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  • Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik.

Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik.

Textwiedergabe  nach Erzählungen:1811.

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133Faksimile

Die heilige Cäcilie
oder
die Gewalt der Musik
.
(Eine Legende.)

Um das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, 5
als die Bilderstürmerei in den Niederlanden
wüthete, trafen drei Brüder, junge in Wit⸗
tenberg
studirende Leute, mit einem vier⸗
ten
, der in Antwerpen als Prädicant ange⸗
stellt
war, in der Stadt Aachen zusammen.
10
Sie wollten daselbst eine Erbschaft erheben,
die ihnen von Seiten eines alten, ihnen al⸗
len
unbekannten Oheims zugefallen war, und
kehrten, weil niemand in dem Ort war, an
134Faksimile den sie sich hätten wenden können, in einem 15
Gasthof ein.
Nach Verlauf einiger Tage, die
sie damit zugebracht hatten, den Prädican⸗
ten
über die merkwürdigen Auftritte, die in
den Niederlanden vorgefallen waren, anzu⸗
hören
, traf es sich, daß von den Nonnen 20
im Kloster der heiligen Cäcilie, das damals
vor den Thoren dieser Stadt lag, der Frohn⸗
leichnamstag
festlich begangen werden sollte;
dergestalt, daß die vier Brüder, von Schwär⸗
merei
, Jugend und dem Beispiel der Nie⸗25
derländer
erhitzt, beschlossen, auch der Stadt
Aachen das Schauspiel einer Bilderstürmerei
zu geben.
Der Prädicant, der dergleichen
Unternehmungen mehr als einmal schon gelei⸗
tet
hatte, versammelte, am Abend zuvor eine 30
Anzahl junger, der neuen Lehre ergebener
Kaufmannssöhne und Studenten, welche, in
dem Gasthofe, bei Wein und Speisen, unter
Verwünschungen des Pabstthums, die Nacht
zubrachten; und, da der Tag über die Zinnen 35
der Stadt aufgegangen, versahen sie sich mit
Aexten und Zerstörungswerkzeugen aller Art,
135Faksimile um ihr ausgelassenes Geschäft zu beginnen.

Sie verabredeten frohlockend ein Zeichen, auf
welches sie damit anfangen wollten, die Fen⸗40
sterscheiben
, mit biblischen Geschichten bemahlt,
einzuwerfen; und eines großen Anhangs, den
sie unter dem Volk finden würden, gewiß,
verfügten sie sich, entschlossen keinen Stein
auf dem andern zu lassen, in der Stunde, 45
da die Glocken läuteten, in den Dom.
Die
Aebtissin, die, schon beim Anbruch des Ta⸗
ges
, durch einen Freund von der Gefahr, in
welcher das Kloster schwebte, benachrichtigt
worden war, schickte vergebens, zu wieder⸗50
holten
Malen, zu dem kaiserlichen Officier,
der in der Stadt commandirte, und bat sich,
zum Schutz des Klosters, eine Wache aus;
der Officier, der selbst ein Feind des Pabst⸗
thums
, und als solcher, wenigstens unter der 55
Hand, der neuen Lehre zugethan war, wußte
ihr unter dem staatsklugen Vorgeben, daß
sie Geister sähe, und für ihr Kloster auch
nicht der Schatten einer Gefahr vorhanden
sei, die Wache zu verweigern.
Inzwischen 60
136Faksimilebrach die Stunde an, da die Feierlichkeiten
beginnen sollten, und die Nonnen schickten
sich, unter Angst und Beten, und jammer⸗
voller
Erwartung der Dinge, die da kommen
sollten, zur Messe an.
Niemand beschützte 65
sie, als ein alter, siebenzigjähriger Kloster⸗
voigt
, der sich, mit einigen bewaffneten Troß⸗
knechten
, am Eingang der Kirche aufstellte.

