Michael Kohlhaas.
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Michael Kohlhaas./
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte /des ſechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhaͤndler, /Namens Michael Kohlhaas, Sohn eines /Schulmeiſters, einer der rechtſchaffenſten zugleich /und entſetzlichſten Menſchen ſeiner Zeit. — Die/ſer außerordentliche Mann wuͤrde, bis in ſein /dreißigſtes Jahr fuͤr das Muſter eines guten /Staatsbuͤrgers haben gelten koͤnnen. Er beſaß /in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen / 10 fuͤhrt, einen Meierhof, auf welchem er ſich durch /ſein Gewerbe ruhig ernaͤhrte; die Kinder, die /ihm ſein Weib ſchenkte, erzog er, in der Furcht /Gottes, zur Arbeitſamkeit und Treue; nicht /Einer war unter ſeinen Nachbarn, der ſich nicht /ſeiner Wohlthaͤtigkeit, oder ſeiner Gerechtigkeit /2erfreut haͤtte; kurz, die Welt wuͤrde ſein An/denken haben ſegnen muͤſſen, wenn er in einer /Tugend nicht ausgeſchweift haͤtte. Das Recht/gefuͤhl aber machte ihn zum Raͤuber und / 20 Moͤrder. /
Er ritt einſt, mit einer Koppel junger Pfer/de, wohlgenaͤhrt alle und glaͤnzend, ins Aus/land, und uͤberſchlug eben, wie er den Gewinnſt, /den er auf den Maͤrkten damit zu machen hoffte, /anlegen wolle: theils, nach Art guter Wirthe, /auf neuen Gewinnſt, theils aber auch auf den /Genuß der Gegenwart: als er an die Elbe kam, /und bei einer ſtattlichen Ritterburg, auf ſaͤchſi/ſchem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er/ 30 ſonſt auf dieſem Wege nicht gefunden hatte. Er /hielt, in einem Augenblick, da eben der Regen /heftig ſtuͤrmte, mit den Pferden ſtill, und rief /den Schlagwaͤrter, der auch bald darauf, mit /einem graͤmlichen Geſicht, aus dem Fenſter ſah. / Der Roßhaͤndler ſagte, daß er ihm oͤffnen ſolle. /Was giebt’s hier Neues? fragte er, da der Zoͤll/ner, nach einer geraumen Zeit, aus dem Hauſe /trat. Landesherrliches Privilegium, antwortete /3dieſer, indem er aufſchloß: dem Junker Wenzel / 40 von Tronka verliehen. — So, ſagte Kohlhaas. /Wenzel heißt der Junker? und ſah ſich das /Schloß an, das mit glaͤnzenden Zinnen uͤber das /Feld blickte. Iſt der alte Herr todt? — Am /Schlagfluß geſtorben, erwiederte der Zoͤllner, /indem er den Baum in die Hoͤhe ließ. — Hm! /Schade! verſetzte Kohlhaas. Ein wuͤrdiger alter /Herr, der ſeine Freude am Verkehr der Men/ſchen hatte, Handel und Wandel, wo er nur /vermogte, forthalf, und einen Steindamm einſt / 50 bauen ließ, weil mir eine Stute, draußen, wo /der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. /Nun! Was bin ich ſchuldig? — fragte er; und /holte die Groſchen, die der Zollwaͤrter verlangte, /muͤhſelig unter dem im Winde flatternden Man/tel hervor. „Ja, Alter,“ ſetzte er noch hinzu, /da dieſer: hurtig! hurtig! murmelte, und uͤber /die Witterung fluchte: „wenn der Baum im /Walde ſtehen geblieben waͤre, waͤrs beſſer ge/weſen, fuͤr mich und euch;“ und damit gab er / 60 ihm das Geld und wollte reiten. Er war aber /noch kaum unter den Schlagbaum gekommen, /4als eine neue Stimme ſchon: halt dort, der Roß/kamm! hinter ihm vom Thurm erſcholl, und er /den Burgvoigt ein Fenſter zuwerfen und zu ihm /herabeilen ſah. Nun, was giebt’s Neues? /fragte Kohlhaas bei ſich ſelbſt, und hielt mit den /Pferden an. Der Burgvoigt, indem er ſich /noch eine Weſte uͤber ſeinen weitlaͤufigen Leib /zuknuͤpfte, kam, und fragte, ſchief gegen die / 70 Witterung geſtellt, nach dem Paßſchein. — /Kohlhaas fragte: der Paßſchein? Er ſagte, ein /wenig betreten, daß er, ſo viel er wiſſe, keinen /habe; daß man ihm aber nur beſchreiben moͤgte, /was dies fuͤr ein Ding des Herrn ſey: ſo werde /er vielleicht zufaͤlligerweiſe damit verſehen ſeyn. /Der Schloßvoigt, indem er ihn von der Seite /anſah, verſetzte, daß ohne einen landesherrli/chen Erlaubnißſchein, kein Roßkamm mit Pfer/den uͤber die Graͤnze gelaſſen wuͤrde. Der Roß/ 80 kamm verſicherte, daß er ſiebzehn Mal in ſei/nem Leben, ohne einen ſolchen Schein, uͤber die /Graͤnze gezogen ſey; daß er alle landesherrlichen /Verfuͤgungen, die ſein Gewerbe angingen, genau /kennte; daß dies wohl nur ein Irrthum ſeyn /5wuͤrde, wegen deſſen er ſich zu bedenken bitte, /und daß man ihn, da ſeine Tagereiſe lang ſey, /nicht laͤnger unnuͤtzer Weiſe hier aufhalten moͤge. /Doch der Voigt erwiederte, daß er das achtzehnte /Mal nicht durchſchluͤpfen wuͤrde, daß die Ver/ 90 ordnung deshalb erſt neuerlich erſchienen waͤre, /und daß er entweder den Paßſchein noch hier /loͤſen, oder zuruͤckkehren muͤſſe, wo er hergekom/men ſey. Der Roßhaͤndler, den dieſe ungeſetz/lichen Erpreſſungen zu erbittern anfingen, ſtieg, /nach einer kurzen Beſinnung, vom Pferde, gab /es einem Knecht, und ſagte, daß er den Jun/ker von Tronka ſelbſt daruͤber ſprechen wuͤrde. /Er ging auch auf die Burg; der Voigt folgte /ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nuͤtz/ 100 lichen Aderlaͤſſen derſelben murmelte; und beide /traten, mit ihren Blicken einander meſſend, in /den Saal. Es traf ſich, daß der Junker eben, /mit einigen muntern Freunden, beim Becher ſaß, /und, um eines Schwanks willen, ein unendli/ches Gelaͤchter unter ihnen erſcholl, als Kohl/haas, um ſeine Beſchwerde anzubringen, ſich /ihm naͤherte. Der Junker fragte, was er wolle;/6 die Ritter, als ſie den fremden Mann erblick/ten, wurden ſtill; doch kaum hatte dieſer ſein / 110 Geſuch, die Pferde betreffend, angefangen, als /der ganze Troß ſchon: Pferde? Wo ſind ſie? /ausrief, und an die Fenſter eilte, um ſie zu be/trachten. Sie flogen, da ſie die glaͤnzende Kop/pel ſahen, auf den Vorſchlag des Junkers, in /den Hof hinab; der Regen hatte aufgehoͤrt; /Schloßvoigt und Verwalter und Knechte ver/ſammelten ſich um ſie, und alle muſterten die /Thiere. Der Eine lobte den Schweißfuchs mit /der Bleſſe, dem Andern gefiel der Kaſtanien/ 120 braune, der Dritte ſtreichelte den Schecken mit /ſchwarzgelben Flecken; und Alle meinten, daß /die Pferde wie Hirſche waͤren, und im Lande /keine beſſern gezogen wuͤrden. Kohlhaas erwie/derte munter, daß die Pferde nicht beſſer waͤren, /als die Ritter, die ſie reiten ſollten; und forderte /ſie auf, zu kaufen. Der Junker, den der maͤch/tige Schweißhengſt ſehr reizte, befragte ihn auch /um den Preis; der Verwalter lag ihm an, ein /Paar Rappen zu kaufen, die er, wegen Pferde/ 130 mangels, in der Wirthſchaft gebrauchen zu koͤn/7nen glaubte; doch als der Roßkamm ſich erklaͤrt /hatte, fanden die Ritter ihn zu theuer, und der /Junker ſagte, daß er nach der Tafelrunde reiten /und ſich den Koͤnig Arthur aufſuchen muͤſſe, /wenn er die Pferde ſo anſchlage. Kohlhaas, der /den Schloßvoigt und den Verwalter, indem ſie /ſprechende Blicke auf die Rappen warfen, mit /einander fluͤſtern ſah, ließ es, aus einer dun/keln Vorahndung, an nichts fehlen, die Pferde / 140 an ſie los zu werden. Er ſagte zum Junker: /„Herr, die Rappen habe ich vor ſechs Monaten /fuͤr 25 Goldguͤlden gekauft; gebt mir 30, ſo ſollt /ihr ſie haben.“ Zwei Ritter, die neben dem Jun/ker ſtanden, aͤußerten nicht undeutlich, daß die /Pferde wohl ſo viel werth waͤren; doch der Jun/ker meinte, daß er fuͤr den Schweißfuchs wohl, /aber nicht eben fuͤr die Rappen, Geld ausgeben /moͤgte, und machte Anſtalten, aufzubrechen; /worauf Kohlhaas ſagte, er wuͤrde vielleicht das / 150 naͤchſte Mal, wenn er wieder mit ſeinen Gaulen /durchzoͤge, einen Handel mit ihm machen; ſich /dem Junker empfahl, und die Zuͤgel ſeines Pfer/des ergriff, um abzureiten. In dieſem Augen/8blick trat der Schloßvoigt aus dem Haufen vor, /und ſagte, er hoͤre, daß er ohne einen Paßſchein /nicht reiſen duͤrfe. Kohlhaas wandte ſich und /fragte den Junker, ob es denn mit dieſem Um/ſtand, der ſein ganzes Gewerbe zerſtoͤre, in der /That ſeine Richtigkeit habe? Der Junker ant/ 160 wortete, mit einem verlegnen Geſicht, indem /er abging: ja, Kohlhaas, den Paß mußt du /loͤſen. Sprich mit dem Schloßvoigt, und zieh /deiner Wege. Kohlhaas verſicherte ihn, daß es /gar nicht ſeine Abſicht ſey, die Verordnungen, /die wegen Ausfuͤhrung der Pferde beſtehen moͤg/ten, zu umgehen; verſprach, bei ſeinem Durch/zug durch Dresden, den Paß in der Geheim/ſchreiberei zu loͤſen, und bat, ihn nur diesmal, /da er von dieſer Forderung durchaus nichts ge/ 170 wußt, ziehen zu laſſen. Nun! ſprach der Jun/ker, da eben das Wetter wieder zu ſtuͤrmen an/fing, und ſeine duͤrren Glieder durchſauſte: laßt /den Schlucker laufen. Kommt! ſagte er zu den /Rittern, kehrte ſich um, und wollte nach dem /Schloſſe gehen. Der Schloßvoigt ſagte, zum /Junker gewandt, daß er wenigſtens ein Pfand,/9 zur Sicherheit, daß er den Schein loͤſen wuͤrde, /zuruͤcklaſſen muͤſſe. Der Junker blieb wieder /unter dem Schloßthor ſtehen. Kohlhaas fragte, / 180 welchen Werth er denn, an Geld oder an Sa/chen, zum Pfande, wegen der Rappen, zuruͤck/laſſen ſolle? Der Verwalter meinte, in den /Bart murmelnd, er koͤnne ja die Rappen ſelbſt /zuruͤcklaſſen. Allerdings, ſagte der Schloßvoigt, /das iſt das Zweckmaͤßigſte; iſt der Paß geloͤſ’t, /ſo kann er ſie zu jeder Zeit wieder abholen. Kohl/haas, uͤber eine ſo unverſchaͤmte Forderung be/treten, ſagte dem Junker, der ſich die Wams/ſchoͤße frierend vor den Leib hielt, daß er die / 190 Rappen ja verkaufen wolle; doch dieſer, da in /demſelben Augenblick ein Windſtoß eine ganze /Laſt von Regen und Hagel durch’s Thor jagte, /rief, um der Sache ein Ende zu machen: wenn /er die Pferde nicht loslaſſen will, ſo ſchmeißt ihn /wieder uͤber den Schlagbaum zuruͤck; und ging /ab. Der Roßkamm, der wohl ſah, daß er hier /der Gewaltthaͤtigkeit weichen mußte, entſchloß /ſich, die Forderung, weil doch nichts anders uͤbrig /blieb, zu erfuͤllen; ſpannte die Rappen aus, und / 200 10fuͤhrte ſie in einen Stall, den ihm der Schloß/voigt anwies. Er ließ einen Knecht bei ihnen /zuruͤck, verſah ihn mit Geld, ermahnte ihn, die /Pferde, bis zu ſeiner Zuruͤckkunft, wohl in Acht /zu nehmen, und ſetzte ſeine Reiſe, mit dem Reſt /der Koppel, halb und halb ungewiß, ob nicht /doch wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein /ſolches Gebot, im Saͤchſiſchen, erſchienen ſeyn /koͤnne, nach Leipzig, wo er auf die Meſſe woll/te, fort. / 210
In Dresden, wo er, in einer der Vorſtaͤdte /der Stadt, ein Haus mit einigen Staͤllen beſaß, /weil er von hier aus ſeinen Handel auf den klei/neren Maͤrkten des Landes zu beſtreiten pflegte, /begab er ſich, gleich nach ſeiner Ankunft, auf/ die Geheimſchreiberei, wo er von den Raͤthen, Rathen /deren er einige kannte, erfuhr, was ihm aller/dings ſein erſter Glaube ſchon geſagt hatte, daß /die Geſchichte von dem Paßſchein ein Maͤhr/chen ſey. Kohlhaas, dem die mißvergnuͤgten / 220 Raͤthe, auf ſein Anſuchen, einen ſchriftlichen /Schein uͤber den Ungrund derſelben gaben, laͤ/chelte uͤber den Witz des duͤrren Junkers, obſchon /11er noch nicht recht einſah, was er damit bezwek/kenbezwecken mogte; und die Koppel der Pferde, die er /bei ſich fuͤhrte, einige Wochen darauf, zu ſeiner /Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohne irgend /weiter ein bitteres Gefuͤhl, als das der allgemei/nen Noth der Welt, zur Tronkenburg zuruͤck. /Der Schloßvoigt, dem er den Schein zeigte, / 230 ließ ſich nicht weiter daruͤber aus, und ſagte, auf /die Frage des Roßkamms, ob er die Pferde jetzt /wieder bekommen koͤnne: er moͤgte nur hinunter /gehen und ſie holen. Kohlhaas hatte aber ſchon, /da er uͤber den Hof ging, den unangenehmen/ Auftritt, zu erfahren, daß ſein Knecht, ungebuͤhr/lichen Betragens halber, wie es hieß, wenige /Tage nach deſſen Zuruͤcklaſſung in der Tronken/burg, zerpruͤgelt und weggejagt worden ſey. /Er fragte den Jungen, der ihm dieſe Nachricht / 240 gab, was denn derſelbe gethan? und wer waͤh/rend deſſen die Pferde beſorgt haͤtte? worauf dieſer /aber erwiederte, er wiſſe es nicht, und darauf dem /Roßkamm, dem das Herz ſchon von Ahnungen /ſchwoll, den Stall, in welchem ſie ſtanden, oͤff/nete. Wie groß war aber ſein Erſtaunen, als /12er, ſtatt ſeiner zwei glatten und wohlgenaͤhrten /Rappen, ein Paar duͤrre, abgehaͤrmte Maͤhren /erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, /haͤtte Sachen aufhaͤngen koͤnnen; Maͤhnen und / 250 Haare, ohne Wartung und Pflege, zuſammen/geknetet: das wahre Bild des Elends im Thier/reiche! Kohlhaas, den die Pferde, mit einer /ſchwachen Bewegung, anwieherten, war auf /das Aeußerſte entruͤſtet, und fragte, was ſeinen /Gaulen widerfahren waͤre? Der Junge, der /bei ihm ſtand, antwortete, daß ihnen weiter /kein Ungluͤck zugeſtoßen waͤre, daß ſie auch das /gehoͤrige Futter bekommen haͤtten, daß ſie aber, /da gerade Ernte geweſen ſey, wegen Mangels / 260 an Zugvieh, ein wenig auf den Feldern gebraucht /worden waͤren. Kohlhaas fluchte uͤber dieſe/ ſchaͤndliche und abgekartete Gewaltthaͤtigkeit, /verbiß jedoch, im Gefuͤhl ſeiner Ohnmacht, ſei/nen Ingrimm, und machte ſchon, da doch nichts /anders uͤbrig blieb, Anſtalten, das Raubneſt mit /den Pferden nur wieder zu verlaſſen, als der /Schloßvoigt, von dem Wortwechſel herbeigerufen, /erſchien, und fragte, was es hier gaͤbe? Was es /13giebt? antwortete Kohlhaas. Wer hat dem Jun/ 270 ker von Tronka und deſſen Leuten die Erlaubniß /gegeben, ſich meiner bei ihm zuruͤckgelaſſenen /Rappen zur Feldarbeit zu bedienen? Er ſetzte /hinzu, ob das wohl menſchlich waͤre? verſuchte, /die erſchoͤpften Gaule durch einen Gertenſtreich /zu erregen, und zeigte ihm, daß ſie ſich nicht /ruͤhrten. Der Schloßvoigt, nachdem er ihn eine /Weile trotzig angeſehen hatte, verſetzte: ſeht den/ Grobian! Ob der Flegel nicht Gott danken /ſollte, daß die Maͤhren uͤberhaupt noch leben? / 280 Er fragte, wer ſie, da der Knecht weggelaufen, /haͤtte pflegen ſollen? Ob es nicht billig geweſen /waͤre, daß die Pferde das Futter, das man ih/nen gereicht habe, auf den Feldern abverdient /haͤtten? Er ſchloß, daß er hier keine Flauſen /machen moͤgte, oder daß er die Hunde rufen, /und ſich durch ſie Ruhe im Hofe zu verſchaffen /wiſſen wuͤrde. — Dem Roßhaͤndler ſchlug das /Herz gegen den Wams. Es draͤngte ihn, den /nichtswuͤrdigen Dickwanſt in den Koth zu wer/ 290 fen, und den Fuß auf ſein kupfernes Antlitz /zu ſetzen. Doch ſein Rechtgefuͤhl, das einer /14Goldwaage glich, wankte noch; er war, vor /der Schranke ſeiner eigenen Bruſt, noch nicht /gewiß, ob eine Schuld ſeinen Gegner druͤcke; /und waͤhrend er, die Schimpfreden niederſchluk/kendniederſchluckend, zu den Pferden trat, und ihnen, in ſtil/ler Erwaͤgung der Umſtaͤnde, die Maͤhnen zurecht /legte, fragte er mit geſenkter Stimme: um wel/chen Verſehens halber der Knecht denn aus der / 300 Burg entfernt worden ſey? Der Schloßvoigt /erwiederte: weil der Schlingel trotzig im Hofe /geweſen iſt! Weil er ſich gegen einen nothwen/digen Stallwechſel geſtraͤubt, und verlangt hat, /daß die Pferde zweier Jungherren, die auf die /Tronkenburg kamen, um ſeiner Maͤhren willen, /auf der freien Straße uͤbernachten ſollten! — /Kohlhaas haͤtte den Werth der Pferde darum /gegeben, wenn er den Knecht zur Hand gehabt, /und deſſen Ausſage mit der Ausſage dieſes dick/ 310 maͤuligen Burgvoigts haͤtte vergleichen koͤnnen. /Er ſtand noch, und ſtreifte den Rappen die Zod/deln aus, und ſann, was in ſeiner Lage zu thun /ſey, als ſich die Scene ploͤtzlich aͤnderte, und der /Junker Wenzel von Tronka, mit einem Schwarm /15von Rittern, Knechten und Hunden, von der /Haſenhetze kommend, in den Schloßplatz ſprengte. /Der Schloßvoigt, als er fragte, was vorgefal/len ſey, nahm ſogleich das Wort, und waͤhrend /die Hunde, beim Anblick des Fremden, von der / 320 einen Seite, ein Mordgeheul gegen ihn anſtimm/ten, und die Ritter ihnen, von der andern, zu /ſchweigen geboten, zeigte er ihm, unter der ge/haͤſſigſten Entſtellung der Sache, an, was die/ſer Roßkamm, weil ſeine Rappen ein wenig ge/braucht worden waͤren, fuͤr eine Rebellion ver/fuͤhre. Er ſagte, mit Hohngelaͤchter, daß er /ſich weigere, die Pferde als die ſeinigen anzuer/kennen. Kohlhaas rief: „das ſind nicht meine /Pferde, geſtrenger Herr! Das ſind die Pferde / 330 nicht, die dreißig Goldguͤlden werth waren! Ich /will meine wohlgenaͤhrten und geſunden Pferde /wieder haben!“ —Der Junker, indem ihm /eine fluͤchtige Blaͤſſe in’s Geſicht trat, ſtieg vom /Pferde, und ſagte: wenn der H... A... die /Pferde nicht wiedernehmen will, ſo mag er es /bleiben laſſen. Komm, Guͤnther! rief er — /Hans! Kommt! indem er ſich den Staub mit /16der Hand von den Beinkleidern ſchuͤttelte; und: /ſchafft Wein! rief er noch, da er mit den Rittern / 340 unter der Thuͤr war; und ging in’s Haus. /Kohlhaas ſagte, daß er eher den Abdecker rufen, /und die Pferde auf den Schindanger ſchmeißen /laſſen, als ſie ſo, wie ſie waͤren, in ſeinen Stall /zu Kohlhaaſenbruͤck fuͤhren wolle. Er ließ die /Gaule, ohne ſich um ſie zu bekuͤmmern, auf dem /Platz ſtehen, ſchwang ſich, indem er verſicherte, /daß er ſich Recht zu verſchaffen wiſſen wuͤrde, auf /ſeinen Braunen, und ritt davon. /
Spornſtreichs auf dem Wege nach Dresden / 350 war er ſchon, als er, bei dem Gedanken an den /Knecht, und an die Klage, die man auf der /Burg gegen ihn fuͤhrte, ſchrittweis zu reiten an/fieng, ſein Pferd, ehe er noch tauſend Schritt /gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgaͤn/gigen Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug /und gerecht ſchien, nach Kohlhaaſenbruͤck ein/bog. Denn ein richtiges, mit der gebrechlichen Ein/richtung der Welt ſchon bekanntes Gefuͤhl machte /ihn, trotz der erlittenen Beleidigungen, geneigt, / 360 falls nur wirklich dem Knecht, wie der Schloß/17Schloßvoigtvoigt behauptete, eine Art von Schuld beizumeſ/ſen ſey, den Verluſt der Pferde, als eine gerechte /Folge davon, zu verſchmerzen. Dagegen ſagte /ihm ein eben ſo vortreffliches Gefuͤhl, und dies /Gefuͤhl faßte tiefere und tiefere Wurzeln, in dem /Maaße, als er weiter ritt, und uͤberall, wo er /einkehrte, von den Ungerechtigkeiten hoͤrte, die /taͤglich auf der Tronkenburg gegen die Reiſenden /veruͤbt wurden: daß wenn der ganze Vorfall, / 370 wie es allen Anſchein habe, bloß abgekartet ſeyn /ſollte, er mit ſeinen Kraͤften der Welt in der /Pflicht verfallen ſey, ſich Genugthuung fuͤr die /erlittene Kraͤnkung, und Sicherheit fuͤr zukuͤnf/tige ſeinen Mitbuͤrgern zu verſchaffen. /
Sobald er, bei ſeiner Ankunft in Kohlhaa/ſenbruͤck, Lisbeth, ſein treues Weib, umarmt, /und ſeine Kinder, die um ſeine Kniee frohlockten, /gekuͤßt hatte, fragte er gleich nach Herſe, dem /Großknecht: und ob man nichts von ihm gehoͤrt / 380 habe? Lisbeth ſagte: ja liebſter Michael, dieſer /Herſe! Denke dir, daß dieſer unſeelige Menſch, /vor etwa vierzehn Tagen, auf das jaͤmmerlichſte /zerſchlagen, hier eintrifft; nein, ſo zerſchlagen, /18daß er auch nicht frei athmen kann. Wir brin/gen ihn zu Bett, wo er heftig Blut ſpeit, und /vernehmen, auf unſre wiederholten Fragen, eine /Geſchichte, die keiner verſteht. Wie er von dir /mit Pferden, denen man den Durchgang nicht /verſtattet, auf der Tronkenburg zuruͤckgelaſſen / 390 worden ſey, wie man ihn, durch die ſchaͤndlich/ſten Mißhandlungen, gezwungen habe, die Burg /zu verlaſſen, und wie es ihm unmoͤglich geweſen /waͤre, die Pferde mitzunehmen. So? ſagte /Kohlhaas, indem er den Mantel ablegte. Iſt /er denn ſchon wieder hergeſtellt? — Bis auf /das Blutſpeien, antwortete ſie, halb und halb. /Ich wollte ſogleich einen Knecht nach der Tron/kenburg ſchicken, um die Pflege der Roſſe, bis /zu deiner Ankunft daſelbſt, beſorgen zu laſſen. / 400 Denn da ſich der Herſe immer wahrhaftig ge/zeigt hat, und ſo getreu uns, in der That wie kein /Anderer, ſo kam es mir nicht zu, in ſeine Aus/ſage, von ſo viel Merkmalen unterſtuͤtzt, einen /Zweifel zu ſetzen, und etwa zu glauben, daß er /der Pferde auf eine andere Art verluſtig gegan/gen waͤre. Doch er beſchwoͤrt mich, Nieman/19den zuzumuthen, ſich in dieſem Raubneſte zu zei/gen, und die Thiere aufzugeben, wenn ich keinen /Menſchen dafuͤr aufopfern wolle. — Liegt er denn / 410 noch im Bette? fragte Kohlhaas, indem er ſich /von der Halsbinde befreite. — Er geht, erwie/derte ſie, ſeit einigen Tagen ſchon wieder im /Hofe umher. Kurz, du wirſt ſehen, fuhr ſie /fort, daß Alles ſeine Richtigkeit hat, und daß /dieſe Begebenheit einer von den Freveln iſt, die /man ſich ſeit Kurzem auf der Tronkenburg gegen /die Fremden erlaubt. — Das muß ich doch erſt /unterſuchen, erwiederte Kohlhaas. Ruf’ ihn /mir, Lisbeth, wenn er auf iſt, doch her! Mit / 420 dieſen Worten ſetzte er ſich in den Lehnſtuhl; /und die Hausfrau, die ſich uͤber ſeine Gelaſſen/heit ſehr freute, ging, und holte den Knecht. /
Was haſt du in der Tronkenburg gemacht? /fragte Kohlhaas, da Lisbeth mit ihm in das /Zimmer trat. Ich bin nicht eben wohl mit dir /zufrieden. — Der Knecht, auf deſſen blaſſem /Geſicht ſich, bei dieſen Worten, eine Roͤthe /fleckig zeigte, ſchwieg eine Weile; und: da habt /ihr Recht, Herr! antwortete er; denn einen / 430 20Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fuͤgung /bei mir trug, um das Raubneſt, aus dem ich /verjagt worden war, in Brand zu ſtecken, warf /ich, als ich ein Kind darin jammern hoͤrte, in /das Elbwaſſer, und dachte: mag es Gottes /Blitz einaͤſchern; ich will’s nicht! — Kohlhaas /ſagte betroffen: wodurch aber haſt du dir die /Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen? /Drauf Herſe: durch einen ſchlechten Streich, /Herr; und trocknete ſich den Schweiß von der / 440 Stirn: Geſchehenes iſt aber nicht zu aͤndern. /Ich wollte die Pferde nicht auf der Feldar/beit zu Grunde richten laſſen, und ſagte, daß ſie /noch jung waͤren und nicht gezogen haͤtten. — /Kohlhaas erwiederte, indem er ſeine Verwirrung /zu verbergen ſuchte, daß er hierin nicht ganz die /Wahrheit geſagt, indem die Pferde ſchon zu An/fange des verfloſſenen Fruͤhjahrs ein wenig im /Geſchirr geweſen waͤren. Du haͤtteſt dich auf /der Burg, fuhr er fort, wo du doch eine Art / 450 von Gaſt wareſt, ſchon ein oder etliche Mal, /wenn gerade, wegen ſchleuniger Einfuͤhrung der /Ernte Noth war, gefaͤllig zeigen koͤnnen. — /21Das habe ich auch gethan, Herr, ſprach Herſe. /Ich dachte, da ſie mir graͤmliche Geſichter mach/ten, es wird doch die Rappen juſt nicht koſten. /Am dritten Vormittag ſpannt’ ich ſie vor, und /drei Fuhren Getreide fuͤhrt’ ich ein. Kohlhaas, /dem das Herz emporquoll, ſchlug die Augen zu /Boden, und verſetzte: davon hat man mir nichts / 460 geſagt, Herſe! — Herſe verſicherte ihn, daß es /ſo ſey. Meine Ungefaͤlligkeit, ſprach er, be/ſtand darin, daß ich die Pferde, als ſie zu Mit/tag kaum ausgefreſſen hatten, nicht wieder in’s /Joch ſpannen wollte; und daß ich dem Schloß/voigt und dem Verwalter, als ſie mir vorſchlu/gen frei Futter dafuͤr anzunehmen, und das /Geld, das ihr mir fuͤr Futterkoſten zuruͤckgelaſſen /hattet, in den Sack zu ſtecken, antwortete — /ich wuͤrde ihnen ſonſt was thun; mich umkehrte / 470 und wegging. — Um dieſer Ungefaͤlligkeit aber, /ſagte Kohlhaas, biſt du von der Tronkenburg /nicht weggejagt worden. — Behuͤte Gott, rief /der Knecht, um eine gottvergeſſene Miſſethat! /Denn auf den Abend wurden die Pferde zweier /Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in /22den Stall gefuͤhrt, und meine an die Stallthuͤre /angebunden. Und da ich dem Schloßvoigt, der /ſie daſelbſt einquartirte, die Rappen aus der /Hand nahm, und fragte, wo die Thiere jetzo / 480 bleiben ſollten, ſo zeigte er mir einen Schweine/koben an, der von Latten und Brettern an der /Schloßmauer auferbaut war. — Du meinſt, /unterbrach ihn Kohlhaas, es war ein ſo ſchlecht/es Behaͤltniß fuͤr Pferde, daß es einem Schwei/nekoben aͤhnlicher war, als einem Stall. — Es /war ein Schweinekoben, Herr, antwortete /Herſe; wirklich und wahrhaftig ein Schweine/koben, in welchem die Schweine aus- und ein/liefen, und ich nicht aufrecht ſtehen konnte. — / 490 Vielleicht war ſonſt kein Unterkommen fuͤr die /Rappen aufzufinden, verſetzte Kohlhaas; die /Pferde der Ritter gingen, auf eine gewiſſe Art, /vor. — Der Platz, erwiederte der Knecht, in/dem er die Stimme fallen ließ, war eng. Es /hauſeten jetzt in Allem ſieben Ritter auf der /Burg. Wenn ihr es geweſen waͤret, ihr haͤttet /die Pferde ein wenig zuſammenruͤcken laſſen. /Ich ſagte, ich wolle mir im Dorf einen Stall /23zu miethen ſuchen; doch der Schloßvoigt ver/ 500 ſetzte, daß er die Pferde unter ſeinen Augen be/halten muͤſſe, und daß ich mich nicht unterſtehen /ſolle, ſie vom Hofe wegzufuͤhren. — Hm! ſagte /Kohlhaas. Was gabſt du darauf an? — Weil /der Verwalter ſprach, die beiden Gaͤſte wuͤrden /bloß uͤbernachten, und am andern Morgen weiter /reiten, ſo fuͤhrte ich die Pferde in den Schweine/koben hinein. Aber der folgende Tag verfloß, /ohne daß es geſchah; und als der dritte anbrach, /hieß es, die Herren wuͤrden noch einige Wochen / 510 auf der Burg verweilen. — Am Ende wars /nicht ſo ſchlimm, Herſe, im Schweinekoben, /ſagte Kohlhaas, als es dir, da du zuerſt die Naſe /hineinſteckteſt, vorkam. — S’ iſt wahr, erwie/derte jener. Da ich den Ort ein Biſſel ausfegte, /gings an. Ich gab der Magd einen Groſchen, /daß ſie die Schweine wo anders einſtecke. Und /den Tag uͤber bewerkſtelligte ich auch, daß die /Pferde aufrecht ſtehen konnten, indem ich die /Bretter oben, wenn der Morgen daͤmmerte, von / 520 den Latten abnahm, und Abends wieder auf/legte. Sie guckten nun, wie Gaͤnſe, aus dem /24Dach vor, und ſahen ſich nach Kohlhaaſenbruͤck, /oder ſonſt, wo es beſſer iſt, um. — Nun denn, /fragte Kohlhaas, warum alſo, in aller Welt, /jagte man dich fort? — Herr, ich ſags euch, /verſetzte der Knecht, weil man meiner los ſeyn /wollte. Weil ſie die Pferde, ſo lange ich dabei /war, nicht zu Grunde richten konnten. Ueberall /ſchnitten ſie mir, im Hofe und in der Geſinde/ 530 ſtube, widerwaͤrtige Geſichter; und weil ich /dachte, zieht ihr die Maͤuler, daß ſie verrenken, /ſo brachen ſie die Gelegenheit vom Zaune, und /warfen mich vom Hofe herunter. — Aber die /Veranlaſſung! rief Kohlhaas. Sie werden doch /irgend eine Veranlaſſung gehabt haben! — /O allerdings, antwortete Herſe, und die aller/gerechteſte. Ich nahm, am Abend des zweiten /Tages, den ich im Schweinekoben zugebracht, /die Pferde, die ſich darin doch zugeſudelt hatten, / 540 und wollte ſie zur Schwemme reiten. Und da /ich eben unter dem Schloßthore bin, und mich /wenden will, hoͤr’ ich den Voigt und den Ver/walter, mit Knechten, Hunden und Pruͤgeln, /aus der Geſindeſtube, hinter mir herſtuͤrzen, /25und: halt, den Spitzbuben! rufen: halt, den /Galgenſtrick! als ob ſie beſeſſen waͤren. Der /Thorwaͤchter tritt mir in den Weg; und da ich /ihn und den raſenden Haufen, der auf mich an/laͤuft, frage: was auch giebt’s? was es giebt? / 550 antwortet der Schloßvoigt; und greift meinen /beiden Rappen in den Zuͤgel. Wo will er hin /mit den Pferden? fragt er, und packt mich an /die Bruſt. Ich ſage, wo ich hin will? Him/meldonner! Zur Schwemme will ich reiten. /Denkt er, daß ich — ? Zur Schwemme? ruft /der Schloßvoigt. Ich will dich, Gauner, auf /der Heerſtraße, nach Kohlhaaſenbruͤck ſchwim/men lehren! und ſchmeißt mich, mit einem haͤ/miſchen Mordzug, er und der Verwalter, der / 560 mir das Bein gefaßt hat, vom Pferd’ herunter, /daß ich mich, lang wie ich bin, in den Koth /meſſe. Mord! Hagel! ruf’ ich, Sielzeug und /Decken liegen, und ein Buͤndel Waͤſche von mir, /im Stall; doch er und die Knechte, indeſſen /der Verwalter die Pferde wegfuͤhrt, mit Fuͤßen /und Peitſchen und Pruͤgeln uͤber mich her, daß /ich halbtodt hinter dem Schloßthor niederſinke. /26Und da ich ſage: die Raubhunde! Wo fuͤhren /ſie mir die Pferde hin? und mich erhebe: heraus / 570 aus dem Schloßhof! ſchreit der Voigt, und: /hetz, Kaiſer! hetz, Jaͤger! erſchallt es, und: /hetz, Spitz! und eine Koppel von mehr denn /zwoͤlf Hunden faͤllt uͤber mich her. Drauf brech’ /ich, war es eine Latte, ich weiß nicht was, vom /Zaune, und drei Hunde todt ſtreck’ ich neben /mir nieder; doch da ich, von jaͤmmerlichen Zer/fleiſchungen gequaͤlt, weichen muß: Fluͤt! gellt /eine Pfeife; die Hunde in den Hof, die Thor/fluͤgel zuſammen, der Riegel vor: und auf der / 580 Straße ohnmaͤchtig ſink’ ich nieder. — Kohl/haas ſagte, bleich im Geſicht, mit erzwungener /Schelmerei: haſt du auch nicht entweichen wol/len, Herſe? Und da dieſer, mit dunkler Roͤ/the, vor ſich niederſah: geſteh’ mir’s, ſagte er; /es gefiel dir im Schweinekoben nicht; du dach/teſt, im Stall zu Kohlhaaſenbruͤck iſt’s doch beſ/ſer. — Himmelſchlag! rief Herſe: Sielzeug /und Decken ließ ich ja, und einen Buͤndel Waͤ/ſche, im Schweinekoben zuruͤck. Wuͤrd’ ich drei / 590 Reichsguͤlden nicht zu mir geſteckt haben, die ich, /27im rothſeidnen Halstuch, hinter der Krippe ver/ſteckt hatte? Blitz, Hoͤll’ und Teufel! Wenn /ihr ſo ſprecht, ſo moͤgt’ ich nur gleich den Schwe/felfaden, den ich wegwarf, wieder anzuͤnden! /Nun, nun! ſagte der Roßhaͤndler; es war eben /nicht boͤſe gemeint! Was du geſagt haſt, ſchau, /Wort fuͤr Wort, ich glaub’ es dir; und das /Abendmahl, wenn es zur Sprache kommt, will /ich ſelbſt nun darauf nehmen. Es thut mir leid, / 600 daß es dir in meinen Dienſten nicht beſſer ergan/gen iſt; geh, Herſe, geh zu Bett, laß dir eine / Flaſche Wein geben, und troͤſte dich: dir ſoll Ge/rechtigkeit widerfahren! Und damit ſtand er /auf, fertigte ein Verzeichniß der Sachen an, die /der Großknecht im Schweinekoben zuruͤckgelaſ/ſen; ſpecificirte den Werth derſelben, fragte ihn /auch, wie hoch er die Kurkoſten anſchlage; und /ließ ihn, nachdem er ihm noch einmal die Hand /gereicht, abtreten. / 610
