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  • Allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden.

(Textwiedergabe  nach Zolling:1885.)

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Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden.
An R. v. L.

Wenn du etwas wiſſen willſt und es durch Meditation nicht
finden kannſt, ſo rathe ich dir, mein lieber, ſinnreicher Freund,
mit dem nächſten Bekannten, der dir aufſtößt, darüber zu 5
ſprechen.
Es braucht nicht eben ein ſcharfdenkender Kopf zu ſein,
auch meine ich es nicht ſo, als ob du ihn darum befragen ſollteſt,
nein!
Vielmehr ſollſt du es ihm ſelber allererſt erzählen. Ich
ſehe dich zwar große Augen machen, und mir antworten, man
habe dir in frühern Jahren den Rath gegeben, von nichts zu 10
ſprechen, als nur von Dingen, die du bereits verſtehſt.
Damals
aber ſprachſt du wahrſcheinlich mit dem Vorwitz, Andere, ich
will, daß du aus der verſtändigen Abſicht ſprecheſt, dich zu
belehren, und ſo könnten, für verſchiedene Fälle verſchieden, beide
Klugheitsregeln vielleicht gut neben einander beſtehen.
Der 15
Franzoſe ſagt, l'appétit vient en mangeant, und dieſer Erfahrungs⸗
ſatz bleibt wahr, wenn man ihn parodirt und ſagt, l'idée vient
en parlant
.
Oft ſitze ich an meinem Geſchäftstiſch über den Acten,
und erforſche, in einer verwickelten Streitſache, den Geſichtspunkt,
aus welchem ſie wohl zu beurtheilen ſein mögte.
Ich pflege dann 20
gewöhnlich in’s Licht zu ſehen, als in den hellſten Punct, bei dem
Beſtreben, in welchem mein innerſtes Weſen begriffen iſt, ſich
aufzuklären.
Oder ich ſuche, wenn mir eine algebraiſche Aufgabe
vorkommt, den erſten Anſatz, die Gleichung, die die gegebenen
Verhältniſſe ausdrückt, und aus welcher ſich die Auflöſung 25
nachher durch Rechnung leicht ergiebt.
Und ſiehe da, wenn
ich mit meiner Schweſter davon rede, welche hinter mir ſitzt, und
arbeitet, ſo erfahre ich, was ich durch ein vielleicht ſtundenlanges
Brüten nicht herausgebracht haben würde.
Nicht, als ob ſie es
mir, im eigentlichen Sinne ſagte; denn ſie kennt weder das 30
Geſetzbuch, noch hat ſie den Euler, oder den Käſtner ſtudirt.
Auch
nicht, als ob ſie mich durch geſchickte Fragen auf den Punct
hinführte, auf welchen es ankommt, wenn ſchon dies letzte häufig
der Fall ſein mag.
Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorſtellung
habe, die mit dem, was ich ſuche, von fern her in einiger 35
Verbindung ſteht, ſo prägt, wenn ich nur dreiſt damit den
Anfang mache, das Gemüth, während die Rede fortſchreitet, in der
Nothwendigkeit, dem Anfang nun auch — ein Ende zu finden, jene
verworrene Vorſtellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergeſtalt,
daß die Erkenntniß, zu meinem Erſtaunen, mit der Periode fertig 40
iſt.
Ich miſche unartikulirte Töne ein, ziehe die Verbindungs⸗
wörter in die Länge, gebrauche auch wohl eine Appoſition, wo
ſie nicht nöthig wäre, und bediene mich anderer, die Rede
ausdehnender, Kunſtgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der
Werkſtätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen.
Dabei 45
iſt mir nichts heilſamer, als eine Bewegung meiner Schweſter,
als ob ſie mich unterbrechen wollte; denn mein ohnehin ſchon
angeſtrengtes Gemüth wird durch dieſen Verſuch von außen, ihm
die Rede, in deren Beſitz es ſich befindet, zu entreißen, nur noch
mehr erregt, und in ſeiner Fähigkeit, wie ein großer General, 50
wenn die Umſtände drängen, noch um einen Grad höher
geſpannt.
In dieſem Sinne begreife ich, von welchem Nutzen
