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  • [006] U. v. Kleist, 12.11.1799

[006] An Ulrike v. Kleist, 12. Nov. 1799

Textwiedergabe  nach Handschrift.

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[1] [BKA IV/1 74] [DKV IV 44] [SE:1993 II 493] [Heimböckel:1999 (Reclam) 44] [MA II 564] Frankfurt a/d]a. d. Oder
d. ]den 12t ]12. OctobrNovmbr]November 99. ]1799

Ich war zuerſt willends,]willens, der langen Verſpä⸗
tung
dieſes Briefes eine Rechtfertigung
voranzuſchicken; aber es fällt mir ein, 5
daß es daß daß [lt. Textkonst. emendiert] daß [ohne Kommentarhinweis] daß [ohne Kommentarhinweis] ]daß doch eben nicht viele Billigkeit dazu
gehört, ſie zu entſchuldigen, [SE:1993 II 494] wenn man
mich u.]und die Abſicht meines [Heimböckel:1999 (Reclam) 45] Hierſeins kennt.

Ich habe mir ein Ziel geſteckt, das die ununter⸗
brochene
Anſtrengung aller meiner Kräfte 10
u.]und die Anwendung jeder Minute Zeit erfor⸗
dert,
wenn es erreicht werden ſoll.
Ich habe
beſonders in dieſem meinem zweiten aka⸗
demiſchen
Curſus]Kursus eine [MA II 565] Maſſe von Geſchäften
auf mich geladen, die ich nicht anders als mit 15
dem allermühſamſten Fleiße bearbeiten
kann; eine Maſſe von Geſchäften, die ſelbſt
nach dem Urtheile]Urteile Hüllmanns zu ſchwer für
mich iſt, u.]und von der ich daher, wenn ich ſie den⸗
noch
trage, mit Recht ſagen kann, daß ich 20
das faſt Unmögliche möglich gemacht habe.

Unter dieſen Umſtänden ſiehſt Du wohl ein,
daß es bisher nöthig]nötig war, mich oft mit einem
augenblicklichen Andenken an Dich zu begnü⸗
gen,;
u.]und daß mir ſelbſt jetzt die Zeit einer 25
ſchriftlichen Unterhaltung mit Dir noch nicht
geworden wären, wenn durch den Eintrit]Eintritt
der Meſſe die akademiſchen Vorleſungen
[2] [BKA IV/1 77] nicht ausgeſetzt worden wären.
Dieſe
vierzehn Tage der Ruhe, dieſen Sonntag für 30
meine lange geſchäftsvolle Woche, benutze ich,
um mich einmal nach Herzensluſt zu vergnü⸗
gen;
u.]und dieſes Vergnügen ſoll ein Brief an
Dich ſein.

Wenn man ſich ſo lange mit ernſthaften 35
abſtrakten Dingen beſchäftigt hat, wobei
der Geiſt zwar ſeine Nahrung [DKV IV 45] findet, aber
das arme Herz leer ausgehen muß, dann
iſt es eine wahre Freude, ſich einmal ganz
ſeine Ergießungen zu überlaſſen; ja es 40
iſt ſelbſt nöthig,]nötig, daß man es zuweilen in’s]ins
Leben zurückrufe.
Bei dem ewigen Beweiſen
u.]und Folgern verlernt das Herz faſt zu fühlen; u.]und
doch wohnt das Glück nur im Herzen, nur
im Gefühl, nicht im Kopfe, nicht im Ver⸗45
ſtande.
Das Glück kann nicht, wie ein
mathematiſcher Lehrſatz bewieſen wer⸗
den,
es muß empfunden werden, wenn es
da ſein ſoll.
Daher iſt es wohl gut, es zuweilen
durch den Genuß ſinnlicher Freuden von Neuem]neuem 50
zu beleben; u.]und man müßte wenigſtens
täglich ein gutes Gedicht leſen, ein ſchönes
Gemälde ſehen, [?] ein ſanftes Lied hören
— oder ein herzliches Wort mit einem Freun Freunde

reden, um [Heimböckel:1999 (Reclam) 46] auch den ſchönern, ich mögte]möchte ſagen sagen, sagen, 55
den menſchlicheren Theil]Teil unſeres Weſen
zu bilden.