Hierauf erzaͤhlte er Lisbeth, ſeiner Frau, den /ganzen Verlauf und inneren Zuſammenhang der /Geſchichte, erklaͤrte ihr, wie er entſchloſſen ſey, /die oͤffentliche Gerechtigkeit fuͤr ſich aufzufordern, /28und hatte die Freude, zu ſehen, daß ſie ihn, in /dieſem Vorſatz, aus voller Seele beſtaͤrkte. Denn /ſie ſagte, daß noch mancher andre Reiſende, viel/leicht minder duldſam, als er, uͤber jene Burg /ziehen wuͤrde; daß es ein Werk Gottes waͤre,/ Unordnungen, gleich dieſen, Einhalt zu thun; / 620 und daß ſie die Koſten, die ihm die Fuͤhrung des /Prozeſſes verurſachen wuͤrde, ſchon beitreiben /wolle. Kohlhaas nannte ſie ſein wackeres Weib, /erfreute ſich dieſen und den folgenden Tag in /ihrer und ſeiner Kinder Mitte, und brach, ſo/bald es ſeine Geſchaͤfte irgend zuließen, nach /Dresden auf, um ſeine Klage vor Gericht zu /bringen. /
Hier verfaßte er, mit Huͤlfe eines Rechts/gelehrten, den er kannte, eine Beſchwerde, in / 630 welcher er, nach einer umſtaͤndlichen Schilderung /des Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka, /an ihm ſowohl, als an ſeinem Knecht Herſe, /veruͤbt hatte, auf geſetzmaͤßige Beſtrafung des/ſelben, Wiederherſtellung der Pferde in den vo/rigen Stand, und auf Erſatz des Schadens an/trug, den er ſowohl, als ſein Knecht, dadurch /29erlitten hatten. Die Rechtsſache war in der /That klar. Der Umſtand, daß die Pferde ge/ſetzwidriger Weiſe feſtgehalten worden waren, / 640 warf ein entſcheidendes Licht auf alles Uebrige; /und ſelbſt wenn man haͤtte annehmen wollen, /daß die Pferde durch einen bloßen Zufall erkrankt /waͤren, ſo wuͤrde die Forderung des Roßkamms, /ſie ihm geſund wieder zuzuſtellen, noch gerecht /geweſen ſeyn. Es fehlte Kohlhaas auch, waͤh/rend er ſich in der Reſidenz umſah, keineswegs /an Freunden, die ſeine Sache lebhaft zu unter/ſtuͤtzen verſprachen; der ausgebreitete Handel, /den er mit Pferden trieb, hatte ihm die Be/ 650 kanntſchaft, und die Redlichkeit, mit welcher er /dabei zu Werke ging, ihm das Wohlwollen der /bedeutendſten Maͤnner des Landes verſchafft. Er /ſpeiſete bei ſeinem Advocaten, der ſelbſt ein an/ſehnlicher Mann war, mehrere Mal heiter zu /Tiſch; legte eine Summe Geldes, zur Beſtrei/tung der Prozeßkoſten, bei ihm nieder; und /kehrte, nach Verlauf einiger Wochen, voͤllig von /demſelben uͤber den Auſgang ſeiner Rechtsſache /beruhigt, zu Lisbeth, ſeinem Weibe, nach Kohl/ 660 30haaſenbruͤck zuruͤck. Gleichwohl vergingen Mo/nate, und das Jahr war daran, abzuſchließen, /bevor er, von Sachſen aus, auch nur eine Er/klaͤrung uͤber die Klage, die er daſelbſt anhaͤn/gig gemacht hatte, geſchweige denn die Reſolu/tion ſelbſt, erhielt. Er fragte, nachdem er meh/rere Male von neuem bei dem Tribunal einge/kommen war, ſeinen Rechtsgehuͤlfen, in /einem vertrauten Briefe, was eine ſo uͤbergroße /Verzoͤgerung verurſache; und erfuhr, daß die / 670 Klage, auf eine hoͤhere Inſinuation, bei dem /Dresdner Gerichtshofe, gaͤnzlich niedergeſchlagen /worden ſey. — Auf die befremdete Ruͤckſchrift /des Roßkamms, worin dies ſeinen Grund habe, /meldete ihm jener: daß der Junker Wenzel von /Tronka mit zwei Jungherren, Hinz und Kunz /von Tronka, verwandt ſey, deren Einer, bei /der Perſon des Herrn, Mundſchenk, der Andre /gar Kaͤmmerer ſey. — Er rieth ihm noch, er /moͤgte, ohne weitere Bemuͤhungen bei der / 680 Rechtsinſtanz, ſeiner, auf der Tronkenburg be/findlichen, Pferde wieder habhaft zu werden /ſuchen; gab ihm zu verſtehen, daß der Junker, /31der ſich jetzt in der Hauptſtadt aufhalte, ſeine /Leute angewieſen zu haben ſcheine, ſie ihm aus/zuliefern; und ſchloß mit dem Geſuch, ihn wenig/ſtens, falls er ſich hiermit nicht beruhigen wolle, mit /ferneren Auftraͤgen in dieſer Sache zu verſchonen. /
Kohlhaas befand ſich um dieſe Zeit gerade in /Brandenburg, wo der Stadthauptmann, Hein/ 690 rich von Geuſau, unter deſſen Regierungsbezirk /Kohlhaaſenbruͤck gehoͤrte, eben beſchaͤftigt war, /aus einem betraͤchtlichen Fonds, der der Stadt /zugefallen war, mehrere wohlthaͤtige Anſtalten, /fuͤr Kranke und Arme, einzurichten. Beſonders /war er bemuͤht, einen mineraliſchen Quell, der /auf einem Dorf in der Gegend ſprang, und von /deſſen Heilkraͤften man ſich mehr, als die Zu/kunft nachher bewaͤhrte, verſprach, fuͤr den Ge/brauch der Preßhaften einzurichten; und da / 700 Kohlhaas ihm, wegen manchen Verkehrs, in /dem er, zur Zeit ſeines Aufenthalts am Hofe, /mit demſelben geſtanden hatte, bekannt war, ſo /erlaubte er Herſen, dem Großknecht, dem ein /Schmerz beim Athemholen uͤber der Bruſt, ſeit /jenem ſchlimmen Tage auf der Tronkenburg, /32zuruͤckgeblieben war, die Wirkung der kleinen, /mit Dach und Einfaſſung verſehenen, Heilquelle /zu verſuchen. Es traf ſich, daß der Stadthaupt/mann eben, am Rande des Keſſels, in welchen / 710 Kohlhaas den Herſe gelegt hatte, gegenwaͤrtig /war, um einige Anordnungen zu treffen, als /jener, durch einen Boten, den ihm ſeine Frau /nachſchickte, den niederſchlagenden Brief ſeines /Rechtsgehuͤlfen aus Dresden empfing. Der /Stadthauptmann, der, waͤhrend er mit dem /Arzte ſprach, bemerkte, daß Kohlhaas eine /Thraͤne auf den Brief, den er bekommen und /eroͤffnet hatte, fallen ließ, naͤherte ſich ihm, auf /eine freundliche und herzliche Weiſe, und fragte / 720 ihn, was fuͤr ein Unfall ihn betroffen; und da /der Roßhaͤndler ihm, ohne ihm zu antworten, /den Brief uͤberreichte: ſo klopfte dieſer wuͤrdige /Mann, dem die abſcheuliche Ungerechtigkeit, die /man auf der Tronkenburg an ihm veruͤbt hatte, /und an deren Folgen Herſe eben, vielleicht auf /die Lebenszeit, krank danieder lag, bekannt war, /auf die Schulter, und ſagte ihm: er ſolle nicht /muthlos ſeyn; er werde ihm zu ſeiner Genug/33thuung verhelfen! Am Abend, da ſich der Roß/ 730 kamm, ſeinem Befehl gemaͤß, zu ihm auf’s /Schloß begeben hatte, ſagte er ihm, daß er nur /eine Supplik, mit einer kurzen Darſtellung des /Vorfalls, an den Kurfuͤrſten von Brandenburg /aufſetzen, den Brief des Advocaten beilegen, /und wegen der Gewaltthaͤtigkeit, die man ſich, /auf ſaͤchſiſchem Gebiet, gegen ihn erlaubt, den /landesherrlichen Schutz aufrufen moͤgte. Er /verſprach ihm, die Bittſchrift, unter einem an/deren Paket, das ſchon bereit liege, in die Haͤnde / 740 des Kurfuͤrſten zu bringen, der ſeinethalb unfehl/bar, wenn es die Verhaͤltniſſe zuließen, bei dem /Kurfuͤrſten von Sachſen einkommen wuͤrde; und /mehr als eines ſolchen Schrittes beduͤrfe es nicht, /um ihm bei dem Tribunal in Dresden, den /Kuͤnſten des Junkers und ſeines Anhanges zum /Trotz, Gerechtigkeit zu verſchaffen. Kohlhaas, /lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann, /fuͤr dieſen neuen Beweis ſeiner Gewogenheit, /aufs herzlichſte; ſagte, es thue ihm nur leid, / 750 daß er nicht, ohne irgend Schritte in Dresden /zu thun, ſeine Sache gleich in Berlin anhaͤngig /34gemacht habe; und nachdem er, in der Schrei/berei des Stadtgerichts, die Beſchwerde, ganz /den Forderungen gemaͤß, verfaßt, und dem /Stadthauptmann uͤbergeben hatte, kehrte er, be/ruhigter uͤber den Ausgang ſeiner Geſchichte, als /je, nach Kohlhaaſenbruͤck zuruͤck. Er hatte aber /ſchon, in wenig Wochen, den Kummer, durch /einen Gerichtsherrn, der in Geſchaͤften des / 760 Stadthauptmanns nach Potsdam ging, zu er/fahren, daß der Kurfuͤrſt die Supplik ſeinem /Kanzler, dem Grafen Kallheim, uͤbergeben /habe, und daß dieſer nicht unmittelbar, wie es /zweckmaͤßig ſchien, bei dem Hofe zu Dresden, /um Unterſuchung und Beſtrafung der Gewalt/that, ſondern um vorlaͤufige, naͤhere Informa/tion bei dem Junker von Tronka eingekommen /ſey. Der Gerichtsherr, der, vor Kohlhaaſens /Wohnung, im Wagen haltend, den Auftrag zu / 770 haben ſchien, dem Roßhaͤndler dieſe Eroͤffnung /zu machen, konnte ihm auf die betroffene Frage: /warum man alſo verfahren? keine befriedigende /Auskunft geben. Er fuͤgte nur noch hinzu: der /Stadthauptmann ließe ihm ſagen, er moͤgte /35ſich in Geduld faſſen; ſchien bedraͤngt, ſeine /Reiſe fortzuſetzen; und erſt am Schluß der kur/zen Unterredung errieth Kohlhaas, aus einigen /hingeworfenen Worten, daß der Graf Kall/heim mit dem Hauſe derer von Tronka verſchwaͤ/ 780 gert ſey. — Kohlhaas, der keine Freude mehr, /weder an ſeiner Pferdezucht, noch an Haus und /Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durch/harrte, in truͤber Ahndung der Zukunft, den /naͤchſten Mond; und ganz ſeiner Erwartung ge/maͤß kam, nach Verlauf dieſer Zeit, Herſe, dem /das Bad einige Linderung verſchafft hatte, von /Brandenburg zuruͤck, mit einem, ein groͤßeres /Reſcript begleitenden, Schreiben des Stadt/hauptmanns, des Inhalts: es thue ihm leid, / 790 daß er nichts in ſeiner Sache thun koͤnne; er /ſchicke ihm eine, an ihn ergangene, Reſolution /der Staatskanzlei, und rathe ihm, die Pferde, /die er in der Tronkenburg zuruͤckgelaſſen, wieder /abfuͤhren, und die Sache uͤbrigens ruhen zu laſ/ſen. — Die Reſolution lautete: „er ſey, nach /dem Bericht des Tribunals in Dresden, ein un/nuͤtzer Quaͤrulant; der Junker, bei dem er die /36 Pferde zuruͤckgelaſſen, halte ihm dieſelben, /auf keine Weiſe, zuruͤck; er moͤgte nach der / 800 Burg ſchicken, und ſie holen, oder dem Jun/ker wenigſtens wiſſen laſſen, wohin er ſie ihm /ſenden ſolle; die Staatskanzlei aber, auf jeden /Fall, mit ſolchen Plackereien und Staͤnke/reien verſchonen.“ Kohlhaas, dem es nicht um /die Pferde zu thun war — er haͤtte gleichen /Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde /gegolten haͤtte — Kohlhaas ſchaͤumte vor Wuth, /als er dieſen Brief empfing. Er ſah, ſo oft /ſich ein Geraͤuſch im Hofe hoͤren ließ, mit der / 810 widerwaͤrtigſten Erwartung, die ſeine Bruſt je/mals bewegt hatte, nach dem Thorwege, ob die /Leute des Jungherren erſcheinen, und ihm, viel/leicht gar mit einer Entſchuldigung, die Pferde, /abgehungert und abgehaͤrmt, wieder zuſtellen /wuͤrden; der einzige Fall, in welchem ſeine von /der Welt wohlerzogene Seele, auf nichts das /ihrem Gefuͤhl voͤllig entſprach gefaßt war. Er /hoͤrte aber in kurzer Zeit ſchon, durch einen Be/kannten, der die Straße gereiſet war, daß die / 820 Gaule auf der Tronkenburg, nach wie vor, den /37uͤbrigen Pferden des Landjunkers gleich, auf dem /Felde gebraucht wuͤrden; und mitten durch den /Schmerz, die Welt in einer ſo ungeheuren Un/ordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zu/friedenheit empor, ſeine eigne Bruſt nunmehr in /Ordnung zu ſehen. Er lud einen Amtmann, /ſeinen Nachbar, zu ſich, der laͤngſt mit dem /Plan umgegangen war, ſeine Beſitzungen durch /den Ankauf der, ihre Graͤnze beruͤhrenden, Grund/ 830 ſtuͤcke zu vergroͤßern, und fragte ihn, nachdem /ſich derſelbe bei ihm niedergelaſſen, was er fuͤr /ſeine Beſitzungen, im Brandenburgiſchen und /im Saͤchſiſchen, Haus und Hof, in Pauſch und /Bogen, es ſey nagelfeſt oder nicht, geben wolle? /Lisbeth, ſein Weib, erblaßte bei dieſen Worten. /Sie wandte ſich, und hob ihr Juͤngſtes auf, das /hinter ihr auf dem Boden ſpielte, Blicke, in /welchen ſich der Tod malte, bei den rothen Wan/gen des Knaben vorbei, der mit ihren Halsbaͤn/ 840 dern ſpielte, auf den Roßkamm, und ein Pa/pier werfend, das er in der Hand hielt. Der /Amtmann fragte, indem er ihn befremdet an/ſah, was ihn ploͤtzlich auf ſo ſonderbare Gedan/38ken bringe; worauf jener, mit ſo viel Heiterkeit, /als er erzwingen konnte, erwiederte: der Ge/danke, ſeinen Meierhof, an den Ufern der Ha/vel, zu verkaufen, ſey nicht allzuneu; ſie haͤtten /beide ſchon oft uͤber dieſen Gegenſtand verhan/delt; ſein Haus in der Vorſtadt in Dresden ſey, / 850 in Vergleich damit, ein bloßer Anhang, der nicht /in Erwaͤgung komme; und kurz, wenn er ihm /ſeinen Willen thun, und beide Grundſtuͤcke uͤber/nehmen wolle, ſo ſey er bereit, den Contract /daruͤber mit ihm abzuſchließen. Er ſetzte, mit /einem etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohl/haaſenbruͤck ſey ja nicht die Welt; es koͤnne /Zwecke geben, in Vergleich mit welchen, ſeinem /Hausweſen, als ein ordentlicher Vater, vorzu/ſtehen, untergeordnet und nichtswuͤrdig ſey; / 860 und kurz, ſeine Seele, muͤſſe er ihm ſagen, ſey /auf große Dinge geſtellt, von welchen er vielleicht /bald hoͤren werde. Der Amtmann, durch dieſe /Worte beruhigt, ſagte, auf eine luſtige Art, zur /Frau, die das Kind einmal uͤber das andere /kuͤßte: er werde doch nicht gleich Bezahlung ver/langen? legte Huth und Stock, die er zwiſchen /39den Knieen gehalten hatte, auf den Tiſch, und /nahm das Blatt, das der Roßkamm in der /Hand hielt, um es zu durchleſen. Kohlhaas, / 870 indem er demſelben naͤher ruͤckte, erklaͤrte ihm, /daß es ein von ihm aufgeſetzter eventueller in /vier Wochen verfallener Kaufcontract ſey; zeigte /ihm, daß darin nichts fehle, als die Unterſchrif/ten, und die Einruͤckung der Summen, ſowohl /was den Kaufpreis ſelbſt, als auch den Reukauf, /d. h. die Leiſtung betreffe, zu der er ſich, falls /er binnen vier Wochen zuruͤcktraͤte, verſtehen /wolle; und forderte ihn noch einmal munter auf, /ein Gebot zu thun, indem er ihm verſicherte, daß / 880 er billig ſeyn, und keine großen Umſtaͤnde ma/chen wuͤrde. Die Frau ging in der Stube auf /und ab; ihre Bruſt flog, daß das Tuch, an /welchem der Knabe gezupft hatte, ihr voͤllig von /der Schulter herabzufallen drohte. Der Amt/mann ſagte, daß er ja den Werth der Beſitzung /in Dresden keineswegs beurtheilen koͤnne; wor/auf ihm Kohlhaas, Briefe, die bei ihrem An/kauf gewechſelt worden waren, hinſchiebend, /antwortete: daß er ſie zu 100 Goldguͤlden an/ 890 40ſchlage; obſchon daraus hervorgieng, daß ſie /ihm faſt um die Haͤlfte mehr gekoſtet hatten. /Der Amtmann, der den Kaufcontract noch ein/mal uͤberlas, und darin auch von ſeiner Seite, /auf eine ſonderbare Art, die Freiheit ſtipulirt /fand, zuruͤckzutreten, ſagte, ſchon halb entſchloſ/ſen: daß er ja die Geſtuͤtpferde, die in ſeinen /Staͤllen waͤren, nicht brauchen koͤnne; doch da /Kohlhaas erwiederte, daß er die Pferde auch gar /nicht loszuſchlagen willens ſey, und daß er auch / 900 einige Waffen, die in der Ruͤſtkammer hingen, /fuͤr ſich behalten wolle, ſo — zoͤgerte jener noch /und zoͤgerte, und wiederholte endlich ein Gebot, /das er ihm vor kurzem ſchon einmal, halb im /Scherz, halb im Ernſt, nichtswuͤrdig gegen den /Werth der Beſitzung, auf einem Spaziergange /gemacht hatte. Kohlhaas ſchob ihm Tinte und /Feder hin, um zu ſchreiben; und da der Amt/mann, der ſeinen Sinnen nicht traute, ihn noch /einmal gefragt hatte, ob es ſein Ernſt ſey? und / 910 der Roßkamm ihm ein wenig empfindlich geant/wortet hatte: ob er glaube, daß er bloß ſeinen /Scherz mit ihm treibe? ſo nahm jener zwar, mit /41einem bedenklichen Geſicht, die Feder, und /ſchrieb; dagegen durchſtrich er den Punct, in /welchem von der Leiſtung, falls dem Verkaͤufer /der Handel gereuen ſollte, die Rede war; ver/pflichtete ſich, zu einem Darlehn von 100 Gold/guͤlden, auf die Hypothek des Dresdenſchen /Grundſtuͤcks, das er auf keine Weiſe kaͤuflich an / 920 ſich bringen wollte; und ließ ihm, binnen zwei /Monaten voͤllige Freiheit, von dem Handel wie/der zuruͤckzutreten. Der Roßkamm, von dieſem /Verfahren geruͤhrt, ſchuͤttelte ihm mit vieler Herz/lichkeit die Hand; und nachdem ſie noch, welches /eine Hauptbedingung war, uͤbereingekommen /waren, daß des Kaufpreiſes vierter Theil un/fehlbar gleich baar, und der Reſt, in drei Mo/naten, in der Hamburger Bank, gezahlt wer/den ſollte, rief jener nach Wein, um ſich eines / 930 ſo gluͤcklich abgemachten Geſchaͤfts zu erfreuen. /Er ſagte einer Magd, die mit den Flaſchen her/eintrat, Sternbald, der Knecht, ſolle ihm den /Fuchs ſatteln; er muͤſſe, gab er an, nach der /Hauptſtadt reiten, wo er Verrichtungen habe; /und gab zu verſtehen, daß er in Kurzem, wenn /42er zuruͤckkehre, ſich offenherziger uͤber das, was /er jetzt noch fuͤr ſich behalten muͤſſe, auslaſſen /wuͤrde. Hierauf, indem er die Glaͤſer einſchenk/te, fragte er nach dem Pohlen und Tuͤrken, die / 940 gerade damals mit einander im Streit lagen; /verwickelte den Amtmann in mancherlei politiſche /Conjecturen daruͤber; trank ihm ſchluͤßlich hierauf /noch einmal das Gedeihen ihres Geſchaͤfts zu, und /entließ ihn. — Als der Amtmann das Zimmer /verlaſſen hatte, fiel Lisbeth auf Knieen vor ihm /nieder. Wenn du mich irgend, rief ſie, mich /und die Kinder, die ich dir geboren habe, in dei/nem Herzen traͤgſt; wenn wir nicht im Voraus /ſchon, um welcher Urſach willen, weiß ich nicht, / 950 verſtoßen ſind: ſo ſage mir, was dieſe entſetzli/chen Anſtalten zu bedeuten haben! Kohlhaas /ſagte: liebſtes Weib, nichts, das dich noch, ſo /wie die Sachen ſtehn, beunruhigen duͤrfte. Ich /habe eine Reſolution erhalten, in welcher man /mir ſagt, daß meine Klage gegen den Junker /Wenzel von Tronka eine nichtsnutzige Staͤnkerei /ſey. Und weil hier ein Mißverſtaͤndniß obwal/ten muß: ſo habe ich mich entſchloſſen, meine /43Klage noch einmal, perſoͤnlich bei dem Landes/ 960 herrn ſelbſt, einzureichen. — Warum willſt du /dein Haus verkaufen? rief ſie, indem ſie mit /einer verſtoͤrten Gebaͤhrde, aufſtand. Der Roß/kamm, indem er ſie ſanft an ſeine Bruſt druͤckte, /erwiederte: weil ich in einem Lande, liebſte Lis/beth, in welchem man mich, in meinen Rechten, /nicht ſchuͤtzen will, nicht bleiben mag. Lieber /ein Hund ſeyn, wenn ich von Fuͤßen getreten /werden ſoll, als ein Menſch! Ich bin gewiß, /daß meine Frau hierin ſo denkt, als ich. — / 970 Woher weißt du, fragte jene wild, daß man /dich in deinen Rechten nicht ſchuͤtzen wird? /Wenn du dem Herrn beſcheiden, wie es dir zu/kommt, mit deiner Bittſchrift nahſt: woher /weißt du, daß ſie bei Seite geworfen, oder mit /Verweigerung, dich zu hoͤren, beantwortet wer/den wird? — Wohlan, antwortete Kohlhaas, /wenn meine Furcht hierin ungegruͤndet iſt, ſo iſt /auch mein Haus noch nicht verkauft. Der Herr /ſelbſt, weiß ich, iſt gerecht; und wenn es mir / 980 nur gelingt, durch die, die ihn umringen, bis /an ſeine Perſon zu kommen, ſo zweifle ich nicht, /44ich verſchaffe mir Recht, und kehre froͤhlich, noch /ehe die Woche verſtreicht, zu dir und meinen /alten Geſchaͤften zuruͤck. Moͤgt’ ich alsdann /noch, ſetzt’ er hinzu, indem er ſie kuͤßte, bis an /das Ende meines Lebens bei dir verharren! — /Doch rathſam iſt es, fuhr er fort, daß ich mich /auf jeden Fall gefaßt mache; und daher wuͤnſchte /ich, daß du dich, auf einige Zeit, wenn es ſeyn / 990 kann, entfernteſt, und mit den Kindern zu dei/ner Muhme nach Schwerin gingſt, die du uͤber/dies laͤngſt haſt beſuchen wollen. — Wie? rief /die Hausfrau. Ich ſoll nach Schwerin gehen? /Ueber die Graͤnze mit den Kindern, zu meiner /Muhme nach Schwerin? Und das Entſetzen /erſtickte ihr die Sprache. — Allerdings, ant/wortete Kohlhaas, und das, wenn es ſeyn kann, /gleich, damit ich in den Schritten, die ich fuͤr /meine Sache thun will, durch keine Ruͤckſichten / 1000 geſtoͤrt werde. — „O! ich verſtehe dich!“ rief /ſie. „Du brauchſt jetzt nichts mehr, als Waf/fen und Pferde; alles Andere kann nehmen, wer /will!“ Und damit wandte ſie ſich, warf ſich /auf einen Seſſel nieder, und weinte. — Kohl/45haas ſagte betroffen: liebſte Lisbeth, was machſt /du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und /Guͤtern geſegnet; ſoll ich heute zum Erſtenmal /wuͤnſchen, daß es anders waͤre? — — — Er /ſetzte ſich zu ihr, die ihm, bei dieſen Worten, / 1010 erroͤthend um den Hals gefallen war, freundlich /nieder. — Sag’ mir an, ſprach er, indem er /ihr die Locken von der Stirne ſtrich: was ſoll /ich thun? Soll ich meine Sache aufgeben? /Soll ich nach der Tronkenburg gehen, und den /Ritter bitten, daß er mir die Pferde wieder gebe, /mich aufſchwingen, und ſie dir herreiten? — Lis/beth wagte nicht: ja! ja! ja! zu ſagen — ſie /ſchuͤttelte weinend mit dem Kopf, ſie druͤckte ihn /heftig an ſich, und uͤberdeckte mit heißen Kuͤſſen / 1020 ſeine Bruſt. „Nun alſo!“ rief Kohlhaas. /„Wenn du fuͤhlſt, daß mir, falls ich mein Ge/werbe forttreiben ſoll, Recht werden muß: ſo /goͤnne mir auch die Freiheit, die mir noͤthig iſt, /es mir zu verſchaffen! Und damit ſtand er auf, /und ſagte dem Knecht, der ihm meldete, daß der /Fuchs geſattelt ſtuͤnde: morgen muͤßten auch die /Braunen eingeſchirrt werden, um ſeine Frau /46nach Schwerin zu fuͤhren. Lisbeth ſagte: ſie /habe einen Einfall! Sie erhob ſich, wiſchte ſich / 1030 die Thraͤnen aus den Augen, und fragte ihn, der /ſich an einem Pult niedergeſetzt hatte: ob er ihr die /Bittſchrift geben, und ſie, ſtatt ſeiner, nach /Berlin gehen laſſen wolle, um ſie dem Landes/herrn zu uͤberreichen. Kohlhaas, von dieſer Wen/dung, um mehr als einer Urſach willen, geruͤhrt, /zog ſie auf ſeinen Schooß nieder, und ſprach: /liebſte Frau, das iſt nicht wohl moͤglich! Der /Landesherr iſt vielfach umringt, mancherlei Ver/drießlichkeiten iſt der auſgeſetzt, der ihm naht. / 1040 Lisbeth verſetzte, daß es in tauſend Faͤllen einer /Frau leichter ſey, als einem Mann, ihm zu na/hen. Gieb mir die Bittſchrift, wiederholte ſie; /und wenn du weiter nichts willſt, als ſie in ſei/nen Haͤnden wiſſen, ſo verbuͤrge ich mich dafuͤr: /er ſoll ſie bekommen! Kohlhaas, der von ihrem /Muth ſowohl, als ihrer Klugheit, mancherlei /Proben hatte, fragte, wie ſie es denn anzuſtel/len denke; worauf ſie, indem ſie verſchaͤmt vor /ſich niederſah, erwiederte: daß der Caſtellan des / 1050 kurfuͤrſtlichen Schloſſes, in fruͤheren Zeiten, da /47er zu Schwerin in Dienſten geſtanden, um ſie /geworben habe; daß derſelbe zwar jetzt verheira/thet ſey, und mehrere Kinder habe; daß ſie aber /immer noch nicht ganz vergeſſen waͤre; — und /kurz, daß er es ihr nur uͤberlaſſen moͤgte, aus /dieſem und manchem andern Umſtand, der zu /beſchreiben zu weitlaͤufig waͤre, Vortheil zu zie/hen. Kohlhaas kuͤßte ſie mit vieler Freude, ſag/te, daß er ihren Vorſchlag annaͤhme, belehrte / 1060 ſie, daß es weiter nichts beduͤrfe, als einer Woh/nung bei der Frau desſelben, um den Landes/herrn, im Schloſſe ſelbſt, anzutreten, gab ihr /die Bittſchrift, ließ die Braunen anſpannen, /und ſchickte ſie mit Sternbald, ſeinem treuen /Knecht, wohleingepackt ab. /
Dieſe Reiſe war aber von allen erfolgloſen /Schritten, die er in ſeiner Sache gethan hatte, der /allerungluͤcklichſte. Denn ſchon nach wenig Ta/gen zog Sternbald in den Hof wieder ein, Schritt / 1070 vor Schritt den Wagen fuͤhrend, in welchem /die Frau, mit einer gefaͤhrlichen Quetſchung an /der Bruſt, ausgeſtreckt darnieder lag. Kohl/haas, der bleich an das Fuhrwerk trat, konnte /48nichts Zuſammenhaͤngendes uͤber das, was die/ſes Ungluͤck verurſacht hatte, erfahren. Der /Caſtellan war, wie der Knecht ſagte, nicht zu /Hauſe geweſen; man war alſo genoͤthigt worden, /in einem Wirthshauſe, das in der Naͤhe des /Schloſſes lag, abzuſteigen; dies Wirthshaus / 1080 hatte Lisbeth am andern Morgen verlaſſen, /und dem Knecht befohlen, bei den Pferden zu/ruͤckzubleiben; und eher nicht, als am Abend, /ſey ſie, in dieſem Zuſtand, zuruͤckgekommen. /Es ſchien, ſie hatte ſich zu dreiſt an die Perſon /des Landesherrn vorgedraͤngt, und, ohne Ver/ſchulden desſelben, von dem bloßen rohen Eifer /einer Wache, die ihn umringte, einen Stoß, /mit dem Schaft einer Lanze, vor die Bruſt er/halten. Wenigſtens berichteten die Leute ſo, die / 1090 ſie, in bewußtloſem Zuſtand, gegen Abend in /den Gaſthof brachten; denn ſie ſelbſt konnte, /von aus dem Mund vorquellendem Blute gehin/dert, wenig ſprechen. Die Bittſchrift war ihr /nachher durch einen Ritter abgenommen worden. /Sternbald ſagte, daß es ſein Wille geweſen ſey, /ſich gleich auf ein Pferd zu ſetzen, und ihm von /49dieſem ungluͤcklichen Vorfall Nachricht zu geben; /doch ſie habe, trotz der Vorſtellungen des herbei/gerufenen Wundarztes, darauf beſtanden, ohne / 1100 alle vorgaͤngige Benachrichtigungen, zu ihrem /Manne nach Kohlhaaſenbruͤck abgefuͤhrt zu wer/den. Kohlhaas brachte ſie, die von der Reiſe /voͤllig zu Grunde gerichtet worden war, in ein /Bett, wo ſie, unter ſchmerzhaften Bemuͤhun/gen, Athem zu holen, noch einige Tage lebte. /Man verſuchte vergebens, ihr das Bewußtſeyn /wieder zu geben, um uͤber das, was vorgefallen/ war, einige Aufſchluͤſſe zu erhalten; ſie lag, mit /ſtarrem, ſchon gebrochenen Auge, da, und ant/ 1110 wortete nicht. Nur kurz vor ihrem Tode kehrte /ihr noch einmal die Beſinnung wieder. Denn /da ein Geiſtlicher lutheriſcher Religion (zu wel/chem eben damals aufkeimenden Glauben ſie ſich, /nach dem Beiſpiel ihres Mannes, bekannt hatte) /neben ihrem Bette ſtand, und ihr mit lauter /und empfindlich-feierlicher Stimme, ein Capitel /aus der Bibel vorlas: ſo ſah ſie ihn ploͤtzlich, mit /einem finſtern Ausdruck, an, nahm ihm, als /ob ihr daraus nichts vorzuleſen waͤre, die Bibel / 1120 50aus der Hand, blaͤtterte und blaͤtterte, und /ſchien etwas darin zu ſuchen; und zeigte dem /Kohlhaas, der an ihrem Bette ſaß, mit dem /Zeigefinger, den Vers: „Vergieb deinen Fein/den; thue wohl auch denen, die dich haſſen.“ — /Sie druͤckte ihm dabei mit einem uͤberaus ſeelen/vollen Blick die Hand, und ſtarb. — Kohlhaas /dachte: „ſo moͤge mir Gott nie vergeben, wie /ich dem Junker vergebe!“ kuͤßte ſie, indem ihm /haͤufig die Thraͤnen floſſen, druͤckte ihr die Augen / 1130 zu, und verließ das Gemach. Er nahm die hun/dert Goldguͤlden, die ihm der Amtmann ſchon, /fuͤr die Staͤlle in Dresden, zugefertigt hatte, /und beſtellte ein Leichenbegaͤngniß, das weniger /fuͤr ſie, als fuͤr eine Fuͤrſtinn, angeordnet ſchien: /ein eichener Sarg, ſtark mit Metall beſchlagen, /Kiſſen von Seide, mit goldnen und ſilbernen /Troddeln, und ein Grab von acht Ellen Tiefe, /mit Feldſteinen gefuͤttert und Kalk. Er ſtand /ſelbſt, ſein Juͤngſtes auf dem Arm, bei der / 1140 Gruft, und ſah der Arbeit zu. Als der Begraͤb/nißtag kam, ward die Leiche, weiß wie Schnee, /in einen Saal aufgeſtellt, den er mit ſchwarzem /51Tuch hatte beſchlagen laſſen. Der Geiſtliche /hatte eben eine ruͤhrende Rede an ihrer Bahre /vollendet, als ihm die landesherrliche Reſolution /auf die Bittſchrift zugeſtellt ward, welche die /Abgeſchiedene uͤbergeben hatte, des Inhalts: er /ſolle die Pferde von der Tronkenburg abholen, /und bei Strafe, in das Gefaͤngniß geworfen zu / 1150 werden, nicht weiter in dieſer Sache einkom/men. Kohlhaas ſteckte den Brief ein, und ließ /den Sarg auf den Wagen bringen. Sobald der /Huͤgel geworfen, das Kreuz darauf gepflanzt, /und die Gaͤſte, die die Leiche beſtattet hatten, /entlaſſen waren, warf er ſich noch einmal vor /ihrem, nun veroͤdeten Bette nieder, und uͤber/nahm ſodann das Geſchaͤft der Rache. Er ſetzte /ſich nieder und verfaßte einen Rechtsſchluß, in /welchem er den Junker Wenzel von Tronka, / 1160 kraft der ihm angeborenen Macht, verdammte, /die Rappen, die er ihm abgenommen, und auf /den Feldern zu Grunde gerichtet, binnen drei /Tagen nach Sicht, nach Kohlhaaſenbruͤck zu /fuͤhren, und in Perſon in ſeinen Staͤllen dick /zu fuͤttern. Dieſen Schluß ſandte er durch einen /52reitenden Boten an ihn ab, und inſtruirte den/ſelben, flugs nach Uebergabe des Papiers, wie/der bei ihm in Kohlhaaſenbruͤck zu ſeyn. Da die /drei Tage, ohne Ueberlieferung der Pferde, ver/ 1170 floſſen, ſo rief er Herſen; eroͤffnete ihm, was er /dem Jungherrn, die Dickfuͤtterung derſelben an/betreffend, aufgegeben; fragte ihn zweierlei, ob /er mit ihm nach der Tronkenburg reiten und den /Jungherrn holen; auch, ob er uͤber den Herge/holten, wenn er bei Erfuͤllung des Rechtsſchluſ/ſes, in den Staͤllen von Kohlhaaſenbruͤck, faul /ſey, die Peitſche fuͤhren wolle? und da Herſe, /ſo wie er ihn nur verſtanden hatte: „Herr, heute /noch!“ aufjauchzte, und, indem er die Muͤtze / 1180 in die Hoͤhe warf, verſicherte: einen Riemen, /mit zehn Knoten, um ihm das Striegeln zu leh/ren, laſſe er ſich flechten! ſo verkaufte Kohlhaas /das Haus, ſchickte die Kinder, in einen Wagen /gepackt, uͤber die Graͤnze; rief, bei Anbruch der /Nacht, auch die uͤbrigen Knechte zuſammen, /ſieben an der Zahl, treu ihm jedweder, wie /Gold; bewaffnete und beritt ſie, und brach /nach der Tronkenburg auf. /
