤbergeben wor131den ſey; dergeſtalt, daß in Placaten, die den Kohlhaaſiſchen ganz aͤhnlich waren, ſein Mordbrennerhaufen als ein zur bloßen Ehre Gottes aufgeſtandener Kriegshaufen erſchien, beſtimmt, uͤber die Befolgung der ihnen von dem Kurfuͤrſten angelobten Amneſtie zu wachen; Alles, wie ſchon geſagt, keineswegs zur Ehre Gottes, noch aus Anhaͤnglichkeit an den Kohlhaas, deſſen Schickſal ihnen voͤllig gleichguͤltig war, ſondern um unter dem Schutz ſolcher Vorſpiegelungen deſto ungeſtrafter und bequemer zu ſengen und zu pluͤndern. Die Ritter, ſobald die erſten Nachrichten davon nach Dresden kamen, konnten ihre Freude uͤber dieſen, dem ganzen Handel eine andere Geſtalt gebenden Vorfall nicht unterdruͤcken. Sie erinnerten mit weiſen und mißvergnuͤgten Seitenblicken an den Mißgriff, den man begangen, indem man dem Kohlhaas, ihren dringenden und wiederholten Warnungen zum Trotz, Amneſtie ertheilt, gleichſam als haͤtte man die Abſicht gehabt Boͤſewichtern aller Art dadurch, zur Nachfolge auf ſeinem Wege, das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem 132Vorgeben des Nagelſchmidt, zur bloßen Aufrechthaltung und Sicherheit ſeines unterdruͤckten Herrn die Waffen ergriffen zu haben, Glauben zu ſchenken, aͤußerten ſie ſogar die beſtimmte Meinung, daß die ganze Erſcheinung desſelben nichts, als ein von dem Kohlhaas angezetteltes Unternehmen ſey, um die Regierung in Furcht zu ſetzen, und den Fall des Rechtsſpruchs, Punct vor Punct, ſeinem raſenden Eigenſinn gemaͤß, durchzuſetzen und zu beſchleunigen. Ja, der Mundſchenk, Herr Hinz, ging ſo weit, einigen Jagdjunkern und Hofherren, die ſich nach der Tafel im Vorzimmer des Kurfuͤrſten um ihn verſammelt hatten, die Aufloͤſung des Raͤuberhaufens in Luͤtzen als eine verwuͤnſchte Spiegelfechterei darzuſtellen; und indem er ſich uͤber die Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers ſehr luſtig machte, erwies er aus mehreren witzig zuſammengeſtellten Umſtaͤnden, daß der Haufen, nach wie vor, noch in den Waͤldern des Kurfuͤrſtenthums vorhanden ſey, und nur auf den Wink des Roßhaͤndlers warte, um daraus von neuem mit Feuer und Schwerdt hervorzubrechen. Der 133Prinz Chriſtiern von Meißen, uͤber dieſe Wendung der Dinge, die ſeines Herrn Ruhm auf die empfindlichſte Weiſe zu beflecken drohete, ſehr mißvergnuͤgt, begab ſich ſogleich zu demſelben aufs Schloß; und das Intereſſe der Ritter, den Kohlhaas, wenn es moͤglich waͤre, auf den Grund neuer Vergehungen zu ſtuͤrzen, wohl durchſchauend, bat er ſich von demſelben die Erlaubniß aus, unverzuͤglich ein Verhoͤr uͤber den Roßhaͤndler anſtellen zu duͤrfen. Der Roßhaͤndler, nicht ohne Befremden, durch einen Haͤſcher in das Gubernium abgefuͤhrt, erſchien, den Heinrich und Leopold, ſeine beiden kleinen Knaben auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags zuvor mit ſeinen fuͤnf Kindern aus dem Mecklenburgiſchen, wo ſie ſich aufgehalten hatten, bei ihm angekommen, und Gedanken mancherlei Art, die zu entwickeln zu weitlaͤuftig ſind, beſtimmten ihn, die Jungen, die ihn bei ſeiner Entfernung unter dem Erguß kindiſcher Thraͤnen darum baten, aufzuheben, und in das Verhoͤr mitzunehmen. Der Prinz, nachdem er die Kinder, die Kohlhaas neben 134ſich niedergeſetzt hatte, wohlgefaͤllig betrachtet und auf eine freundliche Weiſe nach ihrem Alter und Namen gefragt hatte, eroͤffnete ihm, was der Nagelſchmidt, ſein ehemaliger Knecht, ſich in den Thaͤlern des Erzgebirges fuͤr Freiheiten herausnehme; und indem er ihm die ſogenannten Mandate desſelben uͤberreichte, forderte er ihn auf, dagegen vorzubringen, was er zu ſeiner Rechtfertigung vorzubringen wuͤßte. Der Roßhaͤndler, ſo ſchwer er auch in der That uͤber dieſe ſchaͤndlichen und verraͤtheriſchen Papiere erſchrack, hatte gleichwohl, einem ſo rechtſchaffenen Manne, als der Prinz war, gegenuͤber, wenig Muͤhe, die Grundloſigkeit der gegen ihn auf die Bahn gebrachten Beſchuldigungen, befriedigend aus einander zu legen. Nicht nur, daß zufolge ſeiner Bemerkung er, ſo wie die Sachen ſtanden, uͤberhaupt noch zur Entſcheidung ſeines, im beſten Fortgang begriffenen Rechtsſtreits, keiner Huͤlfe von Seiten eines Dritten beduͤrfte: aus einigen Briefſchaften, die er bei ſich trug, und die er dem Prinzen vorzeigte, ging ſogar eine 135Unwahrſcheinlichkeit ganz eigner Art hervor, daß das Herz des Nagelſchmidts geſtimmt ſeyn ſollte, ihm dergleichen Huͤlfe zu leiſten, indem er den Kerl, wegen auf dem platten Lande veruͤbter Nothzucht und anderer Schelmereien, kurz vor Aufloͤſung des Haufens in Luͤtzen hatte haͤngen laſſen wollen; dergeſtalt, daß nur die Erſcheinung der kurfuͤrſtlichen Amneſtie, indem ſie das ganze Verhaͤltniß aufhob, ihn gerettet hatte, und beide Tags darauf, als Todfeinde auseinander gegangen waren. Kohlhaas, auf ſeinen von dem Prinzen angenommenen Vorſchlag, ſetzte ſich nieder, und erließ ein Sendſchreiben an den Nagelſchmidt, worin er das Vorgeben desſelben zur Aufrechthaltung der an ihm und ſeinen Haufen gebrochenen Amneſtie aufgeſtanden zu ſeyn, fuͤr eine ſchaͤndliche und ruchloſe Erfindung erklaͤrte; ihm ſagte, daß er bei ſeiner Ankunft in Dresden weder eingeſteckt, noch einer Wache uͤbergeben, auch ſeine Rechtsſache ganz ſo, wie er es wuͤnſche, im Fortgange ſey; und ihn wegen der, nach Publikation der Amneſtie im Erzgebirge ausgeuͤbten 136Mordbrennereien, zur Warnung des um ihn verſammelten Geſindels, der ganzen Rache der Geſetze preis gab. Dabei wurden einige Fragmente der Criminalverhandlung, die der Roßhaͤndler auf dem Schloſſe zu Luͤtzen, in Bezug auf die oben erwaͤhnten Schaͤndlichkeiten, uͤber ihn hatte anſtellen laſſen, zur Belehrung des Volks uͤber dieſen nichtsnutzigen, ſchon damals dem Galgen beſtimmten, und, wie ſchon erwaͤhnt, nur durch das Patent das der Kurfuͤrſt erließ, geretteten Kerl, angehaͤngt. Dem gemaͤß beruhigte der Prinz den Kohlhaas uͤber den Verdacht, den man ihm, durch die Umſtaͤnde nothgedrungen, in dieſem Verhoͤr habe aͤußern muͤſſen; verſicherte ihn, daß ſo lange Er in Dresden waͤre, die ihm ertheilte Amneſtie auf keine Weiſe gebrochen werden ſolle; reichte den Knaben noch einmal, indem er ſie mit Obſt, das auf ſeinem Tiſche ſtand, beſchenkte, die Hand, gruͤßte den Kohlhaas und entließ ihn. Der Großkanzler, der gleichwohl die Gefahr, die uͤber den Roßhaͤndler ſchwebte, erkannte, that ſein Aeußerſtes, um die Sache 137desſelben, bevor ſie durch neue Ereigniſſe verwickelt und verworren wuͤrde, zu Ende zu bringen; das aber wuͤnſchten und bezweckten die ſtaatsklugen Ritter eben, und ſtatt, wie zuvor, mit ſtillſchweigendem Eingeſtaͤndniß der Schuld, ihren Widerſtand auf ein bloß gemildertes Rechtserkenntniß einzuſchraͤnken, fingen ſie jetzt an, in Wendungen argliſtiger und rabuliſtiſcher Art, dieſe Schuld ſelbſt gaͤnzlich zu laͤugnen. Bald gaben ſie vor, daß die Rappen des Kohlhaas, in Folge eines bloß eigenmaͤchtigen Verfahrens des Schloßvoigts und Verwalters, von welchem der Junker nichts oder nur Unvollſtaͤndiges gewußt, auf der Tronkenburg zuruͤckgehalten worden ſeyen; bald verſicherten ſie, daß die Thiere ſchon, bei ihrer Ankunft daſelbſt, an einem heftigen und gefaͤhrlichen Huſten krank geweſen waͤren, und beriefen ſich deshalb auf Zeugen, die ſie herbeizuſchaffen ſich anheiſchig machten; und als ſie mit dieſen Argumenten, nach weitlaͤuftigen Unterſuchungen und Auseinanderſetzungen, aus dem Felde geſchlagen waren, brachten ſie gar ein kurfuͤrſtli138ches Edikt bei, worin, vor einem Zeitraum von zwoͤlf Jahren, einer Viehſeuche wegen, die Einfuͤhrung der Pferde aus dem Brandenburgiſchen ins Saͤchſiſche, in der That verboten worden war: zum ſonnenklaren Beleg nicht nur der Befugniß, ſondern ſogar der Verpflichtung des Junkers, die von dem Kohlhaas uͤber die Graͤnze gebrachten Pferde anzuhalten. — Kohlhaas, der inzwiſchen von dem wackern Amtmann zu Kohlhaaſenbruͤck ſeine Meierei, gegen eine geringe Verguͤtigung des dabei gehabten Schadens, kaͤuflich wieder erlangt hatte, wuͤnſchte, wie es ſcheint wegen gerichtlicher Abmachung dieſes Geſchaͤfts, Dresden auf einige Tage zu verlaſſen, und in dieſe ſeine Heimath zu reiſen; ein Entſchluß, an welchem gleichwohl, wie wir nicht zweifeln, weniger das beſagte Geſchaͤft, ſo dringend es auch in der That, wegen Beſtellung der Winterſaat, ſeyn mogte, als die Abſicht unter ſo ſonderbaren und bedenklichen Umſtaͤnden ſeine Lage zu pruͤfen, Antheil hatte: zu welchem vielleicht auch noch Gruͤnde anderer Art mitwirkten, die wir 139jedem, der in ſeiner Bruſt Beſcheid weiß, zu errathen uͤberlaſſen wollen. Demnach verfuͤgte er ſich, mit Zuruͤcklaſſung der Wache, die ihm zugeordnet war, zum Großkanzler, und eroͤfnete ihm, die Briefe des Amtmanns in der Hand: daß er Willens ſey, falls man ſeiner, wie es den Anſchein habe, bei dem Gericht nicht nothwendig beduͤrfe, die Stadt zu verlaſſen, und auf einen Zeitraum von acht oder zwoͤlf Tagen, binnen welcher Zeit er wieder zuruͤck zu ſeyn verſprach, nach dem Brandenburgiſchen zu reiſen. Der Großkanzler, indem er mit einem mißvergnuͤgten und bedenklichen Geſichte zur Erde ſah, verſetzte: er muͤſſe geſtehen, daß ſeine Anweſenheit grade jetzt nothwendiger ſey als jemals, indem das Gericht wegen argliſtiger und winkelziehender Einwendungen der Gegenpart, ſeiner Ausſagen und Eroͤrterungen, in tauſenderlei nicht vorherzuſehenden Faͤllen, beduͤrfe; doch da Kohlhaas ihn auf ſeinen, von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advocaten verwies, und mit beſcheidener Zudringlichkeit, indem er ſich auf acht Tage einzu140ſchraͤnken verſprach, auf ſeine Bitte beharrte, ſo ſagte der Großkanzler nach einer Pauſe kurz, indem er ihn entließ: „er hoffe, daß er ſich deshalb Paͤſſe, bei dem Prinzen Chriſtiern von Meißen, ausbitten wuͤrde.“ — — Kohlhaas, der ſich auf das Geſicht des Großkanzlers gar wohl verſtand, ſetzte ſich, in ſeinem Entſchluß nur beſtaͤrkt, auf der Stelle nieder, und bat, ohne irgend einen Grund anzugeben, den Prinzen von Meißen, als Chef des Guberniums, um Paͤſſe auf acht Tage nach Kohlhaaſenbruͤck, und zuruͤck. Auf dieſes Schreiben erhielt er eine, von dem Schloßhauptmann, Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Reſolution, des Inhalts: ſein Geſuch um Paͤſſe nach Kohlhaaſenbruͤck werde des Kurfuͤrſten Durchlaucht vorgelegt werden, auf deſſen hoͤchſter Bewilligung, ſobald ſie einginge, ihm die Paͤſſe zugeſchickt werden wuͤrden.