[041] An Wilhelmine v. Zenge, 9. April 1801
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[1] [BKA IV/1 533] [DKV IV 213] [SE:1993 II 640] [Heimböckel:1999 (Reclam) 221] [MA II 719] Berlin, d.]den 9t ]9. Aprill, ]April 1801 /
Liebe Wilhelmine! Meine theure,]teure, meine einzige Freundinn!]Freundin! / Ich nehme Abschied von Dir! — Ach, mir ist es, als wäre es / auf ewig! [SE:1993 II 641] Ich habe mich wie ein spielendes Kind auf die Mitte / der [MA II 720] See gewagt, es erheben sich heftige Winde, gefährlich schaukelt / das Fahrzeug über den Wellen, das Getöse übertönt alle Besinnung,/ ich kenne nicht einmal die Himmelsgegend, nach welcher ich steuern / soll, u.]und mir flüstert eine Ahndung zu, daß mir mein Untergang / bevorsteht — /
Ach, ich weiß es, diese Zeilen sind nicht dazu gemacht, Dir den / 10 Abschied zu erleichtern. Aber willst Du nicht mitempfinden, wenn / ich leide? O gewiß! Wärst Du sonst meine Freundinn? Freundin? ]Freundin? /
Ich will Dir erzählen, wie in diesen Tagen das Schicksal mit mir / gespielt hat. /
Du kennst die erste Veranlassung zu meiner bevorstehenden / Reise. Es war im Grunde nichts, als ein innerlicher Eckel]Ekel vor / aller wissenschaftlichen Arbeit. Ich wollte nur [DKV IV 214] nicht müßig die Hände / in den Schooß]Schoß legen u.]und brüten, sondern mir lieber unter der Be/wegung einer Fußreise ein neues Ziel suchen, da ich das alte / verloren hatte, u.]und zurückkehren, sobald ich es gefunden hätte. Die / 20 ganze Idee der Reise war also eigentlich nichts, als ein großer / Spaziergang. Ich hatte aber Ulriken versprochen, nicht über die / Grenzen des Vaterlandes zu reisen, ohne sie mitzunehmen. Ich kün/digte ihr daher meinen Entschluß an. Als ich dies aber that,]tat, hoffte / ich [Heimböckel:1999 (Reclam) 222] zum Theil,]Teil, daß sie ihn wegen der großen Schnelligkeit u.]und der außer/ordentlichen Kosten nicht annehmen würde, theils]teils fürchtete ich auch / nicht, daß, wenn sie ihn annähme, dieser Umstand die eigentliche Absicht / meiner Reise verändern könnte. Doch höre wie das blinde Ver/hängniß]Verhängnis mit mir spielte. Ich erkundigte mich bei verschiedenen / Männern, ob ich Pässe zur Reise haben müßte. Sie sagten / 30 mir, daß wenn ich allein auf der Post reisete, ich mit meiner / Studenten-Matrikel]Studentenmatrikel wohl durchkommen würde; in Gesellschaft / meiner Schwester aber u.]und eines Bedienten müßte ich durchaus / einen Paß haben, weil sonst diese Reise eines Studenten mit / seiner unverheiratheten]unverheirateten Schwester gewiß auffallen würde,/ wie ich selbst fürchte. Pässe waren aber nicht anders zu bekommen,/ als bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, H.]Herr v. Alvensleben, / u.]und auch bei diesem nicht anders, als wenn man einen hinreichenden / [2] [BKA IV/1 537] Zweck zur Reise angeben kann. Welchen Zweck sollte ich aber / angeben? Den wahren? konnte ich das? Einen falschen? durfte ich / 40 das? — Ich [SE:1993 II 642] [MA II 721] wußte nun gar nicht, was ich thun]tun sollte. / Ich war schon im Begrif,]Begriff, Ulriken die ganze Reise abzuschreiben, als / ich einen Brief bekam, daß sie in 3 Tagen hier schon eintreffen / würde. Vielleicht, dachte ich nun, läßt sie sich mit einer kleineren / Reise begnügen, u.]und war schon halb u.]und halb willends]willens ihr dies / vorzuschlagen; aber Carl hatte schon an so viele Leute so viel / von meiner Reise nach Paris erzählt, u.]und ich selbst war / damit nicht ganz