53Er fiel auch, mit dieſem kleinen Haufen, / 1190 ſchon, beim Einbruch der dritten Nacht, den /Zollwaͤrter und Thorwaͤchter, die im Geſpraͤch /unter dem Thor ſtanden, niederreitend, in die /Burg, und waͤhrend, unter ploͤtzlicher Aufpraſ/ſelung aller Baraken im Schloßraum, die ſie /mit Feuer bewarfen, Herſe, uͤber die Windel/treppe, in den Thurm der Voigtei eilte, und den /Schloßvoigt und Verwalter, die, halb entkleidet, /beim Spiel ſaßen, mit Hieben und Stichen /uͤberfiel, ſtuͤrzte Kohlhaas zum Junker Wenzel / 1200 ins Schloß. Der Engel des Gerichts faͤhrt alſo /vom Himmel herab; und der Junker, der eben, /unter vielem Gelaͤchter, dem Troß junger Freun/de, der bei ihm war, den Rechtsſchluß, den ihm /der Roßkamm uͤbermacht hatte, vorlas, hatte /nicht ſobald deſſen Stimme im Schloßhof ver/nommen: als er den Herren ſchon, ploͤtzlich lei/chenbleich: Bruͤder, rettet euch! zurief, und ver/ſchwand. Kohlhaas, der, beim Eintritt in den /Saal, einen Junker Hans von Tronka, der / 1210 ihm entgegen kam, bei der Bruſt faßte, und in /den Winkel des Saals ſchleuderte, daß er ſein /54Hirn an den Steinen verſpruͤtzte, fragte, waͤhrend /die Knechte die anderen Ritter, die zu den /Waffen gegriffen hatten, uͤberwaͤltigten, und /zerſtreuten: wo der Junker Wenzel von Tronka /ſey? Und da er, bei der Unwiſſenheit der betaͤub/ten Maͤnner, die Thuͤren zweier Gemaͤcher, die /in die Seitenfluͤgel des Schloſſes fuͤhrten, mit /einem Fußtritt ſprengte, und in allen Richtun/ 1220 gen, in denen er das weitlaͤufige Gebaͤude durch/kreuzte, niemanden fand, ſo ſtieg er fluchend in /den Schloßhof hinab, um die Ausgaͤnge beſetzen /zu laſſen. Inzwiſchen war, vom Feuer der /Baraken ergriffen, nun ſchon das Schloß, mit /allen Seitengebaͤuden, ſtarken Rauch gen Him/mel qualmend, angegangen, und waͤhrend Stern/bald, mit drei geſchaͤftigen Knechten, Alles, /was niet- und nagelfeſt war, zuſammenſchlepp/ten, und zwiſchen den Pferden, als gute Beu/ 1230 te, umſtuͤrzten, flogen, unter dem Jubel Her/ſens, aus den offenen Fenſtern der Voigtei, die /Leichen des Schloßvoigts und Verwalters, mit /Weib und Kindern, herab. Kohlhaas, dem /ſich, als er die Treppe vom Schloß niederſtieg, /55die alte, von der Gicht geplagte Haushaͤlte/rinn, die dem Junker die Wirthſchaft fuͤhrte, /zu Fuͤßen warf, fragte ſie, indem er auf der /Stufe ſtehen blieb: wo der Junker Wenzel von /Tronka ſey? und da ſie ihm, mit ſchwacher, / 1240 zitternder Stimme, zur Antwort gab: ſie glau/be, er habe ſich in die Kapelle gefluͤchtet; ſo /rief er zwei Knechte mit Fackeln, ließ, in Er/mangelung der Schluͤſſel, den Eingang mit /Brechſtangen und Beilen eroͤffnen, kehrte Al/taͤre und Baͤnke um, und fand gleichwohl, zu /ſeinem grimmigen Schmerz, den Junker nicht. /Es traf ſich, daß ein junger, zum Geſinde der /Tronkenburg gehoͤriger Knecht, in dem Augen/blick, da Kohlhaas aus der Kapelle zuruͤckkam, / 1250 herbeieilte, um aus einem weitlaͤufigen, ſteiner/nen Stall, den die Flamme bedrohte, die /Streithengſte des Junkers herauszuziehen. Kohl/haas, der, in eben dieſem Augenblick, in einem /kleinen, mit Stroh bedeckten Schuppen, ſeine /beiden Rappen erblickte, fragte den Knecht: /warum er die Rappen nicht rette? und da die/ſer, indem er den Schluͤſſel in die Stallthuͤr /56ſteckte, antwortete: der Schuppen ſtehe ja ſchon /in Flammen; ſo warf Kohlhaas den Schluͤſſel, / 1260 nachdem er ihn mit Heftigkeit aus der Stallthuͤre /geriſſen, uͤber die Mauer, trieb den Knecht, /mit hageldichten, flachen Hieben der Klinge, /in den brennenden Schuppen hinein, und zwang /ihn, unter entſetzlichem Gelaͤchter der Umſte/henden, die Rappen zu retten. Gleichwohl, /als der Knecht ſchreckenblaß, wenige Momente /nachdem der Schuppen hinter ihm zuſammen/ſtuͤrzte, mit den Pferden, die er an der Hand /hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohl/ 1270 haas nicht mehr; und da er ſich zu den Knech/ten auf den Schloßplatz begab, und den Roß/haͤndler, der ihm mehreremal den Ruͤcken zu/kehrte, fragte: was er mit den Thieren nun /anfangen ſolle? — hob dieſer ploͤtzlich, mit /einer fuͤrchterlichen Gebaͤhrde, den Fuß, daß /der Tritt, wenn er ihn gethan haͤtte, ſein Tod /geweſen waͤre: beſtieg, ohne ihm zu antwor/ten, ſeinen Braunen, ſetzte ſich unter das Thor /der Burg, und erharrte, inzwiſchen die Knechte / 1280 ihr Weſen forttrieben, ſchweigend den Tag. /
57Als der Morgen anbrach, war das ganze Schloß, /bis auf die Mauern, niedergebrannt, und nie/mand befand ſich mehr darin, als Kohlhaas /und ſeine ſieben Knechte. Er ſtieg vom Pferde, /und unterſuchte noch einmal, beim hellen Schein /der Sonne, den ganzen, in allen ſeinen Win/keln jetzt von ihr erleuchteten Platz, und da /er ſich, ſo ſchwer es ihm auch ward, uͤberzeu/gen mußte, daß die Unternehmung auf die Burg / 1290 fehlgeſchlagen war, ſo ſchickte er, die Bruſt /voll Schmerz und Jammer, Herſen mit eini/gen Knechten aus, um uͤber die Richtung, die /der Junker auf ſeiner Flucht genommen, Nach/richt einzuziehen. Beſonders beunruhigte ihn /ein reiches Fraͤuleinſtift, Namens Erlabrunn, /das an den Ufern der Mulde lag, und deſſen /Aebtiſſinn, Antonia von Tronka, als eine /fromme, wohlthaͤtige und heilige Frau, in der /Gegend bekannt war; denn es ſchien dem un/ 1300 gluͤcklichen Kohlhaas nur zu wahrſcheinlich, daß /der Junker ſich, entbloͤßt von aller Nothdurft, /wie er war, in dieſes Stift gefluͤchtet hatte, /indem die Aebtiſſinn ſeine leibliche Tante und /58die Erzieherinn ſeiner erſten Kindheit war. /Kohlhaas, nachdem er ſich von dieſem Um/ſtand unterrichtet hatte, beſtieg den Thurm der /Voigtei, in deſſen Innerem ſich noch ein Zim/mer, zur Bewohnung brauchbar, darbot, und /verfaßte ein ſogenanntes „Kohlhaaſiſches Man/ 1310 dat,“ worin er das Land aufforderte, dem Jun/ker Wenzel von Tronka, mit dem er in einem /gerechten Krieg liege, keinen Vorſchub zu thun, /vielmehr jeden Bewohner, ſeine Verwandten /und Freunde nicht auſgenommen, verpflichtete, /demſelben bei Strafe Leibes und des Lebens, /und unvermeidlicher Einaͤſcherung alles deſſen, /was ein Beſitzthum heißen mag, an ihn aus/zuliefern. Dieſe Erklaͤrung ſtreute er, durch /Reiſende und Fremde, in der Gegend aus; ja, / 1320 er gab Waldmann, dem Knecht, eine Abſchrift /davon, mit dem beſtimmten Auftrage, ſie in /die Haͤnde der Dame Antonia nach Erlabrunn /zu bringen. Hierauf beſprach er einige Tronken/burgiſche Knechte, die mit dem Junker unzu/frieden waren, und von der Ausſicht auf Beute /gereizt, in ſeine Dienſte zu treten wuͤnſchten; /59bewaffnete ſie, nach Art des Fußvolks, mit /Armbruͤſten und Dolchen, und lehrte ſie, hin/ter den berittenen Knechten aufſitzen; und nach/ 1330 dem er Alles, was der Troß zuſammengeſchleppt /hatte, zu Geld gemacht und das Geld unter /denſelben vertheilt hatte, ruhete er einige Stun/den, unter dem Burgthor, von ſeinen jaͤmmer/lichen Geſchaͤften aus. /
Gegen Mittag kam Herſe und beſtaͤtigte /ihm, was ihm ſein Herz, immer auf die truͤb/ſten Ahnungen geſtellt, ſchon geſagt hatte: /naͤmlich, daß der Junker in dem Stift zu Er/labrunn, bei der alten Dame Antonia von / 1340 Tronka, ſeiner Tante, befindlich ſey. Es ſchien, /er hatte ſich, durch eine Thuͤr, die, an der /hinteren Wand des Schloſſes, in die Luft hin/ausging, uͤber eine ſchmale, ſteinerne Treppe /gerettet, die, unter einem kleinen Dach, zu ei/nigen Kaͤhnen in die Elbe hinablief. Wenig/ſtens berichtete Herſe, daß er, in einem Elb/dorf, zum Befremden der Leute, die wegen des /Brandes in der Tronkenburg verſammelt gewe/ſen, um Mitternacht, in einem Nachen, ohne / 1350 60Steuer und Ruder, angekommen, und mit /einem Dorffuhrwerk nach Erlabrunn weiter ge/reiſet ſey. — — — Kohlhaas ſeufzte bei die/ſer Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde /gefreſſen haͤtten? und da man ihm antwortete: /ja: ſo ließ er den Haufen aufſitzen, und ſtand /ſchon in drei Stunden vor Erlabrunn. Eben, /unter dem Gemurmel eines entfernten Gewit/ters am Horizont, mit Fackeln, die er ſich vor /dem Ort angeſteckt, zog er mit ſeiner Schaar / 1360 in den Kloſterhof ein, und Waldmann, der /Knecht, der ihm entgegen trat, meldete ihm, /daß das Mandat richtig abgegeben ſey, als er /die Aebtiſſin und den Stiftsvoigt, in einem ver/ſtoͤrten Wortwechſel, unter das Portal des /Kloſters treten ſah; und waͤhrend jener, der /Stiftsvoigt, ein kleiner, alter, ſchneeweißer /Mann, grimmige Blicke auf Kohlhaas ſchie/ßend, ſich den Harniſch anlegen ließ, und den /Knechten, die ihn umringten, mit dreiſter / 1370 Stimme zurief, die Sturmglocke zu ziehn: trat /jene, die Stiftsfrau, das ſilberne Bildniß des /Gekreuzigten in der Hand, bleich, wie Linnen/61zeug, von der Rampe herab, und warf ſich mit /allen ihren Jungfrauen, vor Kohlhaaſens /Pferd nieder. Kohlhaas, waͤhrend Herſe und /Sternbald den Stiftsvoigt, der kein Schwerdt /in der Hand hatte, uͤberwaͤltigten, und als Ge/fangenen zwiſchen die Pferde fuͤhrten, fragte ſie: /wo der Junker Wenzel von Tronka ſey? und / 1380 da ſie, einen großen Ring mit Schluͤſſeln von /ihrem Gurt losloͤſend: in Wittenberg, Kohlhaas, /wuͤrdiger Mann! antwortete, und, mit beben/der Stimme, hinzuſetzte: fuͤrchte Gott und /thue kein Unrecht! — ſo wandte Kohlhaas, in /die Hoͤlle unbefriedigter Rache zuruͤckgeſchleudert, /das Pferd, und war im Begriff: ſteckt an! zu /rufen, als ein ungeheurer Wetterſchlag, dicht /neben ihm, zur Erde niederfiel. Kohlhaas, in/dem er ſein Pferd zu ihr zuruͤckwandte, fragte / 1390 ſie: ob ſie ſein Mandat erhalten? und da die /Dame mit ſchwacher, kaum hoͤrbarer Stimme, /antwortete: eben jetzt! — „Wann?“ — Zwei /Stunden, ſo wahr mir Gott helfe, nach des /Junkers, meines Vetters, bereits vollzogener /Abreiſe! — — — und Waldmann, der Knecht, /62zu dem Kohlhaas ſich, unter finſteren Blicken, /umkehrte, ſtotternd dieſen Umſtand beſtaͤtigte, /indem er ſagte, daß die Gewaͤſſer der Mulde, /vom Regen geſchwellt, ihn verhindert haͤtten, / 1400 fruͤher, als eben jetzt, einzutreffen: ſo ſammelte /ſich Kohlhaas; ein ploͤtzlich fruchtbarer Regen/guß, der die Fackeln verloͤſchend, auf das Pfla/ſter des Platzes niederrauſchte, loͤſte den Schmerz /in ſeiner ungluͤcklichen Bruſt; er wandte, indem /er kurz den Huth vor der Dame ruͤckte, ſein /Pferd, druͤckte ihm, mit den Worten: folgt /mir meine Bruͤder; der Junker iſt in Witten/berg! die Sporren ein, und verließ das Stift. /
Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem / 1410 Wirthshauſe auf der Landſtraße ein, wo er, /wegen großer Ermuͤdung der Pferde, einen Tag /ausruhen mußte, und da er wohl einſah, daß er /mit einem Haufen von zehn Mann (denn ſo /ſtark war er jetzt), einem Platz wie Wittenberg /war, nicht trotzen konnte, ſo verfaßte er ein /zweites Mandat, worin er, nach einer kurzen /Erzaͤhlung deſſen, was ihm im Lande begegnet, /„jeden guten Chriſten“, wie er ſich ausdruͤckte,/63 „unter Angelobung eines Handgelds und ande/ 1420 rer kriegeriſchen Vortheile“, aufforderte „ſeine /Sache gegen den Junker von Tronka, als dem /allgemeinen Feind aller Chriſten, zu ergreifen.“ /In einem anderen Mandat, das bald darauf /erſchien, nannte er ſich: „einen Reichs- und /Weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn;“ /eine Schwaͤrmerei krankhafter und mißgeſchaf/fener Art, die ihm gleichwohl, bei dem Klang /ſeines Geldes und der Ausſicht auf Beute, un/ter dem Geſindel, das der Friede mit Pohlen / 1430 außer Brodt geſetzt hatte, Zulauf in Menge /verſchaffte: dergeſtalt, daß er in der That drei/ßig und etliche Koͤpfe zaͤhlte, als er ſich, zur /Einaͤſcherung von Wittenberg, auf die rechte /Seite der Elbe zuruͤckbegab. Er lagerte ſich, /mit Pferden und Knechten, unter dem Dache /einer alten verfallenen Ziegelſcheune, in der Ein/ſamkeit eines finſteren Waldes, der damals dieſen /Platz umſchloß, und hatte nicht ſobald durch /Sternbald, den er, mit dem Mandat, verklei/ 1440 det in die Stadt ſchickte, erfahren, daß das /Mandat daſelbſt ſchon bekannt ſey, als er auch /64mit ſeinen Haufen ſchon, am heiligen Abend vor /Pfingſten, aufbrach, und den Platz, waͤhrend /die Bewohner im tiefſten Schlaf lagen, an /mehreren Ecken zugleich, in Brand ſteckte. /Dabei klebte er, waͤhrend die Knechte in der /Vorſtadt pluͤnderten, ein Blatt an den Thuͤr/pfeiler einer Kirche an, des Inhalts: „er, /Kohlhaas, habe die Stadt in Brand geſteckt, / 1450 und werde ſie, wenn man ihm den Junker nicht /ausliefere, dergeſtalt einaͤſchern, daß er,“ wie /er ſich ausdruͤckte, „hinter keiner Wand werde /zu ſehen brauchen, um ihn zu finden.“ — Das /Entſetzen der Einwohner, uͤber dieſen unerhoͤr/ten Frevel, war unbeſchreiblich; und die Flamme, /die bei einer zum Gluͤck ziemlich ruhigen Sommer/nacht, zwar nicht mehr als neunzehn Haͤuſer, wor/unter gleichwohl eine Kirche war, in den Grund /gelegt hatte, war nicht ſobald, gegen Anbruch / 1460 des Tages, einigermaaßen gedaͤmpft worden, /als der alte Landvoigt, Otto von Gorgas, be/reits ein Faͤhnlein von funfzig Mann ausſandte, /um den entſetzlichen Wuͤtherich aufzuheben. Der /Hauptmann aber, der es fuͤhrte, Namens /65Gerſtenberg, benahm ſich ſo ſchlecht dabei, daß /die ganze Expedition Kohlhaaſen, ſtatt ihn zu /ſtuͤrzen, vielmehr zu einem hoͤchſt gefaͤhrlichen /kriegeriſchen Ruhm verhalf; denn da dieſer Kriegs/mann ſich in mehrere Abtheilungen aufloͤſete, um / 1470 ihn, wie er meinte, zu umzingeln und zu erdruͤk/kenerdruͤcken, ward er von Kohlhaas, der ſeinen Haufen /zuſammenhielt, auf vereinzelten Puncten, ange/griffen und geſchlagen, dergeſtalt, daß ſchon, am /Abend des naͤchſtfolgenden Tages, kein Mann /mehr von dem ganzen Haufen, auf den die Hoff/nung des Landes gerichtet war, gegen ihm im /Felde ſtand. Kohlhaas, der durch dieſe Gefechte /einige Leute eingebuͤßt hatte, ſteckte die Stadt, /am Morgen des naͤchſten Tages, von neuem in / 1480 Brand, und ſeine moͤrderiſchen Anſtalten waren /ſo gut, daß wiederum eine Menge Haͤuſer, und / faſt alle Scheunen der Vorſtadt, in die Aſche ge/legt wurden. Dabei plackte er das bewußte /Mandat wieder, und zwar an die Ecken des /Rathhauſes ſelbſt, an, und fuͤgte eine Nach/richt uͤber das Schickſal des, von dem Landvoigt /abgeſchickten und von ihm zu Grunde gerichte/66ten, Hauptmanns von Gerſtenberg bei. Der /Landvoigt, von dieſem Trotz aufs Aeußerſte ent/ 1490 ruͤſtet, ſetzte ſich ſelbſt, mit mehreren Rittern, /an die Spitze eines Haufens von hundert und /funfzig Mann. Er gab dem Junker Wenzel von /Tronka, auf ſeine ſchriftliche Bitte, eine Wache, /die ihn vor der Gewaltthaͤtigkeit des Volks, das /ihn platterdings aus der Stadt entfernt wiſſen /wollte, ſchuͤtzte; und nachdem er, auf allen /Doͤrfern in der Gegend, Wachen ausgeſtellt, /auch die Ringmauer der Stadt, um ſie vor /einem Ueberfall zu decken, mit Poſten beſetzt / 1500 hatte, zog er, am Tage des heiligen Gervaſius, /ſelbſt aus, um den Drachen, der das Land ver/wuͤſtete, zu fangen. Dieſen Haufen war der /Roßkamm klug genug, zu vermeiden; und nach/dem er den Landvoigt, durch geſchickte Maͤrſche, /fuͤnf Meilen von der Stadt hinweggelockt, und /vermittelſt mehrerer Anſtalten, die er traf, zu /dem Wahn verleitet hatte, daß er ſich, von der /Uebermacht gedraͤngt, ins Brandenburgiſche wer/fen wuͤrde: wandte er ſich ploͤtzlich, beim Ein/ 1510 bruch der dritten Nacht, kehrte, in einem Ge/67waltritt, nach Wittenberg zuruͤck, und ſteckte /die Stadt zum drittenmal in Brand. Herſe, /der ſich verkleidet in die Stadt ſchlich, fuͤhrte /dieſes entſetzliche Kunſtſtuͤck aus; und die Feuers/brunſt war, wegen eines ſcharf wehenden Nord/windes, ſo verderblich und um ſich freſſend, daß, /in weniger als drei Stunden, zwei und vierzig /Haͤuſer, zwei Kirchen, mehrere Kloͤſter und /Schulen, und das Gebaͤude der kurfuͤrſtlichen / 1520 Landvoigtei ſelbſt, in Schutt und Aſche lagen. /Der Landvoigt, der ſeinen Gegner, beim An/bruch des Tages, im Brandenburgiſchen glaubte, /fand, als er von dem, was vorgefallen, benach/richtigt, in beſtuͤrzten Maͤrſchen zuruͤckkehrte, die /Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk hatte /ſich zu Tauſenden vor dem, mit Balken und /Pfaͤhlen verrammelten, Hauſe des Junkers ge/lagert, und forderte, mit raſendem Geſchrei, /ſeine Abfuͤhrung aus der Stadt. Zwei Buͤrger/ 1530 meiſter, Namens Jenkens und Otto, die in /Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magi/ſtrats gegenwaͤrtig waren, bewieſen vergebens, /daß man platterdings die Ruͤckkehr eines Eilbo/68ten abwarten muͤſſe, den man wegen Erlaub/niß den Junker nach Dresden bringen zu duͤr/fen, wohin er ſelbſt aus mancherlei Gruͤnden /abzugehen wuͤnſche, an den Praͤſidenten der /Staatskanzlei geſchickt habe; der unvernuͤnftige, /mit Spießen und Stangen bewaffnete Haufen / 1540 gab auf dieſe Worte nichts, und eben war man, /unter Mißhandlung einiger zu kraͤftigen Maaß/regeln auffordernden Raͤthe, im Begriff das /Haus worin der Junker war zu ſtuͤrmen, und /der Erde gleich zu machen, als der Landvoigt, /Otto von Gorgas, an der Spitze ſeines Reuter/haufens, in der Stadt erſchien. Dieſem wuͤrdi/gen Herrn, der ſchon durch ſeine bloße Gegen/wart dem Volk Ehrfurcht und Gehorſam ein/zufloͤßen gewohnt war, war es, gleichſam zum / 1550 Erſatz fuͤr die fehlgeſchlagene Unternehmung, /von welcher er zuruͤckkam, gelungen, dicht vor /den Thoren der Stadt drei zerſprengte Knechte /von der Bande des Mordbrenners aufzufangen; /und da er, inzwiſchen die Kerle vor dem Ange/ſicht des Volks mit Ketten belaſtet wurden, /den Magiſtrat in einer klugen Anrede verſicherte, /69den Kohlhaas ſelbſt denke er in kurzem, indem /er ihm auf die Spur ſey, gefeſſelt einzubrin/gen: ſo gluͤckte es ihm, durch die Kraft aller / 1560 dieſer beſchwichtigenden Umſtaͤnde, die Angſt /des verſammelten Volks zu entwaffnen, und /uͤber die Anweſenheit des Junkers, bis zur /Zuruͤckkunft des Eilboten aus Dresden, einiger/maßen zu beruhigen. Er ſtieg, in Begleitung /einiger Ritter, vom Pferde, und verfuͤgte /ſich, nach Wegraͤumung der Palliſaden und /Pfaͤhle, in das Haus, wo er den Junker, der /aus einer Ohnmacht in die andere fiel, unter /den Haͤnden zweier Aerzte fand, die ihn mit / 1570 Eſſenzen und Irritanzen wieder ins Leben zuruͤck /zu bringen ſuchten; und da Herr Otto von Gor/gas wohl fuͤhlte, daß dies der Augenblick nicht /war, wegen der Auffuͤhrung, die er ſich zu /Schulden kommen laſſe, Worte mit ihm zu /wechſeln: ſo ſagte er ihm bloß, mit einem Blick /ſtiller Verachtung, daß er ſich ankleiden, und /ihm, zu ſeiner eigenen Sicherheit, in die Ge/maͤcher der Ritterhaft folgen moͤgte. Als man /dem Junker ein Wams angelegt, und einen / 1580 70Helm aufgeſetzt hatte, und er, die Bruſt, we/gen Mangels an Luft, noch halb offen, am /Arm des Landvoigts und ſeines Schwagers, des /Grafen von Gerſchau, auf der Straße erſchien, /ſtiegen gotteslaͤſterliche und entſetzliche Verwuͤn/ſchungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, /von den Landsknechten nur muͤhſam zuruͤckgehal/ten, nannte ihn einen Blutigel, einen elenden /Landplager und Menſchenquaͤler, den Fluch /der Stadt Wittenberg, und das Verderben von / 1590 Sachſen; und nach einem jaͤmmerlichen Zuge /durch die in Truͤmmern liegende Stadt, waͤh/rend welchem er mehreremal, ohne ihn zu ver/miſſen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter /von hinten wieder aufſetzte, erreichte man end/lich das Gefaͤngniß, wo er in einem Thurm, /unter dem Schutz einer ſtarken Wache, ver/ſchwand. Mittlerweile ſetzte die Ruͤckkehr des /Eilboten, mit der kurfuͤrſtlichen Reſolution, die /Stadt in neue Beſorgniß. Denn die Landes/ 1600 regierung, bei welcher die Buͤrgerſchaft von /Dresden, in einer dringenden Supplik, unmit/telbar eingekommen war, wollte, vor Ueber/71waͤltigung des Mordbrenners, von dem Aufent/halt des Junkers in der Reſidenz nichts wiſſen; /vielmehr verpflichtete ſie den Landvoigt, denſel/ben da, wo er ſey, weil er irgendwo ſeyn muͤſſe, /mit der Macht, die ihm zu Gebote ſtehe, zu /beſchirmen: wogegen ſie der guten Stadt Wit/tenberg, zu ihrer Beruhigung, meldete, daß / 1610 bereits ein Heerhaufen von fuͤnfhundert Mann, /unter Anfuͤhrung des Prinzen Friedrich von /Meißen im Anzuge ſey, um ſie vor den ferneren /Belaͤſtigungen desſelben zu beſchuͤtzen. Der Land/voigt, der wohl einſah, daß eine Reſolution /dieſer Art, das Volk keinesweges beruhigen /konnte: denn nicht nur, daß mehrere kleinen /Vortheile, die der Roßhaͤndler, an verſchiede/nen Punkten, vor der Stadt erfochten, uͤber /die Staͤrke, zu der er herangewachſen, aͤußerſt / 1620 unangenehme Geruͤchte verbreiteten; der Krieg, /den er, in der Finſterniß der Nacht, durch ver/kleidetes Geſindel, mit Pech, Stroh und /Schwefel fuͤhrte, haͤtte, unerhoͤrt und beiſpiel/los, wie er war, ſelbſt einen groͤßeren Schutz, /als mit welchem der Prinz von Meißen heran/72ruͤckte, unwirkſam machen koͤnnen: der Land/voigt, nach einer kurzen Ueberlegung, entſchloß /ſich, die Reſolution, die er empfangen, ganz /und gar zu unterdruͤcken. Er plackte bloß einen / 1630 Brief, in welchem ihm der Prinz von Meiſſen /ſeine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt /an; ein verdeckter Wagen, der, beim Anbruch /des Tages, aus dem Hofe des Herrenzwingers /kam, fuhr, von vier ſchwer bewaffneten Reu/tern begleitet, auf die Straße nach Leipzig hin/aus, wobei die Reuter, auf eine unbeſtimmte /Art verlauten ließen, daß es nach der Pleißen/burg gehe; und da das Volk uͤber den heilloſen /Junker, an deſſen Daſeyn Feuer und Schwerdt / 1640 gebunden, dergeſtalt beſchwichtigt war, brach /er ſelbſt, mit einem Haufen von dreihundert /Mann, auf, um ſich mit dem Prinzen Friedrich von Meißen zu vereinigen. Inzwiſchen /war Kohlhaas in der That, durch die ſonder/bare Stellung, die er in der Welt einnahm, /auf hundert und neun Koͤpfe herangewachſen; /und da er auch in Jaſſen einen Vorrath an /Waffen aufgetrieben, und ſeine Schaar, auf /73das Vollſtaͤndigſte, damit auſgeruͤſtet hatte: / 1650 ſo faßte er, von dem doppelten Ungewitter, das /auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entſchluß, /demſelben, mit der Schnelligkeit des Sturm/winds, ehe es uͤber ihn zuſammenſchluͤge, zu be/gegnen. Demnach griff er ſchon, Tags darauf, /den Prinzen von Meißen, in einem naͤchtlichen /Ueberfall, bei Muͤhlberg an; bei welchem Ge/fechte er zwar, zu ſeinem großen Leidweſen, den /Herſe einbuͤßte, der gleich durch die erſten /Schuͤſſe an ſeiner Seite zuſammenſtuͤrzte: / 1660 durch dieſen Verluſt erbittert aber, in einem /drei Stunden langen Kampfe, den Prinzen, /unfaͤhig ſich in dem Flecken zu ſammeln, ſo zu/richtete, daß er beim Anbruch des Tages, meh/rerer ſchweren Wunden, und einer gaͤnzlichen /Unordnung ſeines Haufens wegen, genoͤthigt /war, den Ruͤckweg nach Dresden einzuſchlagen. /Durch dieſen Vortheil tollkuͤhn gemacht, wandte /er ſich, ehe derſelbe noch davon unterrichtet ſeyn /konnte, zu dem Landvoigt zuruͤck, fiel ihn bei / 1670 dem Dorfe Damerow, am hellen Mittag, auf /freiem Felde an, und ſchlug ſich, unter moͤr/74deriſchem Verluſt zwar, aber mit gleichen Vor/theilen, bis in die ſinkende Nacht mit ihm /herum. Ja, er wuͤrde den Landvoigt, der ſich /in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte, /am andern Morgen unfehlbar mit dem Reſt /ſeines Haufens wieder angegriffen haben, wenn /derſelbe nicht durch Kundſchafter von der Nie/derlage, die der Prinz bei Muͤhlberg erlitten, / 1680 benachrichtigt worden waͤre, und ſomit fuͤr rath/ſamer gehalten haͤtte, gleichfalls, bis auf einen /beſſeren Zeitpunct, nach Wittenberg zuruͤckzu/kehren. Fuͤnf Tage, nach Zerſprengung dieſer /beiden Haufen, ſtand er vor Leipzig, und ſteckte /die Stadt an drei Seiten in Brand. — Er nannte /ſich in dem Mandat, das er, bei dieſer Gele/genheit, ausſtreute, „einen Statthalter Michaels, /des Erzengels, der gekommen ſey, an Allen, /die in dieſer Streitſache des Junkers Parthei / 1690 ergreifen wuͤrden, mit Feuer und Schwerdt, die /Argliſt, in welcher die ganze Welt verſunken ſey, /zu beſtrafen.“ Dabei rief er, von dem Luͤtzner /Schloß aus, das er uͤberrumpelt, und worin /er ſich feſtgeſetzt hatte, das Volk auf, ſich, zur /75Errichtung einer beſſeren Ordnung der Dinge, /an ihn anzuſchließen; und das Mandat war, /mit einer Art von Verruͤckung, unterzeichnet: /„Gegeben auf dem Sitz unſerer proviſoriſchen /Weltregierung, dem Erzſchloſſe zu Luͤtzen.“ Das / 1700 Gluͤck der Einwohner von Leipzig wollte, daß /das Feuer, wegen eines anhaltenden Regens /der vom Himmel fiel, nicht um ſich griff, der/geſtalt, daß bei der Schnelligkeit der beſtehenden /Loͤſchanſtalten, nur einige Kramlaͤden, die um /die Pleißenburg lagen, in Flammen aufloderten. /Gleichwohl war die Beſtuͤrzung in der Stadt, /uͤber das Daſeyn des raſenden Mordbrenners, /und den Wahn, in welchem derſelbe ſtand, daß /der Junker in Leipzig ſey, unausſprechlich; und / 1710 da ein Haufen von hundert und achtzig Reiſigen, /den man gegen ihn ausſchickte, zerſprengt in die /Stadt zuruͤckkam: ſo blieb dem Magiſtrat, der /den Reichthum der Stadt nicht ausſetzen wollte, /nichts anderes uͤbrig, als die Thore gaͤnzlich zu /ſperren, und die Buͤrgerſchaft Tag und Nacht, /außerhalb der Mauern, wachen zu laſſen. Ver/gebens ließ der Magiſtrat, auf den Doͤrfern der /76umliegenden Gegend, Deklarationen anheften, /mit der beſtimmten Verſicherung, daß der Jun/ 1720 ker nicht in der Pleißenburg ſey; der Roßkamm, /in aͤhnlichen Blaͤttern, beſtand darauf, daß er /in der Pleißenburg ſey, und erklaͤrte, daß, wenn /derſelbe nicht darin befindlich waͤre, er minde/ſtens verfahren wuͤrde, als ob er darin waͤre, /bis man ihm den Ort, mit Namen genannt, /werde angezeigt haben, worin er befindlich ſey. /Der Kurfuͤrſt, durch einen Eilboten, von der /Noth, in welcher ſich die Stadt Leipzig befand, /benachrichtigt, erklaͤrte, daß er bereits einen / 1730 Heerhaufen von zweitauſend Mann zuſammen/zoͤge, und ſich ſelbſt an deſſen Spitze ſetzen wuͤr/de, um den Kohlhaas zu fangen. Er ertheilte /dem Herrn Otto von Gorgas einen ſchweren /Verweis, wegen der zweideutigen und unuͤber/legten Liſt, die er angewendet, um des Mord/brenners aus der Gegend von Wittenberg loszu/werden; und niemand beſchreibt die Verwirrung, /die ganz Sachſen und insbeſondere die Reſidenz /ergriff, als man daſelbſt erfuhr, daß, auf den / 1740 Doͤrfern bei Leipzig, man wußte nicht von wem, /77eine Deklaration an den Kohlhaas angeſchlagen /worden ſey, des Inhalts: „Wenzel, der Jun/ker, befinde ſich bei ſeinen Vettern Hinz und /Kunz, in Dresden.“ /
Unter dieſen Umſtaͤnden uͤbernahm der /Doctor Martin Luther das Geſchaͤft, den Kohl/haas, durch die Kraft beſchwichtigender Worte, /von dem Anſehn, das ihm ſeine Stellung in /der Welt gab, unterſtuͤtzt, in den Damm der / 1750 menſchlichen Ordnung zuruͤckzudruͤcken, und auf /ein tuͤchtiges Element in der Bruſt des Mord/brenners bauend, erließ er ein Placat folgenden /Inhalts an ihn, das in allen Staͤdten und Flek/kenFlecken des Kurfuͤrſtenthums angeſchlagen ward:/
„Kohlhaas, der du dich geſandt zu ſeyn vor/giebſt, das Schwerdt der Gerechtigkeit /zu handhaben, was unterfaͤngſt du /dich, Vermeſſener, im Wahnſinn ſtock/blinder Leidenſchaft, du, den Ungerech/ 1760 tigkeit ſelbſt, vom Wirbel bis zur Sohle /erfuͤllt? Weil der Landesherr dir, dem /du unterthan biſt, dein Recht verwei/gert hat, dein Recht in dem Streit um /78ein nichtiges Gut, erhebſt du dich, Heil/loſer, mit Feuer und Schwerdt, und /brichſt, wie der Wolf der Wuͤſte, in die /friedliche Gemeinheit, die er beſchirmt. /Du, der die Menſchen mit dieſer An/gabe, voll Unwahrhaftigkeit und Argliſt, / 1770 verfuͤhrt: meinſt du, Suͤnder, vor Gott /dereinſt, an dem Tage, der in die Fal/ten aller Herzen ſcheinen wird, damit /auszukommen? Wie kannſt du ſagen, /daß dir dein Recht verweigert worden /iſt, du, deſſen grimmige Bruſt, vom /Kitzel ſchnoͤder Selbſtrache gereizt, nach /den erſten, leichtfertigen Verſuchen, die /dir geſcheitert, die Bemuͤhung gaͤnzlich /aufgegeben hat, es dir zu verſchaffen? / 1780 Iſt eine Bank voll Gerichtsdienern und /Schergen, die einen Brief, der ge/bracht wird, unterſchlagen, oder ein Er/kenntniß, das ſie abliefern ſollen, zu/ruͤckhalten, deine Obrigkeit? Und muß /ich dir ſagen, Gottvergeſſener, daß deine /Obrigkeit von deiner Sache nichts weiß — /79was ſag ich? daß der Landesherr, gegen /den du dich auflehnſt, auch deinen Na/men nicht kennt, dergeſtalt, daß wenn / 1790 dereinſt du vor Gottes Thron trittſt, in /der Meinung, ihn anzuklagen, er, hei/teren Antlitzes, wird ſprechen koͤnnen: /dieſem Mann, Herr, that ich kein Un/recht, denn ſein Daſeyn iſt meiner Seele /fremd? Das Schwerdt, wiſſe, das /du fuͤhrſt, iſt das Schwerdt des Raubes /und der Mordluſt, ein Rebell biſt du /und kein Krieger des gerechten Gottes, /und dein Ziel auf Erden iſt Rad und / 1800 Galgen, und jenſeits die Verdammniß, /die uͤber die Miſſethat und die Gottloſig/keit verhaͤngt iſt. /Wittenberg, u. s. w. / Martin Luther.“/
Kohlhaas waͤlzte eben, auf dem Schloſſe zu /Luͤtzen, einen neuen Plan, Leipzig einzuaͤſchern, /in ſeiner zerriſſenen Bruſt herum: — denn auf /die, in den Doͤrfern angeſchlagene Nachricht, /daß der Junker Wenzel in Dresden ſey, gab er / 1810 80nichts, weil ſie von Niemand, geſchweige denn /vom Magiſtrat, wie er verlangt hatte, unter/ſchrieben war: — als Sternbald und Waldmann /das Placat, das, zur Nachtzeit, an den Thor/weg des Schloſſes, angeſchlagen worden war, /zu ihrer großen Beſtuͤrzung, bemerkten. Ver/gebens hofften ſie, durch mehrere Tage, daß /Kohlhaas, den ſie nicht gern deshalb antreten /wollten, es erblicken wuͤrde; finſter und in ſich /gekehrt, in der Abendſtunde erſchien er zwar, / 1820 aber bloß, um ſeine kurzen Befehle zu geben, /und ſah nichts: dergeſtalt, daß ſie an einem /Morgen, da er ein Paar Knechte, die in der /Gegend, wieder ſeinen Willen, gepluͤndert hat/ten, aufknuͤpfen laſſen wollte, den Entſchluß /faßten, ihn darauf aufmerkſam zu machen. Eben /kam er, waͤhrend das Volk von beiden Seiten /ſchuͤchtern auswich, in dem Aufzuge, der ihm, /ſeit ſeinem letzten Mandat, gewoͤhnlich war, /von dem Richtplatz zuruͤck: ein großes Cherubs/ 1830 ſchwerdt, auf einem rothledernen Kiſſen, mit /Quaſten von Gold verziert, ward ihm vorange/tragen, und zwoͤlf Knechte, mit brennenden /81Fackeln folgten ihm: da traten die beiden /Maͤnner, ihre Schwerdter unter dem Arm, ſo, /daß es ihn befremden mußte, um den Pfeiler, /an welchen das Placat angeheftet war, herum. /Kohlhaas, als er, mit auf dem Ruͤcken zuſam/mengelegten Haͤnden, in Gedanken vertieft, un/ter das Portal kam, ſchlug die Augen auf und / 1840 ſtutzte; und da die Knechte, bei ſeinem Anblick, /ehrerbietig auswichen: ſo trat er, indem er ſie /zerſtreut anſah, mit einigen raſchen Schritten, /an den Pfeiler heran. Aber wer beſchreibt, was /in ſeiner Seele vorging, als er das Blatt, deſſen /Inhalt ihn der Ungerechtigkeit zieh, daran er/blickte: unterzeichnet von dem theuerſten und /verehrungswuͤrdigſten Namen, den er kannte, /von dem Namen Martin Luthers! Eine dunkle /Roͤthe ſtieg in ſein Antlitz empor; er durchlas / 1850 es, indem er den Helm abnahm, zweimal von /Anfang bis zu Ende; wandte ſich, mit unge/wiſſen Blicken, mitten unter die Knechte zuruͤck, /als ob er etwas ſagen wollte, und ſagte nichts; /loͤſte das Blatt von der Wand los, durchlas /es noch einmal; und rief: Waldmann! laß /82mir mein Pferd ſatteln! ſodann: Sternbald! /folge mir ins Schloß! und verſchwand. Mehr als /dieſer wenigen Worte bedurfte es nicht, um ihn, /in der ganzen Verderblichkeit, in der er daſtand, / 1860 ploͤtzlich zu entwaffnen. Er warf ſich in die Ver/kleidung eines thuͤringiſchen Landpaͤchters; ſagte /Sternbald, daß ein Geſchaͤft, von bedeutender /Wichtigkeit, ihn nach Wittenberg zu reiſen noͤ/thige; uͤbergab ihm, in Gegenwart einiger der /vorzuͤglichſten Knechte, die Anfuͤhrung des in /Luͤtzen zuruͤckbleibenden Haufens; und zog, un/ter der Verſicherung, daß er in drei Tagen, /binnen welcher Zeit kein Angriff zu fuͤrchten ſey, /wieder zuruͤck ſeyn werde, nach Wittenberg ab. / 1870
