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Berliner Abendblaͤtter.
69tes Blatt. Den 19ten December 1810.
Andenken eines trefflichen Deutſchen Mannes und tiefſinnigen Kuͤnſtlers.
Otto Runge, Mahler in Hamburg, ſtarb im November an einer Bruſtkrankheit, deren Beſchwerden er viele Monate lang mit chriſtlicher Ergebenheit ertragen hatte. So unendlich viel ſeine Angehoͤrigen und Freunde mit ihm verloren haben, ſo tauſchen ſie dennoch gern den Hoffnungsloſen Schmerz, den herrlichen Menſchen huͤlfloß leiden zu ſehn, mit den ruhigeren Traͤhnen um ſeinen Tod, und goͤnnen ihn dem Himmel, der ihn mit tiefſinniger Kunſt geſegnet hatte, mehr, als dem Leben, in welchem ihn die Trefflichſten und Unſchuldigſten erkannten, und liebten. Seine vier Simboliſchen Blaͤtter, die Tagszeiten in Umrißen darſtellend, ſind denkenden Kunſtfreunden ſich ewig neu erklaͤrend, und unbefangenen Liebhabern von bedeutender Lieblichkeit und Wahrheit; Goͤrres hat ſie in den Heidelberger Jahrbuͤchern mit dem Wiederſchein ſeiner eignen Begeiſterung zu beleuchten verſucht. Sie waren, ſo viel mir bekannt, zu Gemaͤhlden beſtimmt, und mit erfunden, ſeine fruͤheren Anſichten von den Farben zu beurkunden, die er ſpaͤter veraͤndert und in ſeinem einfachen geiſtvollen Werke uͤber die Farbenkugel (Hamburg bei Perthes) mit den Ideen ſeines Freundes Steffens begleitet der Welt vor Augen gelegt. Außer dieſen Arbeiten ſind mir als von ihm erſchienen nur noch bekannt, ſeine Umſchlaͤge zu dem Hamburger Theatraliſchen Almanach 1810, dem Bekerſchen Almanach 1811, und dem Vaterlaͤndiſchen Muſeum, wie auch ſeine Vignetten zu Tiecks Minneliedern. Wie ſehr auch ſolchen Verzierungen gewoͤhn 272lich mit hergebrachten willkuͤhrlich zuſammengefaͤdelten Sinnbildlichkeiten genug gethan zu werden pflegt, ſo hat Runge doch zuerſt gezeigt daß die Arabeske eine Hieroglyphe iſt, und ihre Verknuͤpfung eine eben ſo tiefſinnige Bilderſprache der ſtummen mahlenden Poeſie, als das Werk der Poeſie ſelbſt eine geſprochene ſein ſoll, und von Allem, deſſen Rand er mit ſeiner kunſtreichen Hand geſchmuͤckt hat, kann geſagt werden, es verſteht ſich am Rande, ſollte es ſich im Innern ſelbſt gleich nicht immer verſtehen; ja ich moͤgte alles, was ich von ihm geſehen, geleſen, was er mir ſelbſt ſchriftlich ausgeſprochen, was mir Freunde von ihm geſagt, was ich von ihm glaubte, hoffte und liebte, alles dies moͤgte ich eine ſolche, deutende, in anſpruchloſer Zierlichkeit tiefſinnige Randzeichnung in ſeiner Geſinnung, um das eigentliche Weſen der Kunſt, die uns verlohren iſt, und die er in ſich abgeſpiegelt fand, nennen. Ich erwaͤhne noch als erſchienen von ihm, ſeine von Gubitz geſchnittene Stempel zu den vier Koͤnigen Damen und Buben fuͤr eine Hamburger Kartenfabrik. Ich habe nie etwas Fantaſtiſcheres, Geiſtreicheres geſehen, als den weiſen, begeiſterten, romantiſch koͤniglichen Ausdruck dieſer Koͤnigskoͤpfe, die biſarre galante, reitzende Koketterie der Damenbilder, und die Abendtheuerliche, kecke, treue und gluͤcksritterliche Haltung der Buben, und doch ſchienen es nur Karten, doch waren es nur leichte loſe Zeichen eines ſpielenden Gluͤcks; denn das Kunſtwerk iſt wie die Natur, die ohne aufzufallen