Moliere ſeine Magd ſein konnte; denn wenn er derſelben, wie er
vorgiebt, ein Urtheil zutraute, das das ſeinige berichtigen berichten konnte, ſo
iſt dies eine Beſcheidenheit, an deren Daſein in ſeiner Bruſt ich 55
nicht glaube.
Es liegt ein ſonderbarer Quell der Begeiſterung
für denjenigen, der ſpricht, in einem menſchlichen Antlitz, das ihm
gegenüberſteht; und ein Blick, der uns einen halb ausgedrückten
Gedanken ſchon als begriffen ankündigt, ſchenkt uns oft den
Ausdruck für die ganze andere Hälfte desſelben.
Ich glaube, daß 60
mancher große Redner, in dem Augenblick, da er den Mund
aufmachte, noch nicht wußte, was er ſagen würde.
Aber die
Überzeugung, daß er die ihm nöthige Gedankenfülle ſchon aus
den Umſtänden, und der daraus reſultirenden Erregung ſeines
Gemüths ſchöpfen würde, machte ihn dreiſt genug, den Anfang, 65
auf gutes Glück hin, zu ſetzen.
Mir fällt jener „Donnerkeil“ des
Mirabeau ein, mit welchem er den Ceremonienmeiſter abfertigte,
der nach Aufhebung der letzten monarchiſchen Sitzung des Königs
am 23. Juny, in welcher dieſer den Ständen auseinander zu
gehen anbefohlen hatte, in den Sitzungsſaal, in welchem die 70
Stände noch verweilten, zurückkehrte, und ſie befragte, ob ſie den
Befehl des Königs vernommen hätten?
„Ja,“ antwortete Mirabeau,
„wir haben des Königs Befehl vernommen“ – ich bin gewiß,
daß er bei dieſem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette
dachte, mit welchen er ſchloß: „ja, mein Herr,“ wiederholte er, 75
„wir haben ihn vernommen“ – man ſieht, daß er noch gar nicht
recht weiß, was er will. „Doch was berechtigt Sie“ – fuhr er fort,
und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorſtellungen
auf – „uns hier Befehle anzudeuten? Wir ſind die Repräſen⸗
tanten der Nation.“ –
Das war es was er brauchte! „Die 80
Nation giebt Befehle und empfängt keine“ – um ſich gleich
auf den Gipfel der Vermeſſenheit zu ſchwingen.
„Und damit ich
mich Ihnen ganz deutlich erkläre“ – und erſt jetzo findet er, was
den ganzen Widerſtand, zu welchem ſeine Seele gerüſtet daſteht,
ausdrückt: „ſo ſagen Sie Ihrem Könige, daß wir unſre Plätze 85
anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlaſſen werden.“
–
Worauf er ſich, ſelbſtzufrieden, ſelbſt zufrieden, auf einen Stuhl niederſetzte.
– Wenn man an den Ceremonienmeiſter denkt, ſo kann man ſich
ihn bei dieſem Auftritt nicht anders, als in einem völligen
Geiſtesbankerott vorſtellen; nach einem ähnlichen Geſetz, nach 90
welchem in einem Körper, der von dem electriſchen Zuſtand Null
iſt, wenn er in eines electriſirten Körpers Atmoſphäre kommt,
plötzlich die entgegengeſetzte Electricität erweckt wird.
Und wie
in dem electriſirten dadurch, nach einer Wechſelwirkung, der
ihm inwohnende Electricitäts⸗Grad wieder verſtärkt wird, ſo 95
gieng unſeres Redners Muth, bei der Vernichtung ſeines Gegners
zur verwegenſten Begeiſterung über.
Vielleicht, daß es auf dieſe
Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges
Spiel an der Manſchette, was in Frankreich den Umſturz der
Ordnung der Dinge bewirkte.
Man lieſt, daß Mirabeau, ſobald 100
der Ceremonienmeiſter ſich entfernt hatte, aufſtand, und
vorſchlug . : 1) ſich ſogleich als Nationalverſammlung, und 2) als
unverletzlich, zu conſtituiren.
Denn dadurch, daß er ſich, einer
Kleiſtiſchen Flaſche gleich, entladen hatte, war er nun wieder
neutral geworden, und gab, von der Verwegenheit zurückgekehrt, 105
plötzlich der Furcht vor dem Chatelet, und der Vorſicht, Raum.
–
