[209] An Friedrich de la Motte Fouqué, d. 25. April 1811
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Mein liebſter Fouqué,
Ihre liebe, freundliche Einladung, nach Nennhauſen hinaus zu kommen und daſelbſt den Lenz aufblühen zu ſehen, [DKV IV 482] reizt mich mehr, als ich es ſagen kann. Faſt habe ich ganz und gar vergeſſen, wie die Natur ausſieht. Noch heute ließ ich mich, in Geſchäfften, die ich abzumachen hatte, zwiſchen dem Ober- und Unterbaum, über die Spree ſetzen; und die Stille, die mich plötzlich in der Mitte der Stadt umgab, das Geräuſch [MA II 967] der Wellen, die Winde, die mich anwehten, es gieng mir eine ganze Welt erloſchener Empfindungen wieder auf. Inzwiſchen macht mir eine Entſchädigungsforderung, die ich, wegen Unterdrückung des Abendblatts, an den Staatskanzler gerichtet habe, und die ich gern durchſetzen [SE:1993 II 861] mögte, unmöglich, Berlin in dieſem Augenblick zu verlaſſen. Der Staatskanzler hat mich, durch eine unerhörte und ganz willkührliche Strenge der Cenſur, in die Nothwendigkeit geſetzt, den ganzen Geiſt der Abendblätter, in Bezug auf die öffentl. Angelegenheiten, umzuändern; und jetzt, da ich, wegen Nichterfüllung aller mir deshalb perſönlich und durch die dritte Hand gegebenen Verſprechungen, auf eine angemeſſene Entſchädigung dringe: [2] [BKA IV/3 589] jetzt läugnet man mir, mit erbärmlicher diplomatiſcher Liſt, alle Verhandlungen, weil ſie nicht ſchriftlich gemacht worden ſind, ab. Was ſagen Sie zu ſolchem Verfahren, liebſter Fouqué? Als ob ein Mann von Ehre, der ein Wort, ja, ja, nein, nein, empfängt, ſeinen Mann dafür nicht eben ſo anſähe, als ob es, vor einem ganzen Tiſch von Räthen und Schreibern, mit Wachs und Pettſchafft, abgefaßt worden wäre? Auch bin ich, mit meiner dummen deutſchen Art, bereits eben ſo weit gekommen, als nur ein Punier hätte kommen können; denn ich beſitze eine Erklärung, ganz wie ich ſie wünſche, über die Wahrhaftigkeit meiner Behauptung, von den Händen des Staatskanzlers ſelbſt. — Doch davon ein Mehreres, wenn ich bei Ihnen bin, welches geſchehen ſoll, ſobald dieſe Sache [Heimböckel:1999 (Reclam) 478] ein wenig ins Reine iſt. — Müllers Buch, das ich damals, als Sie hier waren, beſaß, mußte mir unſeeliger Weiſe bald darauf Marwitz aus Fredersdorff Friedersdorff abborgen. Er nahm es, um es zu ſtudieren, nach ſeinem Gute mit, und hat es noch bis dieſe Stunde nicht zurückgeſchickt. Inzwiſchen habe ich ſchon Anſtal[DKV IV 483] ten gemacht, es wieder zu erhalten; und ich hoffe es [3] [BKA IV/3 590] Ihnen, Behufs Ihrer freundſchafftlichen freundſchaftlichen Abſicht, durch Frh. Frl. v. Luck zuſchicken zu können. Erinnern Sie das Volk daran, daß es da iſt; das Buch iſt eins von denen, welche die Störrigkeit der Zeit die ſie einengt nur langſam wie eine Wurzel den Felſen, ſprengen können; nicht par explosion. — Was ſchenken Sie uns denn für dieſe Meſſe? Wie gern empfienge ich es von Ihnen ſelbſt, liebſter Fouqué; ich meine, von Ihren Lippen, an Ihrem Schreibtiſch, in der Umringung Ihrer theuren Familie! Denn die Er [MA II 968] ſcheinung, die am meiſten, bei der Betrachtung eines Kunſtwerks, rührt, iſt, dünkt mich, nicht das Werk ſelbſt, ſondern die Eigenthümlichkeit des Geiſtes, der es hervorbrachte, und der ſich, in unbewußter Freiheit und Lieblichkeit, darin entfaltet. — Nehmen Sie gleichwohl das Inliegende, wenn Sie es in dieſem Sinne leſen [SE:1993 II 862] wollen, mit Schonung und Nachſicht auf. Es kann auch, aber nur für einen ſehr kritiſchen Freund, für eine Tinte meines Weſens gelten; es iſt nach dem Tenier gearbeitet, und würde nichts werth ſein, käme es nicht von Einem, der in der Regel lieber dem göttlichen Raphael nachſtrebt. Adieu! Es bleibt grade noch ein Platz zu einem Gruß an Fr. v. Brieſt, den ich hiermit gehorſamſt beſtelle. HvKleiſt, >H. v. Kleiſt, d. [Berlin, d.] 25t Aprill 1811.