In den Nonnenklöstern führen, auf das
Spiel jeder Art der Instrumente geübt, die 70
Nonnen, wie bekannt, ihre Musiken selber
auf; oft mit einer Präcision, einem Verstand
und einer Empfindung, die man in männli⸗
chen
Orchestern (vielleicht wegen der weiblichen
Geschlechtsart dieser geheimnißvollen Kunst) 75
vermißt.
Nun fügte es sich, zur Verdoppe⸗
lung
der Bedrängniß, daß die Kapellmeiste⸗
rin
, Schwester Antonia, welche die Musik
auf dem Orchester zu dirigiren pflegte, wenige
Tage zuvor, an einem Nervenfieber heftig 80
erkrankte; dergestalt, daß abgesehen von den
vier gotteslästerlichen Brüdern, die man be⸗
reits
, in Mänteln gehüllt, unter den Pfeilern
137Faksimileder Kirche erblickte, das Kloster auch, wegen
Aufführung eines schicklichen Musikwerks, in 85
der lebhaftesten Verlegenheit war.
Die Aeb⸗
tissin
, die am Abend des vorhergehenden Ta⸗
ges
befohlen hatte, daß eine uralte von einem
unbekannten Meister herrührende, italiänische
Messe aufgeführt werden möchte, mit welcher 90
die Capelle mehrmals schon, einer besondern
Heiligkeit und Herrlichkeit wegen, mit wel⸗
cher
sie gedichtet war, die größesten Wirkun⸗
gen
hervorgebracht hatte, schickte, mehr als
jemals auf ihren Willen beharrend, noch ein⸗95
mal
zur Schwester Antonia herab, um zu
hören, wie sich dieselbe befinde; die Nonne
aber, die dies Geschäft übernahm, kam mit
der Nachricht zurück, daß die Schwester in
glänzlich gänzlich bewußtlosem Zustande daniederliege, 100
und daß an ihre Directionsführung, bei der
vorhabenden Musik, auf keine Weise zu den⸗
ken
sei.
Inzwischen waren in dem Dom, in
welchem sich nach und nach mehr denn hun⸗
dert
, mit Beilen und Brechstangen versehene 105
Frevler, von allen Ständen und Altern, ein⸗
138Faksimilegefunden
hatten, bereits die bedenklichsten Auf⸗
tritte
vorgefallen; man hatte einige Troß⸗
knechte
, die an den Portälen Portalen standen, auf
die unanständigste Weise geneckt, und sich die 110
frechsten und unverschämtesten Aeußerungen
gegen die Nonnen erlaubt, die sich hin und
wieder, in frommen Geschäften, einzeln in
den Hallen blicken ließen: dergestalt, daß der
Klostervoigt sich in die Sakristei verfügte, und 115
die Aebtissin auf Knieen beschwor, das Fest
einzustellen und sich in die Stadt, unter den
Schutz des Commendanten zu begeben.
Aber
die Aebtissin bestand unerschütterlich darauf,
daß das zur Ehre des höchsten Gottes ange⸗120
ordnete
Fest begangen werden müsse; sie er⸗
innerte
den Klostervoigt an seine Pflicht, die
Messe und den feierlichen Umgang, der in
dem Dom gehalten werden würde, mit Leib
und Leben zu beschirmen; und befahl, weil 125
eben die Glocke schlug, den Nonnen, die sie,
unter Zittern und Beben umringten, ein Ora⸗
torium
, gleichviel welches und von welchem
Werth es sei, zu nehmen, und mit dessen
Aufführung sofort den Anfang zu machen.
130

139Faksimile

Eben schickten sich die Nonnen auf dem
Altan der Orgel dazu an; die Partitur eines
Musikwerks, das man schon häufig gegeben
hatte, ward vertheilt, Geigen, Hoboen und
Bässe geprüft und gestimmt: als Schwester 135
Antonia plötzlich, frisch und gesund, ein we⸗
nig
bleich im Gesicht, von der Treppe her
erschien; sie trug die Partitur der uralten,
italiänischen Messe, auf deren Aufführung
die Aebtissin so dringend bestanden hatte, un⸗140
ter
dem Arm.
Auf die erstaunte Frage der
Nonnen: „wo sie herkomme? und wie sie sich
plötzlich so erholt habe?“ antwortete sie:
gleichviel, Freundinnen, gleichviel! vertheilte
die Partitur, die sie bei sich trug, und setzte 145
sich selbst, von Begeisterung glühend, an die
Orgel, um die Direction des vortrefflichen
Musikstücks zu übernehmen.
Demnach kam
es, wie ein wunderbarer, himmlischer Trost,
in die Herzen der frommen Frauen; sie stell⸗150
ten
sich augenblicklich mit ihren Instrumen⸗
ten
an die Pulte; die Beklemmung selbst, in
der sie sich befanden, kam hinzu, um ihre
140FaksimileSeelen, wie auf Schwingen, durch alle Him⸗
mel
des Wohlklangs zu führen; das Orato⸗155
rium
ward mit der höchsten und herrlichsten
musikalischen Pracht ausgeführt; es regte
sich, während der ganzen Darstellung, kein
Oden in den Hallen und Bänken; besonders
bei dem salve regina und noch mehr bei dem 160
gloria in excelsis, war es, als ob die ganze
Bevölkerung der Kirche todt sei: dergestalt,
daß den vier gottverdammten Brüdern und
ihrem Anhang zum Trotz, auch der Staub
auf dem Estrich nicht verweht ward, und 165
das Kloster noch bis an den Schluß des
dreißigjährigen Krieges bestanden hat, wo
man es, vermöge eines Artikels im westphä⸗
lischen
Frieden, gleichwohl säkularisirte.