Dieſes/ [3] [BKA IV/1 78]

Dieſes letzte Vergnügen habe ich ſeit Dei⸗
ner
Abweſenheit
von hier gänzlich ent⸗
behren
müſſen, u.]und grade dieſes iſt es, deſſen wel= 60
che ich am meiſten bedarf.
Vorſätze u.]und Ent⸗
ſchlüſſe
wie die meinigen bedürfen der
Aufmunterung u.]und der Unterſtützung mehr als
[SE:1993 II 495] andere vielleicht, um nicht zu ſinken.
Verſtan⸗
den
wenigſtens mögte]möchte ich gern zuweilen ſein, 65
wenn auch nicht aufgemuntert u.]und gelobt, gelobt; [Graph uneindeutig]
von einer Seele wenigſtens mögte]möchte ich gern
zuweilen verſtanden werden, wenn auch
alle andern mich ver[MA II 566] kennen.
Wie man in
einem heftigen Streite mit vielen Gegnern 70
ſich umſieht, ob nicht Einer]einer unter allen iſt, der
uns Beifall zulächelt, ſo ſuche ich zuwei⸗
len
Dich; u.]und wie man unter fremden Völ⸗
kern
freudig einem Landsmann entgegen⸗
fliegt,
ſo werde ich Dir, mein liebes Ulrikchen 75
entgegenkommen.
Nenne es immerhin Schwäche
von mir, daß ich mich ſo innig hier nach Mit⸗
theilung]Mitteilung
ſehne, wo ſie mir ſo ganz fehlt.

Große Entwürfe mit ſchweren Aufop⸗
ferungen
auszuführen, ohne ſelbſt auf 80
den Lohn verſtanden zu werden Anſpruch
zu machen, iſt eine Tugend, die wir wohl
bewundern, aber nicht verlangen dürfen.

Selbſt die größten Helden der Tugend, die
jede andere Belohnung verachteten, rechne⸗85
ten
doch auf dieſen Lohn; u.]und wer weiß, was
Sockrates u.]und Chr [?] iſtus gethan]getan haben würden,
[4] [BKA IV/1 81] [DKV IV 46] wenn ſie voraus gewußt hätten, daß
keiner unter ihren Völkern den Sinn
ihres Todes verſtandenehen hätte. würde.
Willſt 90
Du es doch eine Schwäche nennen, ſo iſt
es höchſtens die Schwäche eines Münzenſamm⸗
lers
z. B. der zwar hauptſächlich für ſich
u.]und zu ſeinem Vergnügen, zu ſeinem Nutzen
ſammelte, u.]und daher auch nicht zürnt, wenn 95
die Meiſten]meiſten gleichgültig bei ſeiner ſorgfäl⸗
tig
geordneten Sammlung vorübergehen, aber
eben deswegen um ſo viel lieber ein⸗
mal
einen Freund der Kunſt in ſein
Cabinet]Kabinett führt.
Denn meine Abſichten 100
u.]und meine Entſchlüſſe ſind ſolche Schau⸗
münzen,
die aus dem Gebrauche gekommen
ſind u.]und nicht mehr gelten; daher zeige ich
ſie gern zuweilen einem Freunde V[...?] Ken[Heimböckel:1999 (Reclam) 47] ner der
Kunſt, um damit er ſie prüfe u.]und mich über⸗105
zeuge,
ob, was ich ſo emſig u.]und eifrig
ſammle u.]und aufbewahre, auch wohl ächte]echte Stücke
ſind, oder nicht.