Er kehrte, unter einem fremden Namen, in /ein Wirthshaus ein, wo er, ſobald die Nacht /angebrochen war, in ſeinem Mantel, und mit /einem Paar Piſtolen verſehen, die er in der Tron/kenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins Zimmer /trat. Luther, der unter Schriften und Buͤchern an /ſeinem Pulte ſaß, und den fremden, beſonderen /Mann die Thuͤr oͤffnen und hinter ſich verriegeln /ſah, fragte ihn: wer er ſey? und was er wolle? /83und der Mann, der ſeinen Huth ehrerbietig in / 1880 der Hand hielt, hatte nicht ſobald, mit dem /ſchuͤchternen Vorgefuͤhl des Schreckens, den er /verurſachen wuͤrde, erwiedert: daß er Michael /Kohlhaas, der Roßhaͤndler ſey; als Luther /ſchon: weiche fern hinweg! ausrief, und indem /er, vom Pult erſtehend, nach einer Klingel eilte, /hinzuſetzte: dein Odem iſt Peſt und deine Naͤhe /Verderben! Kohlhaas, indem er, ohne ſich vom /Platz zu regen, ſein Piſtol zog, ſagte: Hoch/wuͤrdiger Herr, dies Piſtol, wenn ihr die Klin/ 1890 gel ruͤhrt, ſtreckt mich leblos zu euren Fuͤßen /nieder! Setzt euch und hoͤrt mich an; unter den /Engeln, deren Pſalmen ihr aufſchreibt, ſeyd /ihr nicht ſicherer, als bei mir. Luther, indem /er ſich niederſetzte, fragte: was willſt du? Kohl/haas erwiederte: eure Meinung von mir, daß /ich ein ungerechter Mann ſey, widerlegen! Ihr /habt mir in eurem Placat geſagt, daß meine /Obrigkeit von meiner Sache nichts weiß: wohl/an, verſchafft mir freies Geleit, ſo gehe ich nach / 1900 Dresden, und lege ſie ihr vor. „Heilloſer und /entſetzlicher Mann!“ rief Luther, durch dieſe /84 Worte verwirrt zugleich und beruhigt: „wer gab /dir das Recht, den Junker von Tronka, in /Verfolg eigenmaͤchtiger Rechtsſchluͤſſe, zu uͤber/fallen, und da du ihn auf ſeiner Burg nicht /fandſt mit Feuer und Schwerdt die ganze Ge/meinſchaft heimzuſuchen, die ihn beſchirmt?“ /Kohlhaas erwiderte: hochwuͤrdiger Herr, nie/mand, fortan! Eine Nachricht, die ich aus / 1910 Dresden erhielt, hat mich getaͤuſcht, mich ver/fuͤhrt! Der Krieg, den ich mit der Gemeinheit /der Menſchen fuͤhre, iſt eine Miſſethat, ſobald /ich aus ihr nicht, wie ihr mir die Verſicherung /gegeben habt, verſtoßen war! Verſtoßen! rief /Luther, indem er ihn anſah. Welch eine Ra/ſerei der Gedanken ergriff dich? Wer haͤtte dich /aus der Gemeinſchaft des Staats, in welchem /du lebteſt, verſtoßen? Ja, wo iſt, ſo lange /Staaten beſtehen, ein Fall, daß jemand, wer / 1920 es auch ſey, daraus verſtoßen worden waͤre? — /Verſtoßen, antwortete Kohlhaas, indem er die /Hand zuſammendruͤckte, nenne ich den, dem der /Schutz der Geſetze verſagt iſt! Denn dieſes /Schutzes, zum Gedeihen meines friedlichen Ge/85werbes, bedarf ich; ja, er iſt es, deſſenhalb /ich mich, mit dem Kreis deſſen, was ich er/worben, in dieſe Gemeinſchaft fluͤchte; und wer /mir ihn verſagt, der ſtoͤßt mich zu den Wilden /der Einoͤde hinaus; er giebt mir, wie wollt ihr das / 1930 leugnen, die Keule, die mich ſelbſt ſchuͤtzt, in die /Hand. — Wer hat dir den Schutz der Geſetze ver/ſagt? rief Luther. Schrieb ich dir nicht, daß die /Klage, die du eingereicht, dem Landesherrn, /dem du ſie eingereicht, fremd iſt? Wenn Staats/diener hinter ſeinem Ruͤcken Prozeſſe unterſchla/gen, oder ſonſt ſeines geheiligten Namens, in ſei/ner Unwiſſenheit, ſpotten; wer anders als Gott /darf ihn wegen der Wahl ſolcher Diener zur Re/chenſchaft ziehen, und biſt du, gottverdammter / 1940 und entſetzlicher Menſch, befugt, ihn deshalb zu /richten? — Wohlan, verſetzte Kohlhaas, wenn /mich der Landesherr nicht verſtoͤßt, ſo kehre ich /auch wieder in die Gemeinſchaft, die er beſchirmt, /zuruͤck. Verſchafft mir, ich wiederhol’ es, freies /Geleit nach Dresden: ſo laſſe ich den Haufen, /den ich im Schloß zu Luͤtzen verſammelt, aus/einander gehen, und bringe die Klage, mit der /86ich abgewieſen worden bin, noch einmal bei dem /Tribunal des Landes vor. — Luther, mit einem / 1950 verdrießlichen Geſicht, warf die Papiere, die /auf ſeinem Tiſch lagen, uͤbereinander, und ſchwieg. /Die trotzige Stellung, die dieſer ſeltſame Menſch /im Staat einnahm, verdroß ihn; und den /Rechtsſchluß, den er, von Kohlhaaſenbruͤck aus, /an den Junker erlaſſen, erwaͤgend, fragte er: /was er denn von dem Tribunal zu Dresden ver/lange? Kohlhaas antwortete: Beſtrafung des /Junkers, den Geſetzen gemaͤß; Wiederherſtel/lung der Pferde in den vorigen Stand; und Er/ 1960 ſatz des Schadens, den ich ſowohl, als mein bei /Muͤhlberg gefallener Knecht Herſe, durch die /Gewaltthat, die man an uns veruͤbte, erlitten. /— Luther rief: Erſatz des Schadens! Summen /zu Tauſenden, bei Juden und Chriſten, auf /Wechſeln und Pfaͤndern, haſt du, zur Beſtrei/tung deiner wilden Selbſtrache, aufgenommen. /Wirſt du den Werth auch, auf der Rechnung, /wenn es zur Nachfrage kommt, anſetzen? — /Gott behuͤte! erwiderte Kohlhaas. Haus und / 1970 Hof, und den Wohlſtand, den ich beſeſſen, for/87dere ich nicht zuruͤck; ſo wenig als die Koſten des /Begraͤbniſſes meiner Frau! Herſens alte Mut/ter wird eine Berechnung der Heilkoſten, und /eine Specification deſſen, was ihr Sohn in der /Tronkenburg eingebuͤßt, beibringen; und den /Schaden, den ich wegen Nichtverkaufs der Rap/pen erlitten, mag die Regierung durch einen /Sachverſtaͤndigen abſchaͤtzen laſſen. — Luther /ſagte: raſender, unbegreiflicher und entſetzlicher / 1980 Menſch! und ſah ihn an. Nachdem dein /Schwerdt ſich, an dem Junker, Rache, die /grimmigſte, genommen, die ſich erdenken laͤßt: /was treibt dich, auf ein Erkenntniß gegen ihn zu /beſtehen, deſſen Schaͤrfe, wenn es zuletzt faͤllt, /ihn mit einem Gewicht von ſo geringer Erheb/lichkeit nur trifft? — Kohlhaas erwiederte, in/dem ihm eine Thraͤne uͤber die Wangen rollte: /hochwuͤrdiger Herr! es hat mich meine Frau ge/koſtet; Kohlhaas will der Welt zeigen, daß ſie / 1990 in keinem ungerechten Handel umgekommen iſt. /Fuͤgt euch in dieſen Stuͤcken meinem Willen, /und laßt den Gerichtshof ſprechen; in allem An/deren, was ſonſt noch ſtreitig ſeyn mag, fuͤge /88ich mich euch. — Luther ſagte: ſchau her, /was du forderſt, wenn anders die Umſtaͤnde /ſo ſind, wie die oͤffentliche Stimme hoͤren /laͤßt, iſt gerecht; und haͤtteſt du den Streit, /bevor du eigenmaͤchtig zur Selbſtrache geſchrit/ten, zu des Landesherrn Entſcheidung zu brin/ 2000 gen gewußt, ſo waͤre dir deine Forderung, /zweifle ich nicht, Punkt vor Punkt bewilligt /worden. Doch haͤtteſt du nicht, Alles wohl /erwogen, beſſer gethan, du haͤtteſt, um dei/nes Erloͤſers willen, dem Junker vergeben, /die Rappen, duͤrre und abgehaͤrmt, wie ſie /waren, bei der Hand genommen, dich aufge/ſetzt, und zur Dickfuͤtterung in deinen Stall /nach Kohlhaaſenbruͤck heimgeritten? — Kohl/haas antwortete: kann ſeyn! indem er ans Fen/ 2010 ſter trat: kann ſeyn, auch nicht! Haͤtte ich ge/wußt, daß ich ſie mit Blut aus dem Herzen /meiner lieben Frau wuͤrde auf die Beine brin/gen muͤſſen: kann ſeyn, ich haͤtte gethan, wie /ihr geſagt, hochwuͤrdiger Herr, und einen /Scheffel Hafer nicht geſcheut! Doch, weil ſie /mir einmal ſo theuer zu ſtehen gekommen ſind, /89ſo habe es denn, meine ich, ſeinen Lauf: laßt /das Erkenntniß, wie es mir zukoͤmmt, ſprechen, /und den Junker mir die Rappen auffuͤttern. — — / 2020 Luther ſagte, indem er, unter mancherlei Ge/danken, wieder zu ſeinen Papieren griff: er /wolle mit dem Kurfuͤrſten ſeinethalben in Unter/handlung treten. Inzwiſchen moͤgte er ſich, /auf dem Schloſſe zu Luͤtzen, ſtill halten; wenn /der Herr ihm freies Geleit bewillige, ſo werde /man es ihm auf dem Wege oͤffentlicher Anplak/kungAnplackung bekannt machen. — Zwar, fuhr er fort, /da Kohlhaas ſich herabbog, um ſeine Hand zu /kuͤſſen: ob der Kurfuͤrſt Gnade fuͤr Recht ergehen / 2030 laſſen wird, weiß ich nicht; denn einen Heer/haufen, vernehm’ ich, zog er zuſammen, und /ſteht im Begriff, dich im Schloſſe zu Luͤtzen /aufzuheben: inzwiſchen, wie ich dir ſchon geſagt /habe, an meinem Bemuͤhen ſoll es nicht liegen. /Und damit ſtand er auf, und machte Anſtalt, /ihn zu entlaſſen. Kohlhaas meinte, daß ſeine /Fuͤrſprache ihn uͤber dieſen Punkt voͤllig beruhige; /worauf Luther ihn mit der Hand gruͤßte, jener /aber ploͤtzlich ein Knie vor ihm ſenkte und ſprach: / 2040 90er habe noch eine Bitte auf ſeinem Herzen. Zu /Pfingſten naͤmlich, wo er an den Tiſch des /Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche, die/ſer ſeiner kriegeriſchen Unternehmung wegen, /verſaͤumt; ob er die Gewogenheit haben wolle, /ohne weitere Vorbereitung, ſeine Beichte zu em/pfangen, und ihm, zur Auswechſelung dagegen, /die Wohlthat des heiligen Sakraments zu erthei/len? Luther, nach einer kurzen Beſinnung, in/dem er ihn ſcharf anſah, ſagte: ja, Kohlhaas, / 2050 das will ich thun! Der Herr aber, deſſen Leib /du begehrſt, vergab ſeinem Feind. — Willſt du, /ſetzte er, da jener ihn betreten anſah, hinzu, /dem Junker, der dich beleidigt hat, gleichfalls /vergeben: nach der Tronkenburg gehen, dich auf /deine Rappen ſetzen, und ſie zur Dickfuͤtterung /nach Kohlhaaſenbruͤck heimreiten? — „Hochwuͤr/diger Herr,“ ſagte Kohlhaas erroͤthend, indem /er ſeine Hand ergriff, — nun? — „der Herr /auch vergab allen ſeinen Feinden nicht. Laßt / 2060 mich den Kurfuͤrſten, meinen beiden Herren, /dem Schloßvoigt und Verwalter, den Herren /Hinz und Kunz, und wer mich ſonſt in dieſer /91Sache gekraͤnkt haben mag, vergeben: den Jun/ker aber, wenn es ſeyn kann, noͤthigen, daß er /mir die Rappen wieder dick fuͤttere.“ — Bei die/ſen Worten kehrte ihm Luther, mit einem miß/vergnuͤgten Blick, den Ruͤcken zu, und zog die /Klingel. Kohlhaas, waͤhrend, dadurch herbei/gerufen, ein Famulus ſich mit Licht in dem Vor/ 2070 ſaal meldete, ſtand betreten, indem er ſich die /Augen trocknete, vom Boden auf; und da der /Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeſcho/ben war, an der Thuͤre wirkte, Luther aber ſich /wieder zu ſeinen Papieren niedergeſetzt hatte: ſo /machte Kohlhaas dem Mann die Thuͤre auf. /Luther, mit einem kurzen, auf den fremden /Mann gerichteten Seitenblick, ſagte dem Fa/mulus: leuchte! worauf dieſer, uͤber den Beſuch, /den er erblickte, ein wenig befremdet, den Haus/ 2080 ſchluͤſſel von der Wand nahm, und ſich, auf die /Entfernung desſelben wartend, unter die halb/offene Thuͤr des Zimmers zuruͤckbegab. — Kohl/haas ſprach, indem er ſeinen Huth bewegt zwi/ſchen beide Haͤnde nahm: und ſo kann ich, hoch/wuͤrdigſter Herr, der Wohlthat verſoͤhnt zu wer/92den, die ich mir von euch erbat, nicht theilhaftig /werden? Luther antwortete kurz: deinem Hei/land, nein; dem Landesherrn, — das bleibt einem /Verſuch, wie ich dir verſprach, vorbehalten! / 2090 Und damit winkte er dem Famulus, das Ge/ſchaͤft, das er ihm aufgetragen, ohne weiteren /Aufſchub, abzumachen. Kohlhaas legte, mit /dem Ausdruck ſchmerzlicher Empfindung, ſeine /beiden Haͤnde auf die Bruſt; folgte dem Mann, /der ihm die Treppe hinunter leuchtete, und ver/ſchwand. /
Am anderen Morgen erließ Luther ein Send/ſchreiben an den Kurfuͤrſten von Sachſen, wor/in er, nach einem bitteren Seitenblick auf die / 2100 ſeine Perſon umgebenden Herren Hinz und /Kunz, Kaͤmmerer und Mundſchenk von Tronka, /welche die Klage, wie allgemein bekannt war, /untergeſchlagen hatten, dem Herrn, mit der /Freimuͤthigkeit, die ihm eigen war, eroͤffnete, /daß bei ſo aͤrgerlichen Umſtaͤnden, nichts An/deres zu thun uͤbrig ſey, als den Vorſchlag des /Roßhaͤndlers anzunehmen, und ihm des Vorge/fallenen wegen, zur Erneuerung ſeines Pro/93zeſſes, Amneſtie zu ertheilen. Die oͤffentliche / 2110 Meinung, bemerkte er, ſey auf eine hoͤchſt ge/faͤhrliche Weiſe, auf dieſes Mannes Seite, der/geſtalt, daß ſelbſt in dem dreimal von ihm einge/aͤſcherten Wittenberg, eine Stimme zu ſeinem /Vortheil ſpreche; und da er ſein Anerbieten, /falls er damit abgewieſen werden ſollte, unfehl/bar, unter gehaͤſſigen Bemerkungen, zur Wiſ/ſenſchaft des Volks bringen wuͤrde, ſo koͤnne /dasſelbe leicht in dem Grade verfuͤhrt werden, /daß mit der Staatsgewalt gar nichts mehr gegen / 2120 ihn auszurichten ſey. Er ſchloß, daß man, in /dieſem außerordentlichen Fall, uͤber die Bedenk/lichkeit, mit einem Staatsbuͤrger, der die Waf/fen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hin/weggehen muͤſſe; daß derselbe in der That durch /das Verfahren, das man gegen ihn beobachtet, /auf gewiſſe Weiſe außer der Staatsverbindung /geſetzt worden ſey; und kurz, daß man ihn, um /aus dem Handel zu kommen, mehr als eine /fremde, in das Land gefallene Macht, wozu er / 2130 ſich auch, da er ein Auslaͤnder ſey, gewiſſer/maßen qualifizire, als einen Rebellen, der ſich /94gegen den Thron auflehne, betrachten muͤſſe. — /Der Kurfuͤrſt erhielt dieſen Brief eben, als der /Prinz Chriſtiern von Meißen, Generaliſſimus /des Reichs, Oheim des bei Muͤhlberg geſchlagenen /und an ſeinen Wunden noch daniederliegenden /Prinzen Friedrich von Meißen; der Großkanzler /des Tribunals, Graf Wrede; Graf Kallheim, /Praͤſident der Staatskanzlei; und die beiden / 2140 Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieſer /Kaͤmmerer, jener Mundſchenk, die Jugend/freunde und Vertrauten des Herrn, in dem /Schloſſe gegenwaͤrtig waren. Der Kaͤmmerer, /Herr Kunz, der, in der Qualitaͤt eines Geheimen/raths, des Herrn geheime Correſpondenz, mit der /Befugniß, ſich ſeines Namens und Wappens zu /bedienen, beſorgte, nahm zuerſt das Wort, und /nachdem er noch einmal weitlaͤufig auseinander /gelegt hatte, daß er die Klage, die der Roßhaͤnd/ 2150 ler gegen den Junker, ſeinen Vetter, bei dem /Tribunal eingereicht, nimmermehr durch eine /eigenmaͤchtige Verfuͤgung niedergeſchlagen haben /wuͤrde, wenn er ſie nicht, durch falſche Anga/ben verfuͤhrt, fuͤr eine voͤllig grundloſe und /95nichtsnutzige Plackerei gehalten haͤtte, kam er /auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge. Er be/merkte, daß, weder nach goͤttlichen noch menſch/lichen Geſetzen, der Roßkamm, um dieſes Miß/griffs willen, befugt geweſen waͤre, eine ſo un/ 2160 geheure Selbſtrache, als er ſich erlaubt, auszu/uͤben; ſchilderte den Glanz, der durch eine Ver/handlung mit demſelben, als einer rechtlichen /Kriegsgewalt, auf ſein gottverdammtes Haupt /falle; und die Schmach, die dadurch auf die ge/heiligte Perſon des Kurfuͤrſten zuruͤckſpringe, /ſchien ihm ſo unertraͤglich, daß er, im Feuer /der Beredtſamkeit, lieber das Aeußerſte erleben, /den Rechtsſchluß des raſenden Rebellen erfuͤllt, /und den Junker, ſeinen Vetter, zur Dickfuͤtte/ 2170 rung der Rappen nach Kohlhaaſenbruͤck abge/fuͤhrt ſehen, als den Vorſchlag, den der Doctor /Luther gemacht, angenommen wiſſen wollte. /Der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, /aͤußerte, halb zu ihm gewandt, ſein Bedauern, /daß eine ſo zarte Sorgfalt, als er, bei der Auf/loͤſung dieſer allerdings mißlichen Sache, fuͤr den /Ruhm des Herrn zeige, ihn nicht, bei der erſten /96Veranlaſſung derſelben, erfuͤllt haͤtte. Er ſtellte /dem Kurfuͤrſten ſein Bedenken vor, die Staats/ 2180 gewalt, zur Durchſetzung einer offenbar unrecht/lichen Maßregel, in Anſpruch zu nehmen; be/merkte, mit einem bedeutenden Blick auf den /Zulauf, den der Roßhaͤndler fortdauernd im /Lande fand, daß der Faden der Frevelthaten ſich /auf dieſe Weiſe ins Unendliche fortzuſpinnen /drohe, und erklaͤrte, daß nur ein ſchlichtes Recht/thun, indem man unmittelbar und ruͤckſichtslos /den Fehltritt, den man ſich zu Schulden kommen /laſſen, wieder gut machte, ihn abreißen und die / 2190 Regierung gluͤcklich aus dieſem haͤßlichen Handel /herausziehen koͤnne. Der Prinz Chriſtiern von /Meißen, auf die Frage des Herrn, was er da/von halte? aͤußerte, mit Verehrung gegen den /Großkanzler gewandt: die Denkungsart, die er /an den Tag lege, erfuͤlle ihn zwar mit dem groͤ/ßeſten Reſpect; indem er aber dem Kohlhaas zu /ſeinem Recht verhelfen wolle, bedenke er nicht, /daß er Wittenberg und Leipzig, und das ganze /durch ihn mißhandelte Land, in ſeinem gerech/ 2200 ten Anſpruch auf Schadenerſatz, oder wenigſtens /97Beſtrafung, beeintraͤchtige. Die Ordnung des /Staats ſey, in Beziehung auf dieſen Mann, /ſo verruͤckt, daß man ſie ſchwerlich durch einen /Grundſatz, aus der Wiſſenſchaft des Rechts ent/lehnt, werde einrenken koͤnnen. Daher ſtimme /er, nach der Meinung des Kaͤmmerers, dafuͤr, /das Mittel, das fuͤr ſolche Faͤlle eingeſetzt ſey, /ins Spiel zu ziehen: einen Kriegshaufen, von /hinreichender Groͤße zuſammenzuraffen, und / 2210 den Roßhaͤndler, der in Luͤtzen aufgepflanzt ſey, /damit aufzuheben oder zu erdruͤcken. Der Kaͤm/merer, indem er fuͤr ihn und den Kurfuͤrſten /Stuͤhle von der Wand nahm, und auf eine /verbindliche Weiſe ins Zimmer ſetzte, ſagte: /er freue ſich, daß ein Mann von ſeiner Recht/ſchaffenheit und Einſicht mit ihm in dem Mit/tel, dieſe Sache zweideutiger Art beizulegen, /uͤbereinſtimme. Der Prinz, indem er den Stuhl, /ohne ſich zu ſetzen, in der Hand hielt, und ihn an/ 2220 ſah, verſicherte ihn: daß er gar nicht Urſache haͤt/te ſich deshalb zu freuen, indem die damit verbun/dene Maßregel nothwendig die waͤre, einen Ver/haftsbefehl vorher gegen ihn zu erlaſſen, und wegen /98Mißbrauchs des landesherrlichen Namens den /Prozeß zu machen. Denn wenn Nothwendig/keit erfordere, den Schleier vor dem Thron der /Gerechtigkeit niederzulaſſen, uͤber eine Reihe von /Frevelthaten, die unabſehbar wie ſie ſich fort/erzeugt, vor den Schranken desſelben zu erſchei/ 2230 nen, nicht mehr Raum faͤnden, ſo gelte das /nicht von der erſten, die ſie veranlaßt; und al/lererſt ſeine Anklage auf Leben und Tod koͤnne /den Staat zur Zermalmung des Roßhaͤndlers /bevollmaͤchtigen, deſſen Sache, wie bekannt, /ſehr gerecht ſey, und dem man das Schwerdt, /das er fuͤhre, ſelbſt in die Hand gegeben. Der /Kurfuͤrſt, den der Junker bei dieſen Worten /betroffen anſah, wandte ſich, indem er uͤber das /ganze Geſicht roth ward, und trat ans Fenſter. / 2240 Der Graf Kallheim, nach einer verlegenen /Pauſe von allen Seiten, ſagte, daß man auf /dieſe Weiſe aus dem Zauberkreiſe, in dem man /befangen, nicht herauskaͤme. Mit demſelben /Rechte koͤnne ſeinem Neffen, dem Prinzen /Friedrich, der Prozeß gemacht werden; denn /auch er haͤtte, auf dem Streifzug ſonderbarer /99Art, den er gegen den Kohlhaas unternommen, /ſeine Inſtruktion auf mancherlei Weiſe uͤber/ſchritten: dergeſtalt, daß wenn man nach der / 2250 weitlaͤufigen Schaar derjenigen frage, die die /Verlegenheit, in welcher man ſich befinde, ver/anlaßt, er gleichfalls unter die Zahl derſelben /wuͤrde benannt, und von dem Landesherrn we/gen deſſen was bei Muͤhlberg vorgefallen, zur /Rechenſchaft gezogen werden muͤſſen. Der /Mundſchenk, Herr Hinz von Tronka, waͤh/rend der Kurfuͤrſt mit ungewiſſen Blicken an /ſeinen Tiſch trat, nahm das Wort und ſagte: /er begriffe nicht, wie der Staatsbeſchluß, der / 2260 zu faſſen ſey, Maͤnnern von ſolcher Weisheit, /als hier verſammelt waͤren, entgehen koͤnne. /Der Roßhaͤndler habe, ſeines Wiſſens, gegen /bloß freies Geleit nach Dresden, und erneuerte /Unterſuchung ſeiner Sache, verſprochen, den /Haufen, mit dem er in das Land gefallen, aus/einander gehen zu laſſen. Daraus aber folge /nicht, daß man ihm, wegen dieſer frevelhaften /Selbſtrache, Amneſtie ertheilen muͤſſe: zwei /Rechtsbegriffe, die der Doctor Luther ſowohl,/ 2270 100als auch der Staatsrath zu verwechſeln ſcheine. /Wenn, fuhr er fort, indem er den Finger an /die Naſe legte, bei dem Tribunal zu Dresden, /gleichviel wie, das Erkenntniß der Rappen we/gen gefallen iſt; ſo hindert nichts, den Kohl/haas auf den Grund ſeiner Mordbrennereien /und Raͤubereien einzuſtecken: eine ſtaatskluge /Wendung, die die Vortheile der Anſichten bei/der Staatsmaͤnner vereinigt, und des Beifalls /der Welt und Nachwelt gewiß iſt. — Der Kur/ 2280 fuͤrſt, da der Prinz ſowohl als der Großkanzler /dem Mundſchenk, Herrn Hinz, auf dieſe Rede /mit einem bloßen Blick antworteten, und die /Verhandlung mithin geſchloſſen ſchien, ſagte: /daß er die verſchiedenen Meinungen, die ſie ihm /vorgetragen, bis zur naͤchſten Sitzung des /Staatsraths bei ſich ſelbſt uͤberlegen wuͤrde. — /Es ſchien, die Praͤliminar-Maßregel, deren /der Prinz gedacht, hatte ſeinem fuͤr Freundſchaft /ſehr empfaͤnglichen Herzen die Luſt benommen, / 2290 den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu welchem /ſchon Alles vorbereitet war, auszufuͤhren. We/nigſtens behielt er den Großkanzler, Großkanzler, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Großkanzler, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Grafen /101Wrede, deſſen Meinung ihm die zweckmaͤßigſte /ſchien, bei ſich zuruͤck; und da dieſer ihm Briefe /vorzeigte, aus welchen hervorging, daß der Roß/haͤndler in der That ſchon zu einer Staͤrke von /vierhundert Mann herangewachſen ſey; ja, bei /der allgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der /Unziemlichkeiten des Kaͤmmerers im Lande / 2300 herrſchte, in kurzem auf eine doppelte und drei/fache Staͤrke rechnen koͤnne: ſo entſchloß ſich der /Kurfuͤrſt, ohne weiteren Anſtand, den Rath, /den ihm der Doctor Luther ertheilt, anzuneh/men. Dem gemaͤß uͤbergab er dem Grafen /Wrede die ganze Leitung der Kohlhaaſiſchen /Sache; und ſchon nach wenigen Tagen erſchien /ein Placat, das wir, dem Hauptinhalt nach, /folgendermaßen mittheilen:/
„Wir ⁊c. ⁊c. etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. etc. Kurfuͤrſt von Sachſen, ertheilen, / 2310 in beſonders gnaͤdiger Ruͤckſicht auf die an /Uns ergangene Fuͤrſprache des Doctors /Martin Luther, dem Michael Kohlhaas, /Roßhaͤndler aus dem Brandenburgiſchen, /unter der Bedingung, binnen drei Tagen /nach Sicht die Waffen, die er ergriffen, /102niederzulegen, Behufs einer erneuerten /Unterſuchung ſeiner Sache, freies Geleit /nach Dresden; dergeſtalt zwar, daß, /wenn derſelbe, wie nicht zu erwarten, / 2320 bei dem Tribunal zu Dresden mit ſeiner /Klage, der Rappen wegen, abgewieſen /werden ſollte, gegen ihn, ſeines eigen/maͤchtigen Unternehmens wegen, ſich /ſelbſt Recht zu verſchaffen, mit der gan/zen Strenge des Geſetzes verfahren wer/den ſolle; im entgegengeſetzten Fall aber, /ihm mit ſeinem ganzen Haufen, Gnade /fuͤr Recht bewilligt, und voͤllige Amne/ſtie, ſeiner in Sachſen ausgeuͤbten Ge/ 2330 waltthaͤtigkeiten wegen, zugeſtanden ſeyn /ſolle.“/
Kohlhaas hatte nicht ſobald, durch den Doctor /Luther, ein Exemplar dieſes in allen Plaͤtzen des /Landes angeſchlagenen Placats erhalten, als er, ſo/ bedingungsweiſe auch die darin gefuͤhrte Sprache /war, ſeinen ganzen Haufen ſchon, mit Geſchen/ken, Dankſagungen und zweckmaͤßigen Ermah/nungen auseinander gehen ließ. Er legte Alles, /103was er an Geld, Waffen und Geraͤthſchaften / 2340 erbeutet haben mogte, bei den Gerichten zu /Luͤtzen, als kurfuͤrſtliches Eigenthum, nieder; /und nachdem er den Waldmann mit Briefen, /wegen Wiederkaufs ſeiner Meierei, wenn es /moͤglich ſey, an den Amtmann nach Kohlhaa/ſenbruͤck, und den Sternbald zur Abholung ſei/ner Kinder, die er wieder bei ſich zu haben /wuͤnſchte, nach Schwerin geſchickt hatte, verließ /er das Schloß zu Luͤtzen, und ging, unerkannt, /mit dem Reſt ſeines kleinen Vermoͤgens, das / 2350 er in Papieren bei ſich trug, nach Dresden. /
Der Tag brach eben an, und die ganze Stadt /ſchlief noch, als er an die Thuͤr der kleinen, in /der Pirnaiſchen Vorſtadt gelegenen Beſitzung, /die ihm durch die Rechtſchaffenheit des Amt/manns uͤbrig geblieben war, anklopfte, und /Thomas, dem alten, die Wirthſchaft fuͤhrenden /Hausmann, der ihm mit Erſtaunen und Be/ſtuͤrzung aufmachte, ſagte: er moͤgte dem Prin/zen von Meißen auf dem Gubernium melden, / 2360 daß er, Kohlhaas der Roßhaͤndler, da waͤre. /Der Prinz von Meißen, der auf dieſe Mel/104dung fuͤr zweckmaͤßig hielt, augenblicklich ſich /ſelbſt von dem Verhaͤltniß, in welchem man mit /dieſem Mann ſtand, zu unterrichten, fand, als /er mit einem Gefolge von Rittern und Troß/knechten bald darauf erſchien, in den Straßen, /die zu Kohlhaaſens Wohnung fuͤhrten, ſchon /eine unermeßliche Menſchenmenge verſammelt. /Die Nachricht, daß der Wuͤrgengel da ſey, der / 2370 die Volksbedruͤcker mit Feuer und Schwerdt ver/folge, hatte ganz Dresden, Stadt und Vor/ſtadt, auf die Beine gebracht; man mußte die /Hausthuͤr vor dem Andrang des neugierigen /Haufens verriegeln, und die Jungen kletterten /an den Fenſtern heran, um den Mordbrenner, /der darin fruͤhſtuͤckte, in Augenſchein zu nehmen. /Sobald der Prinz, mit Huͤlfe der ihm Platz /machenden Wache, ins Haus gedrungen, und /in Kohlhaaſens Zimmer getreten war, fragte er / 2380 dieſen, welcher halb entkleidet an einem Tiſche /ſtand: ob er Kohlhaas, der Roßhaͤndler, waͤre? /worauf Kohlhaas, indem er eine Brieftaſche mit /mehreren uͤber ſein Verhaͤltniß lautenden Papie/ren aus ſeinem Gurt nahm, und ihm ehrerbie/105tig uͤberreichte, antwortete: ja! und hinzuſetzte: /er finde ſich nach Aufloͤſung ſeines Kriegshau/fens, der ihm ertheilten landesherrlichen Freiheit /gemaͤß, in Dresden ein, um ſeine Klage, der /Rappen wegen, gegen den Junker Wenzel von / 2390 Tronka vor Gericht zu bringen. Der Prinz, /nach einem fluͤchtigen Blick, womit er ihn von /Kopf zu Fuß uͤberſchaute, durchlief die in der /Brieftaſche befindlichen Papiere; ließ ſich von /ihm erklaͤren, was es mit einem von dem Ge/richt zu Luͤtzen ausgeſtellten Schein, den er /darin fand, uͤber die zu Gunſten des kurfuͤrſtli/chen Schatzes gemachte Depoſition fuͤr eine Be/wandtniß habe; und nachdem er die Art des /Mannes noch, durch Fragen mancherlei Gat/ 2400 tung, nach ſeinen Kindern, ſeinem Vermoͤgen /und der Lebensart die er kuͤnftig zu fuͤhren denke, /gepruͤft, und uͤberall ſo, daß man wohl ſeinet/wegen ruhig ſeyn konnte, befunden hatte, gab /er ihm die Briefſchaften wieder, und ſagte: daß /ſeinem Prozeß nichts im Wege ſtuͤnde, und daß /er ſich nur unmittelbar, um ihn einzuleiten, an /den Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede, /106ſelbſt wenden moͤgte. Inzwiſchen, ſagte der /Prinz, nach einer Pauſe, indem er ans Fenſter / 2410 trat, und mit großen Augen das Volk, das vor /dem Hauſe verſammelt war, uͤberſchaute: du /wirſt auf die erſten Tage eine Wache annehmen /muͤſſen, die dich, in deinem Hauſe ſowohl, als /wenn du ausgehſt, ſchuͤtze! — — Kohlhaas ſah /betroffen vor ſich nieder, und ſchwieg. Der /Prinz ſagte: „gleichviel!“ indem er das Fenſter /wieder verließ. „Was daraus entſteht, du haſt /es dir ſelbſt beizumeſſen;“ und damit wandte er /ſich wieder nach der Thuͤr, in der Abſicht, das / 2420 Haus zu verlaſſen. Kohlhaas, der ſich beſonnen /hatte, ſprach: Gnaͤdigſter Herr! thut, was ihr /wollt! Gebt mir euer Wort, die Wache, ſobald /ich es wuͤnſche, wieder aufzuheben: ſo habe ich /gegen dieſe Maßregel nichts einzuwenden! Der /Prinz erwiederte: das beduͤrfe der Rede nicht; /und nachdem er drei Landsknechten, die man /ihm zu dieſem Zweck vorſtellte, bedeutet hatte: /daß der Mann, in deſſen Hauſe ſie zuruͤckblie/ben, frei waͤre, und daß ſie ihm bloß zu ſei/ 2430 nem Schutz, wenn er ausginge, folgen ſollten, /107gruͤßte er den Roßhaͤndler mit einer herablaſ/ſenden Bewegung der Hand, und entfernte ſich. /
Gegen Mittag begab ſich Kohlhaas, von /ſeinen drei Landsknechten begleitet, unter dem /Gefolge einer unabſehbaren Menge, die ihm /aber auf keine Weiſe, weil ſie durch die Polizei /gewarnt war, etwas zu Leide that, zu dem /Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede. /Der Großkanzler, der ihn mit Milde und / 2440 Freundlichkeit in ſeinem Vorgemach empfing, /unterhielt ſich waͤhrend zwei ganzer Stunden /mit ihm, und nachdem er ſich den ganzen Ver/lauf der Sache, von Anfang bis zu Ende, /hatte erzaͤhlen laſſen, wies er ihn, zur unmit/telbaren Abfaſſung und Einreichung der Klage, /an einen, bei dem Gericht angeſtellten, beruͤhmt/en Advocaten der Stadt. Kohlhaas, ohne /weiteren Verzug, verfuͤgte ſich in deſſen Wo/hnung; und nachdem die Klage, ganz der erſten / 2450 niedergeſchlagenen gemaͤß, auf Beſtrafung des /Junkers nach den Geſetzen, Wiederherſtellung /der Pferde in den vorigen Stand, und Erſatz /ſeines Schadens ſowohl, als auch deſſen, /108den ſein bei Muͤhlberg gefallener Knecht Herſe /erlitten hatte, zu Gunſten der alten Mutter /desſelben, aufgeſetzt war, begab er ſich wie/der, unter Begleitung des ihn immer noch an/gaffenden Volks, nach Hauſe zuruͤck, wohl ent/ſchloſſen, es anders nicht, als nur wenn noth/ 2460 wendige Geſchaͤfte ihn riefen, zu verlaſſen. /
