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Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.
Commercy, den 12ten Decbr.
Eine ſchon etwas bejahrte Wittwe zu Joinville,
im
Meuſe⸗Departement, klagte ſeit zwei Jahren
beſtaͤn⸗
dig uͤber Uebelkeiten, Herzklopfen,
Kraͤmpfe und5
Ekel vor allen Nahrungsmitteln. Man ſchrieb dieſe
Umſtaͤnde einer
Verletzung der Eingeweide zu, wobei
man jedoch nicht
verkannte, daß der Urſprung und
die Hartnaͤckigkeit des
Uebels von einem im Magen
befindlichen fremdartigen
Koͤrper herruͤhren muͤſſe.10
Endlich ſpie die ungluͤckliche Frau nach dem
ſchmerz⸗
hafteſten zweimonatlichen Vomiren, in
Gegenwart
einer Menge huͤlfeleiſtender Menſchen, eine
lebendige
Eidexe aus.
Die uͤber den unerwarteten
Anblick des Thieres15
beſtuͤrzten Menſchen, ergriffen und
zertraten daſſelbe.
Dieſes Amphibium hatte einen ſehr duͤnnen und lan⸗
gen Koͤrper, eine hellgraue Farbe, die auf dem
Ruͤk⸗
ken
kaſtanienbraun und unter dem Bauche gelb ſchat⸗
tirte, 4 kleine Beine, und an jedem Fuß 5 mit Naͤ⸗20
geln verſehene Klauen; einen dreieckigen, nach vorne
etwas abgeſtumpften und gekruͤmmten Kopf, einen
kurzen und an dem Ende fadenfoͤrmigen Schwanz.
Die Feuchtigkeit, die dieſes Thier, nachdem es
geſtor⸗
ben war, von ſich gab, glich dem
Eiter.25
Leider dachte keiner der Anweſenden daran, dieſe
Eidexe aufzubewahren, noch auf die Kriſen, die dieſer
Expektoration vorangingen und folgten, zu achten.
Die Leidende ſtarb zu Ende des vergangenen Octobers,
ohne daß man weiß, ob ihr Ende der Beherbergung 30
dieſes laͤſtigen Gaſtes zuzuſchreiben ſei.
Die beſchriebene Eidexe iſt die ſogenannte Mauer⸗
Eidexe (lacerta vulgaris)
und es iſt wahrſcheinlich,
14 daß ſie der ungluͤcklichen Frau
waͤhrend des Schlafs
in den Mund geſchluͤpft ſei.35
(Archiv f. Lit. K. u. Pol.)
Stockholm, den 21ſten Decbr.
Der
Ruſſiſche Oberſt Czerniſcheff und der Feld⸗
jaͤger
Blumenthal ſind von Petersburg hier ange⸗
kommen.40
Hamburg, den 1ſten Jan.
Unterm 30ſten December erſchien
hier folgendes
Publicandum:
„Da, in Gemaͤßheit der
Verfuͤgung des Herrn
Generals Compans, den 31ſten
December alle oͤffent⸗45
liche Caſſen in Empfang
genommen und verſiegelt
werden ſollen, ſo macht Ein
Hochedler Rath nicht al⸗
lein dieſes oͤffentlich
bekannt, ſondern bringt zugleich
die dabei erfolgte
Anzeige zur Wiſſenſchaft aller hie⸗
ſigen Buͤrger
und Einwohner: daß die Maßregel den50
Zuſtand des
oͤffentlichen Guts und der Handlung kei⸗
nesweges
aͤndere, daß ſie vielmehr eine nothwendige
Folge der
Vereinigung unſrer Stadt und des Gebiets
mit dem
Franzoͤſiſchen Reiche ſei, und daß folglich
alle und jede
Behoͤrde und Einwohner dieſer guten55
Stadt daraus keine
Beſorgniſſe ſchoͤpfen duͤrfen, da
ſowol das oͤffentliche,
als Privat⸗Gut unverletzt er⸗
halten werden
wird.
Gegeben in Unſrer
Rathsverſammlung. Hamburg,
den 30ſten December 1810.60
Brief eines
Dichters an einen anderen.
Mein
theurer Freund!
Juͤngſthin, als ich Dich bei der
Lektuͤre meiner
Gedichte fand, verbreiteteſt Du Dich, mit
außerordent⸗
licher
Beredſamkeit,
Beredſamkeit uͤber die Form,
und unter beifaͤlligen Ruͤckblicken65
uͤber die Schule, nach der ich mich, wie Du voraus⸗
zuſetzen beliebſt, gebildet habe; ruͤhmteſt Du mir auf
eine Art, die mich zu beſchaͤmen geſchickt war, bald
die
Zweckmaͤßigkeit des dabei zum Grunde liegenden
Metrums,
bald den Rhythmus, bald den Reiz des70
Wohlklangs und bald
die Reinheit und Richtigkeit
des Ausdrucks und der
Sprache uͤberhaupt. Erlaube
mir, Dir zu ſagen, daß Dein Gemuͤth hier auf Vor⸗
15zuͤgen verweilt, die ihren
groͤßeſten Werth dadurch be⸗
wieſen haben wuͤrden,
daß Du ſie gar nicht bemerkt75
haͤtteſt. Wenn ich beim Dichten in meinen Buſen
faſſen, meinen Gedanken ergreifen, und mit Haͤnden,
ohne weitere Zuthat, in den Deinigen legen koͤnnte:
ſo waͤre, die Wahrheit zu geſtehn, die ganze innere
Forderung meiner Seele erfuͤllt. Und auch Dir, Freund,80
duͤnkt mich,
bliebe nichts zu wuͤnſchen uͤbrig: dem Dur⸗
ſtigen kommt es, als ſolchem, auf die Schaale nicht
an,
ſondern auf die Fruͤchte, die man ihm darin bringt.
