[213] An Wilhelm Prinz von Preußen, d. 20. Mai 1811
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Ew. Königlichen Hoheit nehme ich mir, im herzlichen und ehrfurchtsvollen Vertrauen auf die mir, ſeit früher Jugend, bei manchen Gelegenheiten erwieſene, höchſte Huld und Gnade, die Freiheit, folgenden ſonderbaren und für mich bedenklichen Vorfall, der kürzlich zwiſchen Sr. Excellenz, dem HE. Staatskanzler, Frh. v. Hardenberg und mir, ſtatt [DKV IV 486] gefunden hat, vorzutragen. Der Wunſch, gnädigſter Fürſt und Herr, den ich willends bin, dem [SE:1993 II 863] Schluß meines gehorſamſten Berichts anzuhängen, wird nichts Unedelmüthiges und Unbeſcheidenes enthalten; meine Sache iſt ganz in der Ordnung, und vielleicht bedarf es nichts, als einer Wahrnehmung des Staatskanzlers, daß Ew. Königliche Hoheit von dem ganzen Zuſammenhang der Sache unterrichtet ſind, um mir eine, meiner gerechten Forderung völlig angemeſſene, Entſcheidung bei ihm auszuwirken. Der Fall, in welchem ich Ew. Königliche Hoheit um Ihre gnädigſte Protection bitte, iſt dieſer.
[2] [BKA IV/3 613] [Heimböckel:1999 (Reclam) 480]In dem von mir, von October vorigen Jahres bis Aprill des jetzigen, herausgegebenen Berliner Abendblatt, hat ein, ganz im Allgemeinen die Grundſätze der Staatswirthſchafft unterſuchender Aufſatz geſtanden, der das Unglück gehabt hat, Sr. Excellenz, dem HE. Staatskanzler, zu misfallen. Sr. Excellenz veranlaßten, von der einen Seite, ein Cenſurgeſetz, welches die Fortdauer des Blattes, in dem Geiſte, der ihm eigen war, äußerſt erſchwerte, ja faſt unmöglich machte; und von der anderen Seite ließen Dieſelben mir mündlich, durch den damaligen Präſidenten der Polizei, HE. Gruner, die Eröffnung ma[MA II 971] chen, daß man das Blatt mit Geld unterſtützen wolle, wenn ich mich entſchließen könne, daſſelbe ſo, wie es den Intereſſen der Staatskanzlei gemäß wäre, zu redigiren. Ich, deſſen Abſicht keineswegs war, den Maasregeln Sr. Excellenz, deren Zweckmäßigkeit ſich noch gar nicht beurtheilen ließ, mit beſtimmten Beſtrebungen in den Weg zu treten, gieng nun zwar in den mir gemachten Vorſchlag ein; leiſtete aber, aus Gründen, die ich Ew. Königl. Hoheit nicht auseinander zu ſetzen brauche, ehrfurchtsvoll auf die Geldvergütigung Verzicht, und bat mir bloß, zu einiger Entſchädigung, wegen dargebrachten Opfers der Popu [3] [BKA IV/3 614] larität, und dadurch vorauszuſehenden höchſt verminderten Abſatz des Blattes, die Lieferung officieller Beiträge, von den Chefs der oberſten Landesbehörden, aus. Denn dieſe, wenn ſie mit Einſicht und ſo, daß ſie das Publicum intereſſirten, gewählt wurden, konnten, auf [DKV IV 487] gewiſſe Weiſe, einen jenen Verluſt wieder aufhebenden und compenſirenden Geldwerth für mich haben. Auf dieſe Begünſtigung wollte ſich jedoch HE. Regierungsrath v. Raumer, mit dem ich jetzt auf Befehl Sr. Excellenz unterhandelte, nicht einlaſſen; er zeigte mir, in ſehr verlegenen Wendungen, wie die dadurch an den Tag kommende Abhängigkeit von der Staatskanzlei, dem Blatt