Inzwiſchen war auch der Junker ſeiner /Haft in Wittenberg entlaſſen, und nach Her/ſtellung von einer gefaͤhrlichen Roſe, die ſeinen /Fuß entzuͤndet hatte, von dem Landesgericht /unter peremtoriſchen Bedingungen aufgefordert /worden, ſich zur Verantwortung auf die von /dem Roßhaͤndler Kohlhaas gegen ihn eingereichte /Klage, wegen widerrechtlich abgenommener und /zu Grunde gerichteter Rappen, in Dresden zu / 2470 ſtellen. Die Gebruͤder Kaͤmmerer und Mund/ſchenk von Tronka, Lehnsvettern des Junkers, /in deren Hauſe er abtrat, empfingen ihn mit /der groͤßeſten Erbitterung und Verachtung; ſie /nannten ihn einen Elenden und Nichtswuͤrdi/gen, der Schande und Schmach uͤber die ganze /Familie bringe, kuͤndigten ihm an, daß er ſei/109nen Prozeß nunmehr unfehlbar verlieren wuͤrde, /und forderten ihn auf, nur gleich zur Herbeiſchaf/fung der Rappen, zu deren Dickfuͤtterung er, / 2480 zum Hohngelaͤchter der Welt, verdammt wer/den werde, Anſtalt zu machen. Der Junker /ſagte, mit ſchwacher, zitternder Stimme: er /ſey der bejammernswuͤrdigſte Menſch von der /Welt. Er verſchwor ſich, daß er von dem gan/zen verwuͤnſchten Handel, der ihn ins Ungluͤck /ſtuͤrze, nur wenig gewußt, und daß der Schloß/voigt und der Verwalter an Allem Schuld waͤ/ren, indem ſie die Pferde, ohne ſein entfern/teſtes Wiſſen und Wollen, bei der Ernte ge/ 2490 braucht, und durch unmaͤßige Anſtrengungen, /zum Theil auf ihren eigenen Feldern, zu Grunde /gerichtet haͤtten. Er ſetzte ſich, indem er dies /ſagte, und bat ihn nicht durch Kraͤnkungen /und Beleidigungen in das Uebel, von dem er /nur ſo eben erſt erſtanden ſey, muthwillig zu/ruͤckzuſtuͤrzen. Am andern Tage ſchrieben die /Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der /eingeaͤſcherten Tronkenburg Guͤter beſaßen, auf /Anſuchen des Junkers, ihres Vetters, weil / 2500 110doch nichts anders uͤbrig blieb, an ihre dort /befindlichen Verwalter und Paͤchter, um Nach/richt uͤber die an jenem ungluͤcklichen Tage ab/handen gekommenen und ſeitdem gaͤnzlich ver/ſchollenen Rappen einzuziehn. Aber Alles, was /ſie bei der gaͤnzlichen Verwuͤſtung des Platzes, /und der Niedermetzelung faſt aller Einwohner, /erfahren konnten, war, daß ein Knecht ſie, von /den flachen Hieben des Mordbrenners getrieben, /aus dem brennenden Schuppen, in welchem ſie / 2510 ſtanden, gerettet, nachher aber auf die Frage, /wo er ſie hinfuͤhren, und was er damit anfangen /ſolle, von dem grimmigen Wuͤtherich einen Fuß/tritt zur Antwort erhalten habe. Die alte, von /der Gicht geplagte Haushaͤlterin des Junkers, /die ſich nach Meißen gefluͤchtet hatte, verſicherte /demſelben, auf eine ſchriftliche Anfrage, daß /der Knecht ſich, am Morgen jener entſetzlichen /Nacht, mit den Pferden nach der brandenburgi/ſchen Graͤnze gewandt habe; doch alle Nachfra/ 2520 gen, die man daſelbſt anſtellte, waren vergeb/lich, und es ſchien dieſer Nachricht ein Irrthum /zum Grunde zu liegen, indem der Junker keinen /111Knecht hatte, der im Brandenburgiſchen, oder /auch nur auf der Straße dorthin, zu Hauſe /war. Maͤnner aus Dresden, die wenige Tage /nach dem Brande der Tronkenburg in Wilsdruf /geweſen waren, ſagten aus, daß um die benannte /Zeit ein Knecht mit zwei an der Halfter gehen/den Pferden dort angekommen, und die Thiere, / 2530 weil ſie ſehr elend geweſen waͤren, und nicht wei/ter fort gekonnt haͤtten, im Kuhſtall eines /Schaͤfers, der ſie wieder haͤtte aufbringen wol/len, ſtehen gelaſſen haͤtte. Es ſchien mancherlei /Gruͤnde wegen ſehr wahrſcheinlich, daß dies die /in Unterſuchung ſtehenden Rappen waren; aber /der Schaͤfer aus Wilsdruf hatte ſie, wie Leute, /die dorther kamen, verſicherten, ſchon wieder, /man wußte nicht an wen, verhandelt; und ein /drittes Geruͤcht, deſſen Urheber unentdeckt blieb, / 2540 ſagte gar aus, daß die Pferde bereits in Gott /verſchieden, und in der Knochengrube zu Wilsdruf /begraben waͤren. Die Herren Hinz und Kunz, /denen dieſe Wendung der Dinge, wie man leicht /begreift, die erwuͤnſchteſte war, indem ſie da/durch, bei des Junkers ihres Vetters Erman/112gelung eigener Staͤlle, der Nothwendigkeit, die /Rappen in den ihrigen aufzufuͤttern, uͤberhoben /waren, wuͤnſchten gleichwohl, voͤlliger Sicher/heit wegen, dieſen Umſtand zu bewahrheiten. / 2550 Herr Wenzel von Tronka erließ demnach, als /Erb-, Lehns- und Gerichtsherr, ein Schrei/ben an die Gerichte zu Wilsdruf, worin er die/ſelben, nach einer weitlaͤufigen Beſchreibung der /Rappen, die, wie er ſagte, ihm anvertraut und /durch einen Unfall abhanden gekommen waͤren, /dienſtfreundlichſt erſuchte, den dermaligen Auf/enthalt derſelben zu erforſchen, und den Eigner, /wer er auch ſey, aufzufordern und anzuhalten, /ſie, gegen reichliche Wiedererſtattung aller Ko/ 2560 ſten, in den Staͤllen des Kaͤmmerers, Herrn /Kunz, zu Dresden abzuliefern. Dem gemaͤß er/ſchien auch wirklich, wenige Tage darauf, der /Mann an den ſie der Schaͤfer aus Wilsdruf /verhandelt hatte, und fuͤhrte ſie, duͤrr und wan/kend, an die Runge ſeines Karrens gebunden, auf /den Markt der Stadt; das Ungluͤck aber Herrn /Wenzels, und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas /wollte, daß es der Abdecker aus Doͤbbeln war. /
113Sobald Herr Wenzel, in Gegenwart des / 2570 Kaͤmmerers, ſeines Vetters, durch ein unbeſtimm/tes Geruͤcht vernommen hatte, daß ein Mann /mit zwei ſchwarzen aus dem Brande der Tron/kenburg entkommenen Pferden in der Stadt an/gelangt ſey, begaben ſich beide, in Begleitung /einiger aus dem Hauſe zuſammengerafften Knech/te, auf den Schloßplatz, wo er ſtand, um ſie /demſelben, falls es die dem Kohlhaas zugehoͤri/gen waͤren, gegen Erſtattung der Koſten abzu/nehmen, und nach Hauſe zu fuͤhren. Aber wie / 2580 betreten waren die Ritter, als ſie bereits einen, /von Augenblick zu Augenblick ſich vergroͤßernden /Haufen von Menſchen, den das Schauſpiel her/beigezogen, um den zweiraͤdrigen Karren, an /dem die Thiere befeſtigt waren, erblickten; un/ter unendlichem Gelaͤchter einander zurufend, daß /die Pferde ſchon, um derenthalben der Staat /wanke, an den Schinder gekommen waͤren! Der /Junker, der um den Karren herumgegangen /war, und die jaͤmmerlichen Thiere, die alle Au/ 2590 genblicke ſterben zu wollen ſchienen, betrachtet /hatte, ſagte verlegen: das waͤren die Pferde /114nicht, die er dem Kohlhaas abgenommen; doch /Herr Kunz, der Kaͤmmerer, einen Blick ſprach/loſen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn /er von Eiſen geweſen waͤre, ihn zerſchmettert /haͤtte, trat, indem er ſeinen Mantel, Orden /und Kette entbloͤßend, zuruͤckſchlug, zu dem Ab/decker heran, und fragte ihn: ob das die Rappen /waͤren, die der Schaͤfer von Wilsdruf an ſich / 2600 gebracht, und der Junker Wenzel von Tronka, /dem ſie gehoͤrten, bei den Gerichten daſelbſt re/quirirt haͤtte? Der Abdecker, der, einen Eimer /Waſſer in der Hand, beſchaͤftigt war, einen /dicken, wohlbeleibten Gaul, der ſeinen Karren /zog, zu traͤnken, ſagte: „die ſchwarzen?“ —/Er ſtreifte dem Gaul, nachdem er den Eimer /niedergeſetzt, das Gebiß aus dem Maul, und /ſagte: „die Rappen, die an die Runge gebun/den waͤren, haͤtte ihm der Schweinehirte von / 2610 Hainichen verkauft. Wo der ſie her haͤtte, und /ob ſie von dem Wilsdrufer Schaͤfer kaͤmen, das /wiſſe er nicht. Ihm haͤtte,“ ſprach er, waͤhrend /er den Eimer wieder aufnahm, und zwiſchen /Deichſel und Knie anſtemmte: „ihm haͤtte der /115Gerichtsbote aus Wilsdruf geſagt, daß er ſie /nach Dresden in das Haus derer von Tronka /bringen ſolle; aber der Junker, an den er ge/wieſen ſey, heiße Kunz.“ Bei dieſen Worten /wandte er ſich mit dem Reſt des Waſſers, den / 2620 der Gaul im Eimer uͤbrig gelaſſen hatte, und /ſchuͤttete ihn auf das Pflaſter der Straße aus. /Der Kaͤmmerer, der, von den Blicken der /hohnlachenden Menge umſtellt, den Kerl, der /mit empfindungsloſem Eifer ſeine Geſchaͤfte be/trieb, nicht bewegen konnte, daß er ihn anſah, /ſagte: daß er der Kaͤmmerer, Kunz von Tronka, /waͤre; die Rappen aber, die er an ſich bringen /ſolle, muͤßten dem Junker, ſeinem Vetter, ge/hoͤren; von einem Knecht, der bei Gelegenheit / 2630 des Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an /den Schaͤfer zu Wilsdruf gekommen, und ur/ſpruͤnglich zwei dem Roßhaͤndler Kohlhaas zuge/hoͤrige Pferde ſeyen! Er fragte den Kerl, der /mit geſpreizten Beinen daſtand, und ſich die Ho/ſen in die Hoͤhe zog: ob er davon nichts wiſſe? /Und ob ſie der Schweinehirte von Hainichen /nicht vielleicht, auf welchen Umſtand Alles an/116komme, von dem Wilsdrufer Schaͤfer, oder von /einem Dritten, der ſie ſeinerſeits von demſelben / 2640 gekauft, erſtanden haͤtte? — Der Abdecker, der /ſich an den Wagen geſtellt und ſein Waſſer abge/ſchlagen hatte, ſagte: „er waͤre mit den Rappen /nach Dresden beſtellt, um in dem Hauſe derer /von Tronka ſein Geld dafuͤr zu empfangen. Was /er da vorbraͤchte, verſtaͤnde er nicht; und ob ſie, /vor dem Schweinehirten aus Hainichen, Peter /oder Paul beſeſſen haͤtte, oder der Schaͤfer aus /Wilsdruf, gelte ihm, da ſie nicht geſtohlen waͤ/ren, gleich.“Und damit ging er, die Peitſche / 2650 quer uͤber ſeinen breiten Ruͤcken, nach einer /Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Abſicht, /hungrig wie er war, ein Fruͤhſtuͤck einzunehmen. /Der Kaͤmmerer, der auf der Welt Gottes nicht /wußte, was er mit Pferden, die der Schweine/hirte von Hainichen an den Schinder in Doͤbbeln /verkauft, machen ſolle, falls es nicht diejenigen /waͤren, auf welchen der Teufel durch Sachſen /ritt, forderte den Junker auf, ein Wort zu ſpre/chen; doch da dieſer mit bleichen, bebenden Lip/ 2660 pen erwiederte: das Rathſamſte waͤre, daß man /117die Rappen kaufe, ſie moͤgten dem Kohlhaas ge/hoͤren oder nicht: ſo trat der Kaͤmmerer, Vater /und Mutter, die ihn geboren, verfluchend, in/dem er ſich den Mantel zuruͤckſchlug, gaͤnzlich /unwiſſend, was er zu thun oder zu laſſen habe, /aus dem Haufen des Volks zuruͤck. Er rief den /Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der /uͤber die Straße ritt, zu ſich heran, und trotzig, /den Platz nicht zu verlaſſen, eben weil das Ge/ 2670 ſindel hoͤhniſch auf ihn einblickte, und, mit vor /dem Mund zuſammengedruͤckten Schnupftuͤchern, /nur auf ſeine Entfernung zu warten ſchien, um /loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, /Grafen Wrede, abzuſteigen, und durch deſſen /Vermittelung den Kohlhaas zur Beſichtigung der /Rappen herbeizuſchaffen. Es traf ſich, daß Kohl/haas eben, durch einen Gerichtsboten herbeige/rufen, in dem Gemach des Großkanzlers, ge/wiſſer, die Depoſition in Luͤtzen betreffenden Er/ 2680 laͤuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, /gegenwaͤrtig war, als der Freiherr, in der eben /erwaͤhnten Abſicht, zu ihm ins Zimmer trat; /und waͤhrend der Großkanzler ſich mit einem /118verdrießlichen Geſicht vom Seſſel erhob, und /den Roßhaͤndler, deſſen Perſon jenem unbekannt /war, mit den Papieren, die er in der Hand /hielt, zur Seite ſtehen ließ, ſtellte der Freiherr /ihm die Verlegenheit, in welcher ſich die Herren /von Tronka befanden, vor. Der Abdecker von / 2690 Doͤbbeln ſey, auf mangelhafte Requiſition der /Wilsdrufer Gerichte, mit Pferden erſchienen, /deren Zuſtand ſo heillos beſchaffen waͤre, daß der /Junker Wenzel anſtehen muͤſſe, ſie fuͤr die dem /Kohlhaas gehoͤrigen anzuerkennen; dergeſtalt, /daß, falls man ſie gleichwohl dem Abdecker ab/nehmen ſolle, um in den Staͤllen der Ritter, zu /ihrer Wiederherſtellung, einen Verſuch zu ma/chen, vorher eine Ocular-Inſpection des Kohl/haas, um den beſagten Umſtand außer Zweifel / 2700 zu ſetzen, nothwendig ſey. „Habt demnach die /Guͤte, ſchloß er, den Roßhaͤndler durch eine /Wache aus ſeinem Hauſe abholen und auf den /Markt, wo die Pferde ſtehen, hinfuͤhren zu /laſſen.“ Der Großkanzler, indem er ſich eine /Brille von der Naſe nahm, ſagte: daß er in /einem doppelten Irrthum ſtuͤnde; einmal, wenn /119er glaube, daß der in Rede ſtehende Umſtand /anders nicht, als durch eine Ocular-Inſpection /des Kohlhaas auszumitteln ſey; und dann, wenn / 2710 er ſich einbilde, er, der Kanzler, ſey befugt, den /Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Jun/ker beliebe, abfuͤhren zu laſſen. Dabei ſtellte er /ihm den Roßhaͤndler, der hinter ihm ſtand, vor, /und bat ihn, indem er ſich niederließ und ſeine /Brille wieder aufſetzte, ſich in dieſer Sache an /ihn ſelbſt zu wenden. — Kohlhaas, der mit /keiner Miene, was in ſeiner Seele vorging, zu /erkennen gab, ſagte: daß er bereit waͤre, ihm /zur Beſichtigung der Rappen, die der Abdecker / 2720 in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. /Er trat, waͤhrend der Freiherr ſich betroffen zu /ihm umkehrte, wieder an den Tiſch des Groß/kanzlers heran, und nachdem er demſelben noch, /aus den Papieren ſeiner Brieftaſche, mehrere, die /Depoſition in Luͤtzen betreffende Nachrichten ge/geben hatte, beurlaubte er ſich von ihm; der Frei/herr, der, uͤber das ganze Geſicht roth, ans /Fenſter getreten war, empfahl ſich ihm gleich/falls; und beide gingen, begleitet von den drei / 2730 120durch den Prinzen von Meißen eingeſetzten Lands/knechten, unter dem Troß einer Menge von /Menſchen, nach dem Schloßplatz hin. Der /Kaͤmmerer, Herr Kunz, der inzwiſchen den Vor/ſtellungen mehrerer Freunde, die ſich um ihn ein/gefunden hatten, zum Trotz, ſeinen Platz, dem /Abdecker von Doͤbbeln gegenuͤber, unter dem /Volke behauptet hatte, trat, ſobald der Freiherr /mit dem Roßhaͤndler erſchien, an den letzteren /heran, und fragte ihn, indem er ſein Schwerdt, / 2740 mit Stolz und Anſehen, unter dem Arm hielt: /ob die Pferde, die hinter dem Wagen ſtuͤnden, /die ſeinigen waͤren? Der Roßhaͤndler, nach/dem er, mit einer beſcheidenen Wendung gegen /den die Frage an ihn richtenden Herrn, den er /nicht kannte, den Huth gezuͤckt hatte, trat, ohne /ihm zu antworten, im Gefolge ſaͤmmtlicher Rit/ter, an den Schinderkarren heran; und die Thie/re, die, auf wankenden Beinen, die Haͤupter /zur Erde gebeugt, daſtanden, und von dem Heu, / 2750 das ihnen der Abdecker vorgelegt hatte, nicht /fraßen, fluͤchtig, aus einer Ferne von zwoͤlf /Schritt, in welcher er ſtehen blieb, betrachtet: /121gnaͤdigſter Herr! wandte er ſich wieder zu dem /Kaͤmmerer zuruͤck, der Abdecker hat ganz Recht; /die Pferde, die an ſeinen Karren gebunden ſind, /gehoͤren mir! Und damit, indem er ſich in dem /ganzen Kreiſe der Herren umſah, ruͤckte er den /Huth noch einmal, und begab ſich, von ſeiner /Wache begleitet, wieder von dem Platz hinweg. / 2760 Bei dieſen Worten trat der Kaͤmmerer, mit /einem raſchen, ſeinen Helmbuſch erſchuͤtternden /Schritt zu dem Abdecker heran, und warf ihm /einen Beutel mit Geld zu; und waͤhrend dieſer /ſich, den Beutel in der Hand, mit einem bleier/nen Kamm die Haare uͤber die Stirn zuruͤck/kaͤmmte, und das Geld betrachtete, befahl er /einem Knecht, die Pferde abzuloͤſen und nach /Hauſe zu fuͤhren! Der Knecht, der auf den /Ruf des Herrn, einen Kreis von Freunden und / 2770 Verwandten, die er unter dem Volke beſaß, ver/laſſen hatte, trat auch, in der That, ein wenig /roth im Geſicht, uͤber eine große Miſtpfuͤtze, die /ſich zu ihren Fuͤßen gebildet hatte, zu den Pfer/den heran; doch kaum hatte er ihre Halftern er/faßt, um ſie loszubinden, als ihn Meiſter Him/122boldt, ſein Vetter, ſchon beim Arm ergriff, und /mit den Worten: du ruͤhrſt die Schindmaͤhren /nicht an! von dem Karren hinwegſchleuderte. /Er ſetzte, indem er ſich mit ungewiſſen Schrit/ 2780 ten uͤber die Miſtpfuͤtze wieder zu dem Kaͤmme/rer, der uͤber dieſen Vorfall ſprachlos daſtand, /zuruͤck wandte, hinzu: daß er ſich einen Schin/derknecht anſchaffen muͤſſe, um ihm einen ſolchen /Dienſt zu leiſten! Der Kaͤmmerer, der, vor /Wuth ſchaͤumend, den Meiſter auf einen Augen/blick betrachtet hatte, kehrte ſich um, und rief /uͤber die Haͤupter der Ritter, die ihn umringten, /hinweg, nach der Wache; und ſobald, auf die /Beſtellung des Freiherrn von Wenk, ein Offi/ 2790 cier mit einigen kurfuͤrſtlichen Trabanten, aus /dem Schloß erſchienen war, forderte er denſelben /unter einer kurzen Darſtellung der ſchaͤndlichen /Aufhetzerei, die ſich die Buͤrger der Stadt er/laubten, auf, den Raͤdelsfuͤhrer, Meiſter Him/boldt, in Verhaft zu nehmen. Er verklagte den /Meiſter, indem er ihn bei der Bruſt faßte: daß /er ſeinen, die Rappen auf ſeinen Befehl losbin/denden Knecht von dem Karren hinweggeſchleu/123dert und mißhandelt haͤtte. Der Meiſter, in/ 2800 dem er den Kaͤmmerer mit einer geſchickten Wen/dung, die ihn befreiete, zuruͤckwies, ſagte: gnaͤ/digſter Herr! einem Burſchen von zwanzig Jah/ren bedeuten, was er zu thun hat, heißt nicht, /ihn verhetzen! Befragt ihn, ob er ſich gegen /Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, /die an die Karre gebunden ſind, befaſſen will; /will er es, nach dem, was ich geſagt, thun: /ſey’s! Meinethalb mag er ſie jetzt abludern /und haͤuten! Bei dieſen Worten wandte ſich / 2810 der Kaͤmmerer zu dem Knecht herum, und fragte /ihn: ob er irgend Anſtand naͤhme, ſeinen Be/fehl zu erfuͤllen, und die Pferde, die dem Kohl/haas gehoͤrten, loszubinden, und nach Hauſe zu /fuͤhren? und da dieſer ſchuͤchtern, indem er ſich /unter die Buͤrger miſchte, erwiederte: die Pferde /muͤßten erſt ehrlich gemacht werden, bevor man /ihm das zumuthe; ſo folgte ihm der Kaͤmmerer /von hinten, riß ihm den Huth ab, der mit ſei/nem Hauszeichen geſchmuͤckt war, zog, nachdem / 2820 er den Huth mit Fuͤßen getreten, von Leder, /und jagte den Knecht mit wuͤthenden Hieben der /124Klinge augenblicklich vom Platz weg und aus /ſeinen Dienſten. Meiſter Himboldt rief: ſchmeißt /den Mordwuͤtherich doch gleich zu Boden! und /waͤhrend die Buͤrger, von dieſem Auftritt em/poͤrt, zuſammentraten, und die Wache hinweg/draͤngten, warf er den Kaͤmmerer von hinten /nieder, riß ihm Mantel, Kragen und Helm ab, /wand ihm das Schwerdt aus der Hand, und / 2830 ſchleuderte es, in einem grimmigen Wurf, weit /uͤber den Platz hinweg. Vergebens rief der /Junker Wenzel, indem er ſich aus dem Tumult /rettete, den Rittern zu, ſeinem Vetter beizuſprin/gen; ehe ſie noch einen Schritt dazu gethan hat/ten, waren ſie ſchon von dem Andrang des Volks /zerſtreut, dergeſtalt, daß der Kaͤmmerer, der /ſich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der gan/zen Wuth der Menge Preis gegeben war. Nichts, /als die Erſcheinung eines Trupps berittener / 2840 Landsknechte, die zufaͤllig uͤber den Platz zogen, /und die der Officier der kurfuͤrſtlichen Trabanten /zu ſeiner Unterſtuͤtzung herbeirief, konnte den /Kaͤmmerer retten. Der Officier, nachdem er /den Haufen verjagt, ergriff den wuͤthenden /125Meiſter, und waͤhrend derſelbe durch einige Reu/ter nach dem Gefaͤngniß gebracht ward, hoben /zwei Freunde den ungluͤcklichen mit Blut bedeck/ten Kaͤmmerer vom Boden auf, und fuͤhrten ihn /nach Hauſe. Einen ſo heilloſen Ausgang nahm / 2850 der wohlgemeinte und redliche Verſuch, dem Roß/haͤndler wegen des Unrechts, das man ihm zugefuͤgt, zugefuͤgt, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] zugefuͤgt, [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Genugthuung zu verſchaffen. Der Ab/decker von Doͤbbeln, deſſen Geſchaͤft abgemacht /war, und der ſich nicht laͤnger aufhalten wollte, /band, da ſich das Volk zu zerſtreuen anfing, die /Pferde an einen Laternenpfahl, wo ſie, den gan/zen Tag uͤber, ohne daß ſich jemand um ſie be/kuͤmmerte, ein Spott der Straßenjungen und /Tagediebe, ſtehen blieben; dergeſtalt, daß in Er/ 2860 mangelung aller Pflege und Wartung die Polizei /ſich ihrer annehmen mußte, und gegen Einbruch /der Nacht den Abdecker von Dresden herbeirief, /um ſie, bis auf weitere Verfuͤgung, auf der /Schinderei vor der Stadt zu beſorgen. /
Dieſer Vorfall, ſo wenig der Roßhaͤndler /ihn in der That verſchuldet hatte, erweckte /gleichwohl, auch bei den Gemaͤßigtern und Beſ/126ſeren, eine, dem Ausgang ſeiner Streitſache /hoͤchſt gefaͤhrliche Stimmung im Lande. Man / 2870 fand das Verhaͤltniß desſelben zum Staat ganz /unertraͤglich, und in Privathaͤuſern und auf oͤffent/lichen Plaͤtzen, erhob ſich die Meinung, daß es /beſſer ſey, ein offenbares Unrecht an ihm zu /veruͤben, und die ganze Sache von Neuem nie/derzuſchlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Ge/waltthaten ertrotzt, in einer ſo nichtigen Sache, /zur bloßen Befriedigung ſeines raſenden Starr/ſinns, zukommen zu laſſen. Zum voͤlligen Ver/derben des armen Kohlhaas mußte der Groß/ 2880 kanzler ſelbſt, aus uͤbergroßer Rechtlichkeit, und /einem davon herruͤhrenden Haß gegen die Fa/milie von Tronka, beitragen, dieſe Stimmung /zu befeſtigen und zu verbreiten. Es war hoͤchſt/ unwahrſcheinlich, daß die Pferde, die der Ab/decker von Dresden jetzt beſorgte, jemals wieder /in den Stand, wie ſie aus dem Stall zu Kohl/haaſenbruͤck gekommen waren, hergeſtellt wer/den wuͤrden; doch geſetzt, daß es durch Kunſt /und anhaltende Pflege moͤglich geweſen waͤre: die / 2890 Schmach, die zu Folge der beſtehenden Um/127ſtaͤnde, dadurch auf die Familie des Junkers /fiel, war ſo groß, daß bei dem ſtaatsbuͤrgerlichen /Gewicht, das ſie, als eine der erſten und edel/ſten, im Lande hatte, nichts billiger und zweck/maͤßiger ſchien, als eine Verguͤtigung der Pferde /in Geld einzuleiten. Gleichwohl, auf einen /Brief, in welchem der Praͤſident, Graf Kall/heim, im Namen des Kaͤmmerers, den ſeine /Krankheit abhielt, dem Großkanzler, einige / 2900 Tage darauf, dieſen Vorſchlag machte, erließ /derſelbe zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, /worin er ihn ermahnte, einen ſolchen Antrag, /wenn er an ihn ergehen ſollte, nicht von der Hand /zu weiſen; den Praͤſidenten ſelbſt aber bat er, /in einer kurzen, wenig verbindlichen Antwort, /ihn mit Privatauftraͤgen in dieſer Sache zu /verſchonen, und forderte den Kaͤmmerer auf, /ſich an den Roßhaͤndler ſelbſt zu wenden, den /er ihm als einen ſehr billigen und beſcheidenen / 2910 Mann ſchilderte. Der Roßhaͤndler, deſſen /Wille, durch den Vorfall, der ſich auf dem /Markt zugetragen, in der That gebrochen /war, wartete auch nur, dem Rath des Groß/128kanzlers gemaͤß, auf eine Eroͤffnung von Seiten /des Junkers, oder ſeiner Angehoͤrigen, um ih/nen mit voͤlliger Bereitwilligkeit und Verge/bung alles Geſchehenen, entgegenzukommen; /doch eben dieſe Eroͤffnung war den ſtolzen Rit/tern zu thun empfindlich; und ſchwer erbittert / 2920 uͤber die Antwort, die ſie von dem Großkanz/ler empfangen hatten, zeigten ſie dieſelbe dem /Kurfuͤrſten, der, am Morgen des naͤchſtfolgen/den Tages, den Kaͤmmerer krank, wie er an /ſeinen Wunden danieder lag, in ſeinem Zim/mer beſucht hatte. Der Kaͤmmerer, mit einer, /durch ſeinen Zuſtand, ſchwachen und ruͤhren/den Stimme, fragte ihn, ob er, nachdem er /ſein Leben daran geſetzt, um dieſe Sache, ſei/nen Wuͤnſchen gemaͤß, beizulegen, auch noch / 2930 ſeine Ehre dem Tadel der Welt ausſetzen, und /mit einer Bitte um Vergleich und Nachgie/bigkeit, vor einem Manne erſcheinen ſolle, der /alle nur erdenkliche Schmach und Schande uͤber /ihn und ſeine Familie gebracht habe. Der /Kurfuͤrſt, nachdem er den Brief geleſen hatte, /fragte den Grafen Kallheim verlegen: ob das /129Tribunal nicht befugt ſey, ohne weitere Ruͤck/ſprache mit dem Kohlhaas, auf den Umſtand, /daß die Pferde nicht wieder herzuſtellen waͤ/ 2940 ren, zu fußen, und dem gemaͤß das Urtheil, /gleich, als ob ſie todt waͤren, auf bloße Ver/guͤtigung derſelben in Geld abzufaſſen? Der /Graf antwortete: „gnaͤdigſter Herr, ſie ſind /todt: ſind in ſtaatsrechtlicher Bedeutung todt, /weil ſie keinen Werth haben, und werden es /phyſiſch ſeyn, bevor man ſie, aus der Abdek/kereiAbdeckerei, in die Staͤlle der Ritter gebracht hat;“ /worauf der Kurfuͤrſt, indem er den Brief ein/ſteckte, ſagte, daß er mit dem Großkanzler / 2950 ſelbſt daruͤber ſprechen wolle, den Kaͤmmerer, /der ſich halb aufrichtete und ſeine Hand dank/bar ergriff, beruhigte, und nachdem er ihm /noch empfohlen hatte, fuͤr ſeine Geſundheit /Sorge zu tragen, mit vieler Huld ſich von /ſeinem Seſſel erhob, und das Zimmer verließ. /
So ſtanden die Sachen in Dresden, als /ſich uͤber den armen Kohlhaas, noch ein ande/res, bedeutenderes Gewitter, von Luͤtzen her, /zuſammenzog, deſſen Strahl die argliſtigen/ 2960 130 Ritter geſchickt genug waren, auf das un/gluͤckliche Haupt desſelben herabzuleiten. Jo/hann Nagelſchmidt naͤmlich, Einer von den /durch den Roßhaͤndler zuſammengebrachten, und /nach Erſcheinung der kurfuͤrſtlichen Amneſtie /wieder abgedankten Knechten, hatte fuͤr gut be/funden, wenige Wochen nachher, an der boͤhmi/ſchen Graͤnze, einen Theil dieſes zu allen Schand/thaten aufgelegten Geſindels von neuem zuſam/menzuraffen, und das Gewerbe, auf deſſen / 2970 Spur ihn Kohlhaas gefuͤhrt hatte, auf ſeine /eigne Hand fortzuſetzen. Dieſer nichtsnutzige /Kerl nannte ſich, theils um den Haͤſchern von /denen er verfolgt ward, Furcht einzufloͤßen, /theils um das Landvolk, auf die gewohnte Weiſe, /zur Theilnahme an ſeine Spitzbuͤbereien zu ver/leiten, einen Statthalter des Kohlhaas; ſprengte /mit einer ſeinem Herrn abgelernten Klugheit /aus, daß die Amneſtie an mehreren, in ihre Hei/math ruhig zuruͤckgekehrten Knechten nicht gehal/ 2980 ten, ja der Kohlhaas ſelbſt, mit himmelſchreien/der Wortbruͤchigkeit, bei ſeiner Ankunft in Dres/den eingeſteckt, und einer Wache uͤbergeben wor/131den ſey; dergeſtalt, daß in Placaten, die den /Kohlhaaſiſchen ganz aͤhnlich waren, ſein Mord/brennerhaufen als ein zur bloßen Ehre Gottes /aufgeſtandener Kriegshaufen erſchien, beſtimmt, /uͤber die Befolgung der ihnen von dem Kurfuͤr/ſten angelobten Amneſtie zu wachen; Alles, wie /ſchon geſagt, keineswegs zur Ehre Gottes, noch / 2990 aus Anhaͤnglichkeit an den Kohlhaas, deſſen /Schickſal ihnen voͤllig gleichguͤltig war, ſondern /um unter dem Schutz ſolcher Vorſpiegelungen /deſto ungeſtrafter und bequemer zu ſengen und /zu pluͤndern. Die Ritter, ſobald die erſten /Nachrichten davon nach Dresden kamen, konn/ten ihre Freude uͤber dieſen, dem ganzen Handel /eine andere Geſtalt gebenden Vorfall nicht un/terdruͤcken. Sie erinnerten mit weiſen und miß/vergnuͤgten Seitenblicken an den Mißgriff, den / 3000 man begangen, indem man dem Kohlhaas, ih/ren dringenden und wiederholten Warnungen /zum Trotz, Amneſtie ertheilt, gleichſam als /haͤtte man die Abſicht gehabt Boͤſewichtern aller /Art dadurch, zur Nachfolge auf ſeinem Wege, /das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem /132Vorgeben des Nagelſchmidt, zur bloßen Auf/rechthaltung und Sicherheit ſeines unterdruͤckten /Herrn die Waffen ergriffen zu haben, Glauben /zu ſchenken, aͤußerten ſie ſogar die beſtimmte / 3010 Meinung, daß die ganze Erſcheinung desſelben /nichts, als ein von dem Kohlhaas angezetteltes /Unternehmen ſey, um die Regierung in Furcht /zu ſetzen, und den Fall des Rechtsſpruchs, Punct /vor Punct, ſeinem raſenden Eigenſinn gemaͤß, /durchzuſetzen und zu beſchleunigen. Ja, der /Mundſchenk, Herr Hinz, ging ſo weit, eini/gen Jagdjunkern und Hofherren, die ſich nach /der Tafel im Vorzimmer des Kurfuͤrſten um ihn /verſammelt hatten, die Aufloͤſung des Raͤuber/ 3020 haufens in Luͤtzen als eine verwuͤnſchte Spiegel/fechterei darzuſtellen; und indem er ſich uͤber die /Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers ſehr luſtig /machte, erwies er aus mehreren witzig zuſam/mengeſtellten Umſtaͤnden, daß der Haufen, nach /wie vor, noch in den Waͤldern des Kurfuͤrſten/thums vorhanden ſey, und nur auf den Wink /des Roßhaͤndlers warte, um daraus von neuem /mit Feuer und Schwerdt hervorzubrechen. Der /133Prinz Chriſtiern von Meißen, uͤber dieſe Wen/ 3030 dung der Dinge, die ſeines Herrn Ruhm auf die /empfindlichſte Weiſe zu beflecken drohete, ſehr /mißvergnuͤgt, begab ſich ſogleich zu demſelben /aufs Schloß; und das Intereſſe der Ritter, den /Kohlhaas, wenn es moͤglich waͤre, auf den /Grund neuer Vergehungen zu ſtuͤrzen, wohl /durchſchauend, bat er ſich von demſelben die /Erlaubniß aus, unverzuͤglich ein Verhoͤr uͤber /den Roßhaͤndler anſtellen zu duͤrfen. Der Roß/haͤndler, nicht ohne Befremden, durch einen / 3040 Haͤſcher in das Gubernium abgefuͤhrt, erſchien, /den Heinrich und Leopold, ſeine beiden kleinen /Knaben auf dem Arm; denn Sternbald, der /Knecht, war Tags zuvor mit ſeinen fuͤnf Kin/dern aus dem Mecklenburgiſchen, wo ſie ſich/ aufgehalten hatten, bei ihm angekommen, und /Gedanken mancherlei Art, die zu entwickeln zu /weitlaͤuftig ſind, beſtimmten ihn, die Jungen, /die ihn bei ſeiner Entfernung unter dem Erguß /kindiſcher Thraͤnen darum baten, aufzuheben, / 3050 und in das Verhoͤr mitzunehmen. Der Prinz, /nachdem er die Kinder, die Kohlhaas neben /134ſich niedergeſetzt hatte, wohlgefaͤllig betrachtet /und auf eine freundliche Weiſe nach ihrem Al/ter und Namen gefragt hatte, eroͤffnete ihm, /was der Nagelſchmidt, ſein ehemaliger Knecht, /ſich in den Thaͤlern des Erzgebirges fuͤr Frei/heiten herausnehme; und indem er ihm die ſo/genannten Mandate desſelben uͤberreichte, for/derte er ihn auf, dagegen vorzubringen, was / 3060 er zu ſeiner Rechtfertigung vorzubringen wuͤßte. /Der Roßhaͤndler, ſo ſchwer er auch in der That /uͤber dieſe ſchaͤndlichen und verraͤtheriſchen Pa/piere erſchrack, hatte gleichwohl, einem ſo /rechtſchaffenen Manne, als der Prinz war, /gegenuͤber, wenig Muͤhe, die Grundloſigkeit /der gegen ihn auf die Bahn gebrachten Be/ſchuldigungen, befriedigend aus einander zu le/gen. Nicht nur, daß zufolge ſeiner Bemer/kung er, ſo wie die Sachen ſtanden, uͤberhaupt / 3070 noch zur Entſcheidung ſeines, im beſten Fort/gang begriffenen Rechtsſtreits, keiner Huͤlfe /von Seiten eines Dritten beduͤrfte: aus ei/nigen Briefſchaften, die er bei ſich trug, und /die er dem Prinzen vorzeigte, ging ſogar eine /135Unwahrſcheinlichkeit ganz eigner Art hervor, /daß das Herz des Nagelſchmidts geſtimmt ſeyn /ſollte, ihm dergleichen Huͤlfe zu leiſten, indem /er den Kerl, wegen auf dem platten Lande /veruͤbter Nothzucht und anderer Schelmereien, / 3080 kurz vor Aufloͤſung des Haufens in Luͤtzen /hatte haͤngen laſſen wollen; dergeſtalt, daß /nur die Erſcheinung der kurfuͤrſtlichen Amne/ſtie, indem ſie das ganze Verhaͤltniß aufhob, /ihn gerettet hatte, und beide Tags darauf, /als Todfeinde auseinander gegangen waren. /Kohlhaas, auf ſeinen von dem Prinzen ange/nommenen Vorſchlag, ſetzte ſich nieder, und /erließ ein Sendſchreiben an den Nagelſchmidt, /worin er das Vorgeben desſelben zur Aufrecht/ 3090 haltung der an ihm und ſeinen Haufen gebro/chenen Amneſtie aufgeſtanden zu ſeyn, fuͤr eine /ſchaͤndliche und ruchloſe Erfindung erklaͤrte; ihm /ſagte, daß er bei ſeiner Ankunft in Dresden weder /eingeſteckt, noch einer Wache uͤbergeben, auch ſeine /Rechtsſache ganz ſo, wie er es wuͤnſche, im Fort/gange ſey; und ihn wegen der, nach Publi/kation der Amneſtie im Erzgebirge ausgeuͤbten /136Mordbrennereien, zur