“ Auf die Erkundigung Kohlhaaſens bei ſeinem Advocaten, wie es zuginge, daß die Gubernial-Reſolution von einem Freiherrn Siegfried von Wenk, und nicht von dem Prinzen Chriſtiern von Meißen, an den er 141ſich gewendet, unterſchrieben ſey, erhielt er zur Antwort: daß der Prinz vor drei Tagen auf ſeine Guͤter gereiſt, und die Gubernialgeſchaͤfte waͤhrend ſeiner Abweſenheit dem Schloßhauptmann Freiherrn Siegfried von Wenk, einem Vetter des oben erwaͤhnten Herren gleiches Namens, uͤbergeben worden waͤren. — Kohlhaas, dem das Herz unter allen dieſen Umſtaͤnden unruhig zu klopfen anfing, harrte durch mehrere Tage auf die Entſcheidung ſeiner, der Perſon des Landesherrn mit befremdender Weitlaͤuftigkeit Weitlaͤufigkeit vorgelegten Bitte; doch es verging eine Woche, und es verging mehr, ohne daß weder dieſe Entſcheidung einlief, noch auch das Rechtserkenntniß, ſo beſtimmt man es ihm auch verkuͤndigt hatte, bei dem Tribunal gefaͤllt ward: dergeſtalt, daß er am zwoͤlften Tage, feſt entſchloſſen, die Geſinnung der Regierung gegen ihn, ſie moͤge ſeyn, welche man wolle, zur Sprache zu bringen, ſich niederſetzte, und das Gubernium von neuem in einer dringenden Vorſtellung um die erforderten Paͤſſe bat. Aber wie betreten war er, als er am Abend des folgenden, gleich142falls ohne die erwartete Antwort verſtrichenen Tages, mit einem Schritt, den er gedankenvoll, in Erwaͤgung ſeiner Lage, und beſonders der ihm von dem Doctor Luther ausgewirkten Amneſtie, an das Fenſter ſeines Hinterſtuͤbchens that, in dem kleinen, auf dem Hofe befindlichen Nebengebaͤude, das er ihr zum Aufenthalte angewieſen hatte, die Wache nicht erblickte, die ihm bei ſeiner Ankunft der Prinz von Meißen eingeſetzt hatte. Thomas, der alte Hausmann, den er herbeirief und fragte: was dies zu bedeuten habe? antwortete ihm ſeufzend: Herr! es iſt nicht alles wie es ſeyn ſoll; die Landsknechte, deren heute mehr ſind wie gewoͤhnlich, haben ſich bei Einbruch der Nacht um das ganze Haus vertheilt; zwei ſtehen, mit Schild und Spieß, an der vordern Thuͤr auf der Straße; zwei an der hintern im Garten: und noch zwei andere liegen im Vorſaal auf ein Bund Stroh, und ſagen, daß ſie daſelbſt ſchlafen wuͤrden. Kohlhaas, der ſeine Farbe verlor, wandte ſich und verſetzte: „es waͤre gleichviel, wenn ſie nur da waͤren; und er moͤgte den Landsknechten, ſo143bald er auf den Flur kaͤme, Licht hinſetzen, damit ſie ſehen koͤnnten.“ Nachdem er noch, unter dem Vorwande, ein Geſchirr auszugießen, den vordern Fenſterladen eroͤffnet, und ſich von der Wahrheit des Umſtands, den ihm der Alte entdeckt, uͤberzeugt hatte: denn eben ward ſogar in geraͤuſchloſer Abloͤſung die Wache erneuert, an welche Maaßregel bisher, ſo lange die Einrichtung beſtand, noch niemand gedacht hatte: ſo legte er ſich, wenig ſchlafluſtig allerdings, zu Bette, und ſein Entſchluß war fuͤr den kommenden Tag ſogleich gefaßt. Denn nichts mißgoͤnnte er der Regierung, mit der er zu thun hatte mehr, als den Schein der Gerechtigkeit, waͤhrend ſie in der That die Amneſtie, die ſie ihm angelobt hatte, an ihm brach; und falls er wirklich ein Gefangener ſeyn ſollte, wie es keinem Zweifel mehr unterworfen war, wollte er derſelben auch die beſtimmte und unumwundene Erklaͤrung, daß es ſo ſey, abnoͤthigen. Demnach ließ er, ſobald der Morgen des naͤchſten Tages anbrach, durch Sternbald, ſeinen Knecht, den Wagen anſpannen und vorfuͤhren, um wie 144er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockewitz zu fahren, der ihn, als ein alter Bekannter, einige Tage zuvor in Dresden geſprochen und eingeladen hatte, ihn einmal mit ſeinen Kindern zu beſuchen. Die Landsknechte, welche mit zuſammengeſteckten Koͤpfen, die dadurch veranlaßten Bewegungen im Hauſe wahrnahmen, ſchickten Einen aus ihrer Mitte heimlich in die Stadt, worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernialofficiant an der Spitze mehrerer Haͤſcher erſchien, und ſich, als ob er daſelbſt ein Geſchaͤft haͤtte, in das gegenuͤberliegende Haus begab. Kohlhaas, der mit der Ankleidung ſeiner Knaben beſchaͤftigt, dieſe Bewegungen gleichfalls bemerkte, und den Wagen abſichtlich laͤnger, als eben noͤthig geweſen waͤre, vor dem Hauſe halten ließ, trat, ſobald er die Anſtalten der Polizei vollendet ſah, mit ſeinen Kindern, ohne darauf Ruͤckſicht zu nehmen, vor das Haus hinauſ; und waͤhrend er dem Troß der Landsknechte, die unter der Thuͤr ſtanden, im Voruͤbergehen ſagte, daß ſie nicht noͤthig haͤtten, ihm zu folgen, hob er die Jungen in den Wagen und 145kuͤßte und troͤſtete die kleinen weinenden Maͤdchen, die, ſeiner Anordnung gemaͤß, bei der Tochter des alten Hausmanns zuruͤckbleiben ſollten. Kaum hatte er ſelbſt den Wagen beſtiegen, als der Gubernial-Officiant mit ſeinem Gefolge von Haͤſchern, aus dem gegenuͤberliegenden Hauſe, zu ihm herantrat, und ihn fragte: wohin er wolle? Auf die Antwort Kohlhaaſens: „daß er zu ſeinem Freund, dem Amtmann nach Lockewitz fahren wolle, der ihn vor einigen Tagen mit ſeinen beiden Knaben zu ſich aufs Land geladen,“ antwortete der Gubernial-Officiant: daß er in dieſem Fall einige Augenblicke warten muͤſſe, indem einige berittene Landsknechte, dem Befehl des Prinzen von Meißen gemaͤß, ihn begleiten wuͤrden. Kohlhaas fragte laͤchelnd von dem Wagen herab: „ob er glaube, daß ſeine Perſon in dem Hauſe eines Freundes, der ſich erboten, ihn auf einen Tag an ſeiner Tafel zu bewirthen, nicht ſicher ſey?“ Der Officiant erwiederte auf eine heitere und angenehme Art: daß die Gefahr allerdings nicht groß ſey; wobei er hinzuſetzte: daß ihm die Knechte auch auf keine Weiſe zur Laſt 146fallen ſollten. Kohlhaas verſetzte ernſthaft: „daß ihm der Prinz von Meißen, bei ſeiner Ankunft in Dresden, freigeſtellt, ob er ſich der Wache bedienen wolle oder nicht;“ und da der Officiant ſich uͤber dieſen Umſtand wunderte, und ſich mit vorſichtigen Wendungen auf den Gebrauch, waͤhrend der ganzen Zeit ſeiner Anweſenheit, berief: ſo erzaͤhlte der Roßhaͤndler ihm den Vorfall, der die Einſetzung der Wache in ſeinem Hauſe veranlaßt hatte. Der Officiant verſicherte ihn, daß die Befehle des Schloßhauptmanns, Freiherrn von Wenk, der in dieſem Augenblick Chef der Polizei ſey, ihm die unausgeſetzte Beſchuͤtzung ſeiner Perſon zur Pflicht mache; und bat ihn, falls er ſich die Begleitung nicht gefallen laſſen wolle, ſelbſt auf das Gubernium zu gehen, um den Irrthum, der dabei obwalten muͤſſe, zu berichtigen. Kohlhaas, mit einem ſprechenden Blick, den er auf den Officianten warf, ſagte, entſchloſſen die Sache zu beugen oder zu brechen: „daß er dies thun wolle;“ ſtieg mit klopfendem Herzen von dem Wagen, ließ die Kinder durch den Hausmann in den Flur tragen, und verfuͤgte 147ſich, waͤhrend der Knecht mit dem Fuhrwerk vor dem Hauſe halten blieb, mit dem Officianten und ſeiner Wache in das Gubernium. Es traf ſich, daß der Schloßhauptmann, Freiherr Wenk eben mit der Beſichtigung einer Bande, am Abend zuvor eingebrachter Nagelſchmidtſcher Knechte, die man in der Gegend von Leipzig aufgefangen hatte, beſchaͤftigt war, und die Kerle uͤber manche Dinge, die man gern von ihnen gehoͤrt haͤtte, von den Rittern, die bei ihm waren, befragt wurden, als der Roßhaͤndler mit ſeiner Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, ſobald er den Roßhaͤndler erblickte, ging, waͤhrend die Ritter ploͤtzlich ſtill wurden, und mit dem Verhoͤr der Knechte einhielten, auf ihn zu, und fragte ihn: was er wolle? und da der Roßkamm ihm auf ehrerbietige Weiſe ſein Vorhaben, bei dem Verwalter in Lockewitz zu Mittag zu ſpeiſen, und den Wunsch, die Landſknechte deren er dabei nicht beduͤrfe zuruͤcklaſſen zu duͤrfen, vorgetragen hatte, antwortete der Freiherr, die Farbe im Geſicht wechſelnd, indem er eine andere Rede zu verſchlucken ſchien: 148„er wuͤrde wohl thun, wenn er ſich ſtill in ſeinem Hauſe hielte, und den Schmaus bei dem Lockewitzer Amtmann vor der Hand noch ausſetzte.“ — Dabei wandte er ſich, das ganze Geſpraͤch zerſchneidend, dem Officianten zu, und ſagte ihm: „daß es mit dem Befehl, den er ihm, in Bezug auf den Mann gegeben, ſein Bewenden haͤtte, und daß derſelbe anders nicht, als in Begleitung ſechs berittener Landsknechte die Stadt verlaſſen duͤrfe.“ — Kohlhaas fragte: ob er ein Gefangener waͤre, und ob er glauben ſolle, daß die ihm feierlich, vor den Augen der ganzen Welt angelobte Amneſtie gebrochen ſey? worauf der Freiherr ſich ploͤtzlich glutroth im Geſichte zu ihm wandte, und, indem er dicht vor ihn trat, und ihm in das Auge ſah, antwortete: ja! ja! ja! — ihm den Ruͤcken zukehrte, ihn ſtehen ließ, und wieder zu den Nagelſchmidtſchen Knechten ging. Hierauf verließ Kohlhaas den Saal, und ob er ſchon einſah, daß er ſich das einzige Rettungsmittel, das ihm uͤbrig blieb, die Flucht, durch die Schritte die er gethan, ſehr erſchwert hatte, ſo lobte er ſein Verfahren gleichwohl, weil er ſich 149nunmehr auch ſeinerſeits von der Verbindlichkeit den Artikeln der Amneſtie nachzukommen, befreit ſah. Er ließ, da er zu Hauſe kam, die Pferde ausſpannen, und begab ſich, in Begleitung des Gubernial-Officianten, ſehr traurig und erſchuͤttert in ſein Zimmer; und waͤhrend dieſer Mann auf eine dem Roßhaͤndler Ekel erregende Weiſe, verſicherte, daß alles nur auf einem Mißverſtaͤndniß beruhen muͤſſe, das ſich in Kurzem loͤſen wuͤrde, verriegelten die Haͤſcher, auf ſeinen Wink, alle Ausgaͤnge der Wohnung die auf den Hof fuͤhrten; wobei der Officiant ihm verſicherte, daß ihm der vordere Haupteingang nach wie vor, zu ſeinem beliebigen Gebrauch offen ſtehe.
Inzwiſchen war der Nagelſchmidt in den Waͤldern des Erzgebirgs, durch Haͤſcher und Landsknechte von allen Seiten ſo gedraͤngt worden, daß er bei dem gaͤnzlichen Mangel an Huͤlfsmitteln, eine Rolle der Art, wie er ſie uͤbernommen, durchzufuͤhren, auf den Gedanken verfiel, den Kohlhaas in der That ins Intereſſe zu ziehen; und da er von der Lage ſeines Rechtsſtreits in Dresden durch einen Reiſenden, 150der die Straße zog, mit ziemlicher Genauigkeit unterrichtet war: ſo glaubte er, der offenbaren Feindſchaft, die unter ihnen beſtand, zum Trotz, den Roßhaͤndler bewegen zu koͤnnen, eine neue Verbindung mit ihm einzugehen. Demnach ſchickte er einen Knecht, mit einem, in kaum leſerlichem Deutſch abgefaßten Schreiben an ihn ab, des Inhalts: „Wenn er nach dem Altenburgiſchen kommen, und die Anfuͤhrung des Haufens, der ſich daſelbſt, aus Reſten des aufgeloͤſten zuſammengefunden, wieder uͤbernehmen wolle, ſo ſey er erboͤtig, ihm zur Flucht aus ſeiner Haft in Dresden mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen; wobei er ihm verſprach, kuͤnftig gehorſamer und uͤberhaupt ordentlicher und beſſer zu ſeyn, als vorher, und ſich zum Beweis ſeiner Treue und Anhaͤnglichkeit anheiſchig machte, ſelbſt in die Gegend von Dresden zu kommen, um ſeine Befreiung aus ſeinem Kerker zu bewirken.