— Ich überleſe jetzt den eben vorangegang⸗
nen
Punct,]Punkt, u.]und finde, daß er mir misfal⸗110
len]mißfallen
würde, wenn ich ihn, ſo wie Du hier,
aus dem Munde eines jungen Menſchen
hörte.
Denn mit Recht kann man ein
Mistrauen]Mißtrauen in ſolche Vorſätze ſetzen,
die unter ſo vielen Menſchen keinen 115
[5] [BKA IV/1 82] finden, der ſie verſtünde u.]und billigte.

Aber doch iſt es mit den meinigen ſo; ver⸗
ſtanden
werden ſie nicht, das iſt gewiß,
u.]und daher, denke ich, werden ſie nicht gebilligt.

Weſſen Schuld es iſt, daß ſie nicht verſtanden 120
werden — [SE:1993 II 496] das getraue ich mich wenigſtens
nicht zu meinem Nachtheil]Nachteil zu entſcheiden.

Wenn ein Türke u.]und ein Franzoſe zuſammen⸗
kommen,
ſo haben ſie wenigſtens gleiche Ver⸗
pflichtung,
die Sprache des Andern]andern zu lernen, 125
um ſich verſtändlich [MA II 567] zu machen.
Tauſend
Bande knüpfen die Menſchen aneinander,
gleiche Meinungen, Ggleiches Gleiches Gleiches Intereſſe, gleiche
Wünſche, Hoffnungen u.]und Ausſichten; — alle
dieſe Bande knüpfen mich nicht an ſie, und 130
dieſes mag ein Hauptgrund ſein, warum
wir uns nicht verſtehen.
Mein Intereſſe
beſonders iſt mit dem ihrigen ſo fremd, und
ungleichartig, daß ſie — gleichſam wie aus
den Wolken fallen, wenn ſie etwas davon 135
ahnden.
Auch haben mich einige mislun⸗
gene]mißlungene
Verſuche, es ihnen näher vor die Augen,
näher an’s]ans Herz zu rücken, für immer da⸗
von
zurückgeſchreckt; u.]und ich [DKV IV 47] werde mich
dazu bequemen müſſen, es immer tief 140
in das Innerſte meines Herzens zu
verſchließen.

Was ich mit dieſem Intereſſe im Buſen,
[6] [BKA IV/1 85] mit dieſem heiligen, mir ſelbſt von der
Religion, von meiner Religion gegebnen 145
Intereſſe im engen Buſen, für eine Rolle
unter den Menſchen ſpiele, denen ich von
dem, was meine ganze Seele erfüllt,
nichts merken laſſen darf, — das weißt
Du zwar nach dem äußern Anſchein, 150
aber ſchwerlich weißt Du, was oft dabei
im Innern mit mir vorgeht.
Es ergreift
mich zuweilen plötzlich eine Ängſtlichkeit,
eine Beklommenheit, die ich [Heimböckel:1999 (Reclam) 48] zwar aus
allen Kräften zu unterdrücken mich be⸗155
ſtrebe,
die mich aber dennoch ſchon mehr
als einmal in die lächerlichſten Situa⸗
tionen
geſetzt hat.

Die einzige Geſellſchaft, die ich täglich
ſehe, iſt Zengen’s,]Zengens, u.]und ich würde um dieſer 160
peinlichen Verlegenheit willen, auch
dieſe Geſellſchaft ſchon aufgegeben haben, wenn
ich mir nicht vorgenommen hätte, dies mich
durchaus von dieſem unangenehmen
Gefühl zu entwöhnen.
Denn auf meinem 165
Lebenswege werden mir Menſchen aller
Art begegnen, u.]und jeden muß ich zu nutzen
verſtehen.
Dazu kommt, daß es mir
auch zuweilen gelingt, recht froh in
dieſer Geſellſchaft zu ſein; denn ſie 170
beſteht aus lauter guten Menſchen,
u./ [7] [BKA IV/1 86] u.]und es herrſcht darin viele Eintracht,
u. und [in Errata-Verz. korr. in ›u‹] ]und das Äußerſte von Zwangloſigkeit.