Warnung des um ihn ver/ſammelten Geſindels, der ganzen Rache der Ge/ 3100 ſetze preis gab. Dabei wurden einige Frag/mente der Criminalverhandlung, die der Roß/haͤndler auf dem Schloſſe zu Luͤtzen, in Bezug /auf die oben erwaͤhnten Schaͤndlichkeiten, uͤber /ihn hatte anſtellen laſſen, zur Belehrung des /Volks uͤber dieſen nichtsnutzigen, ſchon damals /dem Galgen beſtimmten, und, wie ſchon er/waͤhnt, nur durch das Patent das der Kur/fuͤrſt erließ, geretteten Kerl, angehaͤngt. Dem /gemaͤß beruhigte der Prinz den Kohlhaas uͤber / 3110 den Verdacht, den man ihm, durch die Um/ſtaͤnde nothgedrungen, in dieſem Verhoͤr habe /aͤußern muͤſſen; verſicherte ihn, daß ſo lange /Er in Dresden waͤre, die ihm ertheilte Amne/ſtie auf keine Weiſe gebrochen werden ſolle; /reichte den Knaben noch einmal, indem er ſie /mit Obſt, das auf ſeinem Tiſche ſtand, be/ſchenkte, die Hand, gruͤßte den Kohlhaas und /entließ ihn. Der Großkanzler, der gleichwohl /die Gefahr, die uͤber den Roßhaͤndler ſchwebte, / 3120 erkannte, that ſein Aeußerſtes, um die Sache /137desſelben, bevor ſie durch neue Ereigniſſe ver/wickelt und verworren wuͤrde, zu Ende zu brin/gen; das aber wuͤnſchten und bezweckten die /ſtaatsklugen Ritter eben, und ſtatt, wie zuvor, /mit ſtillſchweigendem Eingeſtaͤndniß der Schuld, /ihren Widerſtand auf ein bloß gemildertes /Rechtserkenntniß einzuſchraͤnken, fingen ſie jetzt /an, in Wendungen argliſtiger und rabuliſtiſcher /Art, dieſe Schuld ſelbſt gaͤnzlich zu laͤugnen. / 3130 Bald gaben ſie vor, daß die Rappen des Kohl/haas, in Folge eines bloß eigenmaͤchtigen Ver/fahrens des Schloßvoigts und Verwalters, von /welchem der Junker nichts oder nur Unvoll/ſtaͤndiges gewußt, auf der Tronkenburg zuruͤck/gehalten worden ſeyen; bald verſicherten ſie, /daß die Thiere ſchon, bei ihrer Ankunft da/ſelbſt, an einem heftigen und gefaͤhrlichen Hu/ſten krank geweſen waͤren, und beriefen ſich /deshalb auf Zeugen, die ſie herbeizuſchaffen ſich / 3140 anheiſchig machten; und als ſie mit dieſen Ar/gumenten, nach weitlaͤuftigen Unterſuchungen /und Auseinanderſetzungen, aus dem Felde ge/ſchlagen waren, brachten ſie gar ein kurfuͤrſtli/138ches Edikt bei, worin, vor einem Zeitraum/ von zwoͤlf Jahren, einer Viehſeuche wegen, /die Einfuͤhrung der Pferde aus dem Branden/burgiſchen ins Saͤchſiſche, in der That verbo/ten worden war: zum ſonnenklaren Beleg nicht /nur der Befugniß, ſondern ſogar der Verpflich/ 3150 tung des Junkers, die von dem Kohlhaas uͤber /die Graͤnze gebrachten Pferde anzuhalten. — /Kohlhaas, der inzwiſchen von dem wackern /Amtmann zu Kohlhaaſenbruͤck ſeine Meierei, /gegen eine geringe Verguͤtigung des dabei ge/habten Schadens, kaͤuflich wieder erlangt hatte, /wuͤnſchte, wie es ſcheint wegen gerichtlicher /Abmachung dieſes Geſchaͤfts, Dresden auf ei/nige Tage zu verlaſſen, und in dieſe ſeine Hei/math zu reiſen; ein Entſchluß, an welchem / 3160 gleichwohl, wie wir nicht zweifeln, weniger das /beſagte Geſchaͤft, ſo dringend es auch in der /That, wegen Beſtellung der Winterſaat, ſeyn /mogte, als die Abſicht unter ſo ſonderbaren /und bedenklichen Umſtaͤnden ſeine Lage zu pruͤ/fen, Antheil hatte: zu welchem vielleicht auch /noch Gruͤnde anderer Art mitwirkten, die wir /139jedem, der in ſeiner Bruſt Beſcheid weiß, zu erra/then uͤberlaſſen wollen. Demnach verfuͤgte er ſich, /mit Zuruͤcklaſſung der Wache, die ihm zuge/ 3170 ordnet war, zum Großkanzler, und eroͤf/nete ihm, die Briefe des Amtmanns in der /Hand: daß er Willens ſey, falls man ſeiner, /wie es den Anſchein habe, bei dem Gericht /nicht nothwendig beduͤrfe, die Stadt zu ver/laſſen, und auf einen Zeitraum von acht oder /zwoͤlf Tagen, binnen welcher Zeit er wieder /zuruͤck zu ſeyn verſprach, nach dem Brandenbur/giſchen zu reiſen. Der Großkanzler, indem /er mit einem mißvergnuͤgten und bedenklichen / 3180 Geſichte zur Erde ſah, verſetzte: er muͤſſe ge/ſtehen, daß ſeine Anweſenheit grade jetzt noth/wendiger ſey als jemals, indem das Gericht we/gen argliſtiger und winkelziehender Einwendun/gen der Gegenpart, ſeiner Ausſagen und Eroͤr/terungen, in tauſenderlei nicht vorherzuſehenden /Faͤllen, beduͤrfe; doch da Kohlhaas ihn auf ſei/nen, von dem Rechtsfall wohl unterrichteten /Advocaten verwies, und mit beſcheidener Zu/dringlichkeit, indem er ſich auf acht Tage einzu/ 3190 140ſchraͤnken verſprach, auf ſeine Bitte beharrte, ſo /ſagte der Großkanzler nach einer Pauſe kurz, in/dem er ihn entließ: „er hoffe, daß er ſich des/halb Paͤſſe, bei dem Prinzen Chriſtiern von Mei/ßen, ausbitten wuͤrde.“ — — Kohlhaas, der /ſich auf das Geſicht des Großkanzlers gar wohl /verſtand, ſetzte ſich, in ſeinem Entſchluß nur be/ſtaͤrkt, auf der Stelle nieder, und bat, ohne ir/gend einen Grund anzugeben, den Prinzen von /Meißen, als Chef des Guberniums, um Paͤſſe / 3200 auf acht Tage nach Kohlhaaſenbruͤck, und zu/ruͤck. Auf dieſes Schreiben erhielt er eine, von /dem Schloßhauptmann, Freiherrn Siegfried /von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Reſolution, /des Inhalts: ſein Geſuch um Paͤſſe nach Kohl/haaſenbruͤck werde des Kurfuͤrſten Durchlaucht /vorgelegt werden, auf deſſen hoͤchſter Bewilli/gung, ſobald ſie einginge, ihm die Paͤſſe zuge/ſchickt werden wuͤrden.“ Auf die Erkundigung /Kohlhaaſens bei ſeinem Advocaten, wie es zu/ 3210 ginge, daß die Gubernial-Reſolution von einem /Freiherrn Siegfried von Wenk, und nicht von /dem Prinzen Chriſtiern von Meißen, an den er /141ſich gewendet, unterſchrieben ſey, erhielt er zur /Antwort: daß der Prinz vor drei Tagen auf /ſeine Guͤter gereiſt, und die Gubernialgeſchaͤfte /waͤhrend ſeiner Abweſenheit dem Schloßhaupt/mann Freiherrn Siegfried von Wenk, einem /Vetter des oben erwaͤhnten Herren gleiches Na/mens, uͤbergeben worden waͤren. — Kohlhaas, / 3220 dem das Herz unter allen dieſen Umſtaͤnden un/ruhig zu klopfen anfing, harrte durch mehrere /Tage auf die Entſcheidung ſeiner, der Perſon /des Landesherrn mit befremdender Weitlaͤuftig/keit Weitlaͤufigkeit vorgelegten Bitte; doch es verging eine Wo/che, und es verging mehr, ohne daß weder dieſe /Entſcheidung einlief, noch auch das Rechtser/kenntniß, ſo beſtimmt man es ihm auch verkuͤn/digt hatte, bei dem Tribunal gefaͤllt ward: der/geſtalt, daß er am zwoͤlften Tage, feſt entſchloſ/ 3230 ſen, die Geſinnung der Regierung gegen ihn, ſie /moͤge ſeyn, welche man wolle, zur Sprache zu /bringen, ſich niederſetzte, und das Gubernium /von neuem in einer dringenden Vorſtellung um /die erforderten Paͤſſe bat. Aber wie betreten /war er, als er am Abend des folgenden, gleich/142falls ohne die erwartete Antwort verſtriche/nen Tages, mit einem Schritt, den er ge/dankenvoll, in Erwaͤgung ſeiner Lage, und beſon/ders der ihm von dem Doctor Luther ausge/ 3240 wirkten Amneſtie, an das Fenſter ſeines Hinter/ſtuͤbchens that, in dem kleinen, auf dem Hofe be/findlichen Nebengebaͤude, das er ihr zum Auf/enthalte angewieſen hatte, die Wache nicht er/blickte, die ihm bei ſeiner Ankunft der Prinz von /Meißen eingeſetzt hatte. Thomas, der alte Haus/mann, den er herbeirief und fragte: was dies zu /bedeuten habe? antwortete ihm ſeufzend: Herr! /es iſt nicht alles wie es ſeyn ſoll; die Lands/knechte, deren heute mehr ſind wie gewoͤhnlich, / 3250 haben ſich bei Einbruch der Nacht um das ganze /Haus vertheilt; zwei ſtehen, mit Schild und /Spieß, an der vordern Thuͤr auf der Straße; /zwei an der hintern im Garten: und noch zwei /andere liegen im Vorſaal auf ein Bund Stroh, /und ſagen, daß ſie daſelbſt ſchlafen wuͤrden. /Kohlhaas, der ſeine Farbe verlor, wandte ſich /und verſetzte: „es waͤre gleichviel, wenn ſie nur /da waͤren; und er moͤgte den Landsknechten, ſo/143bald er auf den Flur kaͤme, Licht hinſetzen, da/ 3260 mit ſie ſehen koͤnnten.“ Nachdem er noch, un/ter dem Vorwande, ein Geſchirr auszugießen, /den vordern Fenſterladen eroͤffnet, und ſich von /der Wahrheit des Umſtands, den ihm der Alte /entdeckt, uͤberzeugt hatte: denn eben ward ſogar /in geraͤuſchloſer Abloͤſung die Wache erneuert, /an welche Maaßregel bisher, ſo lange die Ein/richtung beſtand, noch niemand gedacht hatte: /ſo legte er ſich, wenig ſchlafluſtig allerdings, zu /Bette, und ſein Entſchluß war fuͤr den kom/ 3270 menden Tag ſogleich gefaßt. Denn nichts miß/goͤnnte er der Regierung, mit der er zu thun /hatte mehr, als den Schein der Gerechtigkeit, /waͤhrend ſie in der That die Amneſtie, die ſie /ihm angelobt hatte, an ihm brach; und falls er /wirklich ein Gefangener ſeyn ſollte, wie es kei/nem Zweifel mehr unterworfen war, wollte er /derſelben auch die beſtimmte und unumwundene /Erklaͤrung, daß es ſo ſey, abnoͤthigen. Dem/nach ließ er, ſobald der Morgen des naͤchſten / 3280 Tages anbrach, durch Sternbald, ſeinen Knecht, /den Wagen anſpannen und vorfuͤhren, um wie /144er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockewitz zu /fahren, der ihn, als ein alter Bekannter, einige /Tage zuvor in Dresden geſprochen und eingela/den hatte, ihn einmal mit ſeinen Kindern zu be/ſuchen. Die Landsknechte, welche mit zuſam/mengeſteckten Koͤpfen, die dadurch veranlaßten /Bewegungen im Hauſe wahrnahmen, ſchickten /Einen aus ihrer Mitte heimlich in die Stadt, / 3290 worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernial/officiant an der Spitze mehrerer Haͤſcher er/ſchien, und ſich, als ob er daſelbſt ein Geſchaͤft /haͤtte, in das gegenuͤberliegende Haus begab. /Kohlhaas, der mit der Ankleidung ſeiner Kna/ben beſchaͤftigt, dieſe Bewegungen gleichfalls /bemerkte, und den Wagen abſichtlich laͤn/ger, als eben noͤthig geweſen waͤre, vor dem /Hauſe halten ließ, trat, ſobald er die Anſtalten /der Polizei vollendet ſah, mit ſeinen Kindern, / 3300 ohne darauf Ruͤckſicht zu nehmen, vor das Haus/ hinauſ; und waͤhrend er dem Troß der Lands/knechte, die unter der Thuͤr ſtanden, im Vor/uͤbergehen ſagte, daß ſie nicht noͤthig haͤtten, ihm /zu folgen, hob er die Jungen in den Wagen und /145kuͤßte und troͤſtete die kleinen weinenden Maͤd/chen, die, ſeiner Anordnung gemaͤß, bei der /Tochter des alten Hausmanns zuruͤckbleiben ſoll/ten. Kaum hatte er ſelbſt den Wagen beſtiegen, /als der Gubernial-Officiant mit ſeinem Gefolge / 3310 von Haͤſchern, aus dem gegenuͤberliegenden Hauſe, /zu ihm herantrat, und ihn fragte: wohin er /wolle? Auf die Antwort Kohlhaaſens: „daß er /zu ſeinem Freund, dem Amtmann nach Lockewitz /fahren wolle, der ihn vor einigen Tagen mit ſei/nen beiden Knaben zu ſich aufs Land geladen,“ /antwortete der Gubernial-Officiant: daß er in /dieſem Fall einige Augenblicke warten muͤſſe, in/dem einige berittene Landsknechte, dem Befehl /des Prinzen von Meißen gemaͤß, ihn begleiten / 3320 wuͤrden. Kohlhaas fragte laͤchelnd von dem Wa/gen herab: „ob er glaube, daß ſeine Perſon in /dem Hauſe eines Freundes, der ſich erboten, ihn /auf einen Tag an ſeiner Tafel zu bewirthen, nicht /ſicher ſey?“ Der Officiant erwiederte auf eine /heitere und angenehme Art: daß die Gefahr al/lerdings nicht groß ſey; wobei er hinzuſetzte: daß /ihm die Knechte auch auf keine Weiſe zur Laſt /146fallen ſollten. Kohlhaas verſetzte ernſthaft: „daß /ihm der Prinz von Meißen, bei ſeiner Ankunft / 3330 in Dresden, freigeſtellt, ob er ſich der Wache be/dienen wolle oder nicht;“ und da der Officiant /ſich uͤber dieſen Umſtand wunderte, und ſich mit /vorſichtigen Wendungen auf den Gebrauch, waͤh/rend der ganzen Zeit ſeiner Anweſenheit, berief: /ſo erzaͤhlte der Roßhaͤndler ihm den Vorfall, der /die Einſetzung der Wache in ſeinem Hauſe ver/anlaßt hatte. Der Officiant verſicherte ihn, daß /die Befehle des Schloßhauptmanns, Freiherrn von /Wenk, der in dieſem Augenblick Chef der Po/ 3340 lizei ſey, ihm die unausgeſetzte Beſchuͤtzung ſeiner /Perſon zur Pflicht mache; und bat ihn, falls er /ſich die Begleitung nicht gefallen laſſen wolle, /ſelbſt auf das Gubernium zu gehen, um den /Irrthum, der dabei obwalten muͤſſe, zu berichti/gen. Kohlhaas, mit einem ſprechenden Blick, /den er auf den Officianten warf, ſagte, entſchloſ/ſen die Sache zu beugen oder zu brechen: „daß /er dies thun wolle;“ ſtieg mit klopfendem Her/zen von dem Wagen, ließ die Kinder durch den / 3350 Hausmann in den Flur tragen, und verfuͤgte /147ſich, waͤhrend der Knecht mit dem Fuhrwerk vor /dem Hauſe halten blieb, mit dem Officianten /und ſeiner Wache in das Gubernium. Es traf /ſich, daß der Schloßhauptmann, Freiherr Wenk /eben mit der Beſichtigung einer Bande, am /Abend zuvor eingebrachter Nagelſchmidtſcher /Knechte, die man in der Gegend von Leipzig auf/gefangen hatte, beſchaͤftigt war, und die Kerle /uͤber manche Dinge, die man gern von ihnen ge/ 3360 hoͤrt haͤtte, von den Rittern, die bei ihm waren, /befragt wurden, als der Roßhaͤndler mit ſeiner /Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der /Freiherr, ſobald er den Roßhaͤndler erblickte, ging, /waͤhrend die Ritter ploͤtzlich ſtill wurden, und /mit dem Verhoͤr der Knechte einhielten, auf ihn /zu, und fragte ihn: was er wolle? und da der /Roßkamm ihm auf ehrerbietige Weiſe ſein /Vorhaben, bei dem Verwalter in Lockewitz zu /Mittag zu ſpeiſen, und den Wunsch, die Landſ/ 3370 knechte deren er dabei nicht beduͤrfe zuruͤck/laſſen zu duͤrfen, vorgetragen hatte, antwortete /der Freiherr, die Farbe im Geſicht wechſelnd, /indem er eine andere Rede zu verſchlucken ſchien: /148„er wuͤrde wohl thun, wenn er ſich ſtill in ſeinem /Hauſe hielte, und den Schmaus bei dem Locke/witzer Amtmann vor der Hand noch ausſetzte.“ /— Dabei wandte er ſich, das ganze Geſpraͤch zer/ſchneidend, dem Officianten zu, und ſagte ihm: /„daß es mit dem Befehl, den er ihm, in Bezug / 3380 auf den Mann gegeben, ſein Bewenden haͤtte, /und daß derſelbe anders nicht, als in Begleitung /ſechs berittener Landsknechte die Stadt verlaſ/ſen duͤrfe.“ — Kohlhaas fragte: ob er ein Ge/fangener waͤre, und ob er glauben ſolle, daß die /ihm feierlich, vor den Augen der ganzen Welt an/gelobte Amneſtie gebrochen ſey? worauf der /Freiherr ſich ploͤtzlich glutroth im Geſichte zu ihm /wandte, und, indem er dicht vor ihn trat, und ihm /in das Auge ſah, antwortete: ja! ja! ja! — / 3390 ihm den Ruͤcken zukehrte, ihn ſtehen ließ, und /wieder zu den Nagelſchmidtſchen Knechten ging. /Hierauf verließ Kohlhaas den Saal, und ob er /ſchon einſah, daß er ſich das einzige Rettungs/mittel, das ihm uͤbrig blieb, die Flucht, durch /die Schritte die er gethan, ſehr erſchwert hatte, /ſo lobte er ſein Verfahren gleichwohl, weil er ſich /149nunmehr auch ſeinerſeits von der Verbindlichkeit /den Artikeln der Amneſtie nachzukommen, be/freit ſah. Er ließ, da er zu Hauſe kam, die / 3400 Pferde ausſpannen, und begab ſich, in Beglei/tung des Gubernial-Officianten, ſehr traurig und /erſchuͤttert in ſein Zimmer; und waͤhrend dieſer /Mann auf eine dem Roßhaͤndler Ekel erregende /Weiſe, verſicherte, daß alles nur auf einem Miß/verſtaͤndniß beruhen muͤſſe, das ſich in Kurzem /loͤſen wuͤrde, verriegelten die Haͤſcher, auf ſeinen /Wink, alle Ausgaͤnge der Wohnung die auf den /Hof fuͤhrten; wobei der Officiant ihm verſicherte, /daß ihm der vordere Haupteingang nach wie vor, / 3410 zu ſeinem beliebigen Gebrauch offen ſtehe. /
Inzwiſchen war der Nagelſchmidt in den /Waͤldern des Erzgebirgs, durch Haͤſcher und /Landsknechte von allen Seiten ſo gedraͤngt /worden, daß er bei dem gaͤnzlichen Mangel an /Huͤlfsmitteln, eine Rolle der Art, wie er ſie /uͤbernommen, durchzufuͤhren, auf den Gedanken /verfiel, den Kohlhaas in der That ins Inter/eſſe zu ziehen; und da er von der Lage ſeines /Rechtsſtreits in Dresden durch einen Reiſenden, / 3420 150der die Straße zog, mit ziemlicher Genauigkeit /unterrichtet war: ſo glaubte er, der offenbaren /Feindſchaft, die unter ihnen beſtand, zum Trotz, /den Roßhaͤndler bewegen zu koͤnnen, eine neue /Verbindung mit ihm einzugehen. Demnach ſchickte /er einen Knecht, mit einem, in kaum leſerlichem /Deutſch abgefaßten Schreiben an ihn ab, des /Inhalts: „Wenn er nach dem Altenburgiſchen /kommen, und die Anfuͤhrung des Haufens, der /ſich daſelbſt, aus Reſten des aufgeloͤſten zuſammen/ 3430 gefunden, wieder uͤbernehmen wolle, ſo ſey er /erboͤtig, ihm zur Flucht aus ſeiner Haft in Dres/den mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand /zu gehen; wobei er ihm verſprach, kuͤnftig ge/horſamer und uͤberhaupt ordentlicher und beſſer /zu ſeyn, als vorher, und ſich zum Beweis ſeiner /Treue und Anhaͤnglichkeit anheiſchig machte, /ſelbſt in die Gegend von Dresden zu kommen, /um ſeine Befreiung aus ſeinem Kerker zu bewir/ken.“ Nun hatte der, mit dieſem Brief beauf/ 3440 tragte Kerl das Ungluͤck, in einem Dorf dicht /vor Dresden, in Kraͤmpfen haͤßlicher Art, denen /er von Jugend auf unterworfen war, niederzu/151ſinken; bei welcher Gelegenheit der Brief, den /er im Bruſtlatz trug, von Leuten, die ihm zu /Huͤlfe kamen, gefunden, er ſelbſt aber, ſobald er /ſich erholt, arretirt, und durch eine Wache unter /Begleitung vielen Volks, auf das Gubernium /transportirt ward. Sobald der Schloßhaupt/mann von Wenk dieſen Brief geleſen hatte, ver/ 3450 fuͤgte er ſich unverzuͤglich zum Kurfuͤrſten aufs /Schloß, wo er die Herren Kunz und Hinz, wel/cher Erſterer von ſeinen Wunden wieder herge/ſtellt war, und den Praͤſidenten der Staatskan/zelei, Grafen Kallheim, gegenwaͤrtig fand. Die /Herren waren der Meinung, daß der Kohlhaas /ohne Weiteres arretirt, und ihm, auf den Grund /geheimer Einverſtaͤndniſſe mit dem Nagelſchmidt, /der Prozeß gemacht werden muͤſſe; indem ſie /bewieſen, daß ein ſolcher Brief nicht, ohne daß / 3460 fruͤhere auch von Seiten des Roßhaͤndlers vorangegangen, und ohne daß uͤberhaupt eine fre/velhafte und verbrecheriſche Verbindung, zu /Schmiedung neuer Graͤuel, unter ihnen ſtatt /finden ſollte, geſchrieben ſeyn koͤnne. Der Kur/fuͤrſt weigerte ſich ſtandhaft, auf den Grund bloß/152 dieſes Briefes, dem Kohlhaas das freie Geleit, /das er ihm angelobt, zu brechen; er war viel/mehr der Meinung, daß eine Art von Wahr/ſcheinlichkeit aus dem Briefe des Nagelſchmidt / 3470 hervorgehe, daß keine fruͤhere Verbindung zwi/ſchen ihnen ſtatt gefunden habe; und Alles, wo/zu er ſich, um hieruͤber auf’s Reine zu kommen, /auf den Vorſchlag des Praͤſidenten, obſchon /nach großer Zoͤgerung entſchloß, war, den Brief /durch den von dem Nagelſchmidt abgeſchickten /Knecht, gleichſam als ob derſelbe nach wie vor /frei ſey, an ihn abgeben zu laſſen, und zu pruͤ/fen, ob er ihn beantworten wuͤrde. Dem gemaͤß /ward der Knecht, den man in ein Gefaͤngniß ge/ 3480 ſteckt hatte, am andern Morgen auf das Guber/nium gefuͤhrt, wo der Schloßhauptmann ihm /den Brief wieder zuſtellte, und ihn unter dem /Verſprechen, daß er frei ſeyn, und die Strafe /die er verwirkt, ihm erlaſſen ſeyn ſolle, auffor/derte, das Schreiben, als ſei nichts vorgefallen, /dem Roßhaͤndler zu uͤbergeben; zu welcher Liſt /ſchlechter Art ſich dieſer Kerl auch ohne Weiteres /gebrauchen ließ, und auf ſcheinbar geheimniß/153volle Weiſe, unter dem Vorwand, daß er Krebſe / 3490 zu verkaufen habe, womit ihn der Gubernial-/Officiant, auf dem Markte, verſorgt hatte, zu /Kohlhaas ins Zimmer trat. Kohlhaas, der den /Brief, waͤhrend die Kinder mit den Krebſen ſpiel/ten, las, wuͤrde den Gauner gewiß unter andern /Umſtaͤnden beim Kragen genommen, und den /Landsknechten, die vor ſeiner Thuͤr ſtanden, /uͤberliefert haben; doch da bei der Stimmung /der Gemuͤther auch ſelbſt dieſer Schritt noch /einer gleichguͤltigen Auslegung faͤhig war, / 3500 und er ſich vollkommen uͤberzeugt hatte, daß /nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in /dem er verwickelt war, retten konnte: ſo ſah /er dem Kerl, mit einem traurigen Blick, in ſein /ihm wohlbekanntes Geſicht, fragte ihn, wo er /wohnte, und beſchied ihn, in einigen Stunden, /wieder zu ſich, wo er ihm, in Bezug auf ſeinen /Herrn, ſeinen Beſchluß eroͤffnen wolle. Er /hieß dem Sternbald, der zufaͤllig in die Thuͤr /trat, dem Mann, der im Zimmer war, etliche / 3510 Krebſe abkaufen; und nachdem dies Geſchaͤft /abgemacht war, und beide ſich ohne einander zu /154kennen, entfernt hatten, ſetzte er ſich nieder und /ſchrieb einen Brief folgenden Inhalts an den /Nagelſchmidt: „Zuvoͤrderſt daß er ſeinen Vor/ſchlag, die Oberanfuͤhrung ſeines Haufens im /Altenburgiſchen betreffend, annaͤhme; daß er /dem gemaͤß, zur Befreiung aus der vorlaͤufigen /Haft, in welcher er, mit ſeinen fuͤnf Kindern /gehalten werde, ihm einen Wagen mit zwei / 3520 Pferden nach der Neuſtadt bei Dresden ſchicken /ſolle; daß er auch, raſcheren Fortkommens we/gen, noch eines Geſpannes von zwei Pferden /auf der Straße nach Wittenberg beduͤrfe, auf /welchem Umweg er allein, aus Gruͤnden, die an/zugeben zu weitlaͤufig waͤren, zu ihm kommen /koͤnne; daß er die Landsknechte, die ihn bewach/ten, zwar durch Beſtechung gewinnen zu koͤnnen /glaube, fuͤr den Fall aber daß Gewalt noͤthig /ſey, ein Paar beherzte, geſcheute und wohlbe/ 3530 waffnete Knechte, in der Neuſtadt bei Dresden /gegenwaͤrtig wiſſen wolle; daß er ihm zur Be/ſtreitung der mit allen dieſen Anſtalten verbun/denen Koſten, eine Rolle von zwanzig Goldkro/nen durch den Knecht zuſchicken, uͤber deren /155Verwendung er ſich, nach abgemachter Sache, /mit ihm berechnen wolle; daß er ſich uͤbrigens, /weil ſie unnoͤthig ſey, ſeine eigne Anweſenheit /bei ſeiner Befreiung in Dresden verbitte, ja /ihm vielmehr den beſtimmten Befehl ertheile, / 3540 zur einſtweiligen Anfuͤhrung der Bande, die /nicht ohne Oberhaupt ſeyn koͤnne, im Altenbur/giſchen zuruͤckzubleiben.“ — Dieſen Brief, als /der Knecht gegen Abend kam, uͤberlieferte er /ihm; beſchenkte ihn ſelbſt reichlich, und ſchaͤrfte /ihm ein, denſelben wohl in Acht zu nehmen. — /Seine Abſicht war mit ſeinen fuͤnf Kindern /nach Hamburg zu gehen, und ſich von dort nach /der Levante oder nach Oſtindien, oder ſo weit /der Himmel uͤber andere Menſchen, als die er / 3550 kannte, blau war, einzuſchiffen: denn die Dick/fuͤtterung der Rappen hatte ſeine, von Gram /ſehr gebeugte Seele auch unabhaͤngig von dem /Widerwillen, mit dem Nagelſchmidt deshalb ge/meinſchaftliche Sache zu machen, aufgegeben. — /Kaum hatte der Kerl dieſe Antwort dem Schloß/hauptmann uͤberbracht, als der Großkanzler ab/geſetzt, der Praͤſident, Graf Kallheim, an deſ/156ſen Stelle, zum Chef des Tribunals ernannt, /und Kohlhaas, durch einen Kabinetsbefehl des / 3560 Kurfuͤrſten arretirt, und ſchwer mit Ketten be/laden in die Stadtthuͤrme gebracht ward. /Man machte ihm auf den Grund dieſes Briefes, /der an alle Ecken der Stadt angeſchlagen ward, /den Prozeß; und da er vor den Schranken des /Tribunals auf die Frage, ob er die Handſchrift /anerkenne, dem Rath, der ſie ihm vorhielt, ant/wortete: „ja!“ zur Antwort aber auf die Fra/ge, ob er zu ſeiner Vertheidigung etwas vorzu/bringen wiſſe, indem er den Blick zur Erde ſchlug, / 3570 erwiederte, „nein!“ ſo ward er verurtheilt, mit /gluͤhenden Zangen von Schinderknechten geknif/fen, geviertheilt, und ſein Koͤrper, zwiſchen Rad /und Galgen, verbrannt zu werden. /
So ſtanden die Sachen fuͤr den armen Kohl/haas in Dresden, als der Kurfuͤrſt von Bran/denburg zu ſeiner Rettung aus den Haͤnden der /Uebermacht und Willkuͤr auftrat, und ihn, in /einer bei der kurfuͤrſtlichen Staatskanzlei daſelbſt /eingereichten Note, als brandenburgiſchen Un/ 3580 terthan reclamirte. Denn der wackere Stadt/157hauptmann, Herr Heinrich von Geuſau, hatte /ihn, auf einem Spaziergange an den Ufern der /Spree, von der Geſchichte dieſes ſonderbaren /und nicht verwerflichen Mannes unterrichtet, /bei welcher Gelegenheit er von den Fragen des /erſtaunten Herrn gedraͤngt, nicht umhin konnte, /der Schuld zu erwaͤhnen, die durch die Un/ziemlichkeiten ſeines Erzkanzlers, des Grafen /Siegfried von Kallheim, ſeine eigene Perſon / 3590 druͤckte: woruͤber der Kurfuͤrſt ſchwer entruͤſtet, /den Erzkanzler, nachdem er ihn zur Rede ge/ſtellt und befunden, daß die Verwandtſchaft des/ſelben mit dem Hauſe derer von Tronka an allem /Schuld ſey, ohne Weiteres, mit mehreren Zei/chen ſeiner Ungnade entſetzte, und den Herrn /Heinrich von Geuſau zum Erzkanzler ernannte. /
Es traf ſich aber, daß die Krone Pohlen /grade damals, indem ſie mit dem Hauſe /Sachſen, um welchen Gegenſtandes willen / 3600 wiſſen wir nicht, im Streit lag, den Kur/fuͤrſten von Brandenburg, in wiederholten und /dringenden Vorſtellungen anging, ſich mit ihr /in gemeinſchaftlicher Sache gegen das Haus /158Sachſen zu verbinden; dergeſtalt, daß der Erz/kanzler, Herr Geuſau, der in ſolchen Dingen /nicht ungeſchickt war, wohl hoffen durfte, den /Wunſch ſeines Herrn, dem Kohlhaas, es koſte /was es wolle, Gerechtigkeit zu verſchaffen, zu /erfuͤllen, ohne die Ruhe des Ganzen auf eine / 3610 mißlichere Art, als die Ruͤckſicht auf einen Ein/zelnen erlaubt, aufs Spiel zu ſetzen. Demnach /forderte der Erzkanzler nicht nur wegen gaͤnz/lich willkuͤrlichen, Gott und Menſchen mißge/faͤlligen Verfahrens, die unbedingte und unge/ſaͤumte Auslieferung des Kohlhaas, um denſel/ben, falls ihn eine Schuld druͤcke, nach bran/denburgiſchen Geſetzen, auf Klageartikel, die der /Dresdner Hof deshalb durch einen Anwald in /Berlin anhaͤngig machen koͤnne, zu richten; / 3620 ſondern er begehrte ſogar ſelbſt Paͤſſe fuͤr einen /Anwald, den der Kurfuͤrſt nach Dresden zu /ſchicken Willens ſey, um dem Kohlhaas, wegen /der ihm auf ſaͤchſiſchem Grund und Boden ab/genommenen Rappen und anderer himmelſchrei/enden Mißhandlungen und Gewaltthaten halber, /gegen den Junker Wenzel von Tronka, Recht zu /159verſchaffen. Der Kaͤmmerer, Herr Kunz, der /bei der Veraͤnderung der Staatsaͤmter in Sach/ſen zum Praͤſidenten der Staatskanzlei ernannt / 3630 worden war, und der aus mancherlei Gruͤnden /den Berliner Hof, in der Bedraͤngniß in der er /ſich befand, nicht verletzen wollte, antwortete im /Namen ſeines uͤber die eingegangene Note ſehr /niedergeſchlagenen Herrn: „daß man ſich uͤber /die Unfreundſchaftlichkeit und Unbilligkeit wun/dere, mit welcher man dem Hofe zu Dresden /das Recht abſpraͤche, den Kohlhaas wegen Ver/brechen, die er im Lande begangen, den Geſetzen /gemaͤß zu richten, da doch weltbekant ſey, daß / 3640 derſelbe ein betraͤchtliches Grundſtuͤck in der / Hauptſtadt beſitze, und ſich ſelbſt in der Quali/taͤt als ſaͤchſiſchen Buͤrger gar nicht verlaͤugne. /Doch da die Krone Pohlen bereits zur Ausfech/tung ihrer Anſpruͤche einen Heerhaufen von fuͤnf/tauſend Mann an der Graͤnze von Sachſen zu/ſammenzog, und der Erzkanzler, Herr Hein/rich von Geuſau, erklaͤrte: „daß Kohlhaaſenbruͤck, /der Ort, nach welchem der Roßhaͤndler heiße, im /Brandenburgiſchen liege, und daß man die Voll/ 3650 160ſtreckung des uͤber ihn ausgeſprochenen Todesur/theils fuͤr eine Verletzung des Voͤlkerrechts halten /wuͤrde:“ ſo rief der Kurfuͤrſt, auf den Rath des /Kaͤmmerers, Herrn Kunz ſelbſt, der ſich aus / dieſen diesem [emendiert] diesem [emendiert] diesem [emendiert] diesem [emendiert] Handel zuruͤckzuziehen wuͤnſchte, den Prin/zen Chriſtiern von Meißen von ſeinen Guͤtern /herbei, und entſchloß ſich, auf wenige Worte /dieſes verſtaͤndigen Herrn, den Kohlhaas, der /Forderung gemaͤß, an den Berliner Hof auszulie/fern. Der Prinz, der obſchon mit den Unziem/ 3660 lichkeiten die vorgefallen waren, wenig zufrieden, /die Leitung der Kohlhaaſiſchen Sache auf den /Wunſch ſeines bedraͤngten Herrn, uͤbernehmen /mußte, fragte ihn, auf welchen Grund er nun/mehr den Roßhaͤndler bei dem Kammergericht zu /Berlin verklagt wiſſen wolle; und da man ſich /auf den leidigen Brief desſelben an den Nagel/ſchmidt, wegen der zweideutigen und unklaren /Umſtaͤnde, unter welchen er geſchrieben war, /nicht berufen konnte, der fruͤheren Pluͤnderun/ 3670 gen und Einaͤſcherungen aber, wegen des Pla/cats, worin ſie ihm vergeben worden waren, /nicht erwaͤhnen durfte: ſo beſchloß der Kurfuͤrſt, /161der Majeſtaͤt des Kaiſers zu Wien einen Bericht /uͤber den bewaffneten Einfall des Kohlhaas in /Sachſen vorzulegen, ſich uͤber den Bruch des von /ihm eingeſetzten oͤffentlichen Landfriedens zu be/ſchweren, und ſie, die allerdings durch keine Am/neſtie gebunden war, anzuliegen, den Kohlhaas /bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch ei/ 3680 nen Reichsanklaͤger zur Rechenſchaft zu ziehen. /Acht Tage darauf ward der Roßkamm durch den /Ritter Friedrich von Malzahn, den der Kurfuͤrſt /von Brandenburg mit ſechs Reutern nach Dres/den geſchickt hatte, geſchloſſen wie er war, auf /einen Wagen geladen, und mit ſeinen fuͤnf Kin/dern, die man auf ſeine Bitte aus Findel- und /Waiſenhaͤuſern wieder zuſammengeſucht hatte, /nach Berlin transportirt. Es traf ſich daß der /Kurfuͤrſt von Sachſen auf die Einladung des/ 3690 Landdroſts, Grafen Aloyſius von Kallheim, /der damals an der Graͤnze von Sachſen betraͤcht/liche Beſitzungen hatte, in Geſellſchaft des Kaͤm/merers, Herrn Kunz, und ſeiner Gemahlin, der /Dame Heloiſe, Tochter des Landdroſts und /Schweſter des Praͤſidenten, andrer glaͤnzenden /162Herren und Damen, Jagdjunker und Hofher/ren, die dabei waren, nicht zu erwaͤhnen, zu ei/nem großen Hirſchjagen, das man, um ihn zu /erheitern, angeſtellt hatte, nach Dahme gereiſt / 3700 war; dergeſtalt, daß unter dem Dach bewimpel/ter Zelte, die quer uͤber die Straße auf einem /Huͤgel erbaut waren, die ganze Geſellſchaft vom /Staub der Jagd noch bedeckt unter dem Schall /einer heitern vom Stamm einer Eiche her/ſchallenden Muſik, von Pagen bedient und Edel/knaben, an der Tafel ſaß, als der Roßhaͤndler /langſam mit ſeiner Reuterbedeckung die Straße /von Dresden daher gezogen kam. Denn die /Erkrankung eines der kleinen, zarten Kinder des / 3710 Kohlhaas, hatte den Ritter von Malzahn, der /ihn begleitete, genoͤthigt, drei Tage lang in Herz/berg zuruͤckzubleiben; von welcher Maaßregel er, /dem Fuͤrſten dem er diente deshalb allein verant/wortlich, nicht noͤthig befunden hatte, der Regie/rung zu Dresden weitere Kenntniß zu geben. Der /Kurfuͤrſt, der mit halboffener Bruſt, den Feder/huth, nach Art der Jaͤger, mit Tannenzweigen ge/ſchmuͤckt, neben der Dame Heloiſe ſaß, die, in /163Zeiten fruͤherer Jugend, ſeine erſte Liebe geweſen / 3720 war, ſagte von der Anmuth des Feſtes, das ihn /umgaukelte, heiter geſtimmt: „Laſſet uns hin/gehen, und dem Ungluͤcklichen, wer es auch ſey, /dieſen Becher mit Wein reichen!