Dies iſt eine merkwürdige Übereinſtimmung zwiſchen den
Erſcheinungen der phyſiſchen und moraliſchen Welt, welche ſich,
wenn man ſie verfolgen wollte, auch noch in den Nebenumſtänden
bewähren würde.
Doch ich verlaſſe mein Gleichniß, und 110
kehre zur Sache zurück.
Auch Lafontaine giebt, in ſeiner Fabel:
les animaux malades de la peste, wo der Fuchs dem Löwen
eine Apologie zu halten gezwungen iſt, ohne zu wiſſen, wo er
den Stoff dazu hernehmen ſoll, ein merkwürdiges Beiſpiel von
einer allmähligen Verfertigung des Gedankens aus einem in der 115
Noth hingeſetzten Anfang.
Man kennt dieſe Fabel. Die Peſt
herrſcht im Thierreich, der Löwe verſammelt die Großen desſelben,
und eröffnet ihnen, daß dem Himmel, wenn er beſänftigt werden
ſolle, ein Opfer fallen müſſe.
Viele Sünder ſeien im Volke, der
Tod des Größeſten müſſe die übrigen vom Untergange retten. 120
Sie möchten ihm daher ihre Vergehungen aufrichtig bekennen.
Er, für ſein Theil geſtehe, daß er, im Drange des Hungers, manchem
Schafe den Garaus gemacht; auch dem Hunde, wenn er ihm
zu nahe gekommen; ja, es ſei ihm in leckerhaften Augenblicken
zugeſtoßen, daß er den Schäfer gefreſſen.
Wenn niemand 125
ſich größerer Schwachheiten ſchuldig gemacht habe, ſo ſei er
bereit zu ſterben.
„Sire,“ ſagt der Fuchs, der das Ungewitter von
ſich ableiten will, „Sie ſind zu großmüthig.
Ihr edler Eifer führt
Sie zu weit.
Was iſt es, ein Schaaf erwürgen? Oder einen
Hund, dieſe nichtswürdige Beſtie?
Und: quant au berger,“ fährt 130
er fort, denn dies iſt der Hauptpunct: on „on peut dire;“ obſchon er
noch nicht weiß was? „qu'il méritoit tout mal;“ auf gut Glück;
und ſomit iſt er verwickelt; „étant“; eine ſchlechte Phraſe, die ihm
aber Zeit verſchaft: „de ces gens là,“ und nun erſt findet er den
Gedanken, der ihn aus der Noth reißt: „qui sur les animaux se 135
font un chimérique empire
.“
Und jetzt beweiſt er, daß der Eſel,
der blutdürſtige! (der alle Kräuter auffrißt) das zweckmäßigſte
Opfer ſei, worauf Alle über ihn herfallen, und ihn zerreißen. —
Ein ſolches Reden iſt ein wahrhaftes lautes Denken. Die Reihen
der Vorſtellungen und ihrer Bezeichnungen gehen neben einander 140
fort, und die Gemüthsacten für Eins und das Andere, congruiren.
Die Sprache iſt alsdann keine Feſſel, etwa wie ein Hemmſchuh
an dem Rade des Geiſtes, ſondern wie ein zweites, mit ihm
parallel fortlaufendes, Rad an ſeiner Axe.
Etwas ganz Anderes
iſt es wenn der Geiſt ſchon, vor aller Rede, mit dem Gedanken 145
fertig iſt.
Denn dann muß er bei ſeiner bloßen Ausdrückung
Zurückbleiben, und dies Geſchäft, weit entfernt ihn zu erregen,
hat vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von ſeiner Erregung
abzuſpannen.
Wenn daher eine Vorſtellung verworren ausgedrückt
wird, ſo folgt der Schluß noch gar nicht, daß ſie auch verworren 150
gedacht worden ſei: vielmehr könnte es leicht ſein, daß die
verworrenſt ausgedrückten grade am deutlichſten gedacht werden.
Man ſieht oft in einer Geſellſchaft, wo durch ein lebhaftes
Geſpräch, eine continuirliche Befruchtung der Gemüther mit
Ideen im Werke iſt, Leute, die ſich, weil ſie ſich der Sprache nicht 155
mächtig fühlen, ſonſt in der Regel zurückgezogen halten, plötzlich
mit einer zuckenden Bewegung, aufflammen, die Sprache
an ſich reißen und etwas Unverſtändliches zur Welt bringen.
Ja, ſie ſcheinen, wenn ſie nun die Aufmerkſamkeit Aller auf ſich
gezogen haben, durch ein verlegenes Gebährdenſpiel anzudeuten, 160
daß ſie ſelbſt nicht mehr recht wiſſen, was ſie haben ſagen wollen.