Sechs Jahre darauf, da diese Begeben⸗170
heit
längst vergessen war, kam die Mutter
dieser vier Jünglinge aus dem Haag an, und
stellte, unter dem betrübten Vorgeben, daß
dieselben gänzlich verschollen wären, bei dem
Magistrat zu Aachen, wegen der Straße, die 175
sie von hier aus genommen haben mogten,
141Faksimilegerichtliche Untersuchungen an.
Die letzten
Nachrichten, die man von ihnen in den Nie⸗
derlanden
, wo sie eigentlich zu Hause gehör⸗
ten
, gehabt hatte, war, wie sie meldete, ein 180
vor dem angegebenen Zeitraum, am Vor⸗
abend
eines Frohnleichnamsfestes, geschriebe⸗
ner
Brief des Prädicanten, an seinen Freund,
einen Schullehrer in Antwerpen, worin er
demselben, mit vieler Heiterkeit oder vielmehr 185
Ausgelassenheit, von einer gegen das Kloster
der heiligen Cäcilie entworfenen Unterneh⸗
mung
, über welche sich die Mutter jedoch
nicht näher auslassen wollte, auf vier dichtge⸗
drängten
Seiten vorläufige Anzeige machte.
190
Nach mancherlei vergeblichen Bemühungen,
die Personen, welche diese bekümmerte Frau
suchte, auszumitteln, erinnerte man sich end⸗
lich
, daß sich schon seit einer Reihe von Jah⸗
ren
, welche ohngefähr auf die Angabe paßte, 195
vier junge Leute, deren Vaterland und Her⸗
kunft
unbekannt sei, in dem durch des Kai⸗
sers
Vorsorge unlängst gestifteten Irrenhause
der Stadt befanden.
Da dieselben jedoch an
142Faksimileder Ausschweifung einer religiösen Idee krank 200
lagen, und ihre Aufführung, wie das Gericht
dunkel gehört zu haben meinte, äußerst trüb⸗
selig
und melancholisch war; so paßte dies
zu wenig auf den, der Mutter nur leider zu
wohl bekannten Gemüthsstand ihrer Söhne, 205
als daß sie auf diese Anzeige, besonders da
es fast herauskam, als ob die Leute katho⸗
lisch
wären, viel hätte geben sollen.
Gleich⸗
wohl
, durch mancherlei Kennzeichen, womit
man sie beschrieb, seltsam getroffen, begab 210
sie sich eines Tages, in Begleitung eines Ge⸗
richtsboten
, in das Irrenhaus, und bat die
Vorsteher um die Gefälligkeit, ihr zu den vier
unglücklichen, sinnverwirrten Männern, die
man daselbst aufbewahre, einen prüfenden Zu⸗215
tritt
zu gestatten.
Aber wer beschreibt das
Entsetzen der armen Frau, als sie gleich auf
den ersten Blick, so wie sie in die Thür trat,
ihre Söhne erkannte: sie saßen, in langen,
schwarzen Talaren, um einen Tisch, auf wel⸗220
chem
ein Crucifix stand, und schienen, mit
gefalteten Händen schweigend auf die Platte
143Faksimilegestützt, dasselbe anzubeten.
Auf die Frage
der Frau, die ihrer Kräfte beraubt, auf einen
Stuhl niedergesunken war: was sie daselbst 225
machten? antworteten ihr die Vorsteher: „daß
sie bloß in der Verherrlichung des Heilands
begriffen wären, von dem sie, nach ihrem
Vorgeben, besser als andre, einzusehen glaub⸗
ten
, daß er der wahrhaftige Sohn des allei⸗230
nigen
Gottes sei.“
Sie setzten hinzu: „daß
die Jünglinge, seit nun schon sechs Jahren,
dies geisterartige Leben führten; daß sie we⸗
nig
schliefen und wenig genössen; daß kein
Laut über ihre Lippen käme; daß sie sich bloß 235
in der Stunde der Mitternacht einmal von
ihren Sitzen erhöben; und daß sie alsdann,
mit einer Stimme, welche die Fenster des
Hauses bersten machte, das gloria in excel⸗
sis
intonirten.
Die Vorsteher schlossen schlössen mit 240
der Versicherung: daß die jungen Männer
dabei körperlich vollkommen gesund wären;
daß man ihnen sogar eine gewisse, obschon
sehr ernste und feierliche, Heiterkeit nicht ab⸗
sprechen
könnte; daß sie, wenn man sie für 245
144Faksimileverrückt erklärte, mitleidig die Achseln zuck⸗
ten
, und daß sie schon mehr als einmal ge⸗
äußert
hätten: „wenn die gute Stadt Aachen
wüßte, was sie, so würde dieselbe ihre Ge⸗
schäfte
bei Seite legen, und sich gleichfalls, 250
zur Absingung des gloria, um das Crucifix
des Herrn niederlassen.“