“ Nun hatte der, mit dieſem Brief beauftragte Kerl das Ungluͤck, in einem Dorf dicht vor Dresden, in Kraͤmpfen haͤßlicher Art, denen er von Jugend auf unterworfen war, niederzu151ſinken; bei welcher Gelegenheit der Brief, den er im Bruſtlatz trug, von Leuten, die ihm zu Huͤlfe kamen, gefunden, er ſelbſt aber, ſobald er ſich erholt, arretirt, und durch eine Wache unter Begleitung vielen Volks, auf das Gubernium transportirt ward. Sobald der Schloßhauptmann von Wenk dieſen Brief geleſen hatte, verfuͤgte er ſich unverzuͤglich zum Kurfuͤrſten aufs Schloß, wo er die Herren Kunz und Hinz, welcher Erſterer von ſeinen Wunden wieder hergeſtellt war, und den Praͤſidenten der Staatskanzelei, Grafen Kallheim, gegenwaͤrtig fand. Die Herren waren der Meinung, daß der Kohlhaas ohne Weiteres arretirt, und ihm, auf den Grund geheimer Einverſtaͤndniſſe mit dem Nagelſchmidt, der Prozeß gemacht werden muͤſſe; indem ſie bewieſen, daß ein ſolcher Brief nicht, ohne daß fruͤhere auch von Seiten des Roßhaͤndlers vorangegangen, und ohne daß uͤberhaupt eine frevelhafte und verbrecheriſche Verbindung, zu Schmiedung neuer Graͤuel, unter ihnen ſtatt finden ſollte, geſchrieben ſeyn koͤnne. Der Kurfuͤrſt weigerte ſich ſtandhaft, auf den Grund bloß152 dieſes Briefes, dem Kohlhaas das freie Geleit, das er ihm angelobt, zu brechen; er war vielmehr der Meinung, daß eine Art von Wahrſcheinlichkeit aus dem Briefe des Nagelſchmidt hervorgehe, daß keine fruͤhere Verbindung zwiſchen ihnen ſtatt gefunden habe; und Alles, wozu er ſich, um hieruͤber auf’s Reine zu kommen, auf den Vorſchlag des Praͤſidenten, obſchon nach großer Zoͤgerung entſchloß, war, den Brief durch den von dem Nagelſchmidt abgeſchickten Knecht, gleichſam als ob derſelbe nach wie vor frei ſey, an ihn abgeben zu laſſen, und zu pruͤfen, ob er ihn beantworten wuͤrde. Dem gemaͤß ward der Knecht, den man in ein Gefaͤngniß geſteckt hatte, am andern Morgen auf das Gubernium gefuͤhrt, wo der Schloßhauptmann ihm den Brief wieder zuſtellte, und ihn unter dem Verſprechen, daß er frei ſeyn, und die Strafe die er verwirkt, ihm erlaſſen ſeyn ſolle, aufforderte, das Schreiben, als ſei nichts vorgefallen, dem Roßhaͤndler zu uͤbergeben; zu welcher Liſt ſchlechter Art ſich dieſer Kerl auch ohne Weiteres gebrauchen ließ, und auf ſcheinbar geheimniß153volle Weiſe, unter dem Vorwand, daß er Krebſe zu verkaufen habe, womit ihn der Gubernial-Officiant, auf dem Markte, verſorgt hatte, zu Kohlhaas ins Zimmer trat. Kohlhaas, der den Brief, waͤhrend die Kinder mit den Krebſen ſpielten, las, wuͤrde den Gauner gewiß unter andern Umſtaͤnden beim Kragen genommen, und den Landsknechten, die vor ſeiner Thuͤr ſtanden, uͤberliefert haben; doch da bei der Stimmung der Gemuͤther auch ſelbſt dieſer Schritt noch einer gleichguͤltigen Auslegung faͤhig war, und er ſich vollkommen uͤberzeugt hatte, daß nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in dem er verwickelt war, retten konnte: ſo ſah er dem Kerl, mit einem traurigen Blick, in ſein ihm wohlbekanntes Geſicht, fragte ihn, wo er wohnte, und beſchied ihn, in einigen Stunden, wieder zu ſich, wo er ihm, in Bezug auf ſeinen Herrn, ſeinen Beſchluß eroͤffnen wolle. Er hieß dem Sternbald, der zufaͤllig in die Thuͤr trat, dem Mann, der im Zimmer war, etliche Krebſe abkaufen; und nachdem dies Geſchaͤft abgemacht war, und beide ſich ohne einander zu 154kennen, entfernt hatten, ſetzte er ſich nieder und ſchrieb einen Brief folgenden Inhalts an den Nagelſchmidt: „Zuvoͤrderſt daß er ſeinen Vorſchlag, die Oberanfuͤhrung ſeines Haufens im Altenburgiſchen betreffend, annaͤhme; daß er dem gemaͤß, zur Befreiung aus der vorlaͤufigen Haft, in welcher er, mit ſeinen fuͤnf Kindern gehalten werde, ihm einen Wagen mit zwei Pferden nach der Neuſtadt bei Dresden ſchicken ſolle; daß er auch, raſcheren Fortkommens wegen, noch eines Geſpannes von zwei Pferden auf der Straße nach Wittenberg beduͤrfe, auf welchem Umweg er allein, aus Gruͤnden, die anzugeben zu weitlaͤufig waͤren, zu ihm kommen koͤnne; daß er die Landsknechte, die ihn bewachten, zwar durch Beſtechung gewinnen zu koͤnnen glaube, fuͤr den Fall aber daß Gewalt noͤthig ſey, ein Paar beherzte, geſcheute und wohlbewaffnete Knechte, in der Neuſtadt bei Dresden gegenwaͤrtig wiſſen wolle; daß er ihm zur Beſtreitung der mit allen dieſen Anſtalten verbundenen Koſten, eine Rolle von zwanzig Goldkronen durch den Knecht zuſchicken, uͤber deren 155Verwendung er ſich, nach abgemachter Sache, mit ihm berechnen wolle; daß er ſich uͤbrigens, weil ſie unnoͤthig ſey, ſeine eigne Anweſenheit bei ſeiner Befreiung in Dresden verbitte, ja ihm vielmehr den beſtimmten Befehl ertheile, zur einſtweiligen Anfuͤhrung der Bande, die nicht ohne Oberhaupt ſeyn koͤnne, im Altenburgiſchen zuruͤckzubleiben.“ — Dieſen Brief, als der Knecht gegen Abend kam, uͤberlieferte er ihm; beſchenkte ihn ſelbſt reichlich, und ſchaͤrfte ihm ein, denſelben wohl in Acht zu nehmen. — Seine Abſicht war mit ſeinen fuͤnf Kindern nach Hamburg zu gehen, und ſich von dort nach der Levante oder nach Oſtindien, oder ſo weit der Himmel uͤber andere Menſchen, als die er kannte, blau war, einzuſchiffen: denn die Dickfuͤtterung der Rappen hatte ſeine, von Gram ſehr gebeugte Seele auch unabhaͤngig von dem Widerwillen, mit dem Nagelſchmidt deshalb gemeinſchaftliche Sache zu machen, aufgegeben. — Kaum hatte der Kerl dieſe Antwort dem Schloßhauptmann uͤberbracht, als der Großkanzler abgeſetzt, der Praͤſident, Graf Kallheim, an deſ156ſen Stelle, zum Chef des Tribunals ernannt, und Kohlhaas, durch einen Kabinetsbefehl des Kurfuͤrſten arretirt, und ſchwer mit Ketten beladen in die Stadtthuͤrme gebracht ward. Man machte ihm auf den Grund dieſes Briefes, der an alle Ecken der Stadt angeſchlagen ward, den Prozeß; und da er vor den Schranken des Tribunals auf die Frage, ob er die Handſchrift anerkenne, dem Rath, der ſie ihm vorhielt, antwortete: „ja!“ zur Antwort aber auf die Frage, ob er zu ſeiner Vertheidigung etwas vorzubringen wiſſe, indem er den Blick zur Erde ſchlug, erwiederte, „nein!“ ſo ward er verurtheilt, mit gluͤhenden Zangen von Schinderknechten gekniffen, geviertheilt, und ſein Koͤrper, zwiſchen Rad und Galgen, verbrannt zu werden.
So ſtanden die Sachen fuͤr den armen Kohlhaas in Dresden, als der Kurfuͤrſt von Brandenburg zu ſeiner Rettung aus den Haͤnden der Uebermacht und Willkuͤr auftrat, und ihn, in einer bei der kurfuͤrſtlichen Staatskanzlei daſelbſt eingereichten Note, als brandenburgiſchen Unterthan reclamirte. Denn der wackere Stadt157hauptmann, Herr Heinrich von Geuſau, hatte ihn, auf einem Spaziergange an den Ufern der Spree, von der Geſchichte dieſes ſonderbaren und nicht verwerflichen Mannes unterrichtet, bei welcher Gelegenheit er von den Fragen des erſtaunten Herrn gedraͤngt, nicht umhin konnte, der Schuld zu erwaͤhnen, die durch die Unziemlichkeiten ſeines Erzkanzlers, des Grafen Siegfried von Kallheim, ſeine eigene Perſon druͤckte: woruͤber der Kurfuͤrſt ſchwer entruͤſtet, den Erzkanzler, nachdem er ihn zur Rede geſtellt und befunden, daß die Verwandtſchaft desſelben mit dem Hauſe derer von Tronka an allem Schuld ſey, ohne Weiteres, mit mehreren Zeichen ſeiner Ungnade entſetzte, und den Herrn Heinrich von Geuſau zum Erzkanzler ernannte.
Es traf ſich aber, daß die Krone Pohlen grade damals, indem ſie mit dem Hauſe Sachſen, um welchen Gegenſtandes willen wiſſen wir nicht, im Streit lag, den Kurfuͤrſten von Brandenburg, in wiederholten und dringenden Vorſtellungen anging, ſich mit ihr in gemeinſchaftlicher Sache gegen das Haus 158Sachſen zu verbinden; dergeſtalt, daß der Erzkanzler, Herr Geuſau, der in ſolchen Dingen nicht ungeſchickt war, wohl hoffen durfte, den Wunſch ſeines Herrn, dem Kohlhaas, es koſte was es wolle, Gerechtigkeit zu verſchaffen, zu erfuͤllen, ohne die Ruhe des Ganzen auf eine mißlichere Art, als die Ruͤckſicht auf einen Einzelnen erlaubt, aufs Spiel zu ſetzen. Demnach forderte der Erzkanzler nicht nur wegen gaͤnzlich willkuͤrlichen, Gott und Menſchen mißgefaͤlligen Verfahrens, die unbedingte und ungeſaͤumte Auslieferung des Kohlhaas, um denſelben, falls ihn eine Schuld druͤcke, nach brandenburgiſchen Geſetzen, auf Klageartikel, die der Dresdner Hof deshalb durch einen Anwald in Berlin anhaͤngig machen koͤnne, zu richten; ſondern er begehrte ſogar ſelbſt Paͤſſe fuͤr einen Anwald, den der Kurfuͤrſt nach Dresden zu ſchicken Willens ſey, um dem Kohlhaas, wegen der ihm auf ſaͤchſiſchem Grund und Boden abgenommenen Rappen und anderer himmelſchreienden Mißhandlungen und Gewaltthaten halber, gegen den Junker Wenzel von Tronka, Recht zu 159verſchaffen. Der Kaͤmmerer, Herr Kunz, der bei der Veraͤnderung der Staatsaͤmter in Sachſen zum Praͤſidenten der Staatskanzlei ernannt worden war, und der aus mancherlei Gruͤnden den Berliner Hof, in der Bedraͤngniß in der er ſich befand, nicht verletzen wollte, antwortete im Namen ſeines uͤber die eingegangene Note ſehr niedergeſchlagenen Herrn: „daß man ſich uͤber die Unfreundſchaftlichkeit und Unbilligkeit wundere, mit welcher man dem Hofe zu Dresden das Recht abſpraͤche, den Kohlhaas wegen Verbrechen, die er im Lande begangen, den Geſetzen gemaͤß zu richten, da doch weltbekant ſey, daß derſelbe ein betraͤchtliches Grundſtuͤck in der Hauptſtadt beſitze, und ſich ſelbſt in der Qualitaͤt als ſaͤchſiſchen Buͤrger gar nicht verlaͤugne. Doch da die Krone Pohlen bereits zur Ausfechtung ihrer Anſpruͤche einen Heerhaufen von fuͤnftauſend Mann an der Graͤnze von Sachſen zuſammenzog, und der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geuſau, erklaͤrte: „daß Kohlhaaſenbruͤck, der Ort, nach welchem der Roßhaͤndler heiße, im Brandenburgiſchen liege, und daß man die Voll160ſtreckung des uͤber ihn ausgeſprochenen Todesurtheils fuͤr eine Verletzung des Voͤlkerrechts halten wuͤrde:“ ſo rief der Kurfuͤrſt, auf den Rath des Kaͤmmerers, Herrn Kunz ſelbſt, der ſich aus dieſen diesem [emendiert] diesem [emendiert] diesem [emendiert] diesem [emendiert] Handel zuruͤckzuziehen wuͤnſchte, den Prinzen Chriſtiern von Meißen von ſeinen Guͤtern herbei, und entſchloß ſich, auf wenige Worte dieſes verſtaͤndigen Herrn, den Kohlhaas, der Forderung gemaͤß, an den Berliner Hof auszuliefern. Der Prinz, der obſchon mit den Unziemlichkeiten die vorgefallen waren, wenig zufrieden, die Leitung der Kohlhaaſiſchen Sache auf den Wunſch ſeines bedraͤngten Herrn, uͤbernehmen mußte, fragte ihn, auf welchen Grund er nunmehr den Roßhaͤndler bei dem Kammergericht zu Berlin verklagt wiſſen wolle; und da man ſich auf den leidigen Brief desſelben an den Nagelſchmidt, wegen der zweideutigen und unklaren Umſtaͤnde, unter welchen er geſchrieben war, nicht berufen konnte, der fruͤheren Pluͤnderungen und Einaͤſcherungen aber, wegen des Placats, worin ſie ihm vergeben worden waren, nicht erwaͤhnen durfte: ſo beſchloß der Kurfuͤrſt, 161der Majeſtaͤt des Kaiſers zu Wien einen Bericht uͤber den bewaffneten Einfall des Kohlhaas in Sachſen vorzulegen, ſich uͤber den Bruch des von ihm eingeſetzten oͤffentlichen Landfriedens zu beſchweren, und ſie, die allerdings durch keine Amneſtie gebunden war, anzuliegen, den Kohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch einen Reichsanklaͤger zur Rechenſchaft zu ziehen. Acht Tage darauf ward der Roßkamm durch den Ritter Friedrich von Malzahn, den der Kurfuͤrſt von Brandenburg mit ſechs Reutern nach Dresden geſchickt hatte, geſchloſſen wie er war, auf einen Wagen geladen, und mit ſeinen fuͤnf Kindern, die man auf ſeine Bitte aus Findel- und Waiſenhaͤuſern wieder zuſammengeſucht hatte, nach Berlin transportirt. Es traf ſich daß der Kurfuͤrſt von Sachſen auf die Einladung des Landdroſts, Grafen Aloyſius von Kallheim, der damals an der Graͤnze von Sachſen betraͤchtliche Beſitzungen hatte, in Geſellſchaft des Kaͤmmerers, Herrn Kunz, und ſeiner Gemahlin, der Dame Heloiſe, Tochter des Landdroſts und Schweſter des Praͤſidenten, andrer glaͤnzenden 162Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei waren, nicht zu erwaͤhnen, zu einem großen Hirſchjagen, das man, um ihn zu erheitern, angeſtellt hatte, nach Dahme gereiſt war; dergeſtalt, daß unter dem Dach bewimpelter Zelte, die quer uͤber die Straße auf einem Huͤgel erbaut waren, die ganze Geſellſchaft vom Staub der Jagd noch bedeckt unter dem Schall einer heitern vom Stamm einer Eiche herſchallenden Muſik, von Pagen bedient und Edelknaben, an der Tafel ſaß, als der Roßhaͤndler langſam mit ſeiner Reuterbedeckung die Straße von Dresden daher gezogen kam. Denn die Erkrankung eines der kleinen, zarten Kinder des Kohlhaas, hatte den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete, genoͤthigt, drei Tage lang in Herzberg zuruͤckzubleiben; von welcher Maaßregel er, dem Fuͤrſten dem er diente deshalb allein verantwortlich, nicht noͤthig befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere Kenntniß zu geben. Der Kurfuͤrſt, der mit halboffener Bruſt, den Federhuth, nach Art der Jaͤger, mit Tannenzweigen geſchmuͤckt, neben der Dame Heloiſe ſaß, die, in 163Zeiten fruͤherer Jugend, ſeine erſte Liebe geweſen war, ſagte von der Anmuth des Feſtes, das ihn umgaukelte, heiter geſtimmt: „Laſſet uns hingehen, und dem Ungluͤcklichen, wer es auch ſey, dieſen Becher mit Wein reichen!