Es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Leute etwas recht Treffendes, und
ſehr deutlich, gedacht haben.
Aber der plötzliche Geſchäftswechſel,
der Übergang ihres Geiſtes vom Denken zum Ausdrücken, ſchlug
die ganze Erregung desſelben, die zur Feſthaltung des Gedankens 165
nothwendig, wie zum Hervorbringen, erforderlich war, wieder
nieder.
In ſolchen Fällen iſt es um ſo unerläßlicher, daß uns
die Sprache mit Leichtigkeit zur Hand ſei, um dasjenige, was
wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht gleichzeitig von
uns geben können, wenigſtens ſo ſchnell, als möglich, auf einander 170
folgen zu laſſen.
Und überhaupt wird jeder, der, bei gleicher
Deutlichkeit, geſchwinder als ſein Gegner ſpricht, einen Vortheil
über ihn haben, weil er gleichſam mehr Truppen als er ins Feld
führt.
Wie nothwendig eine gewiſſe Erregung des Gemüths iſt,
auch ſelbſt nur, um Vorſtellungen, die wir ſchon gehabt haben, 175
wieder zu erzeugen, ſieht man oft, wenn offene, und unterrichtete
Köpfe examinirt werden, und man ihnen ohne vorhergegangene
Einleitung, Fragen vorlegt, wie dieſe: was iſt der Staat?
Oder:
was iſt das Eigenthum? Oder dergleichen.
Wenn dieſe jungen
Leute ſich in einer Geſellſchaft befunden hätten, wo man ſich vom 180
Staat, oder vom Eigenthum, ſchon eine Zeitlang unterhalten
hätte, ſo würden ſie vielleicht mit Leichtigkeit durch Vergleichung
Abſonderung, und Zuſammenfaſſung der Begriffe, die Definition
gefunden haben.
Hier aber, wo dieſe Vorbereitung des Gemüths
gänzlich fehlt, ſieht man ſie ſtocken, und nur ein unverſtändiger 185
Examinator wird daraus ſchließen daß ſie nicht wiſſen.
Denn
nicht wir wiſſen, es iſt allererſt ein gewiſſer Zuſtand unſrer,
welcher weiß.
Nur ganz gemeine Geiſter, Leute, die, was der
Staat ſei, geſtern auswendig gelernt, und morgen ſchon wieder
vergeſſen haben, werden hier mit der Antwort bei der Hand ſein. 190
Vielleicht giebt es überhaupt keine ſchlechtere Gelegenheit, ſich
von einer vortheilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches
Examen.
Abgerechnet, daß es ſchon widerwärtig und das Zartgefühl
verletzend iſt, und daß es reizt, ſich ſtetig zu zeigen, wenn ſolch
ein gelehrter Roßkamm uns nach den Kenntniſſen ſieht, um 195
uns, je nachdem es fünf oder ſechs ſind, zu kaufen oder wieder
abtreten zu laſſen: es iſt ſo ſchwer, auf ein menſchliches Gemüth
zu ſpielen und ihm ſeinen eigenthümlichen Laut abzulocken, es
verſtimmt ſich ſo leicht unter ungeſchickten Händen, daß ſelbſt
der geübteſte Menſchenkenner, der in der Hebeammenkunſt der 200
Gedanken, wie Kant ſie nennt, auf das Meiſterhafteſte bewandert
wäre, hier noch, wegen der Unbekanntſchaft mit ſeinem
Sechswöchner, Misgriffe thun könnte.
Was übrigens ſolchen
jungen Leuten, auch ſelbſt den unwiſſendſten noch, in den meiſten
Fällen ein gutes Zeugniß verſchafft, iſt der Umſtand, daß die 205
Gemüther der Examinatoren, wenn die Prüfung öffentlich
geſchieht, ſelbſt zu ſehr befangen ſind, um ein freies Urtheil fällen
zu können.
Denn nicht nur fühlen ſie häufig die Unanſtändigkeit
dieſes ganzen Verfahrens: man würde ſich ſchon ſchämen, von
jemandem, daß er ſeine Geldbörſe vor uns ausſchütte, zu fordern, 210
viel weniger, ſeine Seele: ſondern ihr eigener Verſtand muß hier
eine gefährliche Muſterung paſſiren, und ſie mögen oft ihrem
Gott danken, wenn ſie ſelbſt aus dem Examen gehen können,
ohne ſich Blößen, ſchmachvoller vielleicht, als der, eben von
der Univerſität kommende, Jüngling gegeben zu haben, den ſie 215
examinirten.