Die älteſte Zengen, Minette, hat ſogar
einen feineren Sinn, der für ſchöne⸗175
re
Eindrücke zuweilen empfänglich iſt;
wenigſtens bin ich zufrieden, wenn ſie
mich zuweilen mit Intereſſe anhört,
ob ich gleich nicht viel von ihr wieder er⸗
fahre.
Aber von allem dieſen iſt nichts, 180
wenn der ganze [SE:1993 II 497] Haufen beiſammen iſt.

Ein Geſpräch kann man ihr ſich durchkreut⸗
zendes]durchkreuzendes
Geſchwätz nicht nennen.
Wenn
ein Geſpräch geführt werden ſoll, ſo muß
man [MA II 568] bei dem Gegenſtande desſelben ver⸗185
weilen,
denn nur dadurch gewinnt es
Interreſſe;]Interesse; man muß ihn von allen ſeinen
Seiten betrachten, denn nur dadurch wird
es mannichfaltig]mannigfaltig u.]und anziehend.
Aber
hier — doch Du kennſt das.
Ich wollte Dir 190
nur zeigen, daß das Intereſſe, das mir die
Seele erfüllt, ſchlecht mit dem Geiſte
harmonirt,]harmoniert, der in dieſer Geſell[DKV IV 48] ſchaft
weht; u.]und daß die Beklommenheit, die mich
zuweilen ergreift, hieraus ſehr gut 195
erklärt werden kann.

Ich ſage mir zwar häufig zu meinem
Troſte, daß es nicht die Bildung für die
Geſellſchaft
iſt, die mein Zweck iſt,
[8] [BKA IV/1 89] daß dieſe Bildung, u.]und mein Zweck, zwei 200
ganze verſchiedne Ziele ſind, zu denen
zwei ganz verſchiedne Wege nach ganz
verſchiednen Richtungen führen — denn
wenn man z. B. durch häufigen Umgang,
vieles Plaudern, durch Dreiſtigkeit 205
u.]und Oberflächlichkeit zu dem einen Ziele
[Heimböckel:1999 (Reclam) 49] kommt, ſo erreicht man dagegen nur durch
Einſamkeit, Denken, Behutſamkeit u.]und
Gründlichkeit das andere & ]uſw. Das alles ſage Auch ſoll
mein Betragen jetzt nicht gefallen, das Ziel, 210
das ich im Sinne habe, ſoll für thörigt]töricht
gehalten werden, man ſoll mich auf
der Straße, die ich wandle]wandle, auslachen, wie
man den Coluombus auslachte, weil er
Oſtindien in Weſten ſuchte.
Nur dann 215
erſt bewunderte man ihn, als er noch mehr
gefunden hatte, als er ſuchte — &]uſw. Das
alles ſage ich mir zu meinem Troſte.
Aber
dennoch mögte]möchte ich mich gern von dieſer Beklom⸗
menheit
entwöhnen, um ſo viel mehr, da 220
ich mit Verdruß bemerke, daß ſie mich
immer öfter u.]und öfter ergreift.