“Die Dame Heloiſe, mit einem herrlichen Blick auf ihn, ſtand ſogleich auf, und fuͤllte, die ganze Tafel pluͤndernd, ein ſilbernes Geſchirr, das ihr ein Page reichte, mit Fruͤchten, Kuchen und Brod an; und ſchon hatte, mit Erquickungen jeglicher Art, die ganze Geſellſchaft wimmelnd das Zelt verlaſſen, als der Landdroſt ihnen mit einem verlegenen Geſicht entgegen kam, und ſie bat zuruͤckzubleiben. Auf die betretene Frage des Kurfuͤrſten was vorgefallen waͤre, daß er ſo beſtuͤrzt ſey? antwortete der Landdroſt ſtotternd gegen den Kaͤmmerer gewandt, daß der Kohlhaas im Wagen ſey; auf welche jedermann unbegreifliche Nachricht, indem weltbekannt war, daß derſelbe bereits vor ſechs Tagen abgereiſt war, der Kaͤmmerer, Herr Kunz, ſeinen Becher mit Wein nahm, und ihn, mit einer Ruͤckwendung gegen das Zelt, in den Sand ſchuͤttete. Der Kurfuͤrſt 164ſetzte, uͤber und uͤber roth, den ſeinigen auf einen Teller, den ihm ein Edelknabe auf den Wink des Kaͤmmerers zu dieſem Zweck vorhielt; und waͤhrend der Ritter Friedrich von Malzahn, unter ehrfurchtsvoller Begruͤßung der Geſellſchaft, die er nicht kannte, langſam durch die Zeltleinen, die uͤber die Straße liefen, nach Dahme weiter zog, begaben ſich die Herrſchaften, auf die Einladung des Landdroſts, ohne weiter davon Notiz zu nehmen, ins Zelt zuruͤck. Der Landdroſt, ſobald ſich der Kurfuͤrſt niedergelaſſen hatte, ſchickte unter der Hand nach Dahme, um bei dem Magiſtrat daſelbſt die unmittelbare Weiterſchaffung des Roßhaͤndlers bewirken zu laſſen; doch da der Ritter, wegen bereits zu weit vorgeruͤckter Tageszeit, beſtimmt in dem Ort uͤbernachten zu wollen erklaͤrte, ſo mußte man ſich begnuͤgen, ihn in einer dem Magiſtrat zugehoͤrigen Meierei, die, in Gebuͤſchen verſteckt, auf der Seite lag, geraͤuſchlos unterzubringen. Nun begab es ſich, daß gegen Abend, da die Herrſchaften vom Wein und dem Genuß eines uͤppigen Nachtiſches zerſtreut, den ganzen Vorfall wieder vergeſſen hat165ten, der Landdroſt den Gedanken auf die Bahn brachte, ſich noch einmal, eines Rudels Hirſche wegen, der ſich hatte blicken laſſen, auf den Anſtand zu ſtellen; welchen Vorſchlag die ganze Geſellſchaft mit Freuden ergriff, und Paarweiſe nachdem ſie ſich mit Buͤchſen verſorgt, uͤber Graͤben und Hecken in die nahe Forſt eilte: dergeſtalt, daß der Kurfuͤrſt und die Dame Heloiſe, die ſich, um dem Schauſpiel beizuwohnen, an ſeinen Arm hing, von einem Boten, den man ihnen zugeordnet hatte, unmittelbar, zu ihrem Erſtaunen, durch den Hof des Hauſes gefuͤhrt wurden, in welchem Kohlhaas mit den brandenburgiſchen Reutern befindlich war. Die Dame als ſie dies hoͤrte, ſagte: „kommt, gnaͤdigſter Herr, kommt!“ und verſteckte die Kette, die ihm vom Halſe herabhing, ſchaͤkernd in ſeinen ſeidenen Bruſtlatz: „laßt uns ehe der Troß nachkoͤmmt in die Meierei ſchleichen, und den wunderlichen Mann, der darin uͤbernachtet, betrachten!“ Der Kurfuͤrſt, indem er erroͤthend ihre Hand ergriff, ſagte: Heloiſe! was faͤllt euch ein? Doch da ſie, indem ſie ihn betreten 166anſah, verſetzte: „daß ihn ja in der Jaͤgertracht, die ihn decke, kein Menſch erkenne!“ und ihn fortzog; und in eben dieſem Augenblick ein Paar Jagdjunker, die ihre Neugierde ſchon befriedigt hatten, aus dem Hauſe heraustraten, verſichernd, daß in der That, vermoͤge einer Veranſtaltung, die der Landdroſt getroffen, weder der Ritter noch der Roßhaͤndler wiſſe, welche Geſellſchaft in der Gegend von Dahme verſammelt ſey; ſo druͤckte der Kurfuͤrſt ſich den Huth laͤchelnd in die Augen, und ſagte: „Thorheit, du regierſt die Welt, und dein Sitz iſt ein ſchoͤner weiblicher Mund!“ — Es traf ſich daß Kohlhaas eben mit dem Ruͤcken gegen die Wand auf einem Bund Stroh ſaß, und ſein, ihm in Herzberg erkranktes Kind mit Semmel und Milch fuͤtterte, als die Herrſchaften, um ihn zu beſuchen, in die Meierei traten; und da die Dame ihn, um ein Geſpraͤch einzuleiten, fragte: wer er ſey? und was dem Kinde fehle? auch was er verbrochen und wohin man ihn unter ſolcher Bedeckung abfuͤhre? ſo ruͤckte er ſeine lederne Muͤtze vor ihr, und gab ihr auf alle dieſe Fragen, indem er ſein Geſchaͤft 167fortſetzte, unreichliche aber befriedigende Antwort. Der Kurfuͤrſt, der hinter den Jagdjunkern ſtand, und eine kleine bleierne Kapſel, die ihm an einem ſeidenen Faden vom Hals herabhing, bemerkte, fragte ihn, da ſich grade nichts Beſſeres zur Unterhaltung darbot: was dieſe zu bedeuten haͤtte und was darin befindlich waͤre?Kohlhaas erwiderte: „ja, geſtrenger Herr, dieſe Kapſel!“ — und damit ſtreifte er ſie vom Nacken ab, oͤffnete ſie und nahm einen kleinen mit Mundlack verſiegelten Zettel heraus — „mit dieſer Kapſel hat es eine wunderliche Bewandniß! Sieben Monden moͤgen es etwa ſeyn, genau am Tage nach dem Begraͤbniß meiner Frau; und von Kohlhaaſenbruͤck, wie euch vielleicht bekannt ſeyn wird, war ich aufgebrochen, um des Junkers von Tronka, der mir viel Unrecht zugefuͤgt, habhaft zu werden, als um einer Verhandlung willen, die mir unbekannt iſt, der Kurfuͤrſt von Sachſen und der Kurfuͤrſt von Brandenburg in Juͤterbock, einem Marktflecken, durch den der Streifzug mich fuͤhrte, eine Zuſammenkunft hielten; und da ſie ſich gegen 168Abend ihren Wuͤnſchen gemaͤß vereinigt hatten, ſo gingen ſie, in freundſchaftlichem Geſpraͤch, durch die Straßen der Stadt, um den Jahrmarkt, der eben darin froͤhlich abgehalten ward, in Augenſchein zu nehmen. Da trafen ſie auf eine Zigeunerin, die, auf einem Schemel ſitzend, dem Volk, das ſie umringte, aus dem Kalender wahrſagte, und fragten ſie ſcherzhafter Weiſe: ob ſie ihnen nicht auch etwas, das ihnen lieb waͤre, zu eroͤffnen haͤtte? Ich, der mit meinem Haufen eben in einem Wirthshauſe abgeſtiegen, und auf dem Platz, wo dieſer Vorfall ſich zutrug, gegenwaͤrtig war, konnte hinter allem Volk, am Eingang einer Kirche, wo ich ſtand, nicht vernehmen, was die wunderliche Frau den Herren ſagte; dergeſtalt, daß, da die Leute lachend einander zufluͤſterten, ſie theile nicht jedermann ihre Wiſſenſchaft mit, und ſich des Schauſpiels wegen das ſich bereitete, ſehr bedraͤngten, ich, weniger neugierig, in der That, als um den Neugierigen Platz zu machen, auf eine Bank ſtieg, die hinter mir im Kircheneingange ausgehauen war. Kaum hatte ich von dieſem Standpunkt 169aus, mit voͤlliger Freiheit der Ausſicht, die Herrſchaften und das Weib, das auf dem Schemel vor ihnen ſaß und etwas aufzukritzeln ſchien, erblickt: da ſteht ſie ploͤtzlich auf ihre Kruͤcken gelehnt, indem ſie ſich im Volk umſieht, auf; faßt mich, der nie ein Wort mit ihr wechſelte, noch ihrer Wiſſenſchaft Zeit ſeines Lebens begehrte, ins Auge; draͤngt ſich durch den ganzen dichten Auflauf der Menſchen zu mir heran und ſpricht: „da! wenn es der Herr wiſſen will, ſo mag er dich danach fragen!“ Und damit, geſtrenger Herr, reichte ſie mir mit ihren duͤrren knoͤchernen Haͤnden dieſen Zettel dar. Und da ich betreten, waͤhrend ſich alles Volk zu mir umwendet, ſpreche: Muͤtterchen, was auch verehrſt du mir da? antwortet ſie, nach vielem unvernehmlichen Zeug, worunter ich jedoch zu meinem großen Befremden meinen Namen hoͤre: „ein Amulet, Kohlhaas, der Roßhaͤndler; verwahr’ es wohl, es wird dir dereinſt das Leben retten!“ und verſchwindet. — Nun!“ fuhr Kohlhaas gutmuͤthig fort: „die Wahrheit zu geſtehen, hats mir in Dresden, ſo ſcharf es herging, 170das Leben nicht gekoſtet; und wie es mir in Berlin gehen wird, und ob ich auch dort damit beſtehen werde, ſoll die Zukunft lehren.“ — Bei dieſen Worten ſetzte ſich der Kurfuͤrſt auf eine Bank; und ob er ſchon auf die betretne Frage der Dame: was ihn fehle? antwortete: nichts, gar nichts! ſo fiel er doch ſchon ohnmaͤchtig auf den Boden nieder, ehe ſie noch Zeit hatte ihm beizuſpringen, und in ihre Arme aufzunehmen. Der Ritter von Malzahn, der in eben dieſem Augenblick, eines Geſchaͤfts halber, ins Zimmer trat, ſprach: heiliger Gott! was fehlt dem Herrn? die Dame rief: ſchafft Waſſer her! Die Jagdjunker hoben ihn auf und trugen ihn auf ein im Nebenzimmer befindliches Bett; und die Beſtuͤrzung erreichte ihren Gipfel, als der Kaͤmmerer, den ein Page herbeirief, nach mehreren vergeblichen Bemuͤhungen, ihn ins Leben zuruͤckzubringen, erklaͤrte: er gebe alle Zeichen von ſich, als ob ihn der Schlag geruͤhrt! Der Landdroſt, waͤhrend der Mundſchenk einen reitenden Boten nach Luckau ſchickte, um einen Arzt herbeizuholen, ließ ihn, da er die Augen 171aufſchlug, in einen Wagen bringen, und Schritt vor Schritt nach ſeinem in der Gegend befindlichen Jagdſchloß abfuͤhren; aber dieſe Reiſe zog ihm, nach ſeiner Ankunft daſelbſt, zwei neue Ohnmachten zu: dergeſtalt, daß er ſich erſt ſpaͤt am andern Morgen, bei der Ankunft des Arztes aus Luckau, unter gleichwohl entſcheidenden Symptomen eines herannahenden Nervenfiebers, einigermaßen erholte. Sobald er ſeiner Sinne maͤchtig geworden war, richtete er ſich halb im Bette auf, und ſeine erſte Frage war gleich: wo der Kohlhaas ſey? Der Kaͤmmerer, der ſeine Frage mißverſtand, ſagte, indem er ſeine Hand ergriff: daß er ſich dieſes entſetzlichen Menſchen wegen beruhigen moͤgte, indem derſelbe, ſeiner Beſtimmung gemaͤß, nach jenem ſonderbaren und unbegreiflichen Vorfall, in der Meierei zu Dahme, unter brandenburgiſcher Bedeckung, zuruͤckgeblieben waͤre. Er fragte ihn, unter der Verſicherung ſeiner lebhafteſten Theilnahme und der Betheurung, daß er ſeiner Frau, wegen des unverantwortlichen Leichtſinns, ihn mit dieſem Mann zuſammenzubringen, die bitter172ſten Vorwuͤrfe gemacht haͤtte: was ihn denn ſo wunderbar und ungeheuer in der Unterredung mit demſelben ergriffen haͤtte? Der Kurfuͤrſt ſagte: er muͤſſe ihm nur geſtehen, daß der Anblick eines nichtigen Zettels, den der Mann in einer bleiernen Kapſel mit ſich fuͤhre, Schuld an dem ganzen unangenehmen Zufall ſey, der ihm zugeſtoßen. Er ſetzte noch mancherlei zur Erklaͤrung dieſes Umſtands, das der Kaͤmmerer nicht verſtand, hinzu; verſicherte ihn ploͤtzlich, indem er ſeine Hand zwiſchen die ſeinigen druͤckte, daß ihm der Beſitz dieſes Zettels von der aͤußerſten Wichtigkeit ſey; und bat ihn, unverzuͤglich aufzuſitzen, nach Dahme zu reiten, und ihm den Zettel, um welchen Preis es immer ſey, von demſelben zu erhandeln. Der Kaͤmmerer, der Muͤhe hatte, ſeine Verlegenheit zu verbergen, verſicherte ihn: daß, falls dieſer Zettel einigen Werth fuͤr ihn haͤtte, nichts auf der Welt nothwendiger waͤre, als dem Kohlhaas dieſen Umſtand zu verſchweigen; indem, ſobald derſelbe durch eine unvorſichtige Aeußerung Kenntniß davon naͤhme, alle Reichthuͤmer, die er beſaͤße, 173nicht hinreichen wuͤrden, ihn aus den Haͤnden dieſes grimmigen, in ſeiner Rachſucht unerſaͤttlichen Kerls zu erkaufen. Er fuͤgte, um ihn zu beruhigen, hinzu, daß man auf ein anderes Mittel denken muͤſſe, und daß es vielleicht durch Liſt, vermoͤge eines Dritten ganz Unbefangenen, indem der Boͤſewicht wahrſcheinlich, an und fuͤr ſich, nicht ſehr daran haͤnge, moͤglich ſeyn wuͤrde, ſich den Beſitz des Zettels, an dem ihm ſo viel gelegen ſei, zu verſchaffen. Der Kurfuͤrſt, indem er ſich den Schweiß abtrocknete, fragte: ob man nicht unmittelbar zu dieſem Zweck nach Dahme ſchicken, und den weiteren Transport des Roßhaͤndlers, vorlaͤufig, bis man des