“Die Dame /Heloiſe, mit einem herrlichen Blick auf ihn, /ſtand ſogleich auf, und fuͤllte, die ganze Tafel /pluͤndernd, ein ſilbernes Geſchirr, das ihr ein /Page reichte, mit Fruͤchten, Kuchen und Brod /an; und ſchon hatte, mit Erquickungen jeglicher /Art, die ganze Geſellſchaft wimmelnd das Zelt / 3730 verlaſſen, als der Landdroſt ihnen mit einem ver/legenen Geſicht entgegen kam, und ſie bat zu/ruͤckzubleiben. Auf die betretene Frage des Kur/fuͤrſten was vorgefallen waͤre, daß er ſo beſtuͤrzt ſey? /antwortete der Landdroſt ſtotternd gegen den Kaͤm/merer gewandt, daß der Kohlhaas im Wagen /ſey; auf welche jedermann unbegreifliche Nach/richt, indem weltbekannt war, daß derſelbe be/reits vor ſechs Tagen abgereiſt war, der Kaͤm/merer, Herr Kunz, ſeinen Becher mit Wein / 3740 nahm, und ihn, mit einer Ruͤckwendung gegen /das Zelt, in den Sand ſchuͤttete. Der Kurfuͤrſt /164ſetzte, uͤber und uͤber roth, den ſeinigen auf ei/nen Teller, den ihm ein Edelknabe auf den Wink /des Kaͤmmerers zu dieſem Zweck vorhielt; und /waͤhrend der Ritter Friedrich von Malzahn, un/ter ehrfurchtsvoller Begruͤßung der Geſellſchaft, /die er nicht kannte, langſam durch die Zeltleinen, /die uͤber die Straße liefen, nach Dahme weiter /zog, begaben ſich die Herrſchaften, auf die Ein/ 3750 ladung des Landdroſts, ohne weiter davon Notiz /zu nehmen, ins Zelt zuruͤck. Der Landdroſt, ſo/bald ſich der Kurfuͤrſt niedergelaſſen hatte, ſchickte /unter der Hand nach Dahme, um bei dem Ma/giſtrat daſelbſt die unmittelbare Weiterſchaffung /des Roßhaͤndlers bewirken zu laſſen; doch da der /Ritter, wegen bereits zu weit vorgeruͤckter Ta/geszeit, beſtimmt in dem Ort uͤbernachten zu /wollen erklaͤrte, ſo mußte man ſich begnuͤgen, /ihn in einer dem Magiſtrat zugehoͤrigen Meierei, / 3760 die, in Gebuͤſchen verſteckt, auf der Seite lag, ge/raͤuſchlos unterzubringen. Nun begab es ſich, /daß gegen Abend, da die Herrſchaften vom Wein /und dem Genuß eines uͤppigen Nachtiſches zer/ſtreut, den ganzen Vorfall wieder vergeſſen hat/165ten, der Landdroſt den Gedanken auf die Bahn /brachte, ſich noch einmal, eines Rudels Hirſche /wegen, der ſich hatte blicken laſſen, auf den An/ſtand zu ſtellen; welchen Vorſchlag die ganze Ge/ſellſchaft mit Freuden ergriff, und Paarweiſe / 3770 nachdem ſie ſich mit Buͤchſen verſorgt, uͤber /Graͤben und Hecken in die nahe Forſt eilte: der/geſtalt, daß der Kurfuͤrſt und die Dame Heloiſe, /die ſich, um dem Schauſpiel beizuwohnen, an /ſeinen Arm hing, von einem Boten, den man /ihnen zugeordnet hatte, unmittelbar, zu ihrem /Erſtaunen, durch den Hof des Hauſes gefuͤhrt /wurden, in welchem Kohlhaas mit den branden/burgiſchen Reutern befindlich war. Die Dame /als ſie dies hoͤrte, ſagte: „kommt, gnaͤdigſter / 3780 Herr, kommt!“ und verſteckte die Kette, die /ihm vom Halſe herabhing, ſchaͤkernd in ſeinen /ſeidenen Bruſtlatz: „laßt uns ehe der Troß /nachkoͤmmt in die Meierei ſchleichen, und den /wunderlichen Mann, der darin uͤbernachtet, be/trachten!“ Der Kurfuͤrſt, indem er erroͤthend /ihre Hand ergriff, ſagte: Heloiſe! was faͤllt /euch ein? Doch da ſie, indem ſie ihn betreten /166anſah, verſetzte: „daß ihn ja in der Jaͤgertracht, /die ihn decke, kein Menſch erkenne!“ und ihn fort/ 3790 zog; und in eben dieſem Augenblick ein Paar /Jagdjunker, die ihre Neugierde ſchon befriedigt /hatten, aus dem Hauſe heraustraten, verſichernd, /daß in der That, vermoͤge einer Veranſtaltung, /die der Landdroſt getroffen, weder der Ritter noch /der Roßhaͤndler wiſſe, welche Geſellſchaft in der /Gegend von Dahme verſammelt ſey; ſo druͤckte /der Kurfuͤrſt ſich den Huth laͤchelnd in die Augen, /und ſagte: „Thorheit, du regierſt die Welt, und /dein Sitz iſt ein ſchoͤner weiblicher Mund!“ — / 3800 Es traf ſich daß Kohlhaas eben mit dem Ruͤcken /gegen die Wand auf einem Bund Stroh ſaß, und /ſein, ihm in Herzberg erkranktes Kind mit Sem/mel und Milch fuͤtterte, als die Herrſchaften, /um ihn zu beſuchen, in die Meierei traten; und /da die Dame ihn, um ein Geſpraͤch einzulei/ten, fragte: wer er ſey? und was dem Kinde /fehle? auch was er verbrochen und wohin /man ihn unter ſolcher Bedeckung abfuͤhre? /ſo ruͤckte er ſeine lederne Muͤtze vor ihr, und gab / 3810 ihr auf alle dieſe Fragen, indem er ſein Geſchaͤft /167fortſetzte, unreichliche aber befriedigende Ant/wort. Der Kurfuͤrſt, der hinter den Jagd/junkern ſtand, und eine kleine bleierne Kapſel, die /ihm an einem ſeidenen Faden vom Hals herab/hing, bemerkte, fragte ihn, da ſich grade nichts /Beſſeres zur Unterhaltung darbot: was dieſe zu /bedeuten haͤtte und was darin befindlich waͤre?/Kohlhaas erwiderte: „ja, geſtrenger Herr, dieſe /Kapſel!“ — und damit ſtreifte er ſie vom Nak/ 3820 kenNacken ab, oͤffnete ſie und nahm einen kleinen mit /Mundlack verſiegelten Zettel heraus — „mit /dieſer Kapſel hat es eine wunderliche Bewand/niß! Sieben Monden moͤgen es etwa ſeyn, ge/nau am Tage nach dem Begraͤbniß meiner Frau; /und von Kohlhaaſenbruͤck, wie euch vielleicht be/kannt ſeyn wird, war ich aufgebrochen, um des /Junkers von Tronka, der mir viel Unrecht zu/gefuͤgt, habhaft zu werden, als um einer Ver/handlung willen, die mir unbekannt iſt, der / 3830 Kurfuͤrſt von Sachſen und der Kurfuͤrſt von /Brandenburg in Juͤterbock, einem Marktflecken, /durch den der Streifzug mich fuͤhrte, eine Zu/ſammenkunft hielten; und da ſie ſich gegen /168Abend ihren Wuͤnſchen gemaͤß vereinigt hatten, /ſo gingen ſie, in freundſchaftlichem Geſpraͤch, /durch die Straßen der Stadt, um den Jahr/markt, der eben darin froͤhlich abgehalten ward, /in Augenſchein zu nehmen. Da trafen ſie auf /eine Zigeunerin, die, auf einem Schemel ſitzend, / 3840 dem Volk, das ſie umringte, aus dem Kalender /wahrſagte, und fragten ſie ſcherzhafter Weiſe: /ob ſie ihnen nicht auch etwas, das ihnen lieb /waͤre, zu eroͤffnen haͤtte? Ich, der mit meinem /Haufen eben in einem Wirthshauſe abgeſtiegen, /und auf dem Platz, wo dieſer Vorfall ſich zutrug, /gegenwaͤrtig war, konnte hinter allem Volk, /am Eingang einer Kirche, wo ich ſtand, nicht /vernehmen, was die wunderliche Frau den Her/ren ſagte; dergeſtalt, daß, da die Leute lachend / 3850 einander zufluͤſterten, ſie theile nicht jedermann /ihre Wiſſenſchaft mit, und ſich des Schauſpiels /wegen das ſich bereitete, ſehr bedraͤngten, ich, /weniger neugierig, in der That, als um den Neu/gierigen Platz zu machen, auf eine Bank ſtieg, /die hinter mir im Kircheneingange ausgehauen /war. Kaum hatte ich von dieſem Standpunkt /169aus, mit voͤlliger Freiheit der Ausſicht, die Herr/ſchaften und das Weib, das auf dem Schemel vor /ihnen ſaß und etwas aufzukritzeln ſchien, erblickt: / 3860 da ſteht ſie ploͤtzlich auf ihre Kruͤcken gelehnt, /indem ſie ſich im Volk umſieht, auf; faßt mich, /der nie ein Wort mit ihr wechſelte, noch ihrer /Wiſſenſchaft Zeit ſeines Lebens begehrte, ins /Auge; draͤngt ſich durch den ganzen dichten Auf/lauf der Menſchen zu mir heran und ſpricht: /„da! wenn es der Herr wiſſen will, ſo mag er /dich danach fragen!“ Und damit, geſtrenger /Herr, reichte ſie mir mit ihren duͤrren knoͤcher/nen Haͤnden dieſen Zettel dar. Und da ich be/ 3870 treten, waͤhrend ſich alles Volk zu mir umwen/det, ſpreche: Muͤtterchen, was auch verehrſt du /mir da? antwortet ſie, nach vielem unvernehm/lichen Zeug, worunter ich jedoch zu meinem /großen Befremden meinen Namen hoͤre: „ein /Amulet, Kohlhaas, der Roßhaͤndler; verwahr’ /es wohl, es wird dir dereinſt das Leben retten!“ /und verſchwindet. — Nun!“ fuhr Kohlhaas /gutmuͤthig fort: „die Wahrheit zu geſtehen, /hats mir in Dresden, ſo ſcharf es herging, / 3880 170das Leben nicht gekoſtet; und wie es mir in /Berlin gehen wird, und ob ich auch dort da/mit beſtehen werde, ſoll die Zukunft lehren.“ — /Bei dieſen Worten ſetzte ſich der Kurfuͤrſt auf /eine Bank; und ob er ſchon auf die betretne /Frage der Dame: was ihn fehle? antwortete: /nichts, gar nichts! ſo fiel er doch ſchon ohn/maͤchtig auf den Boden nieder, ehe ſie noch Zeit /hatte ihm beizuſpringen, und in ihre Arme auf/zunehmen. Der Ritter von Malzahn, der in / 3890 eben dieſem Augenblick, eines Geſchaͤfts halber, /ins Zimmer trat, ſprach: heiliger Gott! was /fehlt dem Herrn? die Dame rief: ſchafft Waſſer /her! Die Jagdjunker hoben ihn auf und trugen /ihn auf ein im Nebenzimmer befindliches Bett; /und die Beſtuͤrzung erreichte ihren Gipfel, als /der Kaͤmmerer, den ein Page herbeirief, nach /mehreren vergeblichen Bemuͤhungen, ihn ins Le/ben zuruͤckzubringen, erklaͤrte: er gebe alle Zei/chen von ſich, als ob ihn der Schlag geruͤhrt! / 3900 Der Landdroſt, waͤhrend der Mundſchenk einen /reitenden Boten nach Luckau ſchickte, um einen /Arzt herbeizuholen, ließ ihn, da er die Augen /171aufſchlug, in einen Wagen bringen, und Schritt /vor Schritt nach ſeinem in der Gegend befindli/chen Jagdſchloß abfuͤhren; aber dieſe Reiſe zog /ihm, nach ſeiner Ankunft daſelbſt, zwei neue /Ohnmachten zu: dergeſtalt, daß er ſich erſt ſpaͤt /am andern Morgen, bei der Ankunft des Arztes /aus Luckau, unter gleichwohl entſcheidenden / 3910 Symptomen eines herannahenden Nervenfie/bers, einigermaßen erholte. Sobald er ſeiner /Sinne maͤchtig geworden war, richtete er ſich /halb im Bette auf, und ſeine erſte Frage war /gleich: wo der Kohlhaas ſey? Der Kaͤmmerer, /der ſeine Frage mißverſtand, ſagte, indem er /ſeine Hand ergriff: daß er ſich dieſes entſetzlichen /Menſchen wegen beruhigen moͤgte, indem der/ſelbe, ſeiner Beſtimmung gemaͤß, nach jenem /ſonderbaren und unbegreiflichen Vorfall, in der / 3920 Meierei zu Dahme, unter brandenburgiſcher /Bedeckung, zuruͤckgeblieben waͤre. Er fragte ihn, /unter der Verſicherung ſeiner lebhafteſten Theil/nahme und der Betheurung, daß er ſeiner Frau, /wegen des unverantwortlichen Leichtſinns, ihn /mit dieſem Mann zuſammenzubringen, die bitter/172ſten Vorwuͤrfe gemacht haͤtte: was ihn denn ſo /wunderbar und ungeheuer in der Unterredung mit /demſelben ergriffen haͤtte? Der Kurfuͤrſt ſagte: /er muͤſſe ihm nur geſtehen, daß der Anblick eines / 3930 nichtigen Zettels, den der Mann in einer bleier/nen Kapſel mit ſich fuͤhre, Schuld an dem /ganzen unangenehmen Zufall ſey, der ihm zuge/ſtoßen. Er ſetzte noch mancherlei zur Erklaͤrung /dieſes Umſtands, das der Kaͤmmerer nicht ver/ſtand, hinzu; verſicherte ihn ploͤtzlich, indem er /ſeine Hand zwiſchen die ſeinigen druͤckte, daß /ihm der Beſitz dieſes Zettels von der aͤußerſten /Wichtigkeit ſey; und bat ihn, unverzuͤglich auf/zuſitzen, nach Dahme zu reiten, und ihm den / 3940 Zettel, um welchen Preis es immer ſey, von /demſelben zu erhandeln. Der Kaͤmmerer, der /Muͤhe hatte, ſeine Verlegenheit zu verbergen,/ verſicherte ihn: daß, falls dieſer Zettel einigen /Werth fuͤr ihn haͤtte, nichts auf der Welt noth/wendiger waͤre, als dem Kohlhaas dieſen Um/ſtand zu verſchweigen; indem, ſobald derſelbe /durch eine unvorſichtige Aeußerung Kenntniß /davon naͤhme, alle Reichthuͤmer, die er beſaͤße, /173nicht hinreichen wuͤrden, ihn aus den Haͤnden / 3950 dieſes grimmigen, in ſeiner Rachſucht unerſaͤttli/chen Kerls zu erkaufen. Er fuͤgte, um ihn zu be/ruhigen, hinzu, daß man auf ein anderes Mittel /denken muͤſſe, und daß es vielleicht durch Liſt, /vermoͤge eines Dritten ganz Unbefangenen, in/dem der Boͤſewicht wahrſcheinlich, an und fuͤr /ſich, nicht ſehr daran haͤnge, moͤglich ſeyn wuͤr/de, ſich den Beſitz des Zettels, an dem ihm ſo /viel gelegen ſei, zu verſchaffen. Der Kurfuͤrſt, /indem er ſich den Schweiß abtrocknete, fragte: / 3960 ob man nicht unmittelbar zu dieſem Zweck nach /Dahme ſchicken, und den weiteren Transport /des Roßhaͤndlers, vorlaͤufig, bis man des Blat/tes, auf welche Weiſe es ſey, habhaft geworden, /einſtellen koͤnne? Der Kaͤmmerer, der ſeinen /Sinnen nicht traute, verſetzte: daß leider allen /wahrſcheinlichen Berechnungen zufolge, der /Roßhaͤndler Dahme bereits verlaſſen haben, und /ſich jenſeits der Graͤnze, auf brandenburgiſchem /Grund und Boden befinden muͤſſe, wo das Un/ 3970 ternehmen, die Fortſchaffung desſelben zu hem/men, oder wohl gar ruͤckgaͤngig zu machen, die /174unangenehmſten und weitlaͤuftigſten, ja ſolche /Schwierigkeiten, die vielleicht gar nicht zu beſei/tigen waͤren, veranlaſſen wuͤrde. Er fragte ihn, /da der Kurfuͤrſt ſich ſchweigend, mit der Ge/baͤhrde eines ganz Hoffnungsloſen, auf das Kiſ/ſen zuruͤcklegte: was denn der Zettel enthalte? /und durch welchen Zufall befremdlicher und un/erklaͤrlicher Art ihm, daß der Inhalt ihn betreffe, / 3980 bekannt ſey? Hierauf aber, unter zweideutigen /Blicken auf den Kaͤmmerer, deſſen Willfaͤhrig/keit er in dieſem Falle mißtraute, antwortete der /Kurfuͤrſt nicht: ſtarr, mit unruhig klopfendem /Herzen lag er da, und ſah auf die Spitze des /Schnupftuchs nieder, das er gedankenvoll zwi/ſchen den Haͤnden hielt; und bat ihn ploͤtzlich, /den Jagdjunker vom Stein, einen jungen, ruͤ/ſtigen und gewandten Herrn, deſſen er ſich oͤfter /ſchon zu geheimen Geſchaͤften bedient hatte, / 3990 unter dem Vorwand, daß er ein anderweitiges /Geſchaͤft mit ihm abzumachen habe, ins Zimmer /zu rufen. Den Jagdjunker, nachdem er ihm /die Sache auseinandergelegt, und von der Wich/tigkeit des Zettels, in deſſen Beſitz der Kohlhaas /175war, unterrichtet hatte, fragte er, ob er ſich ein /ewiges Recht auf ſeine Freundſchaft erwerben, /und ihm den Zettel, noch ehe derſelbe Berlin er/reicht, verſchaffen wolle? und da der Junker, ſo/bald er das Verhaͤltniß nur, ſonderbar wie es / 4000 war, einigermaßen uͤberſchaute, verſicherte, daß /er ihm mit allen ſeinen Kraͤften zu Dienſten /ſtehe: ſo trug ihm der Kurfuͤrſt auf, dem Kohl/haas nachzureiten, und ihm, da demſelben mit /Geld wahrſcheinlich nicht beizukommen ſey, in /einer mit Klugheit angeordneten Unterredung, /Freiheit und Leben dafuͤr anzubieten, ja ihm, /wenn er darauf beſtehe, unmittelbar, obſchon /mit Vorſicht, zur Flucht aus den Haͤnden der /brandenburgiſchen Reuter, die ihn transportir/ 4010 ten, mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand /zu gehen. Der Jagdjunker, nachdem er ſich ein /Blatt von der Hand des Kurfuͤrſten zur Be/glaubigung ausgebeten, brach auch ſogleich mit ei/nigen Knechten auf, und hatte, da er den Odem /der Pferde nicht ſparte, das Gluͤck, den Kohl/haas auf einem Graͤnzdorf zu treffen, wo der/ſelbe mit dem Ritter von Malzahn und ſeinen /176fuͤnf Kindern ein Mittagsmahl, das im Freien /vor der Thuͤr eines Hauſes angerichtet war, zu / 4020 ſich nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der /Junker ſich als einen Fremden, der bei ſeiner /Durchreiſe den ſeltſamen Mann, den er mit ſich /fuͤhre, in Augenſchein zu nehmen wuͤnſche, vor/ſtellte, noͤthigte ihn ſogleich auf zuvorkommende /Art, indem er ihn mit dem Kohlhaas bekannt /machte, an der Tafel nieder; und da der Ritter /in Geſchaͤften der Abreiſe ab und zuging, die /Reuter aber an einem, auf des Hauſes anderer /Seite befindlichen Tiſch, ihre Mahlzeit hielten: / 4030 ſo traf ſich die Gelegenheit bald, wo der Junker /dem Roßhaͤndler eroͤffnen konnte, wer er ſey, /und in welchen beſonderen Auftraͤgen er zu ihm /komme. Der Roßhaͤndler, der bereits Rang /und Namen deſſen, der beim Anblick der in Rede /ſtehenden Kapſel, in der Meierei zu Dahme in /Ohnmacht gefallen war, kannte, und der zur /Kroͤnung des Taumels, in welchen ihn dieſe Ent/deckung verſetzt hatte, nichts bedurfte, als Ein/ſicht in die Geheimniſſe des Zettels, den er, um / 4040 mancherlei Gruͤnde willen, entſchloſſen war, /177aus bloßer Neugierde nicht zu eroͤffnen: der Roß/haͤndler ſagte, eingedenk der unedelmuͤthigen und /unfuͤrſtlichen Behandlung, die er in Dresden, /bei ſeiner gaͤnzlichen Bereitwilligkeit, alle nur /moͤglichen Opfer zu bringen, hatte erfahren muͤſ/ſen: „daß er den Zettel behalten wolle.“ Auf /die Frage des Jagdjunkers: was ihn zu dieſer /ſonderbaren Weigerung, da man ihm doch nichts /Minderes, als Freiheit und Leben dafuͤr anbiete, / 4050 veranlaſſe? antwortete Kohlhaas: „Edler Herr! /Wenn euer Landesherr kaͤme, und ſpraͤche, ich /will mich, mit dem ganzen Troß derer, die mir /das Scepter fuͤhren helfen, vernichten — ver/nichten, verſteht ihr, welches allerdings der groͤ/ßeſte Wunſch iſt, den meine Seele hegt: ſo wuͤr/de ich ihm doch den Zettel noch, der ihm mehr /werth iſt, als das Daſeyn, verweigern und ſpre/chen: du kannſt mich auf das Schaffot bringen, /ich aber kann dir weh thun, und ich will’s!“ / 4060 Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen /Reuter herbei, unter der Aufforderung, ein gu/tes Stuͤck Eſſen, das in der Schuͤſſel uͤbrig ge/178blieben war, zu ſich zu nehmen; und fuͤr den /ganzen Reſt der Stunde, die er im Flecken zu/brachte, fuͤr den Junker, der an der Tafel ſaß, /wie nicht vorhanden, wandte er ſich erſt wieder, /als er den Wagen beſtieg, mit einem Blick, der /ihn abſchiedlich gruͤßte, zu ihm zuruͤck. — Der /Zuſtand des Kurfuͤrſten, als er dieſe Nachricht / 4070 bekam, verſchlimmerte ſich in dem Grade, daß /der Arzt, waͤhrend drei verhaͤngnißvoller Tage, /ſeines Lebens wegen, das zugleicher zu gleicher [emendiert] zu gleicher [emendiert] Zeit, von ſo /vielen Seiten angegriffen ward, in der groͤßeſten /Beſorgniß war. Gleichwohl ſtellte er ſich, durch /die Kraft ſeiner natuͤrlichen Geſundheit, nach dem /Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wo/chen wieder her; dergeſtalt wenigſtens, daß man /ihn in einen Wagen bringen, und mit Kiſſen /und Decken wohl verſehen, nach Dresden zu / 4080 ſeinen Regierungsgeſchaͤften wieder zuruͤckfuͤhren /konnte. Sobald er in dieſer Stadt angekommen /war, ließ er den Prinzen Chriſtiern von Meißen /rufen, und fragte denſelben: wie es mit der Ab/fertigung des Gerichtsraths Eibenmayer ſtuͤnde, /den man, als Anwald in der Sache des Kohl/179haas, nach Wien zu ſchicken geſonnen geweſen /waͤre, um kaiſerlicher Majeſtaͤt daſelbſt die Be/ſchwerde wegen gebrochenen, kaiſerlichen Land/friedens, vorzulegen? Der Prinz antwortete / 4090 ihm: daß derſelbe, dem, bei ſeiner Abreiſe nach /Dahme hinterlaſſenen Befehl gemaͤß, gleich nach /Ankunft des Rechtsgelehrten Zaͤuner, den der /Kurfuͤrſt von Brandenburg als Anwald nach /Dresden geſchickt haͤtte, um die Klage desſelben, /gegen den Junker Wenzel von Tronka, der Rap/pen wegen, vor Gericht zu bringen, nach Wien /abgegangen waͤre. Der Kurfuͤrſt, indem er er/roͤthend an ſeinen Arbeitstiſch trat, wunderte ſich /uͤber dieſe Eilfertigkeit, indem er ſeines Wiſſens / 4100 erklaͤrt haͤtte, die definitive Abreiſe des Eiben/mayer, wegen vorher nothwendiger Ruͤckſprache /mit dem Doctor Luther, der dem Kohlhaas die /Amneſtie ausgewirkt, einem naͤheren und be/ſtimmteren Befehl vorbehalten zu wollen. Da/bei warf er einige Briefſchaften und Acten, die /auf dem Tiſch lagen, mit dem Ausdruck zuruͤck/gehaltenen Unwillens, uͤber einander. Der /Prinz, nach einer Pauſe, in welcher er ihn mit /180großen Augen anſah, verſetzte, daß es ihm leid / 4110 thaͤte, wenn er ſeine Zufriedenheit in dieſer Sache /verfehlt habe; inzwiſchen koͤnne er ihm den Be/ſchluß des Staatsraths vorzeigen, worin ihm /die Abſchickung des Rechtsanwalds, zu dem be/ſagten Zeitpunkt, zur Pflicht gemacht worden /waͤre. Er ſetzte hinzu, daß im Staatsrath von /einer Ruͤckſprache mit dem Doctor Luther, auf /keine Weiſe die Rede geweſen waͤre; daß es fruͤh/erhin vielleicht zweckmaͤßig geweſen ſeyn moͤchte, /dieſen geiſtlichen Herrn, wegen der Verwendung, / 4120 die er dem Kohlhaas angedeihen laſſen, zu be/ruͤckſichtigen, nicht aber jetzt mehr, nachdem man /demſelben die Amneſtie vor den Augen der gan/zen Welt gebrochen, ihn arretirt, und zur Ver/urtheilung und Hinrichtung an die brandenbur/giſchen Gerichte ausgeliefert haͤtte. Der Kur/fuͤrſt ſagte: das Verſehen, den Eibenmayer ab/geſchickt zu haben, waͤre auch in der That nicht /groß; inzwiſchen wuͤnſche er, daß derſelbe vor/laͤufig, bis auf weiteren Befehl, in ſeiner Eigen/ 4130 ſchaft als Anklaͤger zu Wien nicht auftraͤte, und /bat den Prinzen, deshalb das Erforderliche unver/181zuͤglich durch einen Expreſſen, an ihn zu erlaſ/ſen. Der Prinz antwortete: daß dieſer Befehl /leider um einen Tag zu ſpaͤt kaͤme, indem der /Eibenmayer bereits nach einem Berichte, der /eben heute eingelaufen, in ſeiner Qualitaͤt als /Anwald aufgetreten, und mit Einreichung der /Klage bei der Wiener Staatskanzlei vorgegan/gen waͤre. Er ſetzte auf die betroffene Frage / 4140 des Kurfuͤrſten: wie dies uͤberall in ſo kurzer /Zeit moͤglich ſey? hinzu: daß bereits, ſeit der /Abreiſe dieſes Mannes drei Wochen verſtrichen /waͤren, und daß die Inſtruktion, die er erhalten, /ihm eine ungeſaͤumte Abmachung dieſes Geſchaͤfts, /gleich nach ſeiner Ankunft in Wien zur Pflicht /gemacht haͤtte. Eine Verzoͤgerung, bemerkte der /Prinz, wuͤrde in dieſem Fall um ſo unſchicklicher /geweſen ſeyn, da der brandenburgiſche Anwald /Zaͤuner, gegen den Junker Wenzel von Tronka / 4150 mit dem trotzigſten Nachdruck verfahre, und be/reits auf eine vorlaͤufige Zuruͤckziehung der Rap/pen, aus den Haͤnden des Abdeckers, behufs ih/rer kuͤnftigen Wiederherſtellung, bei dem Gerichts/hof angetragen, und auch aller Einwendungen /182 der Gegenpart ungeachtet, auch durchgeſetzt habe. /Der Kurfuͤrſt, indem er die Klingel zog, ſagte: /„gleichviel! es haͤtte nichts zu bedeuten!“ und /nachdem er ſich mit gleichguͤltigen Fragen: wie /es ſonſt in Dresden ſtehe? und was in ſeiner / 4160 Abweſenheit vorgefallen ſey?“ zu dem Prinzen /zuruͤckgewandt hatte: gruͤßte er ihn, unfaͤhig /ſeinen innerſten Zuſtand zu verbergen, mit der /Hand, und entließ ihn. Er forderte ihm noch /an demſelben Tage ſchriftlich, unter dem Vor/wande, daß er die Sache, ihrer politiſchen Wich/tigkeit wegen, ſelbſt bearbeiten wolle, die ſaͤmmt/lichen Kohlhaaſiſchen Acten ab; und da ihm der /Gedanke, denjenigen zu verderben, von dem er /allein uͤber die Geheimniſſe des Zettels Auskunft / 4170 erhalten konnte, unertraͤglich war: ſo verfaßte /er einen eigenhaͤndigen Brief an den Kaiſer, wor/in er ihn auf herzliche und dringende Weiſe bat, /aus wichtigen Gruͤnden, die er ihm vielleicht in /kurzer Zeit beſtimmter auseinander legen wuͤrde, /die Klage, die der Eibenmayer gegen den Kohl/haas eingereicht, vorlaͤufig bis auf einen weiteren /Beſchluß, zuruͤcknehmen zu duͤrfen. Der Kaiſer, /183in einer durch die Staatskanzelei ausgefertigten /Note, antwortete ihm: „daß der Wechſel, der / 4180 ploͤtzlich in ſeiner Bruſt vorgegangen zu ſeyn /ſcheine, ihn aufs Aeußerſte befremde; daß der /ſaͤchſiſcher Seits an ihn erlaſſene Bericht, die /Sache des Kohlhaas zu einer Angelegenheit ge/ſammten heiligen roͤmiſchen Reichs gemacht /haͤtte; daß demgemaͤß er, der Kaiſer, als Ober/haupt desſelben, ſich verpflichtet geſehen haͤtte, /als Anklaͤger in dieſer Sache bei dem Hauſe /Brandenburg aufzutreten; dergeſtalt, daß da /bereits der Hof-Aſſeſſor Franz Muͤller, in der / 4190 Eigenſchaft als Anwald nach Berlin gegangen /waͤre, um den Kohlhaas daſelbſt, wegen Ver/letzung des oͤffentlichen Landfriedens, zur Rechen/ſchaft zu ziehen, die Beſchwerde nunmehr auf /keine Weiſe zuruͤckgenommen werden koͤnne, und /die Sache den Geſetzen gemaͤß, ihren weiteren /Fortgang nehmen muͤſſe.“ Dieſer Brief ſchlug /den Kurfuͤrſten voͤllig nieder; und da, zu ſeiner /aͤußerſten Betruͤbniß, in einiger Zeit Privat/ſchreiben aus Berlin einliefen, in welchen die / 4200 Einleitung des Prozeſſes bei dem Kammerge/184richt gemeldet, und bemerkt ward, daß der Kohl/haas wahrſcheinlich, allen Bemuͤhungen des ihm /zugeordneten Advocaten ungeachtet, auf dem /Schaffot enden werde: ſo beſchloß dieſer un/gluͤckliche Herr noch einen Verſuch zu machen, /und bat den Kurfuͤrſten von Brandenburg, in /einer eigenhaͤndigen Zuſchrift, um des Roßhaͤnd/lers Leben. Er ſchuͤtzte vor, daß die Amneſtie, /die man dieſem Manne angelobt, die Vollſtrek/ 4210 kungVollſtreckung eines Todesurtheils an demſelben, fuͤglicher /Weiſe, nicht zulaſſe; verſicherte ihn, daß es, /trotz der ſcheinbaren Strenge, mit welcher man /gegen ihn verfahren, nie ſeine Abſicht geweſen /waͤre, ihn ſterben zu laſſen; und beſchrieb ihm, /wie troſtlos er ſeyn wuͤrde, wenn der Schutz, /den man vorgegeben haͤtte, ihm von Berlin aus /angedeihen laſſen zu wollen, zuletzt, in einer un/erwarteten Wendung, zu ſeinem groͤßeren Nach/theile ausſchluͤge, als wenn er in Dresden geblie/ 4220 ben, und ſeine Sache nach ſaͤchſiſchen Geſetzen /entſchieden worden waͤre. Der Kurfuͤrſt von /Brandenburg, dem in dieſer Angabe mancher/lei zweideutig und unklar ſchien, antwortete ihm: /185„daß der Nachdruck, mit welchem der Anwald /kaiſerlicher Majeſtaͤt verfuͤhre, platterdings nicht /erlaube, dem Wunſch, den er ihm geaͤußert, ge/maͤß, von der ſtrengen Vorſchrift der Geſetze ab/zuweichen. Er bemerkte, daß die ihm vorge/legte Beſorgniß in der That zu weit ginge, in/ 4230 dem die Beſchwerde, wegen der dem Kohlhaas /in der Amneſtie verziehenen Verbrechen ja nicht /von ihm, der demſelben die Amneſtie ertheilt, /ſondern von dem Reichsoberhaupt, das daran /auf keine Weiſe gebunden ſey, bei dem Kammer/gericht zu Berlin anhaͤngig gemacht worden /waͤre. Dabei ſtellte er ihm vor, wie nothwen/dig bei den fortdauernden Gewaltthaͤtigkeiten des /Nagelſchmidt, die ſich ſogar ſchon, mit uner/hoͤrter Dreiſtigkeit, bis aufs brandenburgiſche / 4240 Gebiet erſtreckten, die Statuirung eines ab/ſchreckenden Beiſpiels waͤre, und bat ihn, falls /er dies Alles nicht beruͤckſichtigen wolle, ſich /an des Kaiſers Majeſtaͤt ſelbſt zu wenden, /indem, wenn dem Kohlhaas zu Gunſten /ein Machtſpruch fallen ſollte, dieß allein auf /eine Erklaͤrung von dieſer Seite her geſche/186hen koͤnne.“ Der Kurfuͤrſt, aus Gram und /Aerger uͤber alle dieſe mißgluͤckten Verſuche, /verfiel in eine neue Krankheit; und da der Kaͤm/ 4250 merer ihn an einem Morgen beſuchte, zeigte er /ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das /Leben zu friſten, und ſomit wenigſtens Zeit zu /gewinnen, des Zettels, den er beſaͤße, habhaft /zu werden, an den Wiener und Berliner Hof /erlaſſen. Der Kaͤmmerer warf ſich auf /Knieen vor ihm nieder, und bat ihn, um Alles /was ihm heilig und theuer ſey, ihm zu ſagen, /was dieſer Zettel enthalte? Der Kurfuͤrſt ſprach, /er moͤgte das Zimmer verriegeln, und ſich auf / 4260 das Bett niederſetzen; und nachdem er ſeine /Hand ergriffen, und mit einem Seufzer an ſein /Herz gedruͤckt hatte, begann er folgendergeſtalt: /„Deine Frau hat dir, wie ich hoͤre, ſchon er/zaͤhlt, daß der Kurfuͤrſt von Brandenburg und /ich, am dritten Tage der Zuſammenkunft, die /wir in Juͤterbock hielten, auf eine Zigeunerinn /trafen; und da der Kurfuͤrſt, aufgeweckt wie er von /Natur iſt, beſchloß, den Ruf dieſer abentheuerlichen /Frau, von deren Kunſt, eben bei der Tafel, auf/ 4270 187 ungebuͤhrliche Weiſe die Rede geweſen war, durch /einen Scherz im Angeſicht alles Volks zu nichte /zu machen: ſo trat er mit verſchraͤnkten Armen /vor ihren Tiſch, und forderte, der Weisſagung /wegen, die ſie ihm machen ſollte, ein Zeichen von /ihr, das ſich noch heute erproben ließe, vorſchuͤtzend, /daß er ſonſt nicht, und waͤre ſie auch die roͤmi/ſche Sybille ſelbſt, an ihre Worte glauben koͤnne. /Die Frau, indem ſie uns fluͤchtig von Kopf zu /Fuß maß, ſagte: das Zeichen wuͤrde ſeyn, daß / 4280 uns der große, gehoͤrnte Rehbock, den der Sohn /des Gaͤrtners im Park erzog, auf dem Markt, /worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch /verlaſſen, entgegenkommen wuͤrde. Nun mußt /du wiſſen, daß dieſer, fuͤr die Dresdner Kuͤche /beſtimmte Rehbock, in einem mit Latten hoch /verzaͤunten Verſchlage, den die Eichen des Parks /beſchatteten, hinter Schloß und Riegel aufbe/wahrt ward, dergeſtalt, daß, da uͤberdies an/deren kleineren Wildes und Gefluͤgels wegen, / 4290 der Park uͤberhaupt und obenein der Garten, /der zu ihm fuͤhrte, in ſorgfaͤltigem Beſchluß /gehalten ward, ſchlechterdings nicht abzuſehen /188war, wie uns das Thier, dieſem ſonderbaren /Vorgeben gemaͤß, bis auf dem Platz, wo wir /ſtanden, entgegen kommen wuͤrde; gleichwohl /ſchickte der Kurfuͤrſt aus Beſorgniß vor einer /dahinter ſteckenden Schelmerei, nach einer kur/zen Abrede mit mir, entſchloſſen, auf unabaͤn/derliche Weiſe, Alles was ſie noch vorbringen / 4300 wuͤrde, des Spaßes wegen, zu Schanden zu /machen, ins Schloß, und befahl, daß der Reh/bock augenblicklich getoͤdtet, und fuͤr die Tafel, /an einem der naͤchſten Tage, zubereitet werden /ſolle. Hierauf wandte er ſich zu der Frau, vor /welcher dieſe Sache laut verhandelt worden war, /zuruͤck, und ſagte: nun, wohlan! was haſt du /mir fuͤr die Zukunft zu entdecken? Die Frau, /indem ſie in ſeine Hand ſah, ſprach: Heil mei/nem Kurfuͤrſten und Herrn! Deine Gnaden / 4310 wird lange regieren, das Haus, aus dem du /ſtammſt, lange beſtehen, und deine Nachkom/men groß und herrlich werden und zu Macht ge/langen, vor allen Fuͤrſten und Herren der Welt! /Der Kurfuͤrſt, nach einer Pauſe, in welcher er /die Frau gedankenvoll anſah, ſagte halblaut, /189mit einem Schritte, den er zu mir that, daß es /ihm jetzo faſt Leid thaͤte, einen Boten abgeſchickt /zu haben, um die Weisſagung zu nichte zu ma/chen; und waͤhrend das Geld aus den Haͤnden / 4320 der Ritter, die ihm folgten, der Frau haufen/weis, unter vielem Jubel, in dem Schooß reg/nete, fragte er ſie, indem er ſelbſt in die Taſche /griff, und ein Goldſtuͤck dazu legte: ob der Gruß, /den ſie mir zu eroͤffnen haͤtte, auch von ſo ſil/bernem Klang waͤre, als der ſeinige? Die Frau, /nachdem ſie einen Kaſten, der ihr zur Seite ſtand, /aufgemacht, und das Geld, nach Sorte und /Menge, weitlaͤufig und umſtaͤndlich darin ge/ordnet, und den Kaſten wieder verſchloſſen hatte, / 4330 ſchuͤtzte ihre Hand vor die Sonne, gleichſam /als ob ſie ihr laͤſtig waͤre, und ſah mich an; und /da ich die Frage an ſie wiederholte, und, auf /ſcherzhafte Weiſe, waͤhrend ſie meine Hand /pruͤfte, zum Kurfuͤrſten ſagte: mir ſcheint es, /hat ſie nichts, das eben angenehm waͤre, zu ver/kuͤndigen: ſo ergriff ſie ihre Kruͤcken, hob ſich /langſam daran vom Schemel empor, und in/dem ſie ſich, mit geheimnißvoll vorgehaltenen /190Haͤnden, dicht zu mir heran draͤngte, fluͤſterte / 4340 ſie mir vernehmlich ins Ohr: nein! — So! /ſagt’ ich verwirrt, und trat einen Schritt vor /der Geſtalt zuruͤck, die ſich, mit einem Blick, /kalt und leblos, wie aus marmornen Augen, /auf den Schemel, der hinter ihr ſtand, zuruͤck/ſetzte: von welcher Seite her droht meinem /Hauſe Gefahr? Die Frau, indem ſie eine Kohle /und ein Papier zur Hand nahm und ihre Knieen /kreuzte, fragte: ob ſie es mir aufſchreiben ſolle? /und da ich, verlegen in der That, bloß weil / 4350 mir, unter den beſtehenden Umſtaͤnden, nichts /anders uͤbrig blieb, antworte: antwortete: [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] antwortete: [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] ja! das thu! ſo /verſetzte ſie: „wohlan! dreierlei ſchreib’ ich dir /auf: den Namen des letzten Regenten deines /Hauſes, die Jahrszahl, da er ſein Reich verlie/ren, und den Namen deſſen, der es, durch die /Gewalt der Waffen, an ſich reißen wird.