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Berliner Abendblätter.
1stes Blatt. Den 1sten October 1810.
Einleitung.
Gebet des Zoroaster.
(Aus einer indischen Handschrift, von einem Reisenden in den Ruinen von Palmyra gefunden.)
Gott, mein Vater im Himmel! Du hast dem Menschen ein so freies, herrliches und üppiges Leben bestimmt. Kräfte unendlicher Art, göttliche und thierische, spielen in seiner Brust zusammen, um ihn zum König der Erde zu machen. Gleichwohl, von unsichtbaren Geistern überwältigt, liegt er, auf verwundernswürdige und unbegreifliche Weise, in Ketten und Banden; das Höchste, von Irrthum geblendet, läßt er zur Seite liegen, und wandelt, wie mit Blindheit geschlagen, unter Jämmerlichkeiten und Nichtigkeiten umher. Ja, er gefällt sich in seinem Zustand; und wenn die Vorwelt nicht wäre und die göttlichen Lieder, die von ihr Kunde geben, so würden wir gar nicht mehr ahnden, von welchen Gipfeln, o Herr! der Mensch um sich schauen kann. Nun lässest du es, von Zeit zu Zeit, niederfallen, wie Schuppen, von dem Auge Eines deiner Knechte, den du dir erwählt, daß er die Thorheiten und Irrthümer seiner Gattung überschaue; ihn rüstest du mit dem Köcher der Rede, daß er, furchtlos und liebreich, mitten unter sie trete, und sie mit Pfeilen, bald schärfer, bald leiser, aus der wunderlichen Schlafsucht, in welcher sie befangen liegen, wecke. Auch mich, o Herr, hast du, in deiner Weisheit, mich wenig Würdigen, 2zu diesem Geschäft erkoren; und ich schicke mich zu meinem Beruf an. Durchdringe mich ganz, vom Scheitel zur Sohle, mit dem Gefühl des Elends, in welchem dies Zeitalter darnieder liegt, und mit der Einsicht in alle Erbärmlichkeiten, Halbheiten, Unwahrhaftigkeiten und Gleisnereien, von denen es die Folge ist. Stähle mich mit Kraft, den Bogen des Urtheils rüstig zu spannen, und, in der Wahl der Geschosse, mit Besonnenheit und Klugheit, auf daß ich jedem, wie es ihm zukommt, begegne: den Verderblichen und Unheilbaren, dir zum Ruhm, niederwerfe, den Lasterhaften schrecke, den Irrenden warne, den Thoren, mit dem bloßen Geräusch der Spitze über sein Haupt hin, necke. Und einen Kranz auch lehre mich winden, womit ich, auf meine Weise, den, der dir wohlgefällig ist, kröne! Ueber Alles aber, o Herr, möge Liebe wachen zu dir, ohne welche nichts, auch das Geringfügigste nicht, gelingt: auf daß dein Reich verherrlicht und erweitert werde, durch alle Räume und alle Zeiten, Amen!
x.
Fragment eines Schreibens aus Paris.
Den 6ten September.
Als des Kaisers Maj. den 4ten d. 7 Uhr Morgens nach Paris kam, um das Monument auf dem Platz Vendôme zu besehen, traf sich’s, daß mich die Wanderungen, die ich bei Tagesanbruch gewöhnlich, um mich zu belustigen und zu unterrichten, durch die Stadt zu machen pflege, gerade auch auf diesen Platz geführt hatten. Der Monarch, der so nahe an mir vorbeiritt, daß ich den Hut vor ihm rücken konnte, sieht wohl und heiter aus; obschon, wie mehrere bemerkt haben wollen, nicht mehr ganz so stark und wohlbeleibt, als im Frühjahr. Derselbe hat auch noch, 3an diesem Morgen, mehrere andere Monumente und öffentliche Arbeiten, die ihrer Vollendung nahe sind, in Augenschein genommen; besonders hierunter sind die in der Rue Seine und am Hôtel Dieu, wo eine große Anzahl von Häusern demolirt wird, merkwürdig; und ich werde vielleicht in einem meiner nächsten Briefe, Gelegenheit haben, Dich näher davon zu unterrichten.
