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Andenken eines trefflichen Deutſchen Mannes / und tiefſinnigen Kuͤnſtlers./
Otto Runge, Mahler in Hamburg, ſtarb im Novem/ber an einer Bruſtkrankheit, deren Beſchwerden er / viele Monate lang mit chriſtlicher Ergebenheit ertra/gen hatte. So unendlich viel ſeine Angehoͤrigen und / Freunde mit ihm verloren haben, ſo tauſchen ſie / dennoch gern den Hoffnungsloſen Schmerz, den herr/lichen Menſchen huͤlfloß leiden zu ſehn, mit den ruhi/geren Traͤhnen um ſeinen Tod, und goͤnnen ihn dem / 10 Himmel, der ihn mit tiefſinniger Kunſt geſegnet hatte, / mehr, als dem Leben, in welchem ihn die Trefflichſten / und Unſchuldigſten erkannten, und liebten. Seine / vier Simboliſchen Blaͤtter, die Tagszeiten in Um/rißen darſtellend, ſind denkenden Kunſtfreunden ſich / ewig neu erklaͤrend, und unbefangenen Liebhabern von / bedeutender Lieblichkeit und Wahrheit; Goͤrres hat / ſie in den Heidelberger Jahrbuͤchern mit dem Wieder/ſchein ſeiner eignen Begeiſterung zu beleuchten ver/ſucht. Sie waren, ſo viel mir bekannt, zu Gemaͤhlden / 20 beſtimmt, und mit erfunden, ſeine fruͤheren Anſichten / von den Farben zu beurkunden, die er ſpaͤter veraͤn/dert und in ſeinem einfachen geiſtvollen Werke uͤber / die Farbenkugel (Hamburg bei Perthes) mit den Ideen / ſeines Freundes Steffens begleitet der Welt vor Augen / gelegt. Außer dieſen Arbeiten ſind mir als von ihm / erſchienen nur noch bekannt, ſeine Umſchlaͤge zu dem / Hamburger Theatraliſchen Almanach 1810, dem Be/kerſchen Almanach 1811, und dem Vaterlaͤndiſchen / Muſeum, wie auch ſeine Vignetten zu Tiecks Minne/ 30 liedern. Wie ſehr auch ſolchen Verzierungen gewoͤhn/ 272lich mit hergebrachten willkuͤhrlich zuſammengefaͤdelten / Sinnbildlichkeiten genug gethan zu werden pflegt, ſo / hat Runge doch zuerſt gezeigt daß die Arabeske eine Hie/roglyphe iſt, und ihre Verknuͤpfung eine eben ſo tief/ſinnige Bilderſprache der ſtummen mahlenden Poeſie, / als das Werk der Poeſie ſelbſt eine geſprochene ſein / ſoll, und von Allem, deſſen Rand er mit ſeiner kunſt/reichen Hand geſchmuͤckt hat, kann geſagt werden, es / verſteht ſich am Rande, ſollte es ſich im Innern ſelbſt / 40 gleich nicht immer verſtehen; ja ich moͤgte alles, was / ich von ihm geſehen, geleſen, was er mir ſelbſt ſchrift/lich ausgeſprochen, was mir Freunde von ihm geſagt, / was ich von ihm glaubte, hoffte und liebte, alles dies / moͤgte ich eine ſolche, deutende, in anſpruchloſer Zier/lichkeit tiefſinnige Randzeichnung in ſeiner Geſin/nung, um das eigentliche Weſen der Kunſt, die uns / verlohren iſt, und die er in ſich abgeſpiegelt fand, nen/nen. Ich erwaͤhne noch als erſchienen von ihm, ſeine / von Gubitz geſchnittene Stempel zu den vier Koͤnigen / 50 Damen und Buben fuͤr eine Hamburger Kartenfabrik. / Ich habe nie etwas Fantaſtiſcheres, Geiſtreicheres ge/ſehen, als den weiſen, begeiſterten, romantiſch koͤnig/lichen Ausdruck dieſer Koͤnigskoͤpfe, die biſarre galante, / reitzende Koketterie der Damenbilder, und die Abend/theuerliche, kecke, treue und gluͤcksritterliche Haltung / der Buben, und doch ſchienen es nur Karten, doch / waren es nur leichte loſe Zeichen eines ſpielenden / Gluͤcks; denn das Kunſtwerk iſt wie die Natur, die / ohne aufzufallen ſich ſelbſt bedeutet, das heißt, Alles, / 