alles Vertrauen des [SE:1993 II 864] Publicums rauben würde, und gab mir zu verſtehen, daß auch die Penſion, von welcher mir Sr. Excellenz bereits ſelbſt mündlich geſprochen hatten, mir nur unter der Be[Heimböckel:1999 (Reclam) 481] dingung, daß davon nichts zur Kenntniß des Publicums käme, gezahlt werden könne. Bald darauf, da ich mit gänzlichem Stillſchweigen über dieſen Punct, der mir, ſo vorgetragen, gänzlich verwerflich ſchien, auf die mir von Sr. Excellenz gleichfalls verſprochenen officiellen Beiträge, als welche allein in dem Kreis meiner Wünſche lagen, beſtand: hielt HE. v. Raumer es für das Beßte, alle Verhandlungen mit mir, in einem höflichen Schreiben, gänzlich abzubrechen. [4] [BKA IV/3 617] Nun wäre mir zwar dieſer Umſtand völlig gleichgültig geweſen, wenn man mir erlaubt hätte, das Blatt, mit gänzlicher Freiheit der Meinungen, ſo, wie Ehrfurcht vor das beſtehende Geſetz ſie, bei einer liberalen Ordnung der Dinge, zu äußern geſtatten, fortzuführen. Da aber die Cenſurbehörde, durch die willkührlichſten und unerhörteſten Maasregeln (wofür ich mir den Beweis zu führen getraue) das Blatt, deſſen tägliche [MA II 972] Erſcheinung nur mit der größten Anſtrengung erzwungen werden konnte, ganz zu vernichten drohte: ſo erklärte ich, daß wenn ich nicht derjenigen Freiheit, die alle übrigen Herausgeber öffentlicher Blätter genöſſen, theilhaftig würde, ich mich genöthigt ſehen würde, mir im Ausland einen Verleger für dieſes Wochenblatt aufzuſuchen. Auf dieſe Erklärung willigten, in einer ganz unerwarteten Wendung, Sr. Excellenz, der HE. Staatskanzler, plötzlich in meinen vorigen, ſchon ganz aufgegebenen Wunſch; Wunſch; Dieſelben ließen mir durch HE. v. Raumer melden, daß ſie, wegen Lieferung der officiellen Beiträge, das Nöthige an die Chefs der reſp. Departementer, erlaſſen [DKV IV 488] hätten; und ich, der in eine ſolche Zuſage kein Mistrauen ſetzen konnte, ſchloß mit meinem Buchhändler einen Contract für das laufende Jahr auf 800 Thl. Thl Thl Pr. Cour. Honorars ab. Dem gemäß veränderte nun, in der That wenig zu meiner [5] [BKA IV/3 618] Freude, das Blatt ſeinen ganzen Geiſt; alle, die Staatswirthſchafft betreffenden, Aufſätze giengen unmittelbar zur Cenſur der Staatskanzlei, HE. v. Raumer deutete mir, in mündlichen und ſchriftlichen Eröffnungen, mehrere Gedanken an, deren Entwickelung der Staatskanzlei angenehm [Heimböckel:1999 (Reclam) 482] ſein würde, und der Präſident der Polizei, HE. Gruner, ſchickte ſelbſt einen Aufſatz, unabhängig von meiner Meinung darüber, zur Inſertion in das Blatt ein. Inzwiſchen [SE:1993 II 865] machte ich, zu meiner großen Beſtürzung, gar bald die Erfahrung, daß man in meinen Vorſchlag bloß gewilligt hatte, um des Augenblicks mächtig zu werden, und um der Herausgabe des Blattes im Auslande, von welcher ich geſprochen hatte, zuvorzukommen. Denn die officiellen Beiträge blieben von den reſp. Staatsbehörden gänzlich aus, und auf mehrere Beſchwerden, die ich deshalb bei HE. v. Raumer führte, antwortete derſelbe weiter