Die Frau, die den schauderhaften An⸗
blick
dieser Unglücklichen nicht ertragen konnte
und sich bald darauf, auf wankenden Knieen, 255
wieder hatte zu Hause führen lassen, begab
sich, um über die Veranlassung dieser unge⸗
heuren
Begebenheit Auskunft zu erhalten,
am Morgen des folgenden Tages, zu Herrn
Veit Gotthelf, berühmten Tuchhändler der 260
Stadt; denn dieses Mannes erwähnte der von
dem Prädicanten geschriebene Brief, und es
ging daraus hervor, daß derselbe an dem
Project, das Kloster der heiligen Cäcilie am
Tage des Frohnleichnamsfestes zu zerstören, 265
eifrigen Antheil genommen habe. Veit Gott⸗
helf
, der Tuchhändler, der sich inzwischen inzwisehen ver⸗
heirathet
, mehrere Kinder gezeugt, und die
be⸗
145Faksimileträchtliche
Handlung seines Vaters übernom⸗270
men
hatte, empfing die Fremde sehr liebreich:
und da er erfuhr, welch ein Anliegen sie zu
ihm führe, so verriegelte er die Thür, und
ließ sich, nachdem er sie auf einen Stuhl nie⸗
dergenöthigt
hatte, folgendermaßen verneh⸗275
men
: „Meine liebe Frau! Wenn ihr mich,
der mit euren Söhnen vor sechs Jahren in
genauer Verbindung gestanden, in keine Un⸗
tersuchung
deshalb verwickeln wollt, so will
ich euch offenherzig und ohne Rückhalt ge⸗280
stehen
: ja, wir haben den Vorsatz gehabt,
dessen der Brief erwähnt!
Wodurch diese That,
zu deren Ausführung alles, auf das Ge⸗
naueste
, mit wahrhaft gottlosem Scharfsinn,
angeordnet war, gescheitert ist, ist mir unbe⸗285
greiflich
; der Himmel selbst scheint das Klo⸗
ster
der frommen Frauen in seinen heiligen
Schutz genommen zu haben.
Denn wißt,
daß sich eure Söhne bereits, zur Einleitung
entscheidenderer Auftritte, mehrere muthwil⸗290
lige
, den Gottesdienst störende Possen er⸗
laubt
hatten: mehr denn dreihundert, mit
Kleists Erzähl. 2t S. K 146FaksimileBeilen und Pechkränzen versehene Böse⸗
wichter
, aus den Mauern unserer damals
irregeleiteten Stadt, erwarteten nichts als das 295
Zeichen, daß das der Prädicant geben sollte, um
den Dom der Erde gleich zu machen.
Da⸗
gegen
, bei Anhebung der Musik, nehmen
eure Söhne plötzlich, in gleichzeitiger Bewe⸗
gung
, und auf eine uns auffallende Weise, 300
die Hüthe ab; sie legen, nach und nach, wie in
tiefer unaussprechlicher Rührung, die Hände
vor ihr herabgebeugtes Gesicht, und der Prädi⸗
cant
, indem er sich, nach einer erschüttern⸗
den
Pause, plötzlich umwendet, ruft uns 305
Allen mit lauter fürchterlicher Stimme zu:
gleichfalls unsere Häupter zu entblößen!
Ver⸗
gebens
fordern ihn einige Genossen flüsternd,
indem sie ihn mit ihren Armen leichtfertig
anstoßen, auf, das zur Bilderstürmerei ver⸗310
abredete
Zeichen zu geben: der Prädicant,
statt zu antworten, läßt sich, mit kreuzweis
auf die Brust gelegten Händen, auf Knieen
nieder und murmelt, sammt den Brüdern,
die Stirn inbrünstig in den Staub herab ge⸗315
147Faksimiledrückt,
die ganze Reihe noch kurz vorher von
ihm verspotteter Gebete ab.
Durch diesen
Anblick tief im Innersten verwirrt, steht der
Haufen der jämmerlichen Schwärmer, seiner
Anführer beraubt, in Unschlüssigkeit und Un⸗320
thätigkeit
, bis an den Schluß des, vom Al⸗
tar
wunderbar herabrauschenden Oratoriums
da; und da, auf Befehl des Commandanten,
in eben diesem Augenblick mehrere Arreti⸗
rungen
verfügt, und einige Frevler, die sich 325
Unordnungen erlaubt hatten, von einer Wa⸗
che
aufgegriffen und abgeführt wurden, so
bleibt der elenden Schaar nichts übrig, als
sich schleunigst, unter dem Schutz der ge⸗
drängt
aufbrechenden Volksmenge, aus dem 330
Gotteshause zu entfernen.
Am Abend, da
ich in dem Gasthofe vergebens mehrere Mal
nach euren Söhnen, welche nicht wiederge⸗
kehrt
waren, gefragt hatte, gehe ich, in der
entsetzlichsten Unruhe, mit einigen Freunden 335
wieder nach dem Kloster hinaus, um mich
bei den Thürstehern, welche der kaiserlichen
Wache hülfreich an die Hand gegangen wa⸗
K 2148Faksimileren,
nach ihnen zu erkundigen.
Aber wie
schildere ich euch mein Entsetzen, edle Frau, 340
da ich diese vier Männer nach wie vor, mit
gefalteten Händen, den Boden mit Brust
und Scheiteln küssend, als ob sie zu Stein
erstarrt wären, heißer Inbrunst voll vor
dem Altar der Kirche daniedergestreckt liegen 345
sehe! Umsonst forderte sie der Klostervoigt,
der in eben diesem Augenblick herbeikommt,
indem er sie am Mantel zupft und an den
Armen rüttelt, auf, den Dom, in welchem
es schon ganz finster werde, und kein Mensch 350
mehr gegenwärtig sei, zu verlassen: sie hören,
auf träumerische Weise halb aufstehend, nicht
eher auf ihn, als bis er sie durch seine Knechte
unter den Arm nehmen, und vor das Por⸗
tal
hinaus führen läßt: wo sie uns endlich, 355
obschon unter Seufzern und häufigem herz⸗
zerreißenden
Umsehen nach der Kathedrale,
die hinter uns im Glanz der Sonne präch⸗
tig
funkelte, nach der Stadt folgen.
Die
Freunde und ich, wir fragen sie, zu wieder⸗360
holten
Malen, zärtlich und liebreich auf dem
149FaksimileRückwege, was ihnen in aller Welt Schreck⸗
liches
, fähig, ihr innerstes Gemüth dergestalt
umzukehren, zugestoßen sei; sie drücken uns,
indem sie uns freundlich ansehen, die Hände, 365
schauen gedankenvoll auf den Boden nieder
und wischen sich — ach! von Zeit zu Zeit,
mit einem Ausdruck, der mir noch jetzt das
Herz spaltet, die Thränen aus den Augen.