(Die Fortſetzung folgt.)

H. v. K.

Allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden.

Quellenangabe für Zitat:
https://kleist-digital.de/sonstige-prosa/allmaehlige_verfertigung [ + Angabe von Zeile / Vers oder Seite ], 24.03.2023

Apparat

 Stellenkommentar

86Gewalt der BajonetteSchon R. Steig hat auf die ›Collection complète des travaux de M. Mirabeau‹, erschienen 1791, als Kleists mögliche Quelle hingewiesen (ES:1904 IV, 248). Die entsprechende Stelle findet sich in Band 1, S. 257f., Steig gibt fälschlicherweise Seite 256 an. Sie lautet im Original: »Nous avons entendu les intentions qu’on a suggérées au roi, et vous qui ne sauriez être son organe auprès de l’assemblée nationale, vous qui n’avez ici, ni place, ni voix, ni droit de parler, vous n’êtes pas fait pour nous rappeller son discours: allez dire à votre maȋtre que nous sommes ici par la puissance du peuple, et qu’on ne nous en arrachera que par la puissance des bayonnettes.« Vgl. ›Collection complète des travaux‹ als Google-Book.

106Chatelet,Berüchtigtes Gefängnis in Paris und bis 1790 Sitz des königlichen Gerichtshofs. Es wurde 1802 auf Befehl Napoleons abgerissen. (Vgl. Wikipedia-Artikel)

Zur Textkonstitution

Textwiedergabe nach: [D] Heinrich von Kleist, Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden. In: Theophil Zolling (Hg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke, Bd. 4, Berlin und Stuttgart: Spemann [1885], S. 282–288..

Zugrunde gelegtes Exemplar: aus Privatbesitz.

Kleists Handschrift ist unbekannt. Den überlieferten Textausgaben lag eine Abschrift (K) zugrunde, die von Kleist eigenhändig korrigiert worden ist. Die Schreiberkopie ist im 2. Weltkrieg verschollen.

Diese Ausgabe basiert auf der Ausgabe von Theophil Zolling (vgl. Zolling:1885 IV, S. 282–288). In die Textkonstitution sind eingegangen die Mitteilungen über Kleists Korrekturen in K, soweit sie von Reinhold Steig, der die ›Kleinere[n] Schriften‹ in Band IV der Ausgabe von Erich Schmidt herausgegeben hat, mitgeteilt worden sind (vgl. ES:1904 IV, 392f.) Diese Lesarten sind im Apparat einzeln vermerkt.

Die Fassung Steigs in ES:1904 selbst zur Grundlage dieser Edition zu machen, scheidet aus, da die ›Kleinere[n] Schriften‹ in dieser Ausgabe nach den Regeln der Rechtschreibreform von 1902 gesetzt wurden. Damit ist diese Fassung im Gegensatz zu der Zollings sehr weit entfernt von der Orthographie Kleists. (Als Beispiele seien genannt: rate statt rathe, andere statt Andere, parodiert statt parodirt, Punkt statt Punct, Erkenntnis statt Erkenntniß, vorgibt statt vorgiebt etc.)