nichts, als daß es den Chefs der Departements wahrſcheinlich an ſchicklichen und paſſenden Materialien fehle, um mich damit zu verſorgen. Da nun das Blatt durch dieſen Umſtand, der das Publicum gänzlich in ſeiner Erwartung täuſchte, allen Abſatz verlor und ſchon, beim Ablauf des erſten Viertelsjahrs, Vierteljahrs, Vierteljahrs, ſowohl aus dieſem Grunde, als wegen des dem Publico wenig analogen Geiſtes, den ihm die Staatskanzlei einprägte, gänzlich zu Grunde gieng: ſo zeigte ich [6] [BKA IV/3 621] Sr. Excellenz, dadurch in die größte Verlegenheit geſtürzt, an, daß ich zwar zu Anfange [MA II 973] auf jede Geldvergütigung Verzicht geleiſtet, daß ich aber nicht umhin könnte, ihn wegen jenes, ganz allein durch die Staatskanzlei veranlaßten, Verluſtes meines jährlichen Einkommens, worauf meine Exiſtenz gegründet geweſen wäre, um eine Entſchädigung zu bitten. Aber wie groß war mein Befremden, als ich von der Staatskanzlei ein äußerſt ſtrenges Schreiben empfieng, worin man mir, gleich einem unbeſcheidnen [DKV IV 489] Menſchen, unter der Andeutung, daß mein Vorgeben, ein Geldanerbieten von ihr, Behufs einer den Intereſſen derſelben gemäßen Führung des Blattes, empfangen zu haben, äußerſt beleidigend ſei, mein Entſchädigungsgeſuch rund abſchlug! Bei dieſer Sache war ich von mancher Seite zu ſehr intereſſirt, als daß ich mich mit dieſem Beſcheid hätte beruhigen ſollen. Sr. Excellenz, der HE. Staatskanzler, der den Brief unterſchrieben hatte, konnten [Heimböckel:1999 (Reclam) 483] zwar, wie ich begriff, bei der Menge der ihnen obliegenden Geſchäffte, die Äußerungen, die ſie Sie mir ſelbſt mündlich gemacht hatten, vergeſſen haben; da ich aber keinen Grund hatte, ſo etwas bei demjenigen, der dieſen Brief entworfen hatte, welches HE. v. Raumer war, vorauszuſetzen: ſo bat ich mir von demſelben, wie Männer von Ehre in ſolchen Fällen zu thun pflegen, eine gefällige Erklärung über die Eröffnungen aus, die er mir im Namen Sr. Excellenz, des HE. Staatskanzlers, [7] [BKA IV/3 622] gemacht hatte. Ja, auf das Antwortſchreiben HE. v. Raumers, wel[SE:1993 II 866] ches unbeſtimmt und unbedeutend war und nichts, als einige diplomatiſche Wendungen enthielt: wiederholte ich noch einmal mein Geſuch, und bat mir, binnen zweimal vier und zwanzig Stunden, mit Ja oder Nein, eine Antwort aus. Auf dieſen Schritt ſchickte HE. v. Raumer mir den Geh. Ob. Poſtrath Piſtor ins Haus, um ſich näher nach den Gründen, worauf ich meine Forderung ſtütze, zu erkundigen; und da derſelbe aus meinen Papieren fand, daß auch ſchon der Staatsrath Gruner mir im Namen Sr. Excellenz ein Geldanerbieten gemacht hatte: ſo erſchien bald darauf, zur Beilegung dieſer Sache, ein Schreiben von Sr. Excellenz, dem HE. Staatskanzler, worin dieſelben, nach beſſerer Erwägung der Sache, wie es hieß, mein Recht, eine Entſchädigung zu fordern, eingeſtanden. Inzwiſchen wollte man ſich, aus welchen Gründen weiß ich nicht, auf keine unmittelbare Vergütigung einlaſſen; man ließ mir durch den Geh. Rath Piſtor zu erkennen geben, daß [MA II 974] man die Abſicht habe, mir, zur Entſchädigung wegen des gehabten Verluſtes, die Redaction des churmärkiſchen Departementsblatts zu übertragen. Gleichwohl, mein gnädigſter [DKV IV 490] Fürſt und Herr, als ich den Staatskanzler, bei der bald darauf erfolgten Einrichtung dieſes Blattes, um die Redaction deſſelben bat: ſchlug er mir dieſelbe nicht nur, unter dem allgemeinen, [8] [BKA IV/3 625] und völlig grundloſen Vorgeben, daß ſie für mich nicht paſſend ſei, ab, ſondern gieng auch überhaupt auf mein Begehren, im Königl. Civildienſt angeſtellt zu werden, nur in ſo [Heimböckel:1999 (Reclam) 484] fern ein, als ich mich dabei den gewöhnlichen, geſetzlichen Vorſchriften, wie es hieß, unterwerfen würde. Da nun weder das Alter, das ich erreicht, noch auch der Platz, den ich in der Welt einnehme, zulaſſen, mich bei der Bank der Referendarien anſtellen zu laſſen: ſo flehe ich Ew. Königliche Hoheit inſtändigſt an, mich gegen ſoviel Unedelmüthigkeiten und Unbilligkeiten, die meine Heiterkeit untergraben, in Ihren gnädigſten Schutz zu nehmen. Ich bitte Ew. Königliche Hoheit, den Staatskanzler zu bewegen, mir, ſeiner Verpflichtung gemäß, eine, meinen Verhältniſſen angemeſſene, und auch mit meinen anderweitigen litterariſchen Zwecken vereinbare, Anſtellung im Königl. Civildienſt anzuweiſen, oder aber, falls ſich ein ſolcher Poſten nicht ſobald ausmitteln laſſen ſollte, mir wenigſtens unmittelbar ein Wartegeld auszuſetzen, das für jenen empfindlichen Verluſt, den ich erlitten, [SE:1993 II 867] und den ich zu tragen ganz unfähig bin, einigermaßen als Entſchädigung gelten kann. Die Zugrundrichtung jenes Blattes war um ſo grauſamer für mich, da ich kurz zuvor durch den Tod der verewigten Königinn Majeſtät, meiner erhabenen Wohlthäterinn, eine Penſion verloren hatte, die höchſtdieſelbe mir, zur Begründung einer [9] [BKA IV/3 626] unabhängigen Exiſtenz, und zur Aufmunterung in meinen dichteriſchen Arbeiten, aus ihrer Privat-Chatouille, durch meine Couſine, Frau von Kleiſt, auszahlen ließ: es war eben um jenen Ausfall zu decken, daß ich dieſes Blatt unternahm. Auch in dieſem Umſtand, durchlauchtiger, königlicher Prinz, liegt, unabhängig von meinem perſönlichen Vertrauen zu ihnen, noch ein Grund, der mich mit meiner gehorſamſten Bitte um Verwendung, vor Ihr Antlitz führt, indem ich Niemand auf Erden wüßte, durch deſſen Vermittelung ich das, was ich [DKV IV 491] durch den Tod jener angebeteten Herr[MA II 975] ſcherinn verlor, lieber erſetzt zu ſehen wünſchte, als durch die Ihrige; und indem ich nur noch die Verſicherung anzunehmen bitte, daß es die Aufgabe meines Lebens ſein wird, mich dieſer höchſten Gnade würdig zu machen, welches vielleicht gar bald, nach Wiederherſtellung meiner äu[Heimböckel:1999 (Reclam) 485] ßeren Lage, durch Lieferung eines tüchtigen Werks, geſchehen kann, unterſchreibe ich mich, in der allertiefſten Unterwerfung, Ehrfurcht und Liebe,
Ew.
Königlichen
Hoheit,
unterthänigſter
Heinrich
von
Kleiſt.
Berlin,
d.
20t
Mai,
1811.
Mauerſtraße
N. 53.