Drauf, in ihre ihren [emendiert] Wohnungen angekommen, 370
binden sie sich ein Kreuz, sinnreich und zier⸗
lich
von Birkenreisern zusammen, und setzen
es, einem kleinen Hügel von Wachs einge⸗
drückt
, zwischen zwei Lichtern, womit die
Magd erscheint, auf dem großen Tisch in des 375
Zimmers Mitte nieder, und während die
Freunde, deren Schaar sich von Stunde zu
Stunde vergrößert, händeringend zur Seite
stehen, und in zersteuten zerstreuten Gruppen, sprachlos
vor Jammer, ihrem stillen, gespensterartigen 380
Treiben zusehen: lassen sie sich, gleich als
ob ihre Sinne vor jeder andern Erscheinung
verschlossen wären, um den Tisch nieder, und
schicken sich still, mit gefalteten Händen, zur
150FaksimileAnbetung an.
Weder des Essens begehren 385
sie, das ihnen, zur Bewirthung der Genos⸗
sen
, ihrem am Morgen gegebenen Befehl ge⸗
m
äß, die Magd bringt, noch späterhin, da
die Nacht sinkt, des Lagers, das sie ihnen,
weil sie müde scheinen im Nebengemach auf⸗390
gestapelt
hat; die Freunde, um die Entrü⸗
stung
des Wirths, den diese Aufführung be⸗
fremdet
, nicht zu reizen, müssen sich an ei⸗
nen
, zur Seite üppig gedeckten Tisch nieder⸗
lassen
, und die, für eine zahlreiche Gesellschaft 395
zubereiteten Speisen, mit dem Salz ih⸗
rer
bitterlichen Thränen gebeizt, einnehmen.

Jetzt plötzlich schlägt die Stunde der Mitter⸗
nacht
; eure vier Söhne, nachdem sie einen
Augenblick gegen den dumpfen Klang der 400
Glocke aufgehorcht, heben sich plötzlich in
gleichzeitiger Bewegung, von ihren Sitzen
empor; und während wir, mit niedergelegten
Tischtüchern, zu ihnen hinüberschauen, ängst⸗
licher
Erwartung voll, was auf so seltsames 405
und befremdendes Beginnen erfolgen werde:
fangen sie, mit einer entsetzlichen und gräßli⸗
151Faksimilechen
Stimme, das gloria in excelsis zu in⸗
toniren
an.
So mögen sich Leoparden und
Wölfe anhören lassen, wenn sie zur eisigen 410
Winterzeit, das Firmament anbrüllen: die
Pfeiler des Hauses, versichere ich euch, er⸗
schütterten
, und die Fenster, von ihrer Lun⸗
gen
sichtbarem Athem getroffen, drohten klir⸗
rend
, als ob man Hände voll schweren San⸗415
des
gegen ihre Flächen würfe, zusammen zu
brechen.
Bei diesem grausenhaften Auftritt
stürzen wir besinnungslos, mit sträubenden
Haaren aus einander; wir zerstreuen uns,
Mäntel und Hüte zurücklassend, durch die 420
umliegenden Straßen, welche in kurzer Zeit,
statt unsrer, von mehr denn hundert, aus
dem Schlaf geschreckter Menschen, angefüllt
waren; das Volk drängt sich, die Hausthüre
sprengend, über die Stiege dem Saale zu, 425
um die Quelle dieses schauderhaften und em⸗
pörenden
Gebrülls, das, wie von den Lippen
ewig verdammter Sünder, aus dem tiefsten
Grund der flammenvollen Hölle, jammervoll
um Erbarmung zu Gottes Ohren heraufdrang, 430
152Faksimileaufzusuchen.
Endlich, mit dem Schlage der
Glocke Eins, ohne auf das Zürnen des Wirths,
noch auf die erschütterten Ausrufungen des sie
umringenden Volks gehört zu haben, schließen
sie den Mund; sie wischen sich mit einem 435
Tuch den Schweiß von der Stirn, der ihnen,
in großen Tropfen, auf Kinn und Brust nie⸗
derträuft
; und breiten ihre Mäntel aus, und
legen sich, um eine Stunde von so qualvol⸗
len
Geschäften auszuruhen, auf das Getäfel 440
des Bodens nieder.
Der Wirth, der sie ge⸗
währen
läßt, schlägt, so bald er sie schum⸗
mern
schlummern
sieht, ein Kreuz über sie; und froh,
des Elends für den Augenblick erledigt zu
sein, bewegt er, unter der Versicherung, der 445
Morgen werde eine heilsame Veränderung
herbeiführen, den Männerhaufen, der gegen⸗
wärtig
ist, und der geheimnißvoll mit einan⸗
der
murmelt, das Zimmer zu verlassen.
Aber
leider! schon mit dem ersten Schrei des Hahns, 450
stehen die Unglücklichen wieder auf, um dem
auf dem Tisch befindlichen Kreuz gegenüber,
dasselbe öde, gespensterartige Klosterleben, das
153Faksimilenur Erschöpfung sie auf einen Augenblick aus⸗
zusetzen
zwang, wieder anzufangen.
Sie neh⸗455
men
von dem Wirth, dessen Herz ihr jam⸗
mervoller
Anblick schmelzt, keine Ermahnung,
keine Hülfe an; sie bitten ihn, die Freunde
liebreich abzuweisen, die sich sonst regelmäßig
am Morgen jedes Tages bei ihnen zu ver⸗460
sammeln
pflegten; sie begehren nichts von ihm,
als Wasser und Brod, und eine Streu, wenn
es sein kann, für die Nacht: dergestalt, daß
dieser Mann, der sonst viel Geld von ihrer
Heiterkeit zog, sich genöthigt sah, den ganzen 465
Vorfall den Gerichten anzuzeigen und sie zu
bitten, ihm diese vier Menschen, in welchen
ohne Zweifel der böse Geist walten müsse,
aus dem Hause zu schaffen.
Worauf sie, auf
Befehl des Magistrats, in ärztliche Unter⸗470
tersuchung suchung Durch Zeilentrennung bedingter Fehler: Unter-tersuchung.
genommen, und, da man sie ver⸗
rückt
befand, wie ihr wißt, in die Gemächer
des Irrenhauses untergebracht wurden, wnrden [BKA liest ›wnrden‹ und emendiert in ›wurden‹.] das
die Milde des letzt verstorbenen Kaisers, zum
Besten der Unglücklichen dieser Art, innerhalb 475
der Mauern unserer Stadt gegründet hat.
Dies
154Faksimileund noch Mehreres sagte Veit Gotthelf, der
Tuchhändler, das wir hier, weil wir zur Ein⸗
sicht
in den inneren Zusammenhang der Sache
genug gesagt zu haben meinen, unterdrücken; 480
und forderte die Frau nochmals auf, ihn auf
keine Weise, falls es zu gerichtlichen Nach⸗
forschungen
über diese Begebenheit kommen
sollte, darin zu verstricken.“