Blattes, auf welche Weiſe es ſey, habhaft geworden, einſtellen koͤnne? Der Kaͤmmerer, der ſeinen Sinnen nicht traute, verſetzte: daß leider allen wahrſcheinlichen Berechnungen zufolge, der Roßhaͤndler Dahme bereits verlaſſen haben, und ſich jenſeits der Graͤnze, auf brandenburgiſchem Grund und Boden befinden muͤſſe, wo das Unternehmen, die Fortſchaffung desſelben zu hemmen, oder wohl gar ruͤckgaͤngig zu machen, die 174unangenehmſten und weitlaͤuftigſten, ja ſolche Schwierigkeiten, die vielleicht gar nicht zu beſeitigen waͤren, veranlaſſen wuͤrde. Er fragte ihn, da der Kurfuͤrſt ſich ſchweigend, mit der Gebaͤhrde eines ganz Hoffnungsloſen, auf das Kiſſen zuruͤcklegte: was denn der Zettel enthalte? und durch welchen Zufall befremdlicher und unerklaͤrlicher Art ihm, daß der Inhalt ihn betreffe, bekannt ſey? Hierauf aber, unter zweideutigen Blicken auf den Kaͤmmerer, deſſen Willfaͤhrigkeit er in dieſem Falle mißtraute, antwortete der Kurfuͤrſt nicht: ſtarr, mit unruhig klopfendem Herzen lag er da, und ſah auf die Spitze des Schnupftuchs nieder, das er gedankenvoll zwiſchen den Haͤnden hielt; und bat ihn ploͤtzlich, den Jagdjunker vom Stein, einen jungen, ruͤſtigen und gewandten Herrn, deſſen er ſich oͤfter ſchon zu geheimen Geſchaͤften bedient hatte, unter dem Vorwand, daß er ein anderweitiges Geſchaͤft mit ihm abzumachen habe, ins Zimmer zu rufen. Den Jagdjunker, nachdem er ihm die Sache auseinandergelegt, und von der Wichtigkeit des Zettels, in deſſen Beſitz der Kohlhaas 175war, unterrichtet hatte, fragte er, ob er ſich ein ewiges Recht auf ſeine Freundſchaft erwerben, und ihm den Zettel, noch ehe derſelbe Berlin erreicht, verſchaffen wolle? und da der Junker, ſobald er das Verhaͤltniß nur, ſonderbar wie es war, einigermaßen uͤberſchaute, verſicherte, daß er ihm mit allen ſeinen Kraͤften zu Dienſten ſtehe: ſo trug ihm der Kurfuͤrſt auf, dem Kohlhaas nachzureiten, und ihm, da demſelben mit Geld wahrſcheinlich nicht beizukommen ſey, in einer mit Klugheit angeordneten Unterredung, Freiheit und Leben dafuͤr anzubieten, ja ihm, wenn er darauf beſtehe, unmittelbar, obſchon mit Vorſicht, zur Flucht aus den Haͤnden der brandenburgiſchen Reuter, die ihn transportirten, mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen. Der Jagdjunker, nachdem er ſich ein Blatt von der Hand des Kurfuͤrſten zur Beglaubigung ausgebeten, brach auch ſogleich mit einigen Knechten auf, und hatte, da er den Odem der Pferde nicht ſparte, das Gluͤck, den Kohlhaas auf einem Graͤnzdorf zu treffen, wo derſelbe mit dem Ritter von Malzahn und ſeinen 176fuͤnf Kindern ein Mittagsmahl, das im Freien vor der Thuͤr eines Hauſes angerichtet war, zu ſich nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der Junker ſich als einen Fremden, der bei ſeiner Durchreiſe den ſeltſamen Mann, den er mit ſich fuͤhre, in Augenſchein zu nehmen wuͤnſche, vorſtellte, noͤthigte ihn ſogleich auf zuvorkommende Art, indem er ihn mit dem Kohlhaas bekannt machte, an der Tafel nieder; und da der Ritter in Geſchaͤften der Abreiſe ab und zuging, die Reuter aber an einem, auf des Hauſes anderer Seite befindlichen Tiſch, ihre Mahlzeit hielten: ſo traf ſich die Gelegenheit bald, wo der Junker dem Roßhaͤndler eroͤffnen konnte, wer er ſey, und in welchen beſonderen Auftraͤgen er zu ihm komme. Der Roßhaͤndler, der bereits Rang und Namen deſſen, der beim Anblick der in Rede ſtehenden Kapſel, in der Meierei zu Dahme in Ohnmacht gefallen war, kannte, und der zur Kroͤnung des Taumels, in welchen ihn dieſe Entdeckung verſetzt hatte, nichts bedurfte, als Einſicht in die Geheimniſſe des Zettels, den er, um mancherlei Gruͤnde willen, entſchloſſen war, 177aus bloßer Neugierde nicht zu eroͤffnen: der Roßhaͤndler ſagte, eingedenk der unedelmuͤthigen und unfuͤrſtlichen Behandlung, die er in Dresden, bei ſeiner gaͤnzlichen Bereitwilligkeit, alle nur moͤglichen Opfer zu bringen, hatte erfahren muͤſſen: „daß er den Zettel behalten wolle.“ Auf die Frage des Jagdjunkers: was ihn zu dieſer ſonderbaren Weigerung, da man ihm doch nichts Minderes, als Freiheit und Leben dafuͤr anbiete, veranlaſſe? antwortete Kohlhaas: „Edler Herr! Wenn euer Landesherr kaͤme, und ſpraͤche, ich will mich, mit dem ganzen Troß derer, die mir das Scepter fuͤhren helfen, vernichten — vernichten, verſteht ihr, welches allerdings der groͤßeſte Wunſch iſt, den meine Seele hegt: ſo wuͤrde ich ihm doch den Zettel noch, der ihm mehr werth iſt, als das Daſeyn, verweigern und ſprechen: du kannſt mich auf das Schaffot bringen, ich aber kann dir weh thun, und ich will’s!“ Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen Reuter herbei, unter der Aufforderung, ein gutes Stuͤck Eſſen, das in der Schuͤſſel uͤbrig ge178blieben war, zu ſich zu nehmen; und fuͤr den ganzen Reſt der Stunde, die er im Flecken zubrachte, fuͤr den Junker, der an der Tafel ſaß, wie nicht vorhanden, wandte er ſich erſt wieder, als er den Wagen beſtieg, mit einem Blick, der ihn abſchiedlich gruͤßte, zu ihm zuruͤck. — Der Zuſtand des Kurfuͤrſten, als er dieſe Nachricht bekam, verſchlimmerte ſich in dem Grade, daß der Arzt, waͤhrend drei verhaͤngnißvoller Tage, ſeines Lebens wegen, das zugleicher zu gleicher [emendiert] zu gleicher [emendiert] Zeit, von ſo vielen Seiten angegriffen ward, in der groͤßeſten Beſorgniß war. Gleichwohl ſtellte er ſich, durch die Kraft ſeiner natuͤrlichen Geſundheit, nach dem Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wochen wieder her; dergeſtalt wenigſtens, daß man ihn in einen Wagen bringen, und mit Kiſſen und Decken wohl verſehen, nach Dresden zu ſeinen Regierungsgeſchaͤften wieder zuruͤckfuͤhren konnte. Sobald er in dieſer Stadt angekommen war, ließ er den Prinzen Chriſtiern von Meißen rufen, und fragte denſelben: wie es mit der Abfertigung des Gerichtsraths Eibenmayer ſtuͤnde, den man, als Anwald in der Sache des Kohl179haas, nach Wien zu ſchicken geſonnen geweſen waͤre, um kaiſerlicher Majeſtaͤt daſelbſt die Beſchwerde wegen gebrochenen, kaiſerlichen Landfriedens, vorzulegen? Der Prinz antwortete ihm: daß derſelbe, dem, bei ſeiner Abreiſe nach Dahme hinterlaſſenen Befehl gemaͤß, gleich nach Ankunft des Rechtsgelehrten Zaͤuner, den der Kurfuͤrſt von Brandenburg als Anwald nach Dresden geſchickt haͤtte, um die Klage desſelben, gegen den Junker Wenzel von Tronka, der Rappen wegen, vor Gericht zu bringen, nach Wien abgegangen waͤre. Der Kurfuͤrſt, indem er erroͤthend an ſeinen Arbeitstiſch trat, wunderte ſich uͤber dieſe Eilfertigkeit, indem er ſeines Wiſſens erklaͤrt haͤtte, die definitive Abreiſe des Eibenmayer, wegen vorher nothwendiger Ruͤckſprache mit dem Doctor Luther, der dem Kohlhaas die Amneſtie ausgewirkt, einem naͤheren und beſtimmteren Befehl vorbehalten zu wollen. Dabei warf er einige Briefſchaften und Acten, die auf dem Tiſch lagen, mit dem Ausdruck zuruͤckgehaltenen Unwillens, uͤber einander. Der Prinz, nach einer Pauſe, in welcher er ihn mit 180großen Augen anſah, verſetzte, daß es ihm leid thaͤte, wenn er ſeine Zufriedenheit in dieſer Sache verfehlt habe; inzwiſchen koͤnne er ihm den Beſchluß des Staatsraths vorzeigen, worin ihm die Abſchickung des Rechtsanwalds, zu dem beſagten Zeitpunkt, zur Pflicht gemacht worden waͤre. Er ſetzte hinzu, daß im Staatsrath von einer Ruͤckſprache mit dem Doctor Luther, auf keine Weiſe die Rede geweſen waͤre; daß es fruͤherhin vielleicht zweckmaͤßig geweſen ſeyn moͤchte, dieſen geiſtlichen Herrn, wegen der Verwendung, die er dem Kohlhaas angedeihen laſſen, zu beruͤckſichtigen, nicht aber jetzt mehr, nachdem man demſelben die Amneſtie vor den Augen der ganzen Welt gebrochen, ihn arretirt, und zur Verurtheilung und Hinrichtung an die brandenburgiſchen Gerichte ausgeliefert haͤtte. Der Kurfuͤrſt ſagte: das Verſehen, den Eibenmayer abgeſchickt zu haben, waͤre auch in der That nicht groß; inzwiſchen wuͤnſche er, daß derſelbe vorlaͤufig, bis auf weiteren Befehl, in ſeiner Eigenſchaft als Anklaͤger zu Wien nicht auftraͤte, und bat den Prinzen, deshalb das Erforderliche unver181zuͤglich durch einen Expreſſen, an ihn zu erlaſſen. Der Prinz antwortete: daß dieſer Befehl leider um einen Tag zu ſpaͤt kaͤme, indem der Eibenmayer bereits nach einem Berichte, der eben heute eingelaufen, in ſeiner Qualitaͤt als Anwald aufgetreten, und mit Einreichung der Klage bei der Wiener Staatskanzlei vorgegangen waͤre. Er ſetzte auf die betroffene Frage des Kurfuͤrſten: wie dies uͤberall in ſo kurzer Zeit moͤglich ſey? hinzu: daß bereits, ſeit der Abreiſe dieſes Mannes drei Wochen verſtrichen waͤren, und daß die Inſtruktion, die er erhalten, ihm eine ungeſaͤumte Abmachung dieſes Geſchaͤfts, gleich nach ſeiner Ankunft in Wien zur Pflicht gemacht haͤtte. Eine Verzoͤgerung, bemerkte der Prinz, wuͤrde in dieſem Fall um ſo unſchicklicher geweſen ſeyn, da der brandenburgiſche Anwald Zaͤuner, gegen den Junker Wenzel von Tronka mit dem trotzigſten Nachdruck verfahre, und bereits auf eine vorlaͤufige Zuruͤckziehung der Rappen, aus den Haͤnden des Abdeckers, behufs ihrer kuͤnftigen Wiederherſtellung, bei dem Gerichtshof angetragen, und auch aller Einwendungen 182 der Gegenpart ungeachtet, auch durchgeſetzt habe. Der Kurfuͤrſt, indem er die Klingel zog, ſagte: „gleichviel! es haͤtte nichts zu bedeuten!“ und nachdem er ſich mit gleichguͤltigen Fragen: wie es ſonſt in Dresden ſtehe? und was in ſeiner Abweſenheit vorgefallen ſey?“ zu dem Prinzen zuruͤckgewandt hatte: gruͤßte er ihn, unfaͤhig ſeinen innerſten Zuſtand zu verbergen, mit der Hand, und entließ ihn. Er forderte ihm noch an demſelben Tage ſchriftlich, unter dem Vorwande, daß er die Sache, ihrer politiſchen Wichtigkeit wegen, ſelbſt bearbeiten wolle, die ſaͤmmtlichen Kohlhaaſiſchen Acten ab; und da ihm der Gedanke, denjenigen zu verderben, von dem er allein uͤber die Geheimniſſe des Zettels Auskunft erhalten konnte, unertraͤglich war: ſo verfaßte er einen eigenhaͤndigen Brief an den Kaiſer, worin er ihn auf herzliche und dringende Weiſe bat, aus wichtigen Gruͤnden, die er ihm vielleicht in kurzer Zeit beſtimmter auseinander legen wuͤrde, die Klage, die der Eibenmayer gegen den Kohlhaas eingereicht, vorlaͤufig bis auf einen weiteren Beſchluß, zuruͤcknehmen zu duͤrfen. Der Kaiſer, 183in einer durch die Staatskanzelei ausgefertigten Note, antwortete ihm: „daß der Wechſel, der ploͤtzlich in ſeiner Bruſt vorgegangen zu ſeyn ſcheine, ihn aufs Aeußerſte befremde; daß der ſaͤchſiſcher Seits an ihn erlaſſene Bericht, die Sache des Kohlhaas zu einer Angelegenheit geſammten heiligen roͤmiſchen Reichs gemacht haͤtte; daß demgemaͤß er, der Kaiſer, als Oberhaupt desſelben, ſich verpflichtet geſehen haͤtte, als Anklaͤger in dieſer Sache bei dem Hauſe Brandenburg aufzutreten; dergeſtalt, daß da bereits der Hof-Aſſeſſor Franz Muͤller, in der Eigenſchaft als Anwald nach Berlin gegangen waͤre, um den Kohlhaas daſelbſt, wegen Verletzung des oͤffentlichen Landfriedens, zur Rechenſchaft zu ziehen, die Beſchwerde nunmehr auf keine Weiſe zuruͤckgenommen werden koͤnne, und die Sache den Geſetzen gemaͤß, ihren weiteren Fortgang nehmen muͤſſe.