verschwiegen gewesen, so daß nun die Leute schon / anfiengen,]anfingen, mir Aufträge zu geben — — sollte sich nun mein / Entschluß auf einmal wie ein Wetterhahn drehen? — Ach,/ 50 Wilhelmine, wir [DKV IV 215] dünken uns frei, u.]und der Zufall führt uns allgewaltig / an tausend feingesponnenen Fäden fort. Ich mußte also nun / reisen, ich mogte]mochte wollen oder nicht, u.]und zwar nach Paris, ich mogte]mochte / wollen oder nicht. Ich erzählte Carln diese ganze seltsame Veränderung / meiner Lage, er tröstete mich, u.]und sagte, ich mögte]möchte mich jetzt nur in die / Verhältnisse fügen, er hoffte, es würde vielleicht recht gut werden,/ u.]und besser, als ich es glaubte. [Heimböckel:1999 (Reclam) 223] Denn das ist sein Glaube, daß wenn / uns das Schicksal einen Strich durch die Rechnung macht, dies / grade oft zu unserm Beßten]Besten ausfalle. Darf ich es hoffen — ? — Ich / mußte also nun auch Pässe fordern. Aber welchen Zweck sollte / 60 ich angeben? — Ach, meine liebe Freundinn,]Freundin, kann man nicht in / Lagen kommen, wo man selbst mit dem beßten]besten Willen doch / etwas thun]tun muß, was nicht ganz recht ist? Wenn ich nicht rei/sete, hätte ich da nicht Ulriken angeführt? Und wenn ich reisete,/ u.]und also Pässe haben mußte, mußte ich da nicht etwas Unwahres / zum Zwecke angeben? — Ich gab also denjenigen Zweck an,/ der wenigstens nicht ganz unwahr ist, nämlich / auf der Reise zu lernen (welches eigentlich in meinem / Sinne ganz wahr ist) oder wie ich mich ausdrückte: in Paris zu studieren, u.]und zwar / Mathematik u.]und Naturwissenschaft — — Ach, Wilhelmine, ich / 70 studieren? In dieser Stimmung? — — Doch es mußte so sein. / Der Minister, u.]und alle Professoren u.]und alle Bekannten wünschen / mir Glück — am Hofe wird es ohne Zweifel bekannt — soll ich nun / zurückkehren über den Rhein, so wie ich hinübergieng?]hinüberging? Habe ich nicht / selbst die Erwartung der Menschen gereizt? Werde ich nun nicht / [3] [BKA IV/1 538] in Paris im Ernste etwas lernen müssen? Ach, Wilhelmine, / in meiner Seele ziehen die Gedanken durcheinander, wie Wolken / im Ungewitter. Ich weiß nicht, was ich [MA II 722] thun]tun u.]und lassen soll — Alles,]alles, was / die [SE:1993 II 643] Menschen von meinem Verstande erwarten, ich kann es nicht leisten. / Die Mathematiker glauben, ich werde dort Mathematik studieren, die / 80 Chemiker]Chemiker, ich werde von Paris große chemische Kenntnisse zurück/bringen — u.]und doch wollte ich eigentlich nichts, als allem Wissen ent/fliehen. Ja ich habe mir sogar Adressen an französische Gelehrte / müssen mitgeben lassen, [DKV IV 216] u.]und so komme ich denn wieder in jenen / Kreis von kalten, trocknen, einseitigen Menschen, in deren / Gesellschaft ich mich nie wohl befand. — Ach liebe Freundinn,]Freundin, ehemals / dachte ich mit so großer Entzückung an eine Reise — jetzt nicht. Ich / versprach mir sonst so viel davon — jetzt nicht. Ich ahnde nichts / gutes]Gutes — Ich hatte eine unbeschreibliche Sehn[Heimböckel:1999 (Reclam) 224] sucht Dich noch ein/mal zu sehen, u.]und war schon im Begrif]Begriff Dir selbst zu Fuße das / 90 Bild zu bringen. Aber immer ein neues Verhältniß]Verhältnis u.]und wieder / ein neues machte es mir unmöglich. Ja, hätte mir Carl / sein Pferd gegeben, ich hätte Dich doch noch einmal umarmt;/ aber er wollte u.]und konnte auch nicht. /