Drei Tage darauf, da die Frau, durch 485
diesen Bericht tief im Innersten erschüttert,
am Arm einer Freundinn nach dem Kloster
hinausgegangen wer, war, in der wehmüthigen Ab⸗
sicht
, auf einem Spaziergang, weil eben das
Wetter schön war, den entsetzlichen Schau⸗490
platz
in Augenschein zu nehmen, auf welchem
Gott ihre Söhne wie durch unsichtbare Blitze
zu Grunde gerichtet hatte: fanden die Wei⸗
ber
den Dom, weil eben gebaut wurde, am
Eingang durch Planken versperrt, und konn⸗495
ten
, wenn sie sich mühsam erhoben, durch die
Oeffnungen der Bretter hindurch von dem
Inneren nichts, als die prächtig funkelnde
Rose im Hintergrund der Kirche wahrneh⸗
155Faksimilemen.
Viele hundert Arbeiter, welche fröh⸗500
liche
Lieder sangen, waren auf schlanken, viel⸗
fach
verschlungenen Gerüsten beschäftigt, die
Thürme noch um ein gutes Drittheil zu er⸗
höhen
, und die Dächer und Zinnen dersel⸗
ben
, welche bis jetzt nur mit Schiefer bedeckt 505
gewesen waren, mit starkem, hellen, im Strahl
der Sonne glänzigen Kupfer zu belegen.
Da⸗
bei
stand ein Gewitter, dunkelschwarz, mit
vergoldeten Rändern, im Hintergrunde des
Baus; dasselbe hatte schon über die Gegend 510
von Aachen ausgedonnert, und nachdem es
noch einige kraftlose Blitze, gegen die Rich⸗
tung
, wo der Dom stand, geschleudert hatte,
sank es, zu Dünsten aufgelöst, misvergnügt
murmelnd in Osten herab.
Es traf sich, daß 515
da die Frauen von der Treppe des weitläu⸗
figen
klösterlichen Wohngebäudes herab, in man⸗
cherlei
Gedanken vertieft, dies doppelte Schau⸗
spiel
betrachteten, eine Klosterschwester, welche
vorüberging, zufällig erfuhr, wer die unter dem 520
Portal stehende Frau sei; dergestalt, daß die
Aebtissin, die von einem, den Frohnleich⸗
156Faksimilenamstag
betreffenden Brief, den dieselbe bei
sich trug, gehört hatte, unmittelbar darauf
die Schwester zu ihr herabschickte, und die 525
niederländische Frau ersuchen ließ, zu ihr
herauf zu kommen.
Die Niederländerinn,
obschon einen Augenblick dadurch betroffen,
schickte sich nichts desto weniger ehrfurchtsvoll
an, dem Befehl, den man ihr angekündigt 530
hatte, zu gehorchen; und während die Freun⸗
dinn
, auf die Einladung der Nonne, in ein
dicht an dem Eingang befindliches Nebenzim⸗
mer
abtrat, öffnete man der Fremden, welche
die Treppe hinaufsteigen mußte, die Flügelthü⸗535
ren
des schön gebildeten Söllers selbst.
Daselbst
fand sie die Aebtissin, welches eine edle Frau,
von stillem königlichen Ansehn war, auf
einem Sessel sitzen, den Fuß auf einem Sche⸗
mel
gestützt, der auf Drachenklauen ruhte; 540
ihr zur Seite, auf einem Pulte, lag die Par⸗
titur
einer Musik.
Die Aebtissin, nachdem
sie befohlen hatte, der Fremden einen Stuhl
hinzusetzen, entdeckte ihr, daß sie bereits durch
den Bürgermeister von ihrer Ankunft in der 545
157FaksimileStadt gehört; und nachdem sie sich, auf men⸗
schenfreundliche
Weise, nach dem Befinden ih⸗
rer
unglücklichen Söhne erkundigt, auch sie
ermuntert hatte, sich über das Schicksal, das
dieselben betroffen, weil es einmal nicht zu än⸗550
dern
sei, möglichst zu fassen: eröffnete sie ihr
den Wunsch, den Brief zu sehen, den der Prä⸗
dicant
an seinen Freund, den Schullehrer
in Antwerpen geschrieben hatte.
Die Frau,
welche Erfahrung genug besaß, einzusehen, 555
von welchen Folgen dieser Schritt sein konnte,
fühlte sich dadurch auf einen Augenblick in
Verlegenheit gestürzt; da jedoch das ehrwür⸗
dige
Antlitz der Dame unbedingtes Vertrauen
erforderte, und auf keine Weise schicklich war, 560
zu glauben, daß ihre Absicht sein könne, von
dem Inhalt desselben einen öffentlichen Ge⸗
brauch
zu machen; so nahm sie, nach einer
kurzen Besinnung, den Brief aus ihrem Bu⸗
sen
, und reichte ihn, unter einem heißen 565
Kuß auf ihre Hand, der fürstlichen Dame
dar.
Die Frau, während die Aebtissin den
Brief überlas, warf nunmehr einen Blick
158Faksimileauf die nachlässig über dem Pult aufgeschla⸗
gene
Partitur; und da sie, durch den Be⸗570
richt
des Tuchhändlers, auf den Gedanken
gekommen war, es könne wohl die Gewalt
der Töne gewesen sein, die, an jenem schau⸗
erlichen
Tage, das Gemüth ihrer armen
Söhne zerstört und verwirrt habe: so fragte 575
