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Berliner Abendblätter.
53tes Blatt. Den 30ten November 1810.
Bemerkungen über das erste Fragment eines Zuschauers am Tage.
(m. s. das 29te Stück des Abendblatts.)
Nur evidente Sätze, von deren unmittelbaren Anschauung der Beweis an und für sich unzertrennlich ist, haben das Recht als Grundsätze aufzutreten und sich des Beweises zu überheben. Bloße Behauptungen hingegen, weit öfter Resultate eigner Meinung als besonnener Erfahrung und wahren Forschungs⸗Geistes, dürfen es nicht versuchen dem Menschen in der, zugleich so leichten, und so schweren Lebenskunst, Unterricht ertheilen zu wollen. Diese vorläufige Bemerkung sei mir über die bei den Fragmenten eines Zuschauers am Tage gewählte Form gestattet, bevor ich den Inhalt eines derselben mit der Bescheidenheit zu bestreiten wage, auf die des Herrn Verfassers überall durchleuchtende reine Absicht, gerechten Anspruch machen darf.
Die Speculation, so wie sie eben in der gegenwärtigen Zeit, als in sie gehörend, Gestalt gewonnen, wird in jenem Fragment als etwas dem wahren und eigentlichen Leben durchaus nachtheiliges angegeben. Obgleich einige Ausdrücke dahin zu deuten scheinen, als hielte man sie nur dem Grade nach für tadelnswerth, so berechtigen dagegen andere wieder hinlänglich dazu, sie für, auch ihrem Wesen nach, angegriffen zu halten, und es ziemt ihr daher sich gegen die Vorwürfe beider Art, in so fern es der Raum verstattet, zu rechtfertigen.
Völliges Gleichgewicht in einer innigen organischen Wechselwirkung zwischen dem innern und äußern Leben und die Identität desselben, ist die Tendenz jeder in der wahren Richtung unternommenen Speculation und charakterisirt, wie Sie auch unter sich etwa scheinbar abweichen mögen, die bedeutendsten Systeme der neueren Forscher. Der Ausspruch, diese Tendenz nicht darinn wahrgenommen zu haben, würde eine völlig oberflächliche Ansicht des Gegenstandes be 208weisen, dessen Beurtheilung doch nothwendigerweise gründliche Prüfung vorausgehn mußte.
Es kann also die Meinung des Verfassers nur dahin gehen, überhaupt jede Richtung des Menschen auf sein inneres Seyn zu tadeln, und wir müssen daher diesem Tadel dadurch begegnen, daß wir nur überhaupt einen Blick auf das eigentliche Verhältniß des innern Wesens zur That werfen.
So wie überhaupt jedes, so hat auch das menschliche Leben ein unvertilgbares Bestreben sich darzustellen. Zu einer jeden Darstellung aber (durch deren Conflict doch allein dasjenige gebildet wird, welches wir äußres Leben nennen) ist der Künstler, der Stoff, und das vermittelnde Werkzeug erforderlich. Den Stoff beut die Welt, zum Werkzeug muß der Mensch sich selbst zu bilden verstehn. Die Kenntniß des Stoffs an und für sich kann ihm daher nimmer gnügen, noch wird er denselben dadurch zu modifiziren vermögen, sondern er bedarf dazu durchaus eben so der Kenntniß des Werkzeuges, mittelst dessen er darauf wirken will. Je mehr er dieses, dem ganzen Umfang seiner Gebrauchs⸗Fähigkeit nach, erkannt hat, desto allgemeiner und sicherer wird er den innern Gedanken zu Tage zu fördern wissen. Denn so wie der Mensch nur in dem Grade seine Meinung auszudrücken vermag, als er in den Geist der Sprache eingedrungen ist, eben so wird er eigenthümliche (nicht bloß nachgeahmte und sich dadurch selbst vernichtende) große Handlungen, nur aus einem erforschten und geprüften Sinn zu vollbringen im Stande sein. Eine nur durch äußeres Bedürfniß hervorgebrachte Sprache, würde auch niemals den Kreis desselben überschreiten, und ohne geschichtliches Daseyn, die Menschheit alsdann gleich den Thieren nichts anders sein als eine Summe unter sich unzusammenhängender Geschlechter.
Gegen den Grad der Verbreitung des allgemeinen Forschungsgeistes kann unmöglich des Verfassers Absicht ernsthaft gerichtet sein, denn indem er sich dem Beruf als Schriftsteller zu erscheinen hingab, hat er gewiß die Unbesiegbarkeit, jener sich mit strenger Nothwendigkeit aus dem Daseyn organisch entwickelnden Kraft zu tief empfunden, um an die Möglichkeit ihrer Beschränkung und an ihre Sperrbarkeit zu glauben. Da die Natur unfähig ist, still zu stehn, so heißt, in welcher Richtung es auch geschehn möge, sie aufhalten, auch zugleich ihre Vernichtung wollen, welche eben so wenig eintreten, als sie selbst sich irgend eine willkühr209liche Richtung von der schwachen Hand des Menschen gefallen lassen wird. Was übrigens der Art nach wahrhaft löblich, oder wahrhaft tadelnswerth ist, muß es auch überall und in allen Potenzen bleiben.