Aber ich fürchte, daß es mir in der Folge wie
den meiſten Gelehrten von Profeſſion gehen
wird; ſie werden in ihrem äußern Weſen 225
rauh, rêche, wie der Franzoſe ſagt, und
für das geſellige Leben untauglich.
Ich finde
[9] [BKA IV/1 90] das aus vielen Gründen ſehr natürlich.
Sie
haben ein höheres Interreſſe Interesse Interesse ]Interesse lieb gewonnen,
u.]und können ſich nicht mehr an dem gemeinen 230
Intereſſe erwärmen.
Wenn ein Anderer ]anderer z. B.
ein Buch, ein Gedicht, einen Roman gele⸗
ſen
habten, das einen ſtarken Eindruck auf
ihn machte u.]und ihm dieſe Seele füllte, wenn
er nun mit dieſem Eindruck die in eine Geſell⸗235
ſchaft
tritt, ]tritt, er ſei nun froh oder ſchwer⸗
müthig]ſchwermütig
geſtimmt, er kann ſich mittheilen,]mitteilen,
u.]und man verſteht ihn.
Aber wenn ich einen
mathematiſchen Lehr[SE:1993 II 498] ſatz ergründet habe, deſſen
Erhabenheit u.]und Größe mir auch die Seele 240
füllte, wemnn darf ich nun mit dieſem Eindruck
in eine Geſellſchaft trete, wem darf ich
mich [MA II 569] mittheilen,]mitteilen, wer verſteht mich?
Nicht
einmal ahnden darf ich laſſen, was mich
zur Bewunderung hinriß, nicht einen von allen 245
Gedan[DKV IV 49] ken darf ich mittheilen,]mitteilen, die mir die
Seele füllen.
— Und ſo muß man denn
freilich zuweilen leer u.]und gedankenloos]gedankenlos er⸗
ſcheinen,
ob man es gleich wohl nicht iſt.

Der größte Irrthum]Irrtum iſt dann wohl noch 250
der, wenn man glaubt, ein Gelehrter
ſchweige aus Stolz, etwa, weil er die
Geſellſchaft nicht der Mittheilung]Mitteilung ſeiner
Weisheit für werth]wert achtet.
Ich wollte ſchwören
daß es meiſtens grade das Ge[Heimböckel:1999 (Reclam) 50] gentheil]Gegenteil 255
iſt, u.]und daß es vielleicht grade der äußerſte
[10] [BKA IV/1 93] Grad von Beſcheidenheit iſt, der ihm Still⸗
ſchweigen
auferlegt.
Ich rede hier beſonders
von großen Gelehrten, die ihr Lob in allen
Zeitſchriften leſen.
Man beſucht ſie häufig 260
um den Giganten doch einmal in der Nähe
zu betrachten; man erwartet, von ihnen, das
wiſſen ſie ſelbſt, lauter Sentenzen, man
glaubt, daß ſie wie in ihren Büchern reden
hören werden.
Sie reden aber nur wenige 265
gemeine Dinge, man verläßt ſie mit
dem Verdacht, daß ſie aus Stolz geſchwiegen
haben, ob ſie zwar gleich nur aus Beſchei⸗
denheit
ſchwiegen, weil ſie nicht immer in
den erwarteten Sentenzen reden konnten, 270
u.]und doch nicht gern, die gute Meinung, die man
von ihnen hatte, zerſtören wollten.

In ſolchen Lagen hat man die gelehrteſten
Männer oft in der größten Verlegenheit
geſehen.
Unſern geſcheuter Profeſſor 275
Wünſch, der gewiß hier in Frankfurt
oben]obenan an][] ſteht u.]und Alle]alle überſieht, würde doch
gewiß, des bin ich überzeugt, durch die abgeſchmack⸗
teſten
Neckereien des albernſten Mädchens
in die größte Verlegenheit geſetzt werden 280
können.
Du weißt, wie es Rouſſeau mit
dem Könige von Frankreich gieng;]ging; u.]und man
braucht daher, weder dumm noch feig zu ſein,
um vor einem Könige zu zittern.
Ein
franzöſiſcher Officier,]Offizier, der, als Ludwig 285
der 14t [11] [BKA IV/1 94] der 14t ]14.
ihn heran rief, heranrief, heranrief, heranrief, heranrief, ]heranrief, ſich zitternd
ſeinem Könige näherte, u.]und von ihm
mit kalter königlicher Überlegenheit gefragt
wurde, warum er ſo zittere? hatte den⸗
noch
die Freimüthigkeit]Freimütigkeit zu antworten: 290
Sire, ce n’est pas devant vos enne⸗
mis,
que je tremble ainsi.

