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Bemerkungen uͤber das erſte Fragment eines
Zuſchauers am Tage.
(m. ſ. das 29te Stuͤck des
Abendblatts.)
Nur evidente Saͤtze, von deren
unmittelbaren An⸗
ſchauung der Beweis an
und fuͤr ſich unzertrennlich 5
iſt, haben das
Recht als Grundſaͤtze aufzutreten und
ſich des
Beweiſes zu uͤberheben. Bloße
Behauptun⸗
gen hingegen, weit oͤfter
Reſultate eigner Meinung
als beſonnener
Erfahrung und wahren Forſchungs⸗Gei⸗
ſtes, duͤrfen es nicht verſuchen dem Menſchen in der, 10
zugleich ſo leichten, und ſo ſchweren
Lebenskunſt, Un⸗
terricht ertheilen zu
wollen. Dieſe vorlaͤufige Bemer⸗
kung ſei mir uͤber die bei den
Fragmenten eines Zu⸗
ſchauers am Tage
gewaͤhlte Form geſtattet, bevor ich
den Inhalt
eines derſelben mit der Beſcheidenheit zu 15
beſtreiten wage, auf die des Herrn Verfaſſers uͤberall
durchleuchtende reine Abſicht, gerechten
Anſpruch
machen darf.
Die Speculation, ſo
wie ſie eben in der gegen⸗
waͤrtigen
Zeit, als in ſie gehoͤrend, Geſtalt gewonnen, 20
wird in jenem Fragment als etwas dem wahren und
eigentlichen Leben durchaus nachtheiliges
angegeben.
Obgleich einige Ausdruͤcke dahin zu deuten ſcheinen,
als hielte man ſie nur dem Grade nach fuͤr
tadelns⸗
werth, ſo berechtigen
dagegen andere wieder hinlaͤng⸗25
lich
dazu, ſie fuͤr, auch ihrem Weſen nach, angegriffen
zu halten, und es ziemt ihr daher ſich gegen
die Vor⸗
wuͤrfe beider Art, in ſo fern
es der Raum verſtattet,
zu
rechtfertigen.
Voͤlliges
Gleichgewicht in einer innigen organi⸗30
ſchen Wechſelwirkung zwiſchen dem innern und aͤußern
Leben und die Identitaͤt deſſelben, iſt die
Tendenz je⸗
der in der wahren Richtung
unternommenen Specu⸗
lation und
charakteriſirt, wie Sie auch unter ſich et⸗
wa ſcheinbar abweichen moͤgen, die bedeutendſten 35
Syſteme der neueren Forſcher. Der Ausſpruch,
dieſe
Tendenz nicht darinn wahrgenommen zu
haben, wuͤrde
eine voͤllig oberflaͤchliche
Anſicht des Gegenſtandes be⸗
[ 53 ]
208weiſen, deſſen
Beurtheilung doch nothwendigerweiſe
gruͤndliche
Pruͤfung vorausgehn mußte.40
Es kann alſo die
Meinung des Verfaſſers nur
dahin gehen,
uͤberhaupt jede Richtung des Menſchen
auf ſein
inneres Seyn zu tadeln, und wir muͤſſen da⸗
her dieſem Tadel dadurch begegnen, daß wir nur
uͤber⸗
haupt einen Blick auf das
eigentliche Verhaͤltniß des 45
innern Weſens zur
That werfen.
So wie uͤberhaupt
jedes, ſo hat auch das menſch⸗
liche
Leben ein unvertilgbares Beſtreben ſich darzu⸗
ſtellen. Zu einer
jeden Darſtellung aber (durch deren
Conflict
doch allein dasjenige gebildet wird, welches 50
wir aͤußres Leben nennen) iſt der Kuͤnſtler, der Stoff,
und das vermittelnde Werkzeug erforderlich.