Nur weil der Gedanke, um zu erſcheinen, wie jene
fluͤchtigen, undarſtellbaren, chemiſchen Stoffe, mit
et⸗85
was Groͤberem, Koͤrperlichen, verbunden
ſein muß:
nur darum bediene ich mich, wenn ich mich Dir
mit⸗
theilen will, und nur darum bedarfſt Du,
um mich zu
verſtehen, der Rede, Sprache,
des Rhythmus, Wohl⸗
klangs
Rhythmus, Wohl⸗
klang
u.
ſ. w. und ſo reizend dieſe Dinge
auch, in ſofern
auch,inſofern
90
ſie den Geiſt einhuͤllen, ſein moͤgen, ſo ſind ſie
doch an und
fuͤr ſich, aus dieſem hoͤheren Geſichtspunkt
betrachtet,
nichts, als ein wahrer, obſchon
natuͤrlicher und noth⸗
wendiger Uebelſtand; und
die Kunſt kann, in Bezug
auf ſie, auf nichts gehen, als
ſie moͤglichſt verſchwin⸗95
den zu machen. Ich
bemuͤhe mich aus meinen beſten
Kraͤften, dem Ausdruck
Klarheit, dem Versbau Be⸗
deutung, dem Klang der
Worte Anmuth und Leben
zu geben: aber bloß, damit dieſe
Dinge gar nicht, viel⸗
mehr einzig und allein der
Gedanke, den ſie einſchlies⸗100
ſen, erſcheine. Denn das iſt die
Eigenſchaft aller aͤch⸗
ten Form, daß der Geiſt
augenblicklich und
unmittel⸗
bau
unmittel⸗
bar
daraus
hervorteitt,
hervortritt,
waͤhrend die mangelhafte ihn,
wie ein ſchlechter
Spiegel, gebunden haͤlt, und uns
an nichts erinnert, als
an ſich ſelbſt. Wenn Du mir105
daher, in dem Moment der erſten Empfaͤngniß, die
Form
meiner kleinen, anſpruchloſen Dichterwerke lobſt:
ſo
erweckſt Du in mir, auf natuͤrlichem Wege, die
Beſorgniß, daß darin ganz falſche rhythmiſche und
proſodiſche Reize enthalten ſind, und daß Dein Ge⸗110
muͤth, durch den Wortklang oder den Versbau, ganz
und
gar von dem, worauf es mir eigentlich ankam,
abgezogen
worden iſt. Denn warum ſollteſt Du ſonſt
dem Geiſt, den ich in die Schranken zu rufen bemuͤht
war, nicht Rede ſtehen, und grade wie im Geſpraͤch,115
ohne auf das Kleid meines Gedankens zu achten, ihm
ſelbſt, mit Deinem Geiſte, entgegentreten? Aber dieſe
16 Unempfindlichkeit gegen das
Weſen und den Kern der
Poeſie, bei der, bis zur
Krankheit, ausgebildeten Reiz⸗
barkeit fuͤr das
Zufaͤllige und die Form, klebt Deinem120
Gemuͤth
uͤberhaupt, meine ich, von der Schule an,
aus welcher Du
ſtammſt; ohne Zweifel gegen die Ab⸗
ſicht dieſer
Schule, welche ſelbſt geiſtreicher war, als
irgend eine,
die je unter uns auftrat, obſchon nicht
ganz, bei dem
paradoxen Muthwillen ihrer Lehrart,125
ohne ihre Schuld.
Auch bei der Lectuͤre von ganz
andern Dichterwerken, als der meinigen, bemerke ich,
daß Dein Auge, (um es Dir mit einem Sprichwort
zu ſagen) den Wald vor ſeinen Baͤumen nicht ſieht.
Wie nichtig oft, wenn wir den Shakespear zur Hand 130
nehmen, ſind die Intereſſen, auf welchen Du mit
Deinem Gefuͤhl verweilſt, in Vergleich mit den gro⸗
ßen, erhabenen, weltbuͤrgerlichen, die
vielleicht nach
der Abſicht dieſes herrlichen Dichters
in Deinem
Herzen anklingen ſollten! Was kuͤmmert mich, auf den135
Schlachtfeldern von Agincourt, der Witz der Wort⸗
ſpiele, die darauf gewechſelt werden; und wenn Ophe⸗
lia vom Hamlet ſagt: „welch ein edler Geiſt ward
hier zerſtoͤrt!“ — oder Macduf vom Macbeth:
„er
„er hat
keine Kinder!“ — Was
liegt an Jamben, Reimen,140
Aſſonanzen und dergleichen
Vorzuͤgen, fuͤr welche
dein Ohr ſtets, als gaͤbe es gar
keine andere, geſpitzt
iſt? —
Lebe wohl!
Vor »Lebe wohl!« Absatzeinfügung
N y.
Kalender⸗Betrachtung.145
den
10ten Maͤrz
1810.
1811.
Im vorigen Jahre waren keine
ſichtbaren Son⸗
nen⸗ oder Mond⸗Finſterniſſe; alſo
ſeit ungewoͤhnlich
langer Zeit die erſte faͤllt auf den
Geburtstag unſrer
unvergeßlichen Koͤniginn. Der Mond, der an dieſem150
Tage das
Zeichen der Jungfrau verlaͤßt, wird in der
ſechſten
Morgenſtunde (die auch ihre Todesſtunde war)
verfinſtert, und geht in der Verfinſterung unter. —
Uebrigens iſt es Sonntag.