./.

[DKV IV 50]

Meine Briefe werden lang, mein liebes
Ulrikchen; u.]und was [SE:1993 II 499] das Schlimmſte iſt, ich rede
immer von mir.
Verzeihe mir dieſe 295
kleine menſchliche Schwachheit.
Vieles
verſchweige ich noch, [MA II 570] das ich bis zu Deiner
Rückkunft aufbewahre.
Ob Dich Neuig⸗
keiten
mehr intereſſirt]interessiert hätten, als der
Inhalt dieſes Briefes?
— Wer weiß. Aber 300
auf alle Fälle [Heimböckel:1999 (Reclam) 51] gab es keine Neuigkeiten,
außer die alte Leÿer,]Leier, daß die Meſſe
ſchlecht ſei.
Die Kleiſt aus Schernwitz Schernewitz Schernewitz [Scherwitz?] Schernewitz ]Schernewitz
war hier, u.]und hat mir gut gefallen. Sie
will künftiges Jahr nach Flinzberg ins 305
Bad reiſen, u.]und wünſchte eine Reiſebeglei⸗
terinn]Reisebegleiterin
— wen habe ich ihr wohl vorge⸗
ſchlagen?
Sie hat mich mir alſo förmlich auf⸗
getragen,
Dich dazu dieſer Reiſe ein⸗
zuladen.
310

Bis dahin denke ich wirſt Du doch noch
[12] [BKA IV/1 97] einmal nach Frankfurt kommen?
Was
in aller Welt machſt du denn in Werben?

Niemand von uns, ich ſelbſt nicht, kann
begreifen, was dir Dir Dir Dir Dir ]Dir den Aufenthalt dort 315
auf viele Monate ſo angenehm machen kann.

Wenn es kein Geheimniß]Geheimnis iſt, ſo ſchreibe
es mir.
Grüße Schönfeld u.]und Frau, Oncel Onkel Onkel Onkel Onkel ]Onkel
u.]und Tante Pannwitz, kurz alles was Pannwitz
heißt, auch Caroline. Iſt ſie noch böſe? 320
— Adieu.

Dein treuer Bruder Heinrich.

N. S. Hier kommen noch einige Supple⸗
mente,
die ich dir Dir Dir ]Dir zur M Bekanntmachung
an Pannwitz, den das intereſſiren]interessieren wird, 325
mittheile]mitteile.
Schätzel hat das 3t ]3. Batl. bekommen
aber ausgeſchlagen u.]und verlangt Penſion.

Gaudi]Gaudy iſt Major geworden u.]und hat Schätzels
Compagnie]Kompanie.
Welchen Eindruck Eindruk Eindruk dies gemacht
hat, u.]und in welchem Tone die Grumbkow 330
ſpricht, kannſt Du Dir denken.
Daß Das [emendiert] ]Das ſon⸗
derbarſte]Sonderbarste
hierbei iſt, das daß [emendiert] ]daß Gen:]Gen. Kleiſt
an Hagen geſchrieben hat, es thäte]täte ihm
dieſer Einſchub, von dem er auf ſein
Ehrenwort nichts wüßte, ſehr leid;.
335
Wir wollen nicht glauben, daß hier eine
Falſchheit zum Grunde liege, liegt, ob ich
Dir zwar gleich in der folgenden Neuig⸗
[13] [BKA IV/1 98] keit
ein Beiſpiel von einer unerhörten unerhörten, ]unerhörten,
unmenſchlichen Falſchheit geben werde.
340
Der Kaufmann Scholz iſt ſeines Arreſts
entlaſſen, ſtatt ſeiner ſitzt ſeine
Frau
— warum? das haſt Du ſchon
zu Anfange der ganzen Geſchichte
[DKV IV 51] vorausgeſehen.
Die Sache iſt keinem 345
Zweifel mehr unterworfen.
Sie hat
ſich ſelbſt verrathen]verraten.
Ein Fragment
aus einem Briefe von ihrem Manne,
worin ſie das Wort Geld in Gift um⸗
gefälſcht
hat, um den Verdacht gegen ihn 350
[Heimböckel:1999 (Reclam) 52] zu verſtärken, hat ſie verrathen]verraten.
Einige
Zeugen, ein Student u.]und 2]zwei Mädchen, die ſie
bewegt hatte, einen fal[SE:1993 II 500] ſchen Eid für ihren
Betrug zu ſchwören, haben ſie verrathen]verraten.