Den Stoff
beut
die Welt, zum Werkzeug muß der Menſch ſich
ſelbſt zu bilden verſtehn. Die
Kenntniß des Stoffs
an und fuͤr ſich kann ihm
daher nimmer gnuͤgen, noch 55
wird er denſelben
dadurch zu modifiziren vermoͤgen,
ſondern er
bedarf dazu durchaus eben ſo der Kenntniß
des
Werkzeuges, mittelſt deſſen er darauf wirken will.
Je mehr er dieſes, dem
ganzen Umfang ſeiner Ge⸗
brauchs⸗Faͤhigkeit nach, erkannt hat, deſto allgemeiner 60
und ſicherer wird er den innern Gedanken zu
Tage
zu foͤrdern wiſſen. Denn ſo wie der Menſch nur in
dem Grade ſeine Meinung auszudruͤcken vermag,
als
er in den Geiſt der Sprache eingedrungen
iſt, eben
ſo wird er eigenthuͤmliche (nicht
bloß nachgeahmte und 65
ſich dadurch ſelbſt
vernichtende) große Handlungen,
nur aus einem
erforſchten und gepruͤften Sinn zu
vollbringen
im Stande ſein. Eine nur durch
aͤußeres
Beduͤrfniß hervorgebrachte Sprache,
wuͤrde
anch
auch
nie⸗
mals den Kreis deſſelben
uͤberſchreiten, und ohne ge⸗70
ſchichtliches Daſeyn, die Menſchheit alsdann gleich den
Thieren nichts anders ſein als eine Summe
unter ſich
unzuſammenhaͤngender
Geſchlechter.
Gegen den Grad der
Verbreitung des allgemeinen
Forſchungsgeiſtes
kann unmoͤglich des Verfaſſers Abſicht 75
ernſthaft gerichtet ſein, denn indem er ſich dem Beruf
als Schriftſteller zu erſcheinen hingab, hat er
gewiß
die Unbeſiegbarkeit, jener ſich mit
ſtrenger Nothwendig⸗
keit aus dem Daſeyn
organiſch entwickelnden Kraft zu
tief
empfunden, um an die Moͤglichkeit ihrer Beſchraͤn⸗80
kung und an ihre Sperrbarkeit zu glauben. Da die
Natur unfaͤhig
iſt, ſtill zu ſtehn, ſo heißt, in welcher
Richtung es auch geſchehn moͤge, ſie aufhalten, auch
zugleich ihre Vernichtung wollen, welche eben
ſo we⸗
nig eintreten, als ſie ſelbſt
ſich irgend eine willkuͤhr⸗85
209liche Richtung von
der ſchwachen Hand des Menſchen
gefallen laſſen
wird. Was uͤbrigens der Art nach
wahrhaft loͤblich, oder wahrhaft tadelnswerth
iſt, muß
es auch uͤberall und in allen Potenzen
bleiben.
(Beſchluß folgt.)90
Berichtigung.
In den Theaterartikeln
der Spenerſchen und Voſ⸗
ſiſchen
Zeitungen ſcheint man die Behauptung aufzu⸗
ſtellen, als wenn Mſlle. Beck die Rolle der Jungfrau
von
Orleans mit Huͤlfe der Mad. Schuͤtz einſtudirt 95
und
ganz nach ihrer Anleitung und ihrem Vorbild
ausgefuͤhrt habe. Dies iſt aber
gar nicht der Fall. Mſlle.
Beck hat hier zum erſtenmal dieſe Rolle geſpielt
und
erſt hier einſtudirt
und wenn ein ſo junges
Talent hier und da eines Fingerzeigs zur
richtigen 100
Einſicht in die Rolle bedurfte, ſo kann man wohl
errathen, wer dieſe Fingerzeige gegeben hat. So
wahr es uͤbrigens
ſein mag, daß Mſlle. Beck in man⸗
chen Stellen an Mad.
Schuͤtz erinnert, ſo unbe⸗
greiflich
iſt es doch, wie man ihre von
Anfang bis 105
zu Ende freie und
lebendige Darſtellung, ſowie
die ganze Beſchaffenheit, den Umfang ihrer Toͤ⸗
ne, und den
Gebrauch, den ſie davon macht —
aͤhnlich mit der ſo
ungleichen, bald kraͤftigen, bald
matten, hier maͤchtig
ergreifenden, dort
wahrhaft 110
widrig werdenden Spielweiſe der Mad.