sie die Klosterschwester, die hinter ihrem Stuhle
stand, indem sie sich zu ihr umkehrte, schüch⸗
tern
: ob „ob [emendiert] dies das Musikwerk wäre, das vor
sechs Jahren, am Morgen jenes merkwürdi⸗
gen
Frohnleichnamsfestes, in der Kathedrale 580
aufgeführt worden sei?“
Auf die Antwort
der jungen Klosterschwester: ja! sie erinnere
sich davon gehört zu haben, und es pflege
seitdem, wenn man es nicht brauche, im
Zimmer der hochwürdigsten Frau zu liegen: 585
stand, lebhaft erschüttert, die Frau auf, und
stellte sich, von mancherlei Gedanken durch⸗
kreuzt
, vor den Pult.
Sie betrachtete die
unbekannten zauberischen Zeichen, womit sich
ein fürchterlicher Geist geheimnißvoll den Kreis 590
abzustecken schien, und meinte, in die Erde zu
159Faksimilesinken, da sie grade das gloria in excelsis auf⸗
geschlagen
fand.
Es war ihr, als ob das
ganze Schrecken der Tonkunst, das ihre
Söhne verderbt hatte, über ihrem Haupte 595
rauschend daherzöge; sie glaubte, bei dem
bloßen Anblick ihre Sinne zu verlieren, und
nachdem sie schnell, mit einer unendlichen Re⸗
gung
von Demuth und Unterwerfung unter
die göttliche Allmacht, das Blatt an ihre Lip⸗600
pen
gedrückt hatte, setzte sie sich wieder auf ih⸗
ren
Stuhl zurück.
Inzwischen hatte die Aeb⸗
tissinn
den Brief ausgelesen und sagte, indem
sie ihn zusammen faltete: „Gott selbst hat das
Kloster, an jenem wunderbaren Tage, gegen 605
den Uebermuth eurer schwer verirrten Söhne
beschirmt.
Welcher Mittel er sich dabei bedient,
kann euch, die ihr eine Protestantinn seid, gleich⸗
gültig
sein: ihr würdet auch das, was ich
euch darüber sagen könnte, schwerlich begrei⸗610
fen
. Denn vernehmt, daß schlechterdings nie⸗
mand
weiß, wer eigentlich das Werk, das
ihr dort aufgeschlagen findet, im Drang der
schreckenvollen Stunde, da die Bilderstürme⸗
160Faksimilerei
über uns hereinbrechen sollte, ruhig auf 615
dem Sitz der Orgel dirigirt habe.
Durch ein
Zeugniß, das am Morgen des folgenden Ta⸗
ges
, in Gegenwart des Klostervoigts und
mehrerer anderen Männer aufgenommen und
im Archiv niedergelegt ward, ist erwiesen, 620
daß Schwester Antonia, die einzige, die das
Werk dirigiren konnte, während des ganzen
Zeitraums seiner Aufführung, krank, bewußt⸗
los
, ihrer Glieder schlechthin unmächtig, im
Winkel ihrer Klosterzelle darniedergelegen ha⸗625
be
; eine Klosterschwester, die ihr als leibliche
Verwandte zur Pflege ihres Körpers beige⸗
ordnet
war, ist während des ganzen Vormit⸗
tags
, da das Frohnleichnamsfest in der Kathe⸗
drale
gefeiert worden, nicht von ihrem Bette 630
gewichen.
Ja, Schwester Antonia würde ohn⸗
fehlbar
selbst den Umstand, daß sie es nicht
gewesen sei, die, auf so seltsame und befrem⸗
dende
Weise, auf dem Altan der Orgel er⸗
schien
, bestätigt und bewahrheitet haben: wenn 635
ihr gänzlich sinnberaubter Zustand erlaubt
hätte, sie darum zu befragen und die Kranke
nicht 161Faksimilenicht noch am Abend desselben Tages, an
dem Nervenfieber, an dem sie danieder lag,
und welches früherhin gar nicht lebensgefähr⸗640
lich
schien, verschieden wäre.
Auch hat der
Erzbischof von Trier, an den dieser Vorfall
berichtet ward, bereits das Wort ausgespro⸗
chen
, das ihn allein erklärt, nämlich, „daß
die heilige Cäcilie selbst dieses zu gleicher 645
Zeit schreckliche und herrliche Wunder voll⸗
bracht
habe; und vom von dem Papst habe ich
so eben ein Breve erhalten, wodurch er dies
bestätigt.“
Und damit gab sie der Frau den
Brief, den sie sich bloß von ihr erbeten hatte, 650
um über das, was sie schon wußte, nähere
Auskunft zu erhalten, unter dem Versprechen,
daß sie davon keinen Gebrauch machen würde,
zurück; und nachdem sie dieselbe noch gefragt
hatte, ob zur Wiederherstellung ihrer Söhne 655
Hoffnung sei, uud und Das ›n‹ ist kopfstehend gesetzt und wirkt wie ein ›u‹. und [Nicht gelesen oder stillschweigend emendiert.] und [Nicht gelesen oder stillschweigend emendiert.] und [Nicht gelesen oder stillschweigend emendiert.] ob sie ihr vielleicht mit
irgend etwas, Geld oder eine andere Unter⸗
stützung
, zu diesem Zweck dienen könne, wel⸗
ches
die Frau, indem sie ihr den Rock küßte,
weinend verneinte: grüßte sie dieselbe freund⸗660
lich
mit der Hand und entließ sie.