“ Dieſer Brief ſchlug den Kurfuͤrſten voͤllig nieder; und da, zu ſeiner aͤußerſten Betruͤbniß, in einiger Zeit Privatſchreiben aus Berlin einliefen, in welchen die Einleitung des Prozeſſes bei dem Kammerge184richt gemeldet, und bemerkt ward, daß der Kohlhaas wahrſcheinlich, allen Bemuͤhungen des ihm zugeordneten Advocaten ungeachtet, auf dem Schaffot enden werde: ſo beſchloß dieſer ungluͤckliche Herr noch einen Verſuch zu machen, und bat den Kurfuͤrſten von Brandenburg, in einer eigenhaͤndigen Zuſchrift, um des Roßhaͤndlers Leben. Er ſchuͤtzte vor, daß die Amneſtie, die man dieſem Manne angelobt, die Vollſtreckung eines Todesurtheils an demſelben, fuͤglicher Weiſe, nicht zulaſſe; verſicherte ihn, daß es, trotz der ſcheinbaren Strenge, mit welcher man gegen ihn verfahren, nie ſeine Abſicht geweſen waͤre, ihn ſterben zu laſſen; und beſchrieb ihm, wie troſtlos er ſeyn wuͤrde, wenn der Schutz, den man vorgegeben haͤtte, ihm von Berlin aus angedeihen laſſen zu wollen, zuletzt, in einer unerwarteten Wendung, zu ſeinem groͤßeren Nachtheile ausſchluͤge, als wenn er in Dresden geblieben, und ſeine Sache nach ſaͤchſiſchen Geſetzen entſchieden worden waͤre. Der Kurfuͤrſt von Brandenburg, dem in dieſer Angabe mancherlei zweideutig und unklar ſchien, antwortete ihm: 185„daß der Nachdruck, mit welchem der Anwald kaiſerlicher Majeſtaͤt verfuͤhre, platterdings nicht erlaube, dem Wunſch, den er ihm geaͤußert, gemaͤß, von der ſtrengen Vorſchrift der Geſetze abzuweichen. Er bemerkte, daß die ihm vorgelegte Beſorgniß in der That zu weit ginge, indem die Beſchwerde, wegen der dem Kohlhaas in der Amneſtie verziehenen Verbrechen ja nicht von ihm, der demſelben die Amneſtie ertheilt, ſondern von dem Reichsoberhaupt, das daran auf keine Weiſe gebunden ſey, bei dem Kammergericht zu Berlin anhaͤngig gemacht worden waͤre. Dabei ſtellte er ihm vor, wie nothwendig bei den fortdauernden Gewaltthaͤtigkeiten des Nagelſchmidt, die ſich ſogar ſchon, mit unerhoͤrter Dreiſtigkeit, bis aufs brandenburgiſche Gebiet erſtreckten, die Statuirung eines abſchreckenden Beiſpiels waͤre, und bat ihn, falls er dies Alles nicht beruͤckſichtigen wolle, ſich an des Kaiſers Majeſtaͤt ſelbſt zu wenden, indem, wenn dem Kohlhaas zu Gunſten ein Machtſpruch fallen ſollte, dieß allein auf eine Erklaͤrung von dieſer Seite her geſche186hen koͤnne.“ Der Kurfuͤrſt, aus Gram und Aerger uͤber alle dieſe mißgluͤckten Verſuche, verfiel in eine neue Krankheit; und da der Kaͤmmerer ihn an einem Morgen beſuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das Leben zu friſten, und ſomit wenigſtens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er beſaͤße, habhaft zu werden, an den Wiener und Berliner Hof erlaſſen. Der Kaͤmmerer warf ſich auf Knieen vor ihm nieder, und bat ihn, um Alles was ihm heilig und theuer ſey, ihm zu ſagen, was dieſer Zettel enthalte? Der Kurfuͤrſt ſprach, er moͤgte das Zimmer verriegeln, und ſich auf das Bett niederſetzen; und nachdem er ſeine Hand ergriffen, und mit einem Seufzer an ſein Herz gedruͤckt hatte, begann er folgendergeſtalt: „Deine Frau hat dir, wie ich hoͤre, ſchon erzaͤhlt, daß der Kurfuͤrſt von Brandenburg und ich, am dritten Tage der Zuſammenkunft, die wir in Juͤterbock hielten, auf eine Zigeunerinn trafen; und da der Kurfuͤrſt, aufgeweckt wie er von Natur iſt, beſchloß, den Ruf dieſer abentheuerlichen Frau, von deren Kunſt, eben bei der Tafel, auf187 ungebuͤhrliche Weiſe die Rede geweſen war, durch einen Scherz im Angeſicht alles Volks zu nichte zu machen: ſo trat er mit verſchraͤnkten Armen vor ihren Tiſch, und forderte, der Weisſagung wegen, die ſie ihm machen ſollte, ein Zeichen von ihr, das ſich noch heute erproben ließe, vorſchuͤtzend, daß er ſonſt nicht, und waͤre ſie auch die roͤmiſche Sybille ſelbſt, an ihre Worte glauben koͤnne. Die Frau, indem ſie uns fluͤchtig von Kopf zu Fuß maß, ſagte: das Zeichen wuͤrde ſeyn, daß uns der große, gehoͤrnte Rehbock, den der Sohn des Gaͤrtners im Park erzog, auf dem Markt, worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch verlaſſen, entgegenkommen wuͤrde. Nun mußt du wiſſen, daß dieſer, fuͤr die Dresdner Kuͤche beſtimmte Rehbock, in einem mit Latten hoch verzaͤunten Verſchlage, den die Eichen des Parks beſchatteten, hinter Schloß und Riegel aufbewahrt ward, dergeſtalt, daß, da uͤberdies anderen kleineren Wildes und Gefluͤgels wegen, der Park uͤberhaupt und obenein der Garten, der zu ihm fuͤhrte, in ſorgfaͤltigem Beſchluß gehalten ward, ſchlechterdings nicht abzuſehen 188war, wie uns das Thier, dieſem ſonderbaren Vorgeben gemaͤß, bis auf dem Platz, wo wir ſtanden, entgegen kommen wuͤrde; gleichwohl ſchickte der Kurfuͤrſt aus Beſorgniß vor einer dahinter ſteckenden Schelmerei, nach einer kurzen Abrede mit mir, entſchloſſen, auf unabaͤnderliche Weiſe, Alles was ſie noch vorbringen wuͤrde, des Spaßes wegen, zu Schanden zu machen, ins Schloß, und befahl, daß der Rehbock augenblicklich getoͤdtet, und fuͤr die Tafel, an einem der naͤchſten Tage, zubereitet werden ſolle. Hierauf wandte er ſich zu der Frau, vor welcher dieſe Sache laut verhandelt worden war, zuruͤck, und ſagte: nun, wohlan! was haſt du mir fuͤr die Zukunft zu entdecken? Die Frau, indem ſie in ſeine Hand ſah, ſprach: Heil meinem Kurfuͤrſten und Herrn! Deine Gnaden wird lange regieren, das Haus, aus dem du ſtammſt, lange beſtehen, und deine Nachkommen groß und herrlich werden und zu Macht gelangen, vor allen Fuͤrſten und Herren der Welt! Der Kurfuͤrſt, nach einer Pauſe, in welcher er die Frau gedankenvoll anſah, ſagte halblaut, 189mit einem Schritte, den er zu mir that, daß es ihm jetzo faſt Leid thaͤte, einen Boten abgeſchickt zu haben, um die Weisſagung zu nichte zu machen; und waͤhrend das Geld aus den Haͤnden der Ritter, die ihm folgten, der Frau haufenweis, unter vielem Jubel, in dem Schooß regnete, fragte er ſie, indem er ſelbſt in die Taſche griff, und ein Goldſtuͤck dazu legte: ob der Gruß, den ſie mir zu eroͤffnen haͤtte, auch von ſo ſilbernem Klang waͤre, als der ſeinige? Die Frau, nachdem ſie einen Kaſten, der ihr zur Seite ſtand, aufgemacht, und das Geld, nach Sorte und Menge, weitlaͤufig und umſtaͤndlich darin geordnet, und den Kaſten wieder verſchloſſen hatte, ſchuͤtzte ihre Hand vor die Sonne, gleichſam als ob ſie ihr laͤſtig waͤre, und ſah mich an; und da ich die Frage an ſie wiederholte, und, auf ſcherzhafte Weiſe, waͤhrend ſie meine Hand pruͤfte, zum Kurfuͤrſten ſagte: mir ſcheint es, hat ſie nichts, das eben angenehm waͤre, zu verkuͤndigen: ſo ergriff ſie ihre Kruͤcken, hob ſich langſam daran vom Schemel empor, und indem ſie ſich, mit geheimnißvoll vorgehaltenen 190Haͤnden, dicht zu mir heran draͤngte, fluͤſterte ſie mir vernehmlich ins Ohr: nein! — So! ſagt’ ich verwirrt, und trat einen Schritt vor der Geſtalt zuruͤck, die ſich, mit einem Blick, kalt und leblos, wie aus marmornen Augen, auf den Schemel, der hinter ihr ſtand, zuruͤckſetzte: von welcher Seite her droht meinem Hauſe Gefahr? Die Frau, indem ſie eine Kohle und ein Papier zur Hand nahm und ihre Knieen kreuzte, fragte: ob ſie es mir aufſchreiben ſolle? und da ich, verlegen in der That, bloß weil mir, unter den beſtehenden Umſtaͤnden, nichts anders uͤbrig blieb, antworte: antwortete: [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] antwortete: [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] ja! das thu! ſo verſetzte ſie: „wohlan! dreierlei ſchreib’ ich dir auf: den Namen des letzten Regenten deines Hauſes, die Jahrszahl, da er ſein Reich verlieren, und den Namen deſſen, der es, durch die Gewalt der Waffen, an ſich reißen wird.“ Dieß, vor den Augen allen Volks abgemacht, erhebt ſie ſich, verklebt den Zettel mit Lack, den ſie in ihrem welken Munde befeuchtet, und druͤckt einen bleiernen, an ihrem Mittelfinger befindlichen Siegelring darauf. Und da ich den Zettel,191 neugierig, wie du leicht begreifſt, mehr als Worte ſagen koͤnnen, erfaſſen will, ſpricht ſie: „mit nichten, Hoheit!“ und wendet ſich und hebt ihrer Kruͤcken Eine empor: „von jenem Mann dort, der, mit dem Federhuth, auf der Bank ſteht, hinter allem Volk, am Kircheneingang, loͤſeſt du, wenn es dir beliebt, den Zettel ein!“ Und damit, ehe ich noch recht begriffen, was ſie ſagt, auf dem Platz, vor Erſtaunen ſprachlos, laͤßt ſie mich ſtehen; und waͤhrend ſie den Kaſten, der hinter ihr ſtand, zuſammenſchlug, und uͤber den Ruͤcken warf, miſcht ſie ſich, ohne daß ich weiter bemerken konnte, was ſie thut, unter den Haufen des uns umringenden Volks. Nun trat, zu meinem in der That herzlichen Troſt, in eben dieſem Augenblick der Ritter auf, den der Kurfuͤrſt ins Schloß geſchickt hatte, und meldete ihm, mit lachendem Munde, daß der Rehbock getoͤdtet, und durch zwei Jaͤger, vor ſeinen Augen, in die Kuͤche geſchleppt worden ſey. Der Kurfuͤrſt, indem er ſeinen Arm munter in den meinigen legte, in der Abſicht, mich von dem Platz hinwegzufuͤhren, ſagte: nun, 192wohlan! ſo war die Prophezeihung eine alltaͤgliche Gaunerei, und Zeit und Gold, die ſie uns gekoſtet nicht werth! Aber wie groß war unſer Erſtaunen, da ſich, noch waͤhrend dieſer Worte, ein Geſchrei rings auf dem Platze erhob, und aller Augen ſich einem großen, vom Schloßhof herantrabenden Schlaͤchterhund zuwandten, der in der Kuͤche den Rehbock als gute Beute beim Nacken erfaßt, und das Thier drei Schritte von uns, verfolgt von Knechten und Maͤgden, auf den Boden fallen ließ: dergeſtalt, daß in der That die Prophezeihung des Weibes, zum Unterpfand alles deſſen, was ſie vorgebracht, erfuͤllt, und der Rehbock uns bis auf den Markt, obſchon allerdings todt, entgegen gekommen war. Der Blitz, der an einem Wintertag vom Himmel faͤllt, kann nicht vernichtender treffen, als mich dieſer Anblick, und meine erſte Bemuͤhung, ſobald ich der Geſellſchaft in der ich mich befand, uͤberhoben, war gleich, den Mann mit dem Federhuth, den mir das Weib bezeichnet hatte, auszumitteln; doch keiner meiner Leute, unausgeſetzt waͤhrend drei Tage auf 193Kundſchaft geſchickt, war im Stande mir auch nur auf die entfernteſte Weiſe Nachricht davon zu geben: und jetzt, Freund Kunz, vor wenig Wochen, in der Meierei zu Dahme, habe ich den Mann mit meinen eigenen Augen geſehn. — Und damit ließ er die Hand des Kaͤmmerers fahren; und waͤhrend er ſich den Schweiß abtrocknete, ſank er wieder auf das Lager zuruͤck. Der Kaͤmmerer, der es fuͤr vergebliche Muͤhe hielt, mit ſeiner Anſicht von dieſem Vorfall die Anſicht, die der Kurfuͤrſt davon hatte, zu durchkreuzen und zu berichtigen, bat ihn, doch irgend ein Mittel zu verſuchen, des Zettels habhaft zu werden, und den Kerl nachher ſeinem Schickſal zu uͤberlaſſen; doch der Kurfuͤrſt antwortete, daß er platterdings kein Mittel dazu ſaͤhe, obſchon der Gedanke, ihn entbehren zu muͤſſen, oder wohl gar die Wiſſenſchaft davon mit dieſem Menſchen untergehen zu ſehen, ihn dem Jammer und der Verzweiflung nahe braͤchte. Auf die Frage des Freundes: ob er denn Verſuche gemacht, die Perſon der Zigeunerin ſelbſt auszuforſchen? erwiederte der Kurfuͤrſt, daß das 194Gubernium, auf einen Befehl, den er unter einem falſchen Vorwand an dasſelbe erlaſſen, dieſem Weibe vergebens, bis auf den heutigen Tag, in allen Plaͤtzen des Kurfuͤrſtenthums nachſpuͤre: wobei er, aus Gruͤnden, die er jedoch naͤher zu entwickeln ſich weigerte, uͤberhaupt zweifelte, daß ſie in Sachſen auszumitteln ſey. Nun traf es ſich, daß der Kaͤmmerer, mehrerer betraͤchtlichen Guͤter wegen, die ſeiner Frau aus der Hinterlaſſenſchaft des abgeſetzten und bald darauf verſtorbenen Erzkanzlers, Grafen Kallheim, in der Neumark zugefallen waren, nach Berlin reiſen wollte; dergeſtalt, daß, da er den Kurfuͤrſten in der That liebte, er ihn nach einer kurzen Ueberlegung fragte: ob er ihm in dieſer Sache freie Hand laſſen wolle? und da dieſer, indem er ſeine Hand herzlich an ſeine Bruſt druͤckte, antwortete: „denke, du ſeyſt ich, und ſchaff mir den Zettel!“ ſo beſchleunigte der Kaͤmmerer, nachdem er ſeine Geſchaͤfte abgegeben, um einige Tage ſeine Abreiſe, und fuhr, mit Zuruͤcklaſſung ſeiner Frau, bloß von einigen Bedienten begleitet, nach Berlin ab.