“ Dieß, /vor den Augen allen Volks abgemacht, erhebt /ſie ſich, verklebt den Zettel mit Lack, den ſie in /ihrem welken Munde befeuchtet, und druͤckt / 4360 einen bleiernen, an ihrem Mittelfinger befind/lichen Siegelring darauf. Und da ich den Zettel,/191 neugierig, wie du leicht begreifſt, mehr als /Worte ſagen koͤnnen, erfaſſen will, ſpricht ſie: /„mit nichten, Hoheit!“ und wendet ſich und /hebt ihrer Kruͤcken Eine empor: „von jenem /Mann dort, der, mit dem Federhuth, auf der /Bank ſteht, hinter allem Volk, am Kirchenein/gang, loͤſeſt du, wenn es dir beliebt, den Zettel /ein!“ Und damit, ehe ich noch recht begriffen, / 4370 was ſie ſagt, auf dem Platz, vor Erſtaunen /ſprachlos, laͤßt ſie mich ſtehen; und waͤhrend ſie /den Kaſten, der hinter ihr ſtand, zuſammenſchlug, /und uͤber den Ruͤcken warf, miſcht ſie ſich, ohne /daß ich weiter bemerken konnte, was ſie thut, /unter den Haufen des uns umringenden Volks. /Nun trat, zu meinem in der That herzlichen /Troſt, in eben dieſem Augenblick der Ritter auf, /den der Kurfuͤrſt ins Schloß geſchickt hatte, und /meldete ihm, mit lachendem Munde, daß der / 4380 Rehbock getoͤdtet, und durch zwei Jaͤger, vor /ſeinen Augen, in die Kuͤche geſchleppt worden /ſey. Der Kurfuͤrſt, indem er ſeinen Arm mun/ter in den meinigen legte, in der Abſicht, mich /von dem Platz hinwegzufuͤhren, ſagte: nun, /192wohlan! ſo war die Prophezeihung eine alltaͤg/liche Gaunerei, und Zeit und Gold, die ſie uns /gekoſtet nicht werth! Aber wie groß war unſer /Erſtaunen, da ſich, noch waͤhrend dieſer Worte, /ein Geſchrei rings auf dem Platze erhob, und / 4390 aller Augen ſich einem großen, vom Schloßhof /herantrabenden Schlaͤchterhund zuwandten, der /in der Kuͤche den Rehbock als gute Beute beim /Nacken erfaßt, und das Thier drei Schritte von /uns, verfolgt von Knechten und Maͤgden, auf /den Boden fallen ließ: dergeſtalt, daß in der /That die Prophezeihung des Weibes, zum Un/terpfand alles deſſen, was ſie vorgebracht, er/fuͤllt, und der Rehbock uns bis auf den Markt, /obſchon allerdings todt, entgegen gekommen / 4400 war. Der Blitz, der an einem Wintertag vom /Himmel faͤllt, kann nicht vernichtender treffen, /als mich dieſer Anblick, und meine erſte Bemuͤ/hung, ſobald ich der Geſellſchaft in der ich mich /befand, uͤberhoben, war gleich, den Mann /mit dem Federhuth, den mir das Weib bezeich/net hatte, auszumitteln; doch keiner meiner /Leute, unausgeſetzt waͤhrend drei Tage auf /193Kundſchaft geſchickt, war im Stande mir auch /nur auf die entfernteſte Weiſe Nachricht davon / 4410 zu geben: und jetzt, Freund Kunz, vor wenig /Wochen, in der Meierei zu Dahme, habe ich /den Mann mit meinen eigenen Augen geſehn. — /Und damit ließ er die Hand des Kaͤmmerers /fahren; und waͤhrend er ſich den Schweiß ab/trocknete, ſank er wieder auf das Lager zuruͤck. /Der Kaͤmmerer, der es fuͤr vergebliche Muͤhe /hielt, mit ſeiner Anſicht von dieſem Vorfall die /Anſicht, die der Kurfuͤrſt davon hatte, zu durch/kreuzen und zu berichtigen, bat ihn, doch irgend / 4420 ein Mittel zu verſuchen, des Zettels habhaft zu /werden, und den Kerl nachher ſeinem Schickſal /zu uͤberlaſſen; doch der Kurfuͤrſt antwortete, /daß er platterdings kein Mittel dazu ſaͤhe, ob/ſchon der Gedanke, ihn entbehren zu muͤſſen, /oder wohl gar die Wiſſenſchaft davon mit dieſem Menſchen untergehen zu ſehen, ihn dem /Jammer und der Verzweiflung nahe braͤchte. /Auf die Frage des Freundes: ob er denn Ver/ſuche gemacht, die Perſon der Zigeunerin ſelbſt / 4430 auszuforſchen? erwiederte der Kurfuͤrſt, daß das /194Gubernium, auf einen Befehl, den er unter /einem falſchen Vorwand an dasſelbe erlaſſen, /dieſem Weibe vergebens, bis auf den heutigen /Tag, in allen Plaͤtzen des Kurfuͤrſtenthums /nachſpuͤre: wobei er, aus Gruͤnden, die er je/doch naͤher zu entwickeln ſich weigerte, uͤber/haupt zweifelte, daß ſie in Sachſen auszumit/teln ſey. Nun traf es ſich, daß der Kaͤmmerer, /mehrerer betraͤchtlichen Guͤter wegen, die ſeiner / 4440 Frau aus der Hinterlaſſenſchaft des abgeſetz/ten und bald darauf verſtorbenen Erzkanzlers, /Grafen Kallheim, in der Neumark zugefallen /waren, nach Berlin reiſen wollte; dergeſtalt, /daß, da er den Kurfuͤrſten in der That liebte, er /ihn nach einer kurzen Ueberlegung fragte: ob er /ihm in dieſer Sache freie Hand laſſen wolle? /und da dieſer, indem er ſeine Hand herzlich an /ſeine Bruſt druͤckte, antwortete: „denke, du /ſeyſt ich, und ſchaff mir den Zettel!“ ſo beſchleu/ 4450 nigte der Kaͤmmerer, nachdem er ſeine Geſchaͤfte /abgegeben, um einige Tage ſeine Abreiſe, und /fuhr, mit Zuruͤcklaſſung ſeiner Frau, bloß von /einigen Bedienten begleitet, nach Berlin ab. /
195Kohlhaas, der inzwiſchen, wie ſchon geſagt, /in Berlin angekommen, und, auf einen Spe/cialbefehl des Kurfuͤrſten, in ein ritterliches Ge/faͤngniß gebracht worden war, das ihn mit ſei/nen fuͤnf Kindern, ſo bequem als es ſich thun /ließ, empfing, war gleich nach Erſcheinung / 4460 des kaiſerlichen Anwalds aus Wien, auf den /Grund wegen Verletzung des oͤffentlichen, kaiſer/lichen Landfriedens, vor den Schranken des /Kammergerichts zur Rechenſchaft gezogen wor/den; und ob er ſchon in ſeiner Verantwortung /einwandte, daß er wegen ſeines bewaffneten /Einfalls in Sachſen, und der dabei veruͤbten /Gewaltthaͤtigkeiten, kraft des mit dem Kurfuͤr/ſten von Sachſen zu Luͤtzen abgeſchloſſenen /Vergleichs, nicht belangt werden koͤnne: ſo er/ 4470 fuhr er doch, zu ſeiner Belehrung, daß des /Kaiſers Majeſtaͤt, deren Anwald hier die Be/ſchwerde fuͤhre, darauf keine Ruͤckſicht nehmen /koͤnne: ließ ſich auch ſehr bald, da man ihm die /Sache auseinander ſetzte und erklaͤrte, wie ihm /dagegen von Dresden her, in ſeiner Sache ge/gen den Junker Wenzel von Tronka, voͤllige /196Genugthuung widerfahren werde, die Sache /gefallen. Demnach traf es ſich, daß grade am /Tage der Ankunft des Kaͤmmerers, das Geſetz / 4480 uͤber ihn ſprach, und er verurtheilt ward mit dem /Schwerdte vom Leben zum Tode gebracht zu wer/den; ein Urtheil, an deſſen Vollſtreckung gleich/wohl, bei der verwickelten Lage der Dinge, ſeiner /Milde ungeachtet, niemand glaubte, ja, das die /ganze Stadt, bei dem Wohlwollen das der Kur/fuͤrſt fuͤr den Kohlhaas trug, unfehlbar durch ein /Machtwort desſelben, in eine bloße, vielleicht /beſchwerliche und langwierige Gefaͤngnißſtrafe /verwandelt zu ſehen hoffte. Der Kaͤmmerer, / 4490 der gleichwohl einſah, daß keine Zeit zu verlieren /ſeyn moͤgte, falls der Auftrag, den ihm ſein /Herr gegeben, in Erfuͤllung gehen ſollte, fing /ſein Geſchaͤft damit an, ſich dem Kohlhaas, /am Morgen eines Tages, da derſelbe in harm/loſer Betrachtung der Voruͤbergehenden, am /Fenſter ſeines Gefaͤngniſſes ſtand, in ſeiner ge/woͤhnlichen Hoftracht, genau und umſtaͤndlich zu /zeigen; und da er, aus einer ploͤtzlichen Bewe/gung ſeines Kopfes, ſchloß, daß der Roßhaͤndler / 4500 197ihn bemerkt hatte, und beſonders, mit großem /Vergnuͤgen, einen unwillkuͤrlichen Griff desſel/ben mit der Hand auf die Gegend der Bruſt, /wo die Kapſel lag, wahrnahm: ſo hielt er das, /was in der Seele desſelben in dieſem Augenblick /vorgegangen war, fuͤr eine hinlaͤngliche Vorbe/reitung, um in dem Verſuch, des Zettels habhaft /zu werden, einen Schritt weiter vorzuruͤcken. /Er beſtellte ein altes, auf Kruͤcken herumwan/delndes Troͤdelweib zu ſich, das er in den Stra/ 4510 ßen von Berlin, unter einem Troß andern, /mit Lumpen handelnden Geſindels bemerkt hatte, /und das ihm, dem Alter und der Tracht nach, /ziemlich mit dem, das ihm der Kurfuͤrſt beſchrie/ben hatte, uͤbereinzuſtimmen ſchien; und in der /Vorausſetzung, der Kohlhaas werde ſich die /Zuͤge derjenigen, die ihm in einer fluͤchtigen Er/ſcheinung den Zettel uͤberreicht hatte, nicht eben /tief eingepraͤgt haben, beſchloß er, das gedachte /Weib ſtatt ihrer unterzuſchieben, und bei Kohl/ 4520 haas, wenn es ſich thun ließe, die Rolle, als /ob ſie die Zigeunerinn waͤre, ſpielen zu laſſen. / Dem gemaͤß, um ſie dazu in Stand zu ſetzen, /198unterrichtete er ſie umſtaͤndlich von Allem, was /zwiſchen dem Kurfuͤrſten und der gedachten Zi/geunerinn in Juͤterbock vorgefallen war, wobei /er, weil er nicht wußte, wie weit das Weib in /ihren Eroͤffnungen gegen den Kohlhaas gegan/gen war, nicht vergaß, ihr beſonders die drei /geheimnißvollen, in dem Zettel enthaltenen Ar/ 4530 tikel einzuſchaͤrfen; und nachdem er ihr ausein/andergeſetzt hatte, was ſie, auf abgeriſſene und /unverſtaͤndliche Weiſe, fallen laſſen muͤſſe, ge/wiſſer Anſtalten wegen, die man getroffen, ſey /es durch Liſt oder durch Gewalt, des Zettels, /der dem ſaͤchſiſchen Hofe von der aͤußerſten Wich/tigkeit ſey, habhaft zu werden, trug er ihr auf, /dem Kohlhaas den Zettel, unter dem Vorwand, /daß derſelbe bei ihm nicht mehr ſicher ſey, zur /Aufbewahrung waͤhrend einiger verhaͤngnißvol/ 4540 len Tage, abzufordern. Das Troͤdelweib uͤber/nahm auch ſogleich gegen die Verheißung einer /betraͤchtlichen Belohnung, wovon der Kaͤmme/rer ihr auf ihre Forderung einen Theil im Vor/aus bezahlen mußte, die Ausfuͤhrung des beſag/ten Geſchaͤfts; und da die Mutter des bei /199Muͤhlberg gefallenen Knechts Herſe, den Kohl/haas, mit Erlaubniß der Regierung, zuweilen /beſuchte, dieſe Frau ihr aber ſeit einigen Mon/den her, bekannt war: ſo gelang es ihr, an / 4550 einem der naͤchſten Tage, vermittelſt einer kleinen /Gabe an den Kerkermeiſter, ſich bei dem Roß/kamm Eingang zu verſchaffen. — Kohlhaas /aber, als dieſe Frau zu ihm eintrat, meinte, an /einem Siegelring, den ſie an der Hand trug, /und einer ihr vom Hals herabhangenden Coral/lenkette, die bekannte alte Zigeunerinn ſelbſt /wieder zu erkennen, die ihm in Juͤterbock den /Zettel uͤberreicht hatte; und wie denn die Wahr/ſcheinlichkeit nicht immer auf Seiten der Wahr/ 4560 heit iſt, ſo traf es ſich, daß hier etwas geſchehen /war, das wir zwar berichten: die Freiheit aber, /daran zu zweifeln, demjenigen, dem es wohlge/faͤllt, zugeſtehen muͤſſen: der Kaͤmmerer hatte /den ungeheuerſten Mißgriff begangen, und in /dem alten Troͤdelweib, das er in den Straßen /von Berlin aufgriff, um die Zigeunerinn nach/zuahmen, die geheimnißreiche Zigeunerinn ſelbſt /getroffen, die er nachgeahmt wiſſen wollte. We/200nigſtens berichtete das Weib, indem sie, auf / 4570 ihre Kruͤcken gestuͤtzt, die Wangen der Kinder /ſtreichelte, die ſich, betroffen von ihrem wunder/lichen Anblick, an den Vater lehnten: daß ſie /ſchon ſeit geraumer Zeit aus dem Saͤchſiſchen ins /Brandenburgiſche zuruͤckgekehrt ſey, und ſich, /auf eine, in den Straßen von Berlin unvor/ſichtig gewagte Frage des Kaͤmmerers, nach /der Zigeunerinn, die im Fruͤhjahr des verfloſ/ſenen Jahres, in Juͤterbock geweſen, ſogleich /an ihn gedraͤngt, und, unter einem falſchen / 4580 Namen, zu dem Geſchaͤfte, das er beſorgt /wiſſen wollte, angetragen habe. Der Roß/haͤndler, der eine ſonderbare Aehnlichkeit zwi/ſchen ihr und ſeinem verſtorbenen Weibe Lis/beth bemerkte, dergeſtalt, daß er ſie haͤtte fragen /koͤnnen, ob ſie ihre Großmutter ſey: denn nicht /nur, daß die Zuͤge ihres Geſichts, ihre Haͤnde, /auch in ihrem knoͤchernen Bau noch ſchoͤn, und /beſonders der Gebrauch, den ſie davon im Re/den machte, ihn aufs Lebhafteſte an ſie erinner/ 4590 ten: auch ein Mahl, womit ſeiner Frauen Hals /bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen. Der /201Roßhaͤndler noͤthigte ſie, unter Gedanken, die /ſich ſeltſam in ihm kreuzten, auf einen Stuhl /nieder, und fragte, was ſie in aller Welt in Ge/ſchaͤften des Kaͤmmerers zu ihm fuͤhre? Die /Frau, waͤhrend der alte Hund des Kohlhaas ihre /Kniee umſchnuͤffelte, und von ihrer Hand ge/kraut, mit dem Schwanz wedelte, antwortete: /„der Auftrag, den ihr der Kaͤmmerer gegeben, / 4600 waͤre, ihm zu eroͤffnen, auf welche drei dem ſaͤch/ſiſchen Hofe wichtigen Fragen der Zettel geheim/nißvolle Antwort enthalte; ihn vor einem Ab/geſandten, der ſich in Berlin befinde, um ſeiner /habhaft zu werden, zu warnen: und ihm den /Zettel, unter dem Vorwande, daß er an ſeiner /Bruſt, wo er ihn trage, nicht mehr ſicher ſey, /abzufordern. Die Abſicht aber, in der ſie kom/me, ſei, ihm zu ſagen, daß die Drohung ihn /durch Argliſt oder Gewaltthaͤtigkeit um den Zet/ 4610 tel zu bringen, abgeſchmackt, und ein leeres Trug/bild ſey; daß er unter dem Schutz des Kurfuͤr/ſten von Brandenburg, in deſſen Verwahrſam er /ſich befinde, nicht das Mindeſte fuͤr denſelben /zu befuͤrchten habe; ja, daß das Blatt bei ihm /202weit ſicherer ſey, als bei ihr, und daß er ſich /wohl huͤten moͤgte, ſich durch Ablieferung desſel/ben, an wen und unter welchem Vorwand es /auch ſey, darum bringen zu laſſen. — Gleich/wohl ſchloß ſie, daß ſie es fuͤr klug hielte, von / 4620 dem Zettel den Gebrauch zu machen, zu welchem /ſie ihm denſelben auf dem Jahrmarkt zu Juͤter/bock eingehaͤndigt, dem Antrag, den man ihm /auf der Graͤnze durch den Junker von Stein ge/macht, Gehoͤr zu geben, und den Zettel, der /ihm ſelbſt weiter nichts nutzen koͤnne, fuͤr Freiheit /und Leben an den Kurfuͤrſten von Sachſen aus/zuliefern.“ Kohlhaas, der uͤber die Macht /jauchzte, die ihm gegeben war, ſeines Feindes /Ferſe, in dem Augenblick, da ſie ihn in den / 4630 Staub trat, toͤdtlich zu verwunden, antwortete: /nicht um die Welt, Muͤtterchen, nicht um die /Welt! und druͤckte der Alten Hand, und wollte /nur wiſſen, was fuͤr Antworten auf die unge/heuren Fragen im Zettel enthalten waͤren? Die /Frau, inzwiſchen ſie das Juͤngſte, das ſich zu /ihren Fuͤßen niedergekauert hatte, auf den Schooß /nahm, ſprach: „nicht um die Welt, Kohlhaas, /203der Roßhaͤndler; aber um dieſen huͤbſchen, kleinen, /blonden Jungen!“ und damit lachte ſie ihn an, / 4640 herzte und kuͤßte ihn, der ſie mit großen Augen /anſah, und reichte ihm, mit ihren duͤrren Haͤn/den, einen Apfel, den ſie in ihrer Taſche trug, /dar. Kohlhaas ſagte verwirrt: daß die Kinder /ſelbſt, wenn ſie groß waͤren, ihn, um ſeines /Verfahrens loben wuͤrden, und daß er, fuͤr ſie /und ihre Enkel nichts Heilſameres thun koͤnne, /als den Zettel behalten. Zudem fragte er, wer /ihn, nach der Erfahrung, die er gemacht, vor /einem neuen Betrug ſicher ſtelle, und ob er nicht / 4650 zuletzt, unnuͤtzer Weiſe, den Zettel, wie juͤngſt /den Kriegshaufen, den er in Luͤtzen zuſammenge/bracht, an den Kurfuͤrſten aufopfern wuͤrde? /„Wer mir ſein Wort einmal gebrochen,“ ſprach /er, „mit dem wechſle ich keins mehr; und nur /deine Forderung, beſtimmt und unzweideutig, /trennt mich, gutes Muͤtterchen, von dem Blatt, /durch welches mir fuͤr Alles, was ich erlitten, /auf ſo wunderbare Weiſe Genugthuung gewor/den iſt.“ Die Frau, indem ſie das Kind auf den Bo/ 4660 den ſetzte, ſagte: daß er in mancherlei Hinſicht /204Recht haͤtte, und daß er thun und laſſen koͤnnte, /was er wollte! Und damit nahm ſie ihre Kruͤcken /wieder zur Hand, und wollte gehn. Kohlhaas /wiederholte ſeine Frage, den Inhalt des wunder/baren Zettels betreffend; er wuͤnſchte, da ſie fluͤch/tig antwortete: „daß er ihn ja eroͤffnen koͤnne, /obſchon es eine bloße Neugierde waͤre,“ noch uͤber /tauſend andere Dinge, bevor ſie ihn verließe, Auf/ſchluß zu erhalten; wer ſie eigentlich ſey, woher / 4670 ſie zu der Wiſſenſchaft, die ihr inwohne, komme, /warum ſie dem Kurfuͤrſten, fuͤr den er doch ge/ſchrieben, den Zettel verweigert, und grade ihm, /unter ſo vielen tauſend Menſchen, der ihrer Wiſ/ſenſchaft nie begehrt, das Wunderblatt uͤberreicht /habe? — — Nun traf es ſich, daß in eben dieſem /Augenblick ein Geraͤuſch hoͤrbar ward, das ei/nige Polizei-Officianten, die die Treppe her/aufſtiegen, verurſachten; dergeſtalt, daß das /Weib, von ploͤtzlicher Beſorgniß, in dieſen Ge/ 4680 maͤchern von ihnen betroffen zu werden, ergriffen, /antwortete: „auf Wiederſehen Kohlhaas, auf /Wiederſehn! Es ſoll dir, wenn wir uns wieder/treffen, an Kenntniß uͤber dies Alles nicht feh/205len!“ Und damit, indem ſie ſich gegen die Thuͤr /wandte, rief ſie: „lebt wohl, Kinderchen, lebt /wohl!“ kuͤßte das kleine Geſchlecht nach der /Reihe, und ging ab. /
Inzwiſchen hatte der Kurfuͤrſt von Sachſen, /ſeinen jammervollen Gedanken preisgegeben, zwei / 4690 Aſtrologen, Namens Oldenholm und Olearius, /welche damals in Sachſen in großem Anſehen /ſtanden, herbeigerufen, und wegen des Inhalts /des geheimnißvollen, ihm und dem ganzen Ge/ſchlecht ſeiner Nachkommen ſo wichtigen Zet/tels zu Rathe gezogen; und da die Maͤnner, /nach einer, mehrere Tage lang im Schloßthurm /zu Dresden fortgeſetzten, tiefſinnigen Unterſu/chung, nicht einig werden konnten, ob die Pro/phezeihung ſich auf ſpaͤte Jahrhunderte oder aber / 4700 auf die jetzige Zeit beziehe, und vielleicht die Krone /Pohlen, mit welcher die Verhaͤltniſſe immer noch /ſehr kriegeriſch waren, damit gemeint ſey: ſo /wurde durch ſolchen gelehrten Streit, ſtatt ſie /zu zerſtreuen, die Unruhe, um nicht zu ſagen, /Verzweiflung, in welcher ſich dieſer ungluͤckliche /Herr befand, nur geſchaͤrft, und zuletzt bis auf /206einen Grad, der ſeiner Seele ganz unertraͤglich /war, vermehrt. Dazu kam, daß der Kaͤmme/rer um dieſe Zeit ſeiner Frau, die im Begriff / 4710 ſtand, ihm nach Berlin zu folgen, auftrug, dem /Kurfuͤrſten, bevor ſie abreiſte, auf eine geſchickte /Art beizubringen, wie mißlich es nach einem ver/ungluͤckten Verſuch, den er mit einem Weibe ge/macht, das ſich ſeitdem nicht wieder habe blicken /laſſen, mit der Hoffnung ausſehe, des Zettels /in deſſen Beſitz der Kohlhaas ſey, habhaft zu /werden, indem das uͤber ihn gefaͤllte Todesur/theil, nunmehr, nach einer umſtaͤndlichen Pruͤ/fung der Acten, von dem Kurfuͤrſten von Bran/ 4720 denburg unterzeichnet, und der Hinrichtungstag /bereits auf den Montag nach Palmarum feſtge/ſetzt ſey; auf welche Nachricht der Kurfuͤrſt ſich, /das Herz von Kummer und Reue zerriſſen, gleich /einem ganz Verlorenen, in ſeinem Zimmer ver/ſchloß, waͤhrend zwei Tage, des Lebens ſatt, /keine Speiſe zu ſich nahm, und am dritten ploͤtz/lich, unter der kurzen Anzeige an das Guber/nium, daß er zu dem Fuͤrſten von Deſſau auf /die Jagd reiſe, aus Dresden verſchwand. Wo/ 4730 207hin er eigentlich ging, und ob er ſich nach Deſ/ſau wandte, laſſen wir dahin geſtellt ſeyn, indem /die Chroniken, aus deren Vergleichung wir Be/richt erſtatten, an dieſer Stelle, auf befremdende /Weiſe, einander widerſprechen und aufheben. /Gewiß iſt, daß der Fuͤrſt von Deſſau, unfaͤhig zu /jagen, um dieſe Zeit krank in Braunſchweig, bei /ſeinem Oheim, dem Herzog Heinrich, lag, und /daß die Dame Heloiſe, am Abend des folgenden /Tages, in Geſellſchaft eines Grafen von Koͤnig/ 4740 ſtein, den ſie fuͤr ihren Vetter ausgab, bei dem /Kaͤmmerer Herrn Kunz, ihrem Gemahl, in Ber/lin eintraf. — Inzwiſchen war dem Kohlhaas, /auf Befehl des Kurfuͤrſten, das Todesurtheil /vorgeleſen, die Ketten abgenommen, und die /uͤber ſein Vermoͤgen lautenden Papiere, die ihm /in Dresden abgeſprochen worden waren, wieder /zugeſtellt worden; und da die Raͤthe, die das /Gericht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten, /wie er es mit dem, was er beſitze, nach ſeinem / 4750 Tode gehalten wiſſen wolle: ſo verfertigte er, /mit Huͤlfe eines Notars, zu ſeiner Kinder Gun/ſten ein Teſtament, und ſetzte den Amtmann zu /208Kohlhaaſenbruͤck, ſeinen wackern Freund, zum /Vormund derſelben ein. Demnach glich nichts /der Ruhe und Zufriedenheit ſeiner letzten Tage; /denn auf eine ſonderbare Special-Verordnung des /Kurfuͤrſten war bald darauf auch noch der Zwin/ger, in welchem er ſich befand, eroͤffnet, und allen /ſeinen Freunden, deren er ſehr viele in der Stadt / 4760 beſaß, bei Tag und Nacht freier Zutritt zu ihm /verſtattet worden. Ja, er hatte noch die Ge/nugthuung, den Theologen Jacob Freiſing, als /einen Abgeſandten Doctor Luthers, mit einem /eigenhaͤndigen, ohne Zweifel ſehr merkwuͤrdigen /Brief, der aber verloren gegangen iſt, in ſein /Gefaͤngniß treten zu ſehen, und von dieſem geiſt/lichen Herrn in Gegenwart zweier brandenbur/giſchen Dechanten, die ihm an die Hand gingen, /die Wohlthat der heiligen Kommunion zu em/ 4770 pfangen. Hierauf erſchien nun, unter einer all/gemeinen Bewegung der Stadt, die ſich immer /noch nicht entwoͤhnen konnte, auf ein Macht/wort, das ihn rettete, zu hoffen, der verhaͤng/nißvolle Montag nach Palmarum, an welchem /er die Welt, wegen des allzuraſchen Verſuchs, /209ſich ſelbſt in ihr Recht verſchaffen zu wollen, ver/ſoͤhnen ſollte. Eben trat er, in Begleitung einer /ſtarken Wache, ſeine beiden Knaben auf dem /Arm (denn dieſe Verguͤnſtigung hatte er ſich / 4780 ausdruͤcklich vor den Schranken des Gerichts /ausgebeten), von dem Theologen Jakob Jacob [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Jacob [emendiert ohne Hinweis im Kommentar] Frei/ſing gefuͤhrt, aus dem Thor ſeines Gefaͤngniſſes, /als unter einem wehmuͤthigen Gewimmel von /Bekannten, die ihm die Haͤnde druͤckten, und /von ihm Abſchied nahmen, der Kaſtellan des /kurfuͤrſtlichen Schloſſes, verſtoͤrt im Geſicht, zu /ihm herantrat, und ihm ein Blatt gab, das /ihm, wie er ſagte, ein altes Weib fuͤr ihn einge/haͤndigt. Kohlhaas, waͤhrend er den Mann / 4790 der ihm nur wenig bekannt war, befremdet an/ſah, eroͤffnete das Blatt, deſſen Siegelring ihn, /im Mundlack ausgedruͤckt, ſogleich an die be/kannte Zigeunerin erinnerte. Aber wer beſchreibt /das Erſtaunen, das ihn ergriff, als er folgende /Nachricht darin fand: „Kohlhaas, der Kurfuͤrſt /von Sachſen iſt in Berlin; auf den Richtplatz /ſchon iſt er vorangegangen, und wird, wenn dir /daran liegt, an einem Huth, mit blauen und /210 weißen Federbuͤſchen kenntlich ſeyn. Die Ab/ 4800 ſicht, in der er koͤmmt, brauche ich dir nicht zu /ſagen; er will die Kapſel, ſobald du verſcharrt /biſt, ausgraben, und den Zettel, der darin be/findlich iſt, eroͤffnen laſſen. — Deine Eliſabeth.“ /— Kohlhaas, indem er ſich auf das Aeußerſte /beſtuͤrzt zu dem Kaſtellan umwandte, fragte ihn: /ob er das wunderbare Weib, das ihm den Zettel/ uͤbergeben, kenne? Doch da der Kaſtellan ant/wortete: „Kohlhaas, das Weib“ — — und /in Mitten der Rede auf ſonderbare Weiſe ſtockte, / 4810 ſo konnte er, von dem Zuge, der in dieſem Au/genblick wieder antrat, fortgeriſſen, nicht ver/nehmen, was der Mann, der an allen Gliedern /zu zittern ſchien, vorbrachte. — Als er auf dem /Richtplatz ankam, fand er den Kurfuͤrſten von /Brandenburg mit ſeinem Gefolge, worunter ſich /auch der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geuſau /befand, unter einer unermeßlichen Menſchenmen/ge, daſelbſt zu Pferde halten: ihm zur Rechten der /kaiſerliche Anwald Franz Muͤller, eine Abſchrift / 4820 des Todesurtheils in der Hand; ihm zur Linken, /mit dem Concluſum des Dresdner Hofgerichts, / 211sein eigener Anwald, der Rechtſgelehrte Anton /Zaͤuner; ein Herold in der Mitte des halboffe/nen Kreiſes, den das Volk ſchloß, mit einem /Buͤndel Sachen, und den beiden, von Wohl/ſein glaͤnzenden, die Erde mit ihren Hufen ſtam/pfenden Rappen. Denn der Erzkanzler, Herr /Heinrich, hatte die Klage, die er, im Namen /ſeines Herrn, in Dresden anhaͤngig gemacht, / 4830 Punkt fuͤr Punkt, und ohne die mindeſte Ein/ſchraͤnkung gegen den Junker Wenzel von Tron/ka, durchgeſetzt; dergeſtalt, daß die Pferde, nach/dem man ſie durch Schwingung einer Fahne /uͤber ihre Haͤupter, ehrlich gemacht, und aus den /Haͤnden des Abdeckers, der ſie ernaͤhrte, zuruͤck/gezogen hatte, von den Leuten des Junkers dick/gefuͤttert, und in Gegenwart einer eigens dazu /niedergeſetzten Kommiſſion, dem Anwald, auf /dem Markt zu Dresden, uͤbergeben worden wa/ 4840 ren. Demnach ſprach der Kurfuͤrſt, als Kohl/haas von der Wache begleitet, auf den Huͤgel zu /ihm heranſchritt: Nun, Kohlhaas, heut iſt der /Tag, an dem dir dein Recht geſchieht! Schau /her, hier liefere ich dir Alles, was du auf der /212Tronkenburg gewaltſamer Weiſe eingebuͤßt, und /was ich, als dein Landesherr, dir wieder zu ver/ſchaffen, ſchuldig war, zuruͤck: Rappen, Hals/tuch, Reichsgulden, Waͤſche, bis auf die Kur/koſten ſogar fuͤr deinen bei Muͤhlberg gefallenen / 4850 Knecht Herſe. Biſt du mit mir zufrieden? — /Kohlhaas, waͤhrend er das, ihm auf den Wink /des Erzkanzlers eingehaͤndigte Concluſum, mit /großen, funkelnden Augen uͤberlas, ſetzte die bei/den Kinder, die er auf dem Arm trug, neben /ſich auf den Boden nieder; und da er auch einen /Artikel darin fand, in welchem der Junker Wen/zel zu zweijaͤhriger Gefaͤngnißſtrafe verurtheilt /ward: ſo ließ er ſich, aus der Ferne, ganz uͤber/waͤltigt von Gefuͤhlen, mit kreuzweis auf die / 4860 Bruſt gelegten Haͤnden, vor dem Kurfuͤrſten /nieder. Er verſicherte freudig dem Erzkanzler, /indem er aufſtand, und die Hand auf ſeinen /Schooß legte, daß ſein hoͤchſter Wunſch auf Er/den erfuͤllt ſey; trat an die Pferde heran, mu/ſterte ſie, und klopfte ihren feiſten Hals; und er/klaͤrte dem Kanzler, indem er wieder zu ihm zu/ruͤckkam, heiter: „daß er ſie ſeinen beiden Soͤh/213nen Heinrich und Leopold ſchenke!“ Der Kanz/ler, Herr Heinrich von Geuſau, vom Pferde / 4870 herab mild zu ihm gewandt, verſprach ihm, in /des Kurfuͤrſten Namen, daß ſein letzter Wille /heilig gehalten werden ſolle: und forderte ihn /auf, auch uͤber die uͤbrigen im Buͤndel befindli/chen Sachen, nach ſeinem Gutduͤnken zu ſchal/ten. Hierauf rief Kohlhaas die alte Mutter /Herſens, die er auf dem Platz wahrgenommen /hatte, aus dem Haufen des Volks hervor, und /indem er ihr die Sachen uͤbergab, ſprach er: /„da, Muͤtterchen; das gehoͤrt dir!“ — die / 4880 Summe, die, als Schadenerſatz fuͤr ihn, bei dem /im Buͤndel liegenden Gelde befindlich war, als /ein Geſchenk noch, zur Pflege und Erquickung ih/rer alten Tage, hinzufuͤgend. — — Der Kur/fuͤrſt rief: „nun, Kohlhaas, der Roßhaͤndler, /du, dem ſolchergeſtalt Genugthuung geworden, /mache dich bereit, kaiſerlicher Majeſtaͤt, deren /Anwald hier ſteht, wegen des Bruchs ihres /Landfriedens, deinerseits Genugthuung zu ge/ben!“ Kohlhaas, indem er ſeinen Huth abnahm, / 4890 und auf die Erde warf, ſagte: daß er bereit dazu /214waͤre! uͤbergab die Kinder, nachdem er ſie noch /einmal vom Boden erhoben, und an ſeine Bruſt /gedruͤckt hatte, dem Amtmann von Kohlhaaſen/bruͤck, und trat, waͤhrend dieſer ſie unter ſtillen /Thraͤnen, vom Platz hinwegfuͤhrte, an den /Block. Eben knuͤpfte er ſich das Tuch vom /Hals ab und oͤffnete ſeinen Bruſtlatz: als er, /mit einem fluͤchtigen Blick auf den Kreis, den /das Volk bildete, in geringer Entfernung von / 4900 ſich, zwiſchen zwei Rittern, die ihn mit ihren /Leibern halb deckten, den wohlbekannten Mann /mit blauen und weißen Federbuͤſchen wahrnahm. /Kohlhaas loͤſte ſich, indem er mit einem ploͤtzli/chen, die Wache, die ihn umringte, befremden/den Schritt, dicht vor ihn trat, die Kapſel von /der Bruſt; er nahm den Zettel heraus, entſie/gelte ihn, und uͤberlas ihn: und das Auge un/verwandt auf den Mann mit blauen und weißen /Federbuͤſchen gerichtet, der bereits ſuͤßen Hoff/ 4910 nungen Raum zu geben anfing, ſteckte er /ihn in den Mund und verſchlang ihn. Der /Mann mit blauen und weißen Federbuͤſchen ſank, /bei dieſem Anblick, ohnmaͤchtig, in Kraͤmpfen /215nieder. Kohlhaas aber, waͤhrend die beſtuͤrzten /Begleiter desſelben ſich herabbeugten, und ihn /vom Boden aufhoben, wandte ſich zu dem /Schaffot, wo ſein Haupt unter dem Beil des /Scharfrichters fiel. Hier endigt die Geſchichte /vom Kohlhaas. Man legte die Leiche unter / 4920 einer allgemeinen Klage des Volks in einen /Sarg; und waͤhrend die Traͤger ſie aufhoben, /um ſie anſtaͤndig auf den Kirchhof der Vorſtadt /zu begraben, rief der Kurfuͤrſt die Soͤhne des /Abgeſchiedenen herbei und ſchlug ſie, mit der /Erklaͤrung an den Erzkanzler, daß ſie in ſeiner /Pagenſchule erzogen werden ſollten, zu Rittern. /Der Kurfuͤrſt von Sachſen kam bald darauf, /zerriſſen an Leib und Seele, nach Dresden zu/ruͤck, wo man das Weitere in der Geſchichte / 4930 nachleſen muß. Vom Kohlhaas aber haben noch /im vergangenen Jahrhundert, im Mecklenbur/giſchen, einige frohe und ruͤſtige Nachkommen /gelebt. /