Und so lebe denn wohl! — Ach, Wilhelmine, schenkte mir der Himmel ein / grünes Haus, ich gäbe alle Reisen, u.]und alle Wissenschaft, Wissenschaften, u.]und allen / Ehrgeiz auf immer auf! Denn nichts als Schmerzen gewährt / mir dieses ewig bewegte Herz, das wie ein Planet unaufhörlich / in seiner Bahn zur Rechten u.]und zur Linken wankt, u.]und von ganzer / Seele sehne ich mich, wonach die ganze Schöpfung u.]und / 100 alle immer langsamer u.]und langsamer rollenden Weltkörper / streben, nach Ruhe! /
Liebe Wilhelmine, Deine Eltern werden die Köpfe schütteln, Ahle/mann wird besorgt sein, die Mädchen werden flüstern — wirst / Du irgend Jemandem]jemanden jemals mehr Glauben beimessen, als / mir? O dann, dann wärest Du meiner nicht werth!]wert! Denn / diesen ganzen innerlichen Kampf, der eigentlich unsre Liebe / gar nichts angeht, hat unaufhörlich der Wunsch, einst in Deinen / Armen davon auszuruhen, unterbrochen; u.]und hell u.]und lebendig / ist in mir das Bewußtsein, daß ich schnell lieber den Tod wählen / 110 mögte,]möchte, als durch das ganze Leben das Gefühl, Dich betrogen zu haben,/ mit mir herum zu schleppen. /
Ich werde Dir oft schreiben. Aber es mögen Briefe ausbleiben / [4] [BKA IV/1 541] so lange sie wollen, Du wirst immer überzeugt sein, daß ich / alle Abend u.]und alle Morgen, wenn nicht öfter, an Dich denke. [MA II 723] Das/ [SE:1993 II 644] selbe werde ich von Dir glauben. Also niemals Mißtraun / oder Bangigkeit. Vertrauen auf uns, Einigkeit unter uns! /
[DKV IV 217]Und nun noch ein Paar]paar Aufträge. Beifolgendes Bild konnte / ich, wegen Mangel an Geld, das ich sehr nöthig]nötig brauche, nicht einfassen / lassen. Thue]Tue Du es auf meine Kosten. Einst ersetze ich sie Dir. / 120 Mögtest]Möchtest Du es ähnlicher finden, als ich. Es liegt etwas Spöttisches / darin, das mir nicht [Heimböckel:1999 (Reclam) 225] gefällt, ich wollte er hätte mich ehrlicher / gemalt — Dir zu gefallen, habe ich fleißig während des Malens / gelächelt, u.]und so wenig ich auch dazu gestimmt war, so gelang / es mir doch, wenn ich an Dich dachte. Du hast mir so oft mit der / Hand die Runzeln von der Stirn gestrichen, darum habe ich / in dem Gemälde wo es nicht möglich war dafür gesorgt, daß es auch nicht nöthig]nötig war. / So, ich meine so freundlich, werde ich immer aussehen, wenn / wenn — — o Gott! Wann? — Küsse das Bild auf der / Stirn, da küsse ich es jetzt auch. / 130
Der zweite Auftrag ist dieser, mir anzukündigen, ob ich Dir / 73 Rth., Rth, oder etwas weniger schuldig bin. Carl meint, ich hätte / Dir schon etwas bezahlt, aber ich weiß von nichts. Schreibe mir / dies, auch ob ich das Geld der Randow oder Carl geben oder / Dir selbst überschicken soll. /
Und nun lebe wohl. — Wenn Du mir gleich antwortest,/ so trifft mich Dein Brief noch in Berlin. Dann werde ich Dir / zwar nicht mehr von hier, aber doch vielleicht schon von / Potsdam schreiben. /
Lebe wohl — Grüße Alles,]alles, wenigstens Louise, der Du alle / 140 meine Briefe zeigen kannst. Mache wenn Du willst überhaupt / gar kein Geheimniß]Geheimnis mehr aus unsrer Liebe, trage das Bild öffen/tlich, ich selbst habe es hier bei Clausius, der Glogern, Ulrike / & &]etc. etc. gezeigt, u.]und Alle]alle wissen, für wen es bestimmt war. Nenne / mich Deinen Geliebten, denn ich bin es — u.]und lebe wohl, lebe / wohl — lebe wohl ————————————— Behalte mich / lieb in Deinem innersten Herzen, bleibe treu, traue fest auf / mich — lebe wohl — lebe wohl — Heinrich. /
(Schicke mir doch das Bild-Futteral]Bildfutteral sogleich zurück, denn es gehört / zu Deinem Bilde.)