Kleists Erzähl. 2te S. L 162Faksimile

Hier endigt diese Legende. Die Frau, de⸗
ren
Anwesenheit in Achen Aachen [emendiert] [›Achen‹ ist bis weit ins 19. Jahrhundert eine sehr verbreitete Schreibung für Aachen; sie wird hier deshalb auch nicht emendiert.] gänzlich nutzlos
war, ging mit Zurücklassung eines kleinen Ca⸗
pitals
, das sie zum Beßten ihrer armen Söh⸗665
ne
bei den Gerichten niederlegte, nach dem
Haag zurück, wo sie ein Jahr darauf, durch
diesen Vorfall tief bewegt, in den Schooß der
katholischen Kirche zurückkehrte: die Söhne
aber starben, im späten Alter, eines heitern 670
und vergnügten Todes, nachdem sie noch ein⸗
mal
, ihrer Gewohnheit gemäß, das gloria in
excelsis
abgesungen hatten.

https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00013539/images/index.html?fip=193.174.98.30&seite=136

Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik.

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/erzaehlungen/caecilie, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 21.05.2025

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  • Editorische Anmerkungen
  • Emendationen
  • Kollation Editionen
  • Stellenkommentar

Apparat

Erstdruck: [D1] Kleist Heinrich von : Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. In: Berliner Abendblätter. 40. Blatt, 41. Blatt, 42. Blatt. Berlin: J. E. Hitzig, 1810.

Textwiedergabe nach: [D2] Kleist, Heinrich von: Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik. In: Kleist, Heinrich von: Erzählungen. Zweiter Theil, Berlin: Realschulbuchhandlung, 1811, S. 133–162.

Zugrunde gelegte Exemplare: BSB. Bayerische StaatsBibliothek. Sigle: Rar. 4347-2.
Exemplar aus Privatbesitz.

Editorische Anmerkungen

  • 471tersuchungDurch Zeilentrennung bedingter Fehler: Unter-tersuchung.
  • 656uudDas ›n‹ ist kopfstehend gesetzt und wirkt wie ein ›u‹.
 Emendationen (insges. 8)
  • 100glänzlichgänzlich
  • 296daßdas
  • 379zersteutenzerstreuten
  • 442schummernschlummern
  • 471tersuchungsuchungDurch Zeilentrennung bedingter Fehler: Unter-tersuchung.
  • 488wer,war,
  • 647vomvon
  • 656uudundDas ›n‹ ist kopfstehend gesetzt und wirkt wie ein ›u‹.
Pagina Kleist-Ausgaben
  • [BKA] II/5 75–104
  • [MA] II 221–233
  • [DKV] III 285–313 [Paralleldruck m. Fassung aus ›Berliner Abendblätter‹]
  • [SE:1993] II 216–228
  • [Bartl:2013 (Reclam)] 255–269
 Vergleich Editionen

Die durchgeführte Kollation mit unterschiedlichen historischen und aktuellen Kleist-Editionen zeigt bestimmte Lesarten und Emendationen, die von der vorliegenden emendierten Fassung abweichen. In den Anmerkungen finden sich hierzu häufig nähere Erläuterungen. (Gelegentlich ist die Ursache für Abweichungen ein Transkriptionsfehler in der jeweiligen Edition.)

Disclaimer: Abweichungen, die ihren Grund in typographisch bedingten Normalisierungen und Standardisierungen haben, werden nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden. Mitgeteilte Abweichungen müssen am Original überprüft werden.

In die Kollation einbezogene Kleist-Ausgaben

[BKA][MA][Bartl:2013 (Reclam)]

[BKA:1989] [2 Abw.]
  • 473wurden, ] wnrden [BKA liest ›wnrden‹ und emendiert in ›wurden‹.]
  • 656uud ] und [Nicht gelesen oder stillschweigend emendiert.]
[Recl;Bartl:2013] [4 Abw.]
  • 370ihre ] ihren [emendiert]
  • 578ob ] „ob [emendiert]
  • 656uud ] und [Nicht gelesen oder stillschweigend emendiert.]
  • 663Achen ] Aachen [emendiert] [›Achen‹ ist bis weit ins 19. Jahrhundert eine sehr verbreitete Schreibung für Aachen; sie wird hier deshalb auch nicht emendiert.]
[MA:2010] [4 Abw.]
  • 109Portälen ] Portalen
  • 240schlossen ] schlössen
  • 267inzwischen ] inzwisehen
  • 656uud ] und [Nicht gelesen oder stillschweigend emendiert.]
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