Schuͤtz finden
kann.
Anekdote.
Ein Kapuziner
begleitete einen Schwaben bei ſehr
regnigtem
Wetter zum Galgen.
Der Verurtheilte 115
klagte
unterwegs mehrmal zu Gott, daß er, bei
ſo
ſchlechtem und unfreundlichem Wetter, einen ſo
ſauren Gang thun muͤſſe. Der
Kapuziner wollte ihn
chriſtlich troͤſten und
ſagte: du Lump, was klagſt du
viel, du
brauchſt doch bloß hinzugehen, ich aber muß, 120
bei dieſem Wetter, wieder zuruͤck, denſelben Weg. —
Wer es empfunden
hat, wie oͤde Einem, auch ſelbſt
an einem
ſchoͤnen Tage, der Ruͤckweg vom Richtplatz
wird, der wird den Ausſpruch des Kapuziners nicht
ſo dumm finden.125
Buͤlletin der oͤffentlichen Blaͤtter.
London den 10ten Nov.
Wie man verſichert,
iſt es im Werk, Lord Syd⸗
moth (Hr. Addington)
und ſeine Freunde, wieder ins
Miniſterium zu
bringen. Demſelben ſoll, im geheimen
130
Rath, die Stelle des Lord Camden zugedacht
ſein.
(L. d. B.)
Hauptq. Xeres den 27ten
Oct.
Eine Haubitzgranate,
die aus den engliſchen Schif⸗
fen in
die Werke von Cadix geworfen
ward, hat den 135
Div. General, Chef der
Artillerie der Armee, Hr.
Senarmont, und mit ihm zugleich
den Oberſten De⸗
gennes, General⸗Director des
Artillerie⸗Parks, und
den Cap. Pinondelle, beide
ausgezeichnete Officiere, zu
Boden geworfen
und getoͤdtet. Das Herz des Hrn.
Ge⸗140
nerals wird einbalſamirt und
nach Frankreich ge⸗
bracht werden.
(Mon.)
Venedig den 3ten Nov.
Der hieſige
Schiffahrts⸗Magiſtrat hat, wegen ei⸗
ner, in Spanien ſich
verbreiteten, anſteckenden Krank⸗145
heit,
aͤußerſt geſchaͤrfte Verordnungen wegen der Contu⸗
maz fuͤr alle Spaniſchen Haͤfen
erlaſſen. (L. d. B.)
Preßburg den 16ten Nov.
Nach einer 5 – 6
woͤchentlichen Belagerung hat
ſich die
Tuͤrkiſche Beſatzung von Widdin, unter Pa⸗150
ſcha
Molka
Molla
Aga dem ruſſ. Gen. Graf. Kamenskoy, mit
Capitul. ergeben. (L. d. B.)
Copenhagen, d. 21. Nov.
Nach officiellen
Nachrichten aus Schweden,
Stock⸗
holm, den 18ten d. iſt der Krieg an England erklaͤrt 155
worden. (L. d. B.)
London, d. 14. Nov.
Bei der Armee von
Portugal war bis zum
1ſten
Nov. durchaus nichts vorgefallen. Die Franzoſen und
Englaͤnder hatten noch ihre alte Stellung. Der Koͤ⸗160
nig von
England befindet ſich in fortdauernder Beſ⸗
ſerung. Der ehemalige Koͤnig Guſtav
Adolph war zu
Parmouth
Yarmouth
angekommen. (L. d. B.)
Ruß. Graͤnze, d. 15. Nov.
Es verbreitet ſich das
Geruͤcht, daß der Friede 165
zwiſchen Rußland und der Tuͤrkei zu Stande gekom⸗
men, und der Graf Italinsky bereits zu
ſeinem Ge⸗
ſandſchaftspoſten nach
Conſtantinopel
abgereiſ’t ſei.
(L. d. B.)