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In dem Oktoberheft des Journals:
Die Zeiten, von
Voß, ſind drei Briefe der
Gräfin Piper,
Schweſter des
unglücklichen Reichsmarſchalls,
Grafen von
Ferſen, nebſt
einer Abſchrift des Verhörs, das über ſie,
auf der Fe⸗
ſtung Waxholm, angeſtellt worden
iſt, zur Wiſſenſchaft 5
des Publikums gebracht
worden.
Da die grimmige Selbſt⸗
rache, die ſich das Volk an dieſem, unglücklichen
Herrn
erlaubt hat, nach den, darüber ſtatt
gehabten Unterſuchun⸗
gen, von allem
Rechtsgrund entblößt iſt, ſo glauben wir
dem
menſchenfreundlichen Zweck, welcher der Verbreitung 10
dieſer Briefe zum Grunde lag, entgegen zu
kommen,
wenn wir eine Ueberſetzung des
Zweiten*), nebſt dem
Verhör, das ihm beigefügt
iſt, mittheilen.
(Die Red.)
Brief der Gräfinn Piper, an eine Freundinn in
Deutſchland.15
Feſtung Waxholm in Schweden d. 10. Aug. 1810.
Erſt jetzt, meine
theure und liebe Freundinn, kann
ich meine
Geiſter in dem Maaße ſammlen, als es nö⸗
thig iſt, um Ihnen zu ſchreiben, und noch werden
meine Gedanken verworren und zerriſſen ſein,
unter 20
der Einwirkung des Schreckens und des
Entſetzens, in
welchem meine Seele befangen
iſt.
Gleichwohl, ſo
ſchwer es
mir wird, ſo bin ich es der ſtandhaften Freund⸗
ſchaft, die Sie mir bewieſen haben, ſchuldig, Ihnen
einige Zeilen zu ſchreiben; es iſt gut und
zweckmäßig, 25
zur Wiſſenſchaft aller Männer von
Ehre zu bringen,
wie weit die Verwegenheit der
abſcheulichſten Lüge,
und der Grimm ihrer
entſetzlichen Verfolgungen geht.
Seit jenes, gegen Guſtav IV ausgeübten
Gewaltſchrit⸗
tes, waren die
Gemüther überhaupt zur Rebellion ge⸗30
neigt: der Keim der Empörung bildete ſich und gährte
in ihrem Inneren. Bediente und Lakayen hatten ge⸗
heime
Zuſammenkünfte; Brandbriefe gegen ihre Herrn
und gegen die Männer in Amt und Würden, gingen,
in Stockholm ſowohl als in der Provinz, von Hand35
zu Hand, und verriethen nur zu deutlich die
allgemeine
Gährung. Darauf kömmt der Kronprinz an: ſein
Anblick gefällt, er weiß ſich geliebt zu
machen. Und
*)
Die Briefe ſowohl, als das Verhör, ſind in franz. Spr.
abgefaßt.
[ 43 ]
168 in der That hatte er
die angenehmſten und ſchätzens⸗40
würdigſten Eigenſchaften; tapfer als Soldat, einfach
und edelmüthig in ſeinen Sitten, voll von Güte
und
Herablaſſung für alle Stände, ſchickte er
ſich in jeder
Rückſicht für dies Land; er ward
nach ſeinem vollen
Verdienſt darin gewürdigt.
Dieſe Liebe zu ihm beſchwich⸗45
tigte oder ſchien wenigſtens die
Gemüther zu beſchwichti⸗
gen; das Glück
Schwedens ſchimmerte von Neuem em⸗
por,
und bei der milden und gerechten Denkungsart die⸗
ſes Herrn, hoffte jeder auf eine glückliche
Regierung.
Sein
Tod, ach! war das Zeichen des Hineinbrechens 50
aller Uebel über Schweden. Die
Unzufriedenen, die
nichts als eine Gelegenheit
wünſchten, um die Revolu⸗
tion zu
beginnen, ergriffen dieſen Augenblick, um zu
ihrem Zweck zu gelangen. Ueberall
ſtreute man Ge⸗
rüchte aus, des
Prinzen Tod
ſei kein natürlicher, 55
das Gift habe ſeinem
Leben ein Ende gemacht; unſere
Familie ſei der
Urheber dieſes Verbrechens, noch meh⸗
rere große Familien ſeien darin verwickelt, mein Bru⸗
der aber und ich vorzüglich die Anſtifter
deſſelben.