Sie ſelbſt hat es [MA II 571] ſchon eingeſtanden, 355
daß ſie einen Betrug geſpielt habe. —
Iſt
es wohl glaublich, daß dies ein
Weib ſei? — —

Zweite Nachſchrift.

Ich liefre Dir noch ein Supplement zum 360
Supplement.
Schätzel iſt Gen:]Gen. Major
geworden, erhält 8s Rth. Penſion u.]und
bleibt nun in Frankfurt.

Noch eine Hauptnachricht, die Dich
[14] [BKA IV/1 101] vielleicht bewegen wird, ſogleich nach 365
Frankfurt zu kommen.
Zengen’s]Zengens u.]und un⸗
ſre
Familie nebſt viele vielen
andere andern Damen
Frankfurt’s]Frankfurts nehmen ein Collegium]Kollegium
über Experimental-Phÿſik]Experimentalphysik bei Wünſch.
Nehmen, ſagte ich? Das klingt ja 370
beinah, als wäre von Medicin]Medizin die
Rede.
So übel ſchmeckt es indeſſen
nicht.
Es iſt eine Brunnen-cur]Brunnenkur zum
Nutzen u.]und Vergnügen.
Du wirſt ſie
nicht verſchmähen.
Willſt du die Vor⸗375
leſung
von Anfang an beiwohnen,
ſo mußt Du auf irgend eine Art
ſuchen, ſogleich nach Frkft. Frkft Frkft
zu kommen.

—————

6
An Ulrike v. Kleist, 12. Nov. 1799

Quellenangaben für Zitation
https://kleist-digital.de/briefe/006, [ggf. Angabe von Zeile/Vers oder Seite], 22.05.2025

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Apparat

Textwiedergabe nach Kopie der Handschrift. Die Handschrift ist in Besitz von:
Biblioteka Jagiellońska, Kraków; Sammlung Autographa (H. v. Kleist)

Erstdruck: [Kober:1860] 4–13

Angaben zur Überlieferung und Provenienz
Siehe:
[BKA] IV/1 73
[DKV] 617f

 Emendationen (insges. 1)
  • 54FreunFreunde
Pagina Kleist-Ausgaben
  • [Kober:1860] 4–13
  • [MP:1936] (006) I 41–49
  • [BKA] (006) IV/1 73–101
  • [MA] (006) II 564–571
  • [DKV] (008) IV 44–51
  • [SE:1993] (006) II 493–5s
  • [Heimböckel:1999 (Reclam)] (006) 44–52
 Erwähnte Personen
  • []Columbus, Christoph (1)
  • []Gaudy, Friedrich von (1)
  • []Gleißenberg (geb. von Pannwitz), Karoline von (1)
  • []Grumbkow (1)
  • []Hagen, Ernst Friedrich Wilhelm von der (1)
  • []Hüllmann, Karl Dietrich (1)
  • []Jesus Christus (1)
  • []Kleist, Franz Kasimir von (1)
  • []Kleist, Friederike Christiane Elisabeth von (1)
  • []Kleist, Heinrich von (1)
  • []Kleist, Ulrike von (2)
  • []Louis XIV. (1)
  • []Pannwitz (geb. von Schönfeldt), Sophie Luise von (1)
  • []Pannwitz, Karl Wilhelm von (2)
  • []Rousseau (1)
  • []Scholtz, Christian Friedrich Heinrich (1)
  • []Scholtz, Karoline (1)
  • []Schätzel, Fabian Wilhelm von (2)
  • []Schönfeldt (geb. von Loeben), Johanna Ulrike Charlotte von (1)
  • []Schönfeldt, Ernst von (1)
  • []Sokrates (1)
  • []Wünsch, Christian Ernst (2)
  • []Zenge, Hartmann von (1)
  • []Zenge, Wilhelmine von (1)
  • [»]Alle Personen anzeigen +/–
 Erwähnte Orte
  • []Flinzberg (1)
  • []Frankfurth a Oder (6)
  • []Schernewitz (1)
  • []Werben (1)
  • [»]Alle Orte anzeigen +/–
 Vergleich Editionen