Editorische Anmerkungen

  • 1allmähligeKleist hat die Überschrift in K geändert. Vgl. Mitteilung von R. Steig in ES:1904 IV, 392: ›Überschrift aus »Ueber | Die allmähligen Gedanken. | Beim Reden. | An R. v. L [sic!]« (Von Kleist eigenhändig gestrichen […])‹.
  • 8allererſtVon Kleist in K »eigenhändig zugefügt«. Vgl. ES:1904 IV, 392.
  • 15gutVon Kleist verbessert aus ›recht gut‹. Vgl. ES:1904 IV, 392.
  • 22mein innerſtes WeſenDie Textänderung aus ›mein ganzes Weſen‹ beschreibt R. Steig wie folgt: »Zuerst: ›mein ganzes Wesen‹; dann eigenhändig ›ganzes‹ gestrichen und ›innerstes‹ überschrieben; schließlich ›innerstes‹ wieder gestrichen und abermals zugeschrieben.« Da der Apparat in ES:1904 in einer Antiqua gesetzt ist, wird das lange s aus K nicht übertragen. (ES:1904 IV, 392.)
  • 22ſichAus ›mich‹ verbessert. Vgl. ES:1904 IV, 392.
  • 44IdeeZunächst gestrichen, dann wieder hinzugefügt. Vgl. ES:1904 IV, 392f.
  • 52geſpannt.Verbessert aus ›angeſpannt.‹ Vgl. ES:1904 IV, 393.
  • 54derſelben,Verbessert aus ›ihr‹. Vgl. ES:1904 IV, 393.
  • 54 berichtigen Die Ausgabe von Zolling übernimmt die von fremder Hand »mit Blei« in K eingefügte Textänderung von ›berichten‹ in ›berichtigen‹. Steig weist mit Recht darauf hin, dass die Änderung »unzulässig« sei, da ›berichten‹ hier im Sinne von »in Ordnung bringen« gebraucht werde. Vgl. ES:1904 IV, 248. Entsprechend wird hier emendiert in ›berichten‹. Vgl. Eintrag ›berichten‹ im Glossar.
  • 65ihnIn K »ihm«. Vgl. ES:1904 IV, 393.
  • 87 ſelbſtzufrieden, Sinnentstellende Änderung bei Zolling. In K steht getrennt ›ſelbſt zufrieden‹, was eine andere Bedeutung hat als ›ſelbſtzufrieden‹. Vgl. auch Steigs Erläuterung in ES:1904 IV, 393.
  • 163deutlich,In K geändert aus ›Deutliches‹. Vgl. ES:1904 IV, 393.
  • 176wieder zu erzeugen,Geändert aus ›zu regeneriren‹. Vgl. ES:1904 IV, 393.
  • 191Ab hier hat Kleist den Schlussabschnitt neu geschrieben. Hierzu R. Steig: »Ursprünglich schloß der Aufsatz: ›Vielleicht giebt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer vortheilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches Musterung passiren, und sie mögen oft ihren Gott danken, wenn sie selbst aus dem Exame[n] gehen können, ohne sich Blößen, schmachvoller vielleicht, als der Jüngling gegeben zu haben, den sie examinierten. (Die Fortsetzung folgt.)‹ Kleist hat dann versucht, dies Stück zurechtzustutzen, nach vergeblicher Mühe es jedoch mehrfach durchgestrichen, und nun das ganze Schlußstück neu hinzugeschrieben.« (ES:1904 IV, 393.)
  • 212MuſterungGeändert aus ›Prüfung‹. Vgl. ES:1904 IV, 393.
  • 217(Die Fortſetzung folgt.)Th. Zolling vermerkt in einer Fußnote: »Hier bricht die Hs. ab mit der Bemerkung: ›Die Fortsetzung folgt‹ und der Unterschrift: H.v.K.« (Zolling:1885 IV, 288)
 Emendationen (insges. 4)
  • 54berichtigenberichten
  • 87ſelbſtzufrieden,ſelbſt zufrieden,
  • 102.:
  • 131on„on
Pagina Kleist-Ausgaben
  • [BKA] II/9 27–32
  • [MA] II 284–289
  • [DKV] III 534–540
  • [SE:1993] II 319–324
 Erwähnte Personen
  • [] (1)
  • [] (1)
  • []Lafontaine, August (1)
  • []Louis XVI., König von Frankreich (4)
  • []Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti, comte de (3)
  • []Rühle von Lilienstern, August (1)
  • [»]Alle Personen anzeigen +/–
 Erwähnte Orte
  • []Paris ›Place du Châtelet‹ (1)
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