195Kohlhaas, der inzwiſchen, wie ſchon geſagt, in Berlin angekommen, und, auf einen Specialbefehl des Kurfuͤrſten, in ein ritterliches Gefaͤngniß gebracht worden war, das ihn mit ſeinen fuͤnf Kindern, ſo bequem als es ſich thun ließ, empfing, war gleich nach Erſcheinung des kaiſerlichen Anwalds aus Wien, auf den Grund wegen Verletzung des oͤffentlichen, kaiſerlichen Landfriedens, vor den Schranken des Kammergerichts zur Rechenſchaft gezogen worden; und ob er ſchon in ſeiner Verantwortung einwandte, daß er wegen ſeines bewaffneten Einfalls in Sachſen, und der dabei veruͤbten Gewaltthaͤtigkeiten, kraft des mit dem Kurfuͤrſten von Sachſen zu Luͤtzen abgeſchloſſenen Vergleichs, nicht belangt werden koͤnne: ſo erfuhr er doch, zu ſeiner Belehrung, daß des Kaiſers Majeſtaͤt, deren Anwald hier die Beſchwerde fuͤhre, darauf keine Ruͤckſicht nehmen koͤnne: ließ ſich auch ſehr bald, da man ihm die Sache auseinander ſetzte und erklaͤrte, wie ihm dagegen von Dresden her, in ſeiner Sache gegen den Junker Wenzel von Tronka, voͤllige 196Genugthuung widerfahren werde, die Sache gefallen. Demnach traf es ſich, daß grade am Tage der Ankunft des Kaͤmmerers, das Geſetz uͤber ihn ſprach, und er verurtheilt ward mit dem Schwerdte vom Leben zum Tode gebracht zu werden; ein Urtheil, an deſſen Vollſtreckung gleichwohl, bei der verwickelten Lage der Dinge, ſeiner Milde ungeachtet, niemand glaubte, ja, das die ganze Stadt, bei dem Wohlwollen das der Kurfuͤrſt fuͤr den Kohlhaas trug, unfehlbar durch ein Machtwort desſelben, in eine bloße, vielleicht beſchwerliche und langwierige Gefaͤngnißſtrafe verwandelt zu ſehen hoffte. Der Kaͤmmerer, der gleichwohl einſah, daß keine Zeit zu verlieren ſeyn moͤgte, falls der Auftrag, den ihm ſein Herr gegeben, in Erfuͤllung gehen ſollte, fing ſein Geſchaͤft damit an, ſich dem Kohlhaas, am Morgen eines Tages, da derſelbe in harmloſer Betrachtung der Voruͤbergehenden, am Fenſter ſeines Gefaͤngniſſes ſtand, in ſeiner gewoͤhnlichen Hoftracht, genau und umſtaͤndlich zu zeigen; und da er, aus einer ploͤtzlichen Bewegung ſeines Kopfes, ſchloß, daß der Roßhaͤndler 197ihn bemerkt hatte, und beſonders, mit großem Vergnuͤgen, einen unwillkuͤrlichen Griff desſelben mit der Hand auf die Gegend der Bruſt, wo die Kapſel lag, wahrnahm: ſo hielt er das, was in der Seele desſelben in dieſem Augenblick vorgegangen war, fuͤr eine hinlaͤngliche Vorbereitung, um in dem Verſuch, des Zettels habhaft zu werden, einen Schritt weiter vorzuruͤcken. Er beſtellte ein altes, auf Kruͤcken herumwandelndes Troͤdelweib zu ſich, das er in den Straßen von Berlin, unter einem Troß andern, mit Lumpen handelnden Geſindels bemerkt hatte, und das ihm, dem Alter und der Tracht nach, ziemlich mit dem, das ihm der Kurfuͤrſt beſchrieben hatte, uͤbereinzuſtimmen ſchien; und in der Vorausſetzung, der Kohlhaas werde ſich die Zuͤge derjenigen, die ihm in einer fluͤchtigen Erſcheinung den Zettel uͤberreicht hatte, nicht eben tief eingepraͤgt haben, beſchloß er, das gedachte Weib ſtatt ihrer unterzuſchieben, und bei Kohlhaas, wenn es ſich thun ließe, die Rolle, als ob ſie die Zigeunerinn waͤre, ſpielen zu laſſen. Dem gemaͤß, um ſie dazu in Stand zu ſetzen, 198unterrichtete er ſie umſtaͤndlich von Allem, was zwiſchen dem Kurfuͤrſten und der gedachten Zigeunerinn in Juͤterbock vorgefallen war, wobei er, weil er nicht wußte, wie weit das Weib in ihren Eroͤffnungen gegen den Kohlhaas gegangen war, nicht vergaß, ihr beſonders die drei geheimnißvollen, in dem Zettel enthaltenen Artikel einzuſchaͤrfen; und nachdem er ihr auseinandergeſetzt hatte, was ſie, auf abgeriſſene und unverſtaͤndliche Weiſe, fallen laſſen muͤſſe, gewiſſer Anſtalten wegen, die man getroffen, ſey es durch Liſt oder durch Gewalt, des Zettels, der dem ſaͤchſiſchen Hofe von der aͤußerſten Wichtigkeit ſey, habhaft zu werden, trug er ihr auf, dem Kohlhaas den Zettel, unter dem Vorwand, daß derſelbe bei ihm nicht mehr ſicher ſey, zur Aufbewahrung waͤhrend einiger verhaͤngnißvollen Tage, abzufordern. Das Troͤdelweib uͤbernahm auch ſogleich gegen die Verheißung einer betraͤchtlichen Belohnung, wovon der Kaͤmmerer ihr auf ihre Forderung einen Theil im Voraus bezahlen mußte, die Ausfuͤhrung des beſagten Geſchaͤfts; und da die Mutter des bei 199Muͤhlberg gefallenen Knechts Herſe, den Kohlhaas, mit Erlaubniß der Regierung, zuweilen beſuchte, dieſe Frau ihr aber ſeit einigen Monden her, bekannt war: ſo gelang es ihr, an einem der naͤchſten Tage, vermittelſt einer kleinen Gabe an den Kerkermeiſter, ſich bei dem Roßkamm Eingang zu verſchaffen. — Kohlhaas aber, als dieſe Frau zu ihm eintrat, meinte, an einem Siegelring, den ſie an der Hand trug, und einer ihr vom Hals herabhangenden Corallenkette, die bekannte alte Zigeunerinn ſelbſt wieder zu erkennen, die ihm in Juͤterbock den Zettel uͤberreicht hatte; und wie denn die Wahrſcheinlichkeit nicht immer auf Seiten der Wahrheit iſt, ſo traf es ſich, daß hier etwas geſchehen war, das wir zwar berichten: die Freiheit aber, daran zu zweifeln, demjenigen, dem es wohlgefaͤllt, zugeſtehen muͤſſen: der Kaͤmmerer hatte den ungeheuerſten Mißgriff begangen, und in dem alten Troͤdelweib, das er in den Straßen von Berlin aufgriff, um die Zigeunerinn nachzuahmen, die geheimnißreiche Zigeunerinn ſelbſt getroffen, die er nachgeahmt wiſſen wollte. We200nigſtens berichtete das Weib, indem sie, auf ihre Kruͤcken gestuͤtzt, die Wangen der Kinder ſtreichelte, die ſich, betroffen von ihrem wunderlichen Anblick, an den Vater lehnten: daß ſie ſchon ſeit geraumer Zeit aus dem Saͤchſiſchen ins Brandenburgiſche zuruͤckgekehrt ſey, und ſich, auf eine, in den Straßen von Berlin unvorſichtig gewagte Frage des Kaͤmmerers, nach der Zigeunerinn, die im Fruͤhjahr des verfloſſenen Jahres, in Juͤterbock geweſen, ſogleich an ihn gedraͤngt, und, unter einem falſchen Namen, zu dem Geſchaͤfte, das er beſorgt wiſſen wollte, angetragen habe. Der Roßhaͤndler, der eine ſonderbare Aehnlichkeit zwiſchen ihr und ſeinem verſtorbenen Weibe Lisbeth bemerkte, dergeſtalt, daß er ſie haͤtte fragen koͤnnen, ob ſie ihre Großmutter ſey: denn nicht nur, daß die Zuͤge ihres Geſichts, ihre Haͤnde, auch in ihrem knoͤchernen Bau noch ſchoͤn, und beſonders der Gebrauch, den ſie davon im Reden machte, ihn aufs Lebhafteſte an ſie erinnerten: auch ein Mahl, womit ſeiner Frauen Hals bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen. Der 201Roßhaͤndler noͤthigte ſie, unter Gedanken, die ſich ſeltſam in ihm kreuzten, auf einen Stuhl nieder, und fragte, was ſie in aller Welt in Geſchaͤften des Kaͤmmerers zu ihm fuͤhre? Die Frau, waͤhrend der alte Hund des Kohlhaas ihre Kniee umſchnuͤffelte, und von ihrer Hand gekraut, mit dem Schwanz wedelte, antwortete: „der Auftrag, den ihr der Kaͤmmerer gegeben, waͤre, ihm zu eroͤffnen, auf welche drei dem ſaͤchſiſchen Hofe wichtigen Fragen der Zettel geheimnißvolle Antwort enthalte; ihn vor einem Abgeſandten, der ſich in Berlin befinde, um ſeiner habhaft zu werden, zu warnen: und ihm den Zettel, unter dem Vorwande, daß er an ſeiner Bruſt, wo er ihn trage, nicht mehr ſicher ſey, abzufordern. Die Abſicht aber, in der ſie komme, ſei, ihm zu ſagen, daß die Drohung ihn durch Argliſt oder Gewaltthaͤtigkeit um den Zettel zu bringen, abgeſchmackt, und ein leeres Trugbild ſey; daß er unter dem Schutz des Kurfuͤrſten von Brandenburg, in deſſen Verwahrſam er ſich befinde, nicht das Mindeſte fuͤr denſelben zu befuͤrchten habe; ja, daß das Blatt bei ihm 202weit ſicherer ſey, als bei ihr, und daß er ſich wohl huͤten moͤgte, ſich durch Ablieferung desſelben, an wen und unter welchem Vorwand es auch ſey, darum bringen zu laſſen. — Gleichwohl ſchloß ſie, daß ſie es fuͤr klug hielte, von dem Zettel den Gebrauch zu machen, zu welchem ſie ihm denſelben auf dem Jahrmarkt zu Juͤterbock eingehaͤndigt, dem Antrag, den man ihm auf der Graͤnze durch den Junker von Stein gemacht, Gehoͤr zu geben, und den Zettel, der ihm ſelbſt weiter nichts nutzen koͤnne, fuͤr Freiheit und Leben an den Kurfuͤrſten von Sachſen auszuliefern.“ Kohlhaas, der uͤber die Macht jauchzte, die ihm gegeben war, ſeines Feindes Ferſe, in dem Augenblick, da ſie ihn in den Staub trat, toͤdtlich zu verwunden, antwortete: nicht um die Welt, Muͤtterchen, nicht um die Welt! und druͤckte der Alten Hand, und wollte nur wiſſen, was fuͤr Antworten auf die ungeheuren Fragen im Zettel enthalten waͤren? Die Frau, inzwiſchen ſie das Juͤngſte, das ſich zu ihren Fuͤßen niedergekauert hatte, auf den Schooß nahm, ſprach: „nicht um die Welt, Kohlhaas, 203der Roßhaͤndler; aber um dieſen huͤbſchen, kleinen, blonden Jungen!“ und damit lachte ſie ihn an, herzte und kuͤßte ihn, der ſie mit großen Augen anſah, und reichte ihm, mit ihren duͤrren Haͤnden, einen Apfel, den ſie in ihrer Taſche trug, dar. Kohlhaas ſagte verwirrt: daß die Kinder ſelbſt, wenn ſie groß waͤren, ihn, um ſeines Verfahrens loben wuͤrden, und daß er, fuͤr ſie und ihre Enkel nichts Heilſameres thun koͤnne, als den Zettel behalten. Zudem fragte er, wer ihn, nach der Erfahrung, die er gemacht, vor einem neuen Betrug ſicher ſtelle, und ob er nicht zuletzt, unnuͤtzer Weiſe, den Zettel, wie juͤngſt den Kriegshaufen, den er in Luͤtzen zuſammengebracht, an den Kurfuͤrſten aufopfern wuͤrde? „Wer mir ſein Wort einmal gebrochen,“ ſprach er, „mit dem wechſle ich keins mehr; und nur deine Forderung, beſtimmt und unzweideutig, trennt mich, gutes Muͤtterchen, von dem Blatt, durch welches mir fuͤr Alles, was ich erlitten, auf ſo wunderbare Weiſe Genugthuung geworden iſt.“ Die Frau, indem ſie das Kind auf den Boden ſetzte, ſagte: daß er in mancherlei Hinſicht 204Recht haͤtte, und daß er thun und laſſen koͤnnte, was er wollte! Und damit nahm ſie ihre Kruͤcken wieder zur Hand, und wollte gehn. Kohlhaas wiederholte ſeine Frage, den Inhalt des wunderbaren Zettels betreffend; er wuͤnſchte, da ſie fluͤchtig antwortete: „daß er ihn ja eroͤffnen koͤnne, obſchon es eine bloße Neugierde waͤre,“ noch uͤber tauſend andere Dinge, bevor ſie ihn verließe, Aufſchluß zu erhalten; wer ſie eigentlich ſey, woher ſie zu der Wiſſenſchaft, die ihr inwohne, komme, warum ſie dem Kurfuͤrſten, fuͤr den er doch geſchrieben, den Zettel verweigert, und grade ihm, unter ſo vielen tauſend Menſchen, der ihrer Wiſſenſchaft nie begehrt, das Wunderblatt uͤberreicht habe? — — Nun traf es ſich, daß in eben dieſem Augenblick ein Geraͤuſch hoͤrbar ward, das einige Polizei-Officianten, die die Treppe heraufſtiegen, verurſachten; dergeſtalt, daß das Weib, von ploͤtzlicher Beſorgniß, in dieſen Gemaͤchern von ihnen betroffen zu werden, ergriffen, antwortete: „auf Wiederſehen Kohlhaas, auf Wiederſehn! Es ſoll dir, wenn wir uns wiedertreffen, an Kenntniß uͤber dies Alles nicht feh205len!“ Und damit, indem ſie ſich gegen die Thuͤr wandte, rief ſie: „lebt wohl, Kinderchen, lebt wohl!“ kuͤßte das kleine Geſchlecht nach der Reihe, und ging ab.