Wir
waren, leider! mein Bruder und ich, die Letz⸗60
ten, die von dieſen abſcheulichen Stadtgeſprächen
un⸗
terrichtet wurden; wir wußten
nichts von den Ver⸗
läumdungen, die in
öffentlichen Blättern gegen uns
im Umlauf
waren; im Schooß eines reinen Gewiſſens
und der
Unſchuld unſrer Herzen lebten wir in völliger 65
Ruhe und Sicherheit. Es ſchien uns
unmöglich, daß
eine tadelloſe
Aufführnng
Aufführung
ſeit den Tagen unſerer frü⸗
heſten Jugend, daß ein gänzliches Hingeben, als Staats⸗
mann ſowohl als Bürger, an die
geheiligten Grund⸗
ſätze der Ehre meinem
(jetzt ſo ſchwer verkannten) Bru⸗70
der nicht den
Schutz der öffentlichen Sicherheit und
Gerechtigkeit verbürgen ſollten. Wir glaubten, er ſo⸗
wohl als ich,
dieſe Gerüchte hätten keine andre Quelle,
als
die Verhetzungen einzelner Uebelgeſinnter, und
könnten, von allen Belegen entblößt, vernünftiger Weiſe 75
keinen Eindruck machen. Erſt 6 Tage vor dem ſchreck⸗
lichen 20ten erfuhren wir die, gegen
uns im Volk um⸗
laufenden, Schmähungen;
und auch ſelbſt dann noch
könnten wir uns nicht
entſchließen, eine bedeutende
Rückſicht darauf
zu nehmen. Ueberdies, wenn man 80
ſechs und funfzig tadellos durchlebte Jahre
hinter ſich
hat, ſo glaubt man nicht, ſo
unerhört verkannt zu ſein.
Indem ich mich nun völlig auf das Herz
meines Bru⸗
ders, auf ſeine Tugenden und ſeinen
offenen und treff⸗
lichen Charakter
ſtützte, war ich ſeinethalben ohne die 85
mindeſte
Beſorgniß. Der Edelmuth und die
Gerech⸗
tigkeit der ſchwediſchen
Nation war auch zu bekannt,
169 als daß es
uur
nur
liest ›nur‹
von fern möglich geſchienen hätte,
die
ſchwärzeſte Verläumdung könne dieſen Charakter
in der Schnelligkeit eines Augenblicks umwandeln. So 90
trennten wir uns nun
den 20ten Morgens um 9 Uhr,
in der
Sorgloſigkeit eines ganz ungeſtörten Gewiſſens.
Der Königl. Hof ging, wie Sie
wiſſen, dem Leichenzug
des Kronprinzen entgegen.
Aber Sie kennen beſſer, als
ich, die entſetzlichen Umſtände, die dieſen
Vorfall — 95
niemals hatte ich die Kraft ſie
anzuhören. — — Um
2 Uhr kam man, und ſagte mir, daß dieſer theure
Bruder, todt, ein Opfer der Volkswuth
— — —.
liest ohne Punkt
Mein Zuſtand, bei
dieſer Nachricht, erlaubte mir nie,
das
Ausführliche darüber — Ich weiß nur,
daß einige 100
Offiziere von der Garde, an der
Spitze einer ſtarken
Wache, mein Haus vor der
Zerſtörung und Plünde⸗
rung ſicherten,
und mein unglückliches, dem Tode
gleichfalls
geweihtes, Leben retteten. Ich
beſchwor ſie,
die Papiere meines Bruders und die meinigen,
unter 105
Siegel zu legen. — So verſtrich der Tag, für mich
und meine im ſiebenten Monat ſchwangern
Tochter.
Inzwiſchen zeigten mir zwei bewährte Freunde meines
Bruders an, daß für mich keine Sicherheit mehr
in
dieſem Hauſe ſei und daß ich es noch vor
der Nacht 110
verlaſſen müßte. Demnach entſchloß ich mich, um
9 Uhr Abends, mit Gefahr meines Lebens zu
die⸗
ſem Schritt; man hüllte mich
in die Kleider einer
Dienſtmagd, und da ich
nicht aus dem Lande flie⸗
hen wollte,
ſo ertheilte man mir, auf meine Bitte, 115
einen
Befehl für den Commandanten der hieſigen
Feſtung, um
mich dahin zu retten, und von hier aus
meine
und die Unſchuld meines unglücklichen Bru⸗
ders, an den
Tag zu legen. Bis 7 Uhr Morgens
war ich in einem entſetzlichen Regen und Wind
auf 120
dem Meere; erſt nach 36 Stunden war es mir
ver⸗
gönnt, meine ganz durchnäßten
Kleider zu wechſeln.