ſich ſelbſt bedeutet, das heißt, Alles, und ſo waren Runges Arbeiten auch. Goͤthe, der ſtille thaͤtige Heger und Pfleger alles Trefflichen, das er durch ſich ſelbſt immer dargeſtellt, hat unſern Runge und ſeine Werke immer geliebt, und ſeiner Achtung fuͤr ihn durch den Abdruck eines Schreibens des Kuͤnſtlers uͤber die Farben in ſeiner Farbenlehre ein ewiges Monument geſetzet. Sein Andenken ſelbſt in aller Wuͤrde zu erhalten geziemet, der beſſeren Nachwelt, 273inſofern ſie ſich mit ſeinen wenigen oͤffentlich gewordenen Arbeiten verſtehend beruͤhrt, und auch dies Wenige iſt hiezu genug, wenn Gott ſie nicht verlaͤßt. — Den Tag nach ſeinem Tode ward ihm ein Kind zum Leben gebohren, und ſo hat ſelbſt die Natur, die ihn liebte, ſeinen Verluſt auf die ruͤhrendſte Weiſe feiern wollen, moͤge dies Kind, nie auf Erden etwas vermiſſen, als ſeinen Vater! Beſſeres vermag ich ihm und dem Leben nicht zu wuͤnſchen, da er geſtorben. —
Du Herrlicher! den kaum die Zeit erkannt, Der wie ein ſchuldlos Kind Begeiſtert fromm die treue keuſche Hand Nach Gottes Flamme ſtreckte, Der fuͤr das Eitle blind Ohn umzuſchaun zur Wiege alter Kunſt Durch neuer Luͤge Goͤtzentempel drang, Und ſtillanſchaund die Goͤttliche erweckte. Sie laͤchelte und nannte dich den Ihren, Der ihr die irrdſchen Kraͤnze ſo bedeutend ſchlang Und wollte dich, mit ihr zu triumphiren Zum ſeelgen Born von allem Lichte fuͤhren.
Wer dich geliebt, verſtand den ſchoͤnen Traum, Den du im Himmel traͤumteſt, deſſen Schatten Auf unſrer dunklen Erde lichten Saum Weisſagend niederfiel. — Dein Kuͤnſtlerwerk, es ſchien ein zierlich Spiel, Es rankte blumig auf und betend vor der Sonne Setzſt fromme Kindlein du in ſuͤßer Kelche Wonne; Doch wie im Fruͤhlingstaumel fromm ein Herz Das Siegsgepraͤng des ewgen Gottes ließt, Wie in des Lebens ernſtem Blumenſcherz Dem Schauenden die Tiefe ſich erſchließt, So ſteht, die Schweſter dieſer Suͤndentrunknen Zeit, Vor deinen Bildern glaubend, hoffend, liebend, die Beſchaulichkeit.
274O trauert nicht um ſeinen fruͤhen Tod! Er lebte nicht, er war ein Morgenroth, Das in der Zeiten trauriger Verwirrung Zu fruͤh uns guter Tage Hoffnung bot, Wer dieſer Bluͤthe Fruͤchte konnte ahnen, Der muſte tief bewuſt der eigenen Verirrung, Der eignen Armuth ſich beſchaͤmend mahnen; So mußt auch ich, wenn ich ſein Werk durchdachte, Das wie ein Gottentzuͤckter ſelig lachte, Zu mir, bewegt in ernſter Demuth ſagen: Wie ſollen die Vollendung wir ertragen? Und auf dem Babylon rings ſah ich ragen, Die Kreuze frech, den Helden dran zu ſchlagen.
O trauert nicht um ſeinen fruͤhen Tod! Er lebte nicht, er war ein Abendroth, Verſpaͤtet aus verlornen Paradieſen Ließ taͤuſchend es in unſrer Naͤchte Noth Die Ahndungsreichen Schimmer fließen.
Und wer an ſeinem Grabe eine Nacht In Thraͤnen harrt, bis daß der Tag erwacht, Den ſeines Lebens Morgenſtern verhieß, Der wird, iſt er ein Kind, den Morgen kaum erleben, Iſt er ein frommer Mann, mit ihm, der uns verließ, Im Tode nur zum neuen Tage ſchweben.
Die Zeit, ſie iſt die Nacht, in der wir weinen, Der Vorzeit Traum, er iſt’s, den wir verloren, Der Nachwelt, wird der Tag ihr einſt erſcheinen, Lebt unſer Freund auf ewig — mir iſt er geboren.
Clemens Brentano.