Inzwiſchen hatte der Kurfuͤrſt von Sachſen, ſeinen jammervollen Gedanken preisgegeben, zwei Aſtrologen, Namens Oldenholm und Olearius, welche damals in Sachſen in großem Anſehen ſtanden, herbeigerufen, und wegen des Inhalts des geheimnißvollen, ihm und dem ganzen Geſchlecht ſeiner Nachkommen ſo wichtigen Zettels zu Rathe gezogen; und da die Maͤnner, nach einer, mehrere Tage lang im Schloßthurm zu Dresden fortgeſetzten, tiefſinnigen Unterſuchung, nicht einig werden konnten, ob die Prophezeihung ſich auf ſpaͤte Jahrhunderte oder aber auf die jetzige Zeit beziehe, und vielleicht die Krone Pohlen, mit welcher die Verhaͤltniſſe immer noch ſehr kriegeriſch waren, damit gemeint ſey: ſo wurde durch ſolchen gelehrten Streit, ſtatt ſie zu zerſtreuen, die Unruhe, um nicht zu ſagen, Verzweiflung, in welcher ſich dieſer ungluͤckliche Herr befand, nur geſchaͤrft, und zuletzt bis auf 206einen Grad, der ſeiner Seele ganz unertraͤglich war, vermehrt. Dazu kam, daß der Kaͤmmerer um dieſe Zeit ſeiner Frau, die im Begriff ſtand, ihm nach Berlin zu folgen, auftrug, dem Kurfuͤrſten, bevor ſie abreiſte, auf eine geſchickte Art beizubringen, wie mißlich es nach einem verungluͤckten Verſuch, den er mit einem Weibe gemacht, das ſich ſeitdem nicht wieder habe blicken laſſen, mit der Hoffnung ausſehe, des Zettels in deſſen Beſitz der Kohlhaas ſey, habhaft zu werden, indem das uͤber ihn gefaͤllte Todesurtheil, nunmehr, nach einer umſtaͤndlichen Pruͤfung der Acten, von dem Kurfuͤrſten von Brandenburg unterzeichnet, und der Hinrichtungstag bereits auf den Montag nach Palmarum feſtgeſetzt ſey; auf welche Nachricht der Kurfuͤrſt ſich, das Herz von Kummer und Reue zerriſſen, gleich einem ganz Verlorenen, in ſeinem Zimmer verſchloß, waͤhrend zwei Tage, des Lebens ſatt, keine Speiſe zu ſich nahm, und am dritten ploͤtzlich, unter der kurzen Anzeige an das Gubernium, daß er zu dem Fuͤrſten von Deſſau auf die Jagd reiſe, aus Dresden verſchwand. Wo207hin er eigentlich ging, und ob er ſich nach Deſſau wandte, laſſen wir dahin geſtellt ſeyn, indem die Chroniken, aus deren Vergleichung wir Bericht erſtatten, an dieſer Stelle, auf befremdende Weiſe, einander widerſprechen und aufheben. Gewiß iſt, daß der Fuͤrſt von Deſſau, unfaͤhig zu jagen, um dieſe Zeit krank in Braunſchweig, bei ſeinem Oheim, dem Herzog Heinrich, lag, und daß die Dame Heloiſe, am Abend des folgenden Tages, in Geſellſchaft eines Grafen von Koͤnigſtein, den ſie fuͤr ihren Vetter ausgab, bei dem Kaͤmmerer Herrn Kunz, ihrem Gemahl, in Berlin eintraf. — Inzwiſchen war dem Kohlhaas, auf Befehl des Kurfuͤrſten, das Todesurtheil vorgeleſen, die Ketten abgenommen, und die uͤber ſein Vermoͤgen lautenden Papiere, die ihm in Dresden abgeſprochen worden waren, wieder zugeſtellt worden; und da die Raͤthe, die das Gericht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten, wie er es mit dem, was er beſitze, nach ſeinem Tode gehalten wiſſen wolle: ſo verfertigte er, mit Huͤlfe eines Notars, zu ſeiner Kinder Gunſten ein Teſtament, und ſetzte den Amtmann zu 208Kohlhaaſenbruͤck, ſeinen wackern Freund, zum Vormund derſelben ein. Demnach glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit ſeiner letzten Tage; denn auf eine ſonderbare Special-Verordnung des Kurfuͤrſten war bald darauf auch noch der Zwinger, in welchem er ſich befand, eroͤffnet, und allen ſeinen Freunden, deren er ſehr viele in der Stadt beſaß, bei Tag und Nacht freier Zutritt zu ihm verſtattet worden. Ja, er hatte noch die Genugthuung, den Theologen Jacob Freiſing, als einen Abgeſandten Doctor Luthers, mit einem eigenhaͤndigen, ohne Zweifel ſehr merkwuͤrdigen Brief, der aber verloren gegangen iſt, in ſein Gefaͤngniß treten zu ſehen, und von dieſem geiſtlichen Herrn in Gegenwart zweier brandenburgiſchen Dechanten, die ihm an die Hand gingen, die Wohlthat der heiligen Kommunion zu empfangen. Hierauf erſchien nun, unter einer allgemeinen Bewegung der Stadt, die ſich immer noch nicht entwoͤhnen konnte, auf ein Machtwort, das ihn rettete, zu hoffen, der verhaͤngnißvolle Montag nach Palmarum, an welchem er die Welt, wegen des allzuraſchen Verſuchs, 209ſich ſelbſt in ihr Recht verſchaffen zu wollen, verſoͤhnen ſollte. Eben trat er, in Begleitung einer ſtarken Wache, ſeine beiden Knaben auf dem Arm (denn dieſe Verguͤnſtigung hatte er ſich ausdruͤcklich vor den Schranken des Gerichts ausgebeten), von dem Theologen Jakob Jacob [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Jacob [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Freiſing gefuͤhrt, aus dem Thor ſeines Gefaͤngniſſes, als unter einem wehmuͤthigen Gewimmel von Bekannten, die ihm die Haͤnde druͤckten, und von ihm Abſchied nahmen, der Kaſtellan des kurfuͤrſtlichen Schloſſes, verſtoͤrt im Geſicht, zu ihm herantrat, und ihm ein Blatt gab, das ihm, wie er ſagte, ein altes Weib fuͤr ihn eingehaͤndigt. Kohlhaas, waͤhrend er den Mann der ihm nur wenig bekannt war, befremdet anſah, eroͤffnete das Blatt, deſſen Siegelring ihn, im Mundlack ausgedruͤckt, ſogleich an die bekannte Zigeunerin erinnerte. Aber wer beſchreibt das Erſtaunen, das ihn ergriff, als er folgende Nachricht darin fand: „Kohlhaas, der Kurfuͤrſt von Sachſen iſt in Berlin; auf den Richtplatz ſchon iſt er vorangegangen, und wird, wenn dir daran liegt, an einem Huth, mit blauen und 210 weißen Federbuͤſchen kenntlich ſeyn. Die Abſicht, in der er koͤmmt, brauche ich dir nicht zu ſagen; er will die Kapſel, ſobald du verſcharrt biſt, ausgraben, und den Zettel, der darin befindlich iſt, eroͤffnen laſſen. — Deine Eliſabeth.“ — Kohlhaas, indem er ſich auf das Aeußerſte beſtuͤrzt zu dem Kaſtellan umwandte, fragte ihn: ob er das wunderbare Weib, das ihm den Zettel uͤbergeben, kenne? Doch da der Kaſtellan antwortete: „Kohlhaas, das Weib“ — — und in Mitten der Rede auf ſonderbare Weiſe ſtockte, ſo konnte er, von dem Zuge, der in dieſem Augenblick wieder antrat, fortgeriſſen, nicht vernehmen, was der Mann, der an allen Gliedern zu zittern ſchien, vorbrachte. — Als er auf dem Richtplatz ankam, fand er den Kurfuͤrſten von Brandenburg mit ſeinem Gefolge, worunter ſich auch der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geuſau befand, unter einer unermeßlichen Menſchenmenge, daſelbſt zu Pferde halten: ihm zur Rechten der kaiſerliche Anwald Franz Muͤller, eine Abſchrift des Todesurtheils in der Hand; ihm zur Linken, mit dem Concluſum des Dresdner Hofgerichts, 211sein eigener Anwald, der Rechtſgelehrte Anton Zaͤuner; ein Herold in der Mitte des halboffenen Kreiſes, den das Volk ſchloß, mit einem Buͤndel Sachen, und den beiden, von Wohlſein glaͤnzenden, die Erde mit ihren Hufen ſtampfenden Rappen. Denn der Erzkanzler, Herr Heinrich, hatte die Klage, die er, im Namen ſeines Herrn, in Dresden anhaͤngig gemacht, Punkt fuͤr Punkt, und ohne die mindeſte Einſchraͤnkung gegen den Junker Wenzel von Tronka, durchgeſetzt; dergeſtalt, daß die Pferde, nachdem man ſie durch Schwingung einer Fahne uͤber ihre Haͤupter, ehrlich gemacht, und aus den Haͤnden des Abdeckers, der ſie ernaͤhrte, zuruͤckgezogen hatte, von den Leuten des Junkers dickgefuͤttert, und in Gegenwart einer eigens dazu niedergeſetzten Kommiſſion, dem Anwald, auf dem Markt zu Dresden, uͤbergeben worden waren. Demnach ſprach der Kurfuͤrſt, als Kohlhaas von der Wache begleitet, auf den Huͤgel zu ihm heranſchritt: Nun, Kohlhaas, heut iſt der Tag, an dem dir dein Recht geſchieht! Schau her, hier liefere ich dir Alles, was du auf der 212Tronkenburg gewaltſamer Weiſe eingebuͤßt, und was ich, als dein Landesherr, dir wieder zu verſchaffen, ſchuldig war, zuruͤck: Rappen, Halstuch, Reichsgulden, Waͤſche, bis auf die Kurkoſten ſogar fuͤr deinen bei Muͤhlberg gefallenen Knecht Herſe. Biſt du mit mir zufrieden? — Kohlhaas, waͤhrend er das, ihm auf den Wink des Erzkanzlers eingehaͤndigte Concluſum, mit großen, funkelnden Augen uͤberlas, ſetzte die beiden Kinder, die er auf dem Arm trug, neben ſich auf den Boden nieder; und da er auch einen Artikel darin fand, in welchem der Junker Wenzel zu zweijaͤhriger Gefaͤngnißſtrafe verurtheilt ward: ſo ließ er ſich, aus der Ferne, ganz uͤberwaͤltigt von Gefuͤhlen, mit kreuzweis auf die Bruſt gelegten Haͤnden, vor dem Kurfuͤrſten nieder. Er verſicherte freudig dem Erzkanzler, indem er aufſtand, und die Hand auf ſeinen Schooß legte, daß ſein hoͤchſter Wunſch auf Erden erfuͤllt ſey; trat an die Pferde heran, muſterte ſie, und klopfte ihren feiſten Hals; und erklaͤrte dem Kanzler, indem er wieder zu ihm zuruͤckkam, heiter: „daß er ſie ſeinen beiden Soͤh213nen Heinrich und Leopold ſchenke!“ Der Kanzler, Herr Heinrich von Geuſau, vom Pferde herab mild zu ihm gewandt, verſprach ihm, in des Kurfuͤrſten Namen, daß ſein letzter Wille heilig gehalten werden ſolle: und forderte ihn auf, auch uͤber die uͤbrigen im Buͤndel befindlichen Sachen, nach ſeinem Gutduͤnken zu ſchalten. Hierauf rief Kohlhaas die alte Mutter Herſens, die er auf dem Platz wahrgenommen hatte, aus dem Haufen des Volks hervor, und indem er ihr die Sachen uͤbergab, ſprach er: „da, Muͤtterchen; das gehoͤrt dir!“ — die Summe, die, als Schadenerſatz fuͤr ihn, bei dem im Buͤndel liegenden Gelde befindlich war, als ein Geſchenk noch, zur Pflege und Erquickung ihrer alten Tage, hinzufuͤgend. — — Der Kurfuͤrſt rief: „nun, Kohlhaas, der Roßhaͤndler, du, dem ſolchergeſtalt Genugthuung geworden, mache dich bereit, kaiſerlicher Majeſtaͤt, deren Anwald hier ſteht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens, deinerseits Genugthuung zu geben!“ Kohlhaas, indem er ſeinen Huth abnahm, und auf die Erde warf, ſagte: daß er bereit dazu 214waͤre! uͤbergab die Kinder, nachdem er ſie noch einmal vom Boden erhoben, und an ſeine Bruſt gedruͤckt hatte, dem Amtmann von Kohlhaaſenbruͤck, und trat, waͤhrend dieſer ſie unter ſtillen Thraͤnen, vom Platz hinwegfuͤhrte, an den Block. Eben knuͤpfte er ſich das Tuch vom Hals ab und oͤffnete ſeinen Bruſtlatz: als er, mit einem fluͤchtigen Blick auf den Kreis, den das Volk bildete, in geringer Entfernung von ſich, zwiſchen zwei Rittern, die ihn mit ihren Leibern halb deckten, den wohlbekannten Mann mit blauen und weißen Federbuͤſchen wahrnahm. Kohlhaas loͤſte ſich, indem er mit einem ploͤtzlichen, die Wache, die ihn umringte, befremdenden Schritt, dicht vor ihn trat, die Kapſel von der Bruſt; er nahm den Zettel heraus, entſiegelte ihn, und uͤberlas ihn: und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauen und weißen Federbuͤſchen gerichtet, der bereits ſuͤßen Hoffnungen Raum zu geben anfing, ſteckte er ihn in den Mund und verſchlang ihn. Der Mann mit blauen und weißen Federbuͤſchen ſank, bei dieſem Anblick, ohnmaͤchtig, in Kraͤmpfen 215nieder. Kohlhaas aber, waͤhrend die beſtuͤrzten Begleiter desſelben ſich herabbeugten, und ihn vom Boden aufhoben, wandte ſich zu dem Schaffot, wo ſein Haupt unter dem Beil des Scharfrichters fiel. Hier endigt die Geſchichte vom Kohlhaas. Man legte die Leiche unter einer allgemeinen Klage des Volks in einen Sarg; und waͤhrend die Traͤger ſie aufhoben, um ſie anſtaͤndig auf den Kirchhof der Vorſtadt zu begraben, rief der Kurfuͤrſt die Soͤhne des Abgeſchiedenen herbei und ſchlug ſie, mit der Erklaͤrung an den Erzkanzler, daß ſie in ſeiner Pagenſchule erzogen werden ſollten, zu Rittern. Der Kurfuͤrſt von Sachſen kam bald darauf, zerriſſen an Leib und Seele, nach Dresden zuruͤck, wo man das Weitere in der Geſchichte nachleſen muß. Vom Kohlhaas aber haben noch im vergangenen Jahrhundert, im Mecklenburgiſchen, einige frohe und ruͤſtige Nachkommen gelebt.