Hier endlich fand ich Theilnahme und
Wohlwollen
bei dem Commandanten und ſeinen
Offizieren; ihre
Behandlung war voll von
Achtung und Menſchlichkeit, 125
und mein erſter
Schritt war ſogleich, mich wegen mei⸗
nes unglücklichen Bruders und meiner, an die öffent⸗
liche Gerechtigkeit zu wenden. O meine theure Freun⸗
dinn! Ich habe nur die
Hälfte meiner Leiden erzählt!
Wie ſchrecklich war dieſer einſame
Aufenthalt meinem 130
traurigen Herzen. Ich habe einen Monat ganz allein
mit meinem Kammermädchen zugebracht, die ſich,
am
Morgen nach meiner Ankunft, hier bei mir
eingefunden
hat: weder meine
Kinder, noch ſonſt irgend jemand
ſah ich; ich
habe ſelbſt gefordert, daß man mich mit 135
170 Briefen bis zu
meinem Verhör verſchonen möchte. —
Uebrigens, theure Freundinn, bin ich, wie
ſchon be⸗
merkt, weder Gefangene, noch
ſo behandelt, und es
ſteht jedermann frei, mir
zu ſchreiben. Ich bekomme
in dieſem Augenblick Ihr kleines Billet, und
die Theil⸗140
nahme, die Sie mir darin zu
erkennen geben, rührt
mich. Sehr ſchwach bin ich und krank am Fieber —
ich habe ganz allein und ohne Hülfe meine
Vertheidi⸗
gungsſchrift aufgeſetzt,
meine Sache ſpricht für ſich
ſelbſt; doch
fühle ich mich ſehr ermüdet davon. Ach! 145
Mein Leben
iſt durch die Rückerinnerung an das
Schickſal
meines lieben Bruders verbittert! —
Hier ſchicke ich Ihnen
die Abſchrift meines ſchreck⸗
lichen
und unglaublichen Verhörs; es iſt von mir ins
Franzöſiſche überſetzt worden. Ich
hatte das Fieber 150
und lag im Bett; der
Kriegsrath, der mich verhörte,
ſaß im Kreiſe
um mein Bett herum. —
Adieu! Den Ort, wohin ich mich wenden werde,
weiß ich noch nicht; aber Sie ſollen darüber
Auskunft
von mir erhalten.155
(Das Verhör folgt.)
Politiſche Neuigkeit.
Die heutigen franzöſiſchen Blätter bringen die für den ganzen
Continent von Europa ſo wichtige Nachricht,
von dem durch den
Tod der Prinzeſſinn
Amalie veranlaßten
Rückfall des Königs 160
von
England in ſeine alte Krankheit.
Allen Bülletins
zufolge ſcheint der Anfall ſo heftig, als der im Jahr 1790.
Sr.
Majeſtät
haben die Prorogatur des Parliament
in eigner Perſon
nicht vollziehen können und
ſind überhaupt zu allen Geſchäften völ⸗
lig unfähig: wenn am 15ten November, dem Tage der Eröfnung 165
des Parliaments, die Herſtellung noch nicht
erfolgt iſt, ſo ſieht man
den fürchterlichſten
Partheikämpfen, der
Einſetzuug
Einſetzung
einer Regent⸗
ſchaft, und, mit
Hülfe der großen Criſe, die das Genie Napoleons
über
Großbrittanien zuſammen zu ziehn gewußt hat, einer entſchei⸗
denden Wendung in den Schickſalen der
Welt entgegen. Es iſt 170
keinem Zweifel unterworfen, daß England einer
Revolution
entgegen geht: die Emancipation der
Irländiſchen Catholiken
und die
Parliamentsreform werden erfolgen, ſobald der mächtige
Damm verſchwunden iſt, welchen der Wille des
Königs ihnen
ent⸗
gegen ſetzte: und daß alsdann
ganz andere geſellſchaftliche und po⸗175
litiſche Verhältniſſe eintreten, daß, wenn die brittiſche
Conſtitution
umgeſtürzt iſt, wenn die innere
Haltung dieſes Staates verſchwun⸗
den
ſein wird, die Unfähigkeit Englands die Continental-Verhält⸗
niſſe zu beurtheilen, zu regieren und
darauf zu influiren, an den
Tag kommen wird,
daß alſo Negociationen eintreten müſſen; — al⸗180
les dies wird jedem Unterrichteten einleuchten.
Polizeiliche Tages-Mittheilungen.
Den 18 Nov. iſt unweit
der Friedrichs
Brücke ein männlicher
Leichnam aus
der Spree gezogen, der von den Schiffern für einen
bekannten Packhofs⸗Arbeiter erkannt wurde.185
Einem Bäcker iſt für 1
Thlr. 4 Gr. zu leichtes Brod con⸗
fiscirt.