60 und ſo waren Runges Arbeiten auch. Goͤthe, der / ſtille thaͤtige Heger und Pfleger alles Trefflichen, das / er durch ſich ſelbſt immer dargeſtellt, hat unſern Runge / und ſeine Werke immer geliebt, und ſeiner Achtung / fuͤr ihn durch den Abdruck eines Schreibens des Kuͤnſt/lers uͤber die Farben in ſeiner Farbenlehre ein ewiges / Monument geſetzet. Sein Andenken ſelbſt in aller / Wuͤrde zu erhalten geziemet, der beſſeren Nachwelt, /273inſofern ſie ſich mit ſeinen wenigen oͤffentlich gewor/denen Arbeiten verſtehend beruͤhrt, und auch dies We/ 70 nige iſt hiezu genug, wenn Gott ſie nicht verlaͤßt. — Den / Tag nach ſeinem Tode ward ihm ein Kind zum Leben / gebohren, und ſo hat ſelbſt die Natur, die ihn liebte, / ſeinen Verluſt auf die ruͤhrendſte Weiſe feiern wol/len, moͤge dies Kind, nie auf Erden etwas vermiſſen, / als ſeinen Vater! Beſſeres vermag ich ihm und dem / Leben nicht zu wuͤnſchen, da er geſtorben. — /
Du Herrlicher! den kaum die Zeit erkannt,/ Der wie ein ſchuldlos Kind/ Begeiſtert fromm die treue keuſche Hand/ 80 Nach Gottes Flamme ſtreckte,/ Der fuͤr das Eitle blind/ Ohn umzuſchaun zur Wiege alter Kunſt/ Durch neuer Luͤge Goͤtzentempel drang,/ Und ſtillanſchaund die Goͤttliche erweckte./ Sie laͤchelte und nannte dich den Ihren,/ Der ihr die irrdſchen Kraͤnze ſo bedeutend ſchlang/ Und wollte dich, mit ihr zu triumphiren/ Zum ſeelgen Born von allem Lichte fuͤhren./
Wer dich geliebt, verſtand den ſchoͤnen Traum,/ 90 Den du im Himmel traͤumteſt, deſſen Schatten/ Auf unſrer dunklen Erde lichten Saum/ Weisſagend niederfiel. — / Dein Kuͤnſtlerwerk, es ſchien ein zierlich Spiel,/ Es rankte blumig auf und betend vor der Sonne/ Setzſt fromme Kindlein du in ſuͤßer Kelche Wonne;/ Doch wie im Fruͤhlingstaumel fromm ein Herz/ Das Siegsgepraͤng des ewgen Gottes ließt,/ Wie in des Lebens ernſtem Blumenſcherz/ Dem Schauenden die Tiefe ſich erſchließt,/ 100 So ſteht, die Schweſter dieſer Suͤndentrunknen Zeit,/ Vor deinen Bildern glaubend, hoffend, liebend, die/ Beſchaulichkeit. /
274O trauert nicht um ſeinen fruͤhen Tod!/ Er lebte nicht, er war ein Morgenroth,/ Das in der Zeiten trauriger Verwirrung/ Zu fruͤh uns guter Tage Hoffnung bot,/ Wer dieſer Bluͤthe Fruͤchte konnte ahnen,/ Der muſte tief bewuſt der eigenen Verirrung,/ Der eignen Armuth ſich beſchaͤmend mahnen;/ 110 So mußt auch ich, wenn ich ſein Werk durchdachte,/ Das wie ein Gottentzuͤckter ſelig lachte,/ Zu mir, bewegt in ernſter Demuth ſagen:/ Wie ſollen die Vollendung wir ertragen?/ Und auf dem Babylon rings ſah ich ragen,/ Die Kreuze frech, den Helden dran zu ſchlagen./
O trauert nicht um ſeinen fruͤhen Tod!/ Er lebte nicht, er war ein Abendroth,/ Verſpaͤtet aus verlornen Paradieſen/ Ließ taͤuſchend es in unſrer Naͤchte Noth/ 120 Die Ahndungsreichen Schimmer fließen./
Und wer an ſeinem Grabe eine Nacht/ In Thraͤnen harrt, bis daß der Tag erwacht,/ Den ſeines Lebens Morgenſtern verhieß,/ Der wird, iſt er ein Kind, den Morgen kaum erleben,/ Iſt er ein frommer Mann, mit ihm, der uns verließ,/ Im Tode nur zum neuen Tage ſchweben./
Die Zeit, ſie iſt die Nacht, in der wir weinen,/ Der Vorzeit Traum, er iſt’s, den wir verloren,/ Der Nachwelt, wird der Tag ihr einſt erſcheinen,/ 130 Lebt unſer Freund auf ewig — mir iſt er geboren./
Clemens Brentano.