(Beschluß folgt.)
Berichtigung.
In den Theaterartikeln der Spenerschen und Vossischen Zeitungen scheint man die Behauptung aufzustellen, als wenn Mslle. Beck die Rolle der Jungfrau von Orleans mit Hülfe der Mad. Schütz einstudirt und ganz nach ihrer Anleitung und ihrem Vorbild ausgeführt habe. Dies ist aber gar nicht der Fall. Mslle. Beck hat hier zum erstenmal diese Rolle gespielt und erst hier einstudirt und wenn ein so junges Talent hier und da eines Fingerzeigs zur richtigen Einsicht in die Rolle bedurfte, so kann man wohl errathen, wer diese Fingerzeige gegeben hat. So wahr es übrigens sein mag, daß Mslle. Beck in manchen Stellen an Mad. Schütz erinnert, so unbegreiflich ist es doch, wie man ihre von Anfang bis zu Ende freie und lebendige Darstellung, sowie die ganze Beschaffenheit, den Umfang ihrer Töne, und den Gebrauch, den sie davon macht — ähnlich mit der so ungleichen, bald kräftigen, bald matten, hier mächtig ergreifenden, dort wahrhaft widrig werdenden Spielweise der Mad. Schütz finden kann.
Anekdote.
Ein Kapuziner begleitete einen Schwaben bei sehr regnigtem Wetter zum Galgen. Der Verurtheilte klagte unterwegs mehrmal zu Gott, daß er, bei so schlechtem und unfreundlichem Wetter, einen so sauren Gang thun müsse. Der Kapuziner wollte ihn christlich trösten und sagte: du Lump, was klagst du viel, du brauchst doch bloß hinzugehen, ich aber muß, bei diesem Wetter, wieder zurück, denselben Weg. — Wer es empfunden hat, wie öde Einem, auch selbst an einem schönen Tage, der Rückweg vom Richtplatz wird, der wird den Ausspruch des Kapuziners nicht so dumm finden.
Bülletin der öffentlichen Blätter.
London den 10ten Nov.
Wie man versichert, ist es im Werk, Lord Sydmoth (Hr. Addington) und seine Freunde, wieder ins Ministerium zu bringen. Demselben soll, im geheimen Rath, die Stelle des Lord Camden zugedacht sein.
(L. d. B.)
Hauptq. Xeres den 27ten Oct.
Eine Haubitzgranate, die aus den englischen Schiffen in die Werke von Cadix geworfen ward, hat den Div. General, Chef der Artillerie der Armee, Hr. Senarmont, und mit ihm zugleich den Obersten Degennes, General⸗Director des Artillerie⸗Parks, und den Cap. Pinondelle, beide ausgezeichnete Officiere, zu Boden geworfen und getödtet. Das Herz des Hrn. Generals wird einbalsamirt und nach Frankreich gebracht werden. (Mon.)
Venedig den 3ten Nov.
Der hiesige Schiffahrts⸗Magistrat hat, wegen einer, in Spanien sich verbreiteten, ansteckenden Krankheit, äußerst geschärfte Verordnungen wegen der Contumaz für alle Spanischen Häfen erlassen. (L. d. B.)
Preßburg den 16ten Nov.
Nach einer 5 – 6 wöchentlichen Belagerung hat sich die Türkische Besatzung von Widdin, unter Pascha Molla Aga dem russ. Gen. Graf. Kamenskoy, mit Capitul. ergeben. (L. d. B.)
Copenhagen, d. 21. Nov.
Nach officiellen Nachrichten aus Schweden, Stockholm, den 18ten d. ist der Krieg an England erklärt worden. (L. d. B.)
London, d. 14. Nov.
Bei der Armee von Portugal war bis zum 1sten Nov. durchaus nichts vorgefallen. Die Franzosen und Engländer hatten noch ihre alte Stellung. Der König von England befindet sich in fortdauernder Besserung. Der ehemalige König Gustav Adolph war zu Yarmouth angekommen. (L. d. B.)
Ruß. Gränze, d. 15. Nov.
Es verbreitet sich das Gerücht, daß der Friede zwischen Rußland und der Türkei zu Stande gekommen, und der Graf Italinsky bereits zu seinem Gesandschaftsposten nach Constantinopel abgereis’t sei.
(L. d. B.)