Die durchgeführte Kollation mit unterschiedlichen historischen und aktuellen Kleist-Editionen zeigt bestimmte Lesarten und Emendationen, die von der vorliegenden emendierten Fassung abweichen. In den Anmerkungen finden sich hierzu häufig nähere Erläuterungen. (Gelegentlich ist die Ursache für Abweichungen ein Transkriptionsfehler in der jeweiligen Edition.)

Disclaimer: Abweichungen, die ihren Grund in typographisch bedingten Normalisierungen und Standardisierungen haben, werden nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden. Mitgeteilte Abweichungen müssen am Original überprüft werden.

In die Kollation einbezogene Kleist-Ausgaben

[MP:1936][BKA][MA][DKV][SE:1993][Heimböckel:1999 (Reclam)]

[MP:1936] [6 Abw.]
  • 6daß es ] daß
  • 286heran rief, ] heranrief,
  • 303Schernwitz ] Schernewitz
  • 315dir ] Dir
  • 318Oncel ] Onkel
  • 339unerhörten ] unerhörten,
[DKV:1990] [9 Abw.]
  • 6daß es ] daß [lt. Textkonst. emendiert]
  • 173u. ] und [in Errata-Verz. korr. in ›u‹]
  • 303Schernwitz ] Schernewitz [Scherwitz?]
  • 315dir ] Dir
  • 331Daß ] Das [emendiert]
  • 332das ] daß [emendiert]
  • 337liege, ] liegt,
  • 367viele ] vielen
  • 367andere ] andern
[BKA:1989] [9 Abw.]
  • 55ſagen ] sagen,
  • 128gleiches ] Gleiches
  • 229Interreſſe ] Interesse
  • 286heran rief, ] heranrief,
  • 315dir ] Dir
  • 318Oncel ] Onkel
  • 324dir ] Dir
  • 329Eindruck ] Eindruk
  • 378Frkft. ] Frkft
[Recl:1999] [4 Abw.]
  • 6daß es ] daß [ohne Kommentarhinweis]
  • 286heran rief, ] heranrief,
  • 303Schernwitz ] Schernewitz
  • 318Oncel ] Onkel
[MA:2010] [11 Abw.]
  • 6daß es ] daß [ohne Kommentarhinweis]
  • 55ſagen ] sagen,
  • 66gelobt, ] gelobt; [Graph uneindeutig]
  • 128gleiches ] Gleiches
  • 229Interreſſe ] Interesse
  • 286heran rief, ] heranrief,
  • 315dir ] Dir
  • 318Oncel ] Onkel
  • 324dir ] Dir
  • 329Eindruck ] Eindruk
  • 378Frkft. ] Frkft
Stellenkommentar

54 Freun Buchstabe(n) ›d‹ oder ›de‹ fehlen wg. Papierabriss.

367 viele andere Die Endsilben sind hier in Kleists Handschrift undeutlich. Statt ›viele andere‹ kann auch ›vielen andern‹ [DKV] oder ›viele andern‹ gelesen werden

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