[107] An Marie v. Kleist, Juni 1807
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Was ſoll jetzt aus aus meiner meiner Sache werden, da da, wie ich höre höre, auch U... U[rike] Berlin Berlin verlaßen verlaſſen wird wird, nachdem A. A[ngern] es längſt verlaßen verlaſſen hat. hat? Sie ſehen, daß daß alle Ihre Bemühungen Bemühungen für mich gänz[SE:1993 II 782] lich überflüßig überflüſſig geweſen ſind. Von Tage zu Tage habe ich immer noch noch, [MA II 870] dem Verſprechen gemäs, gemäß, das das Ihnen der der General Clarke gegeben hat, auf eine Ordre zu meiner meiner Befreiung gewartet. Doch [Schütz:1936] S. 15 [BKA IV/2 500] ſtatt deßen deſſen ſind ganz andre Verfügungen wegen unſrer angekommen, die mir vielmehr alle Hoffnung dazu benehmen. Welch ein unbegreifliches Mißverſtändniß muß in diſer dieſer Sache obwalten. Wenn ſich niemand für mich intereßirte, intereſſirte, weder weder Sie, noch U.. U[lrike], noch A. A[ngern], ſo bliebe mir noch ein Ausweg übrig. Doch ſo werde ich mich wohl mit dem Gedanken bekannt machen müßen, müſſen, bis ans Ende des Kriegs in diſer dieser Gefangenſchaft aushalten aushalten zu müßen. müſſen. Und wie lange kann dieſer Krieg noch dauern, diſer dieſer unglükliche unglückliche Krieg Krieg, den vielleicht gar nicht mal ein Friede beendigen wird! Was ſind dies für Zeiten. Sie haben mich immer in der der Zurükgezogenheit Zurückgezogenheit meiner Lebensart Lebensart für iſolirt von der Welt gehalten, und doch iſt vielleicht niemand inniger damit verbunden als ich. Wie troſtlos iſt die Ausſicht, die ſich uns eröffnet. Zerſtreuung, und nicht mehr Bewuſtſein Bewußtſein, iſt der Zuſtand Zuſtand, der der mir wohl thut. Wo iſt der der Platz Platz, den man jetzt in der der Welt einzunehmen einzunehmen ſich beſtreben könnte, in im Augenblikken, Augenblicke, wo alles ſein ſeinen Platz in verwirrter Bewegung verwechſelt. verwechſelt? Kann man auch nur den Gedanken Gedanken wagen wagen, glüklich glücklich zu ſein, wenn alles in Elend Elend darnider darnieder liegt? Ich arbeite, wie Sie wohl denken können, können, doch ohne Luſt und Liebe zur Sache. Wenn ich die Zeitungen Zeitungen geleſen habe, und jetzt mit einem meinem Herzen voll Kummer [Schütz:1936] S. 16 [BKA IV/2 503] die Feder wieder ergreife, ſo frage ich mich, wie Hamlet den Schauſpieler, was mir Hekuba ſei? Ernſt Ernſt, ſchreiben ſchreiben Sie mir mir, iſt nach K.. K[önigsberg] zurükgegangen. zurückgegangen. Es freut [Heimböckel:1999 (Reclam) 388] mich mich, weil es das einzige war, was [DKV IV 379] ihm in diſer dieſer Lage übrig blieb. blieb, Doch doch unerſetzlich iſt es, daß wir uns nicht, Er u. und R. R[ühle], in Dresden haben ſprechen ſprechen können. können. Der Der Augenblik Augenblick war ſo gemacht gemacht, uns in der der ſchönſten ſchönſten Begeiſterung Begeiſterung zu umarmen: wenn wir noch zwei Menſchen Menſchen-Alter Alter [] lebten lebten, kömt kömmt es nicht ſo wieder. wieder Hier in Chalons lebe ich wieder wieder ſo einſam wie in K. . K[önigsberg]. Kaum merke ich, daß daß ich in einem fremden Lande bin, u. und oft iſt es mir ein Traum Traum, 100 Meilen gereiſet zu ſein ſein, ohne meine Lage verändert zu haben. Es iſt hier niemand niemand, dem ich mich anſchließen mögte: unter unter den Franzoſen Franzoſen nicht nicht, weil mich ein natürlicher Widerwille Widerwille ſchon von ihnen entfernt, der noch durch die Behandlung Behandlung, die [SE:1993 II 783] wir jetzt erfahren erfahren, vermehrt wird, u. und unter den Deutſchen auch nicht. Und doch ſehnt ſich mein Herz ſo nach Mittheilung. Letzthin ſaß ich auf einer einer Bank im Jard, einer einer öffentlichen öffentlichen, aber wenig [MA II 871] beſuchten beſuchten Promenade, u. und es fing fieng ſchon an finſter finſter zu werden, als mich jemand jemand, den ich nicht kannte kannte, mit einer Stimme anredete, als ob ſie P.. P[fuel] aus der Bruſt genommen geweſen wäre. Ich kann Ihnen die Wehmuth nicht beſchreiben beſchreiben, die mich in diſem dieſem Augenblik Augenblick ergriff. Und ſein [Schütz:1936] S. 17 [BKA IV/2 504] Geſpräch war auch ganz ſo tief und innig, wie ich es nur, einzig auf der Welt, kennen gelernt habe. Es war mir mir, als ob er bei mir ſäße ſäße, wie in jenem Sommer vor 3 Jahren Jahren, wo wir in jeder jeder Unteredung Unterredung immer wieder wieder auf den Tod, als das ewige Refrain des Lebens zurük zurück kamen. Ach Ach, es iſt ein ermüdender Zuſtand diſes dieſes Leben, recht recht, wie Sie ſagten ſagten, eine Fatigue. Erſcheinungen Erſcheinungen rings, daß daß man eine Ewigkeit brauchte brauchte, um ſie zu würdigen, u. und, kaum wahrgenommen wahrgenommen, ſchon wieder wieder von andern verdrengt, verdrängt, die eben ſo unbegriffen verſchwinden. In einer der der hieſigen Kirchen iſt ein Gemälde, ſchlecht gezeichnet zwar, doch von der ſchönſten ſchönſten Erfindung Erfindung, die man ſich denken kann, und Erfindung iſt es überall überall, was ein Werk Werk der der Kunſt ausmacht. Denn nicht das das, was den dem Sinen Sinn dargeſtellt iſt, ſondern das das, was das Gemüth, durch dieſe Wahrnehmung erregt, ſich denkt, iſt das das Kunſtwerk. Es ſind ein Paar geflügelte Engel, die aus den [Heimböckel:1999 (Reclam) 389] Wohnungen Wohnungen himmliſcher Freude Freude niederſchweben niederſchweben, um eine Seele zu empfangen. empfangen. Sie [DKV IV 380] liegt liegt, mit Bläße Bläſſe des des Todes Todes übergoßen übergoſſen, auf den Knien, der der Leib ſterbend in die die Arme der der Engel zurükgeſunken. zurückgeſunken. Wie zart ſie das zarte berühren. Mit den äußerſten Spitzen ihrer roſenrothen Finger nur das liebliche Weſen, das der Hand des des Schikſals Schickſals jetzt entflohen iſt. Und einen Blik Blick aus ſterbenden Augen [Schütz:1936] S. 18 [BKA IV/2 507] wirft ſie auf ſie, als ob ſie in Gefilde unendlicher Seligkeit hinausſähe: hinausſähe: Ich habe nie etwas Rührenderes und Erhebenderes geſehen.
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