Wenn man in den Straßen von Paris, den Verkehr, den Kaufleute, Handwerker, Schenkwirthe, u. s. w. treiben treiben, [emendiert] beobachtet: so zeigt sich ein Charakter an demselben, der, auf die sonderbarste Weise, absticht gegen den Charakter unsers einfältigen deutschen Verkehrs. Zuvörderst muß man wissen, daß der Kaufmann nicht wie bei uns eine Probe seiner Waare zur Schau stellt: die Waare selbst, das Beste und Kostbarste, was er besitzt, wird an Riegeln und Haken, auf Tischen, Stühlen und Bänken, auf die wohlgefälligste und ruhmredigste Weise, ausgebreitet. Aushängeschilde, die von beiden Seiten in die Straße hineinragen, geben, in langen Tarifen, zudringliche und schmeichlerische Auskunft über die Wohlfeilheit sowohl, als über die Vortrefflichkeit der Waaren; und bei der unüberwindlichen Anlage der Nation, sich dadurch täuschen zu lassen, ist nichts lustiger, als das Spiel zu sehen, das getrieben wird, um sich damit zu überbieten. In der That, man glaubt auf einem Theater zu sein, auf welchem, von höherer Hand gedichtet, ein satyrisches Stück, das den Charakter der Nation schildert, aufgeführt wird: so zweckmäßig, ich möchte sagen, schalkhaft und durchtrieben, sind die Züge, aus denen er, in allen Umrissen, klar wird, zusammengestellt und zur Anschauung gebracht. Der Caffetier zum Beispiel, der am Eingang einer Straße wohnt, affichirt vielleicht, auf einem bloßen schwarzen Brett, mit weißen Lettern: Caffé; einige Artikel führt er, auf einfache Weise, mit ihren Preisen an; er hat den Vortheil, er ist der Erste. Der Zweite, um ihm den Rang abzulaufen, fügt schon überall bei der Enumeration seiner Leckereien hinzu: du plus exquis; de la meilleure qualité; und: le tout au 4plus modique prix; sein Brett ist bunt gefärbt, es sei nun gelb, roth oder blau, und er schiebt es, um die Aufmerksamkeit damit zu fangen, noch tiefer in die Straße hinein. Der Dritte schreibt: Caffé des Connoisseurs, oder Caffé des Turcs; er hilft sich noch, indem er sein Schild, um noch einen oder zwei Fuß tiefer in die Straße reckt; und seine Lettern, auf schwarzem oder weißem Grunde, sind, auf sonderbare und bizarre Weise, bunt gefärbt in sich. Des Vierten Lage scheint verzweifelt; gleichwohl durch die Verzweiflung selbst witzig gemacht, überbietet er noch alle seine Vorgänger. Caffé au non plus ultra, schreibt er; seine Lettern sind von Mannsgröße, dergestalt, daß sie in der Nähe gar nicht gelesen werden können; und sein Schild, das den ganzen Regenbogen spielt, ragt bis auf die Mitte der Straße hinaus. Aber was soll der Fünfte machen? Hoffnungslos, durch Charlatanerie, Selbstlob und Uebertreibung etwas auszurichten, fällt er in die Ureinfalt der ersten Patriarchen zurück. Caffé, schreibt er, mit ganz gewöhnlichen (niedergeschlagenen) Lettern, und darunter: Entrés et puis jugés.
(Die Fortsetzung folgt.)
Tagesbegebenheiten.
Stadtgerücht. Von dem Preußischen Eigenthum im Herz. Warschau, mit Ausschluß der Bank, Seehandl. und Wittw. Casse, ist der Sequester aufgehoben worden. — Privatnachrichten. Der Gr. Gottorp soll in Riga angekommen sein.
Von diesem Blatte erscheint täglich, mit Ausschluß des Sonntags, ein Viertelbogen, und wird in der Stunde von 5–6 Uhr Abends in der Expedition desselben, hinter der katholischen Kirche Nr. 3. zwei Treppen hoch, ausgegeben. Das Abonnement beträgt vierteljährig, also für 72 Stück, achtzehn Groschen klingendes Courant, das einzelne Blatt dagegen, kostet 8 Pf. Den Interessenten des Herrn Buchalsky kann es durch diesen in’s Haus geschickt werden; Auswärtige, die es mit den Zeitungen zugleich zu erhalten wünschen, belieben sich an das hiesige Königl. Hof-Postamt zu wenden. Die Spedition an die Buchhandlungen, jedoch nur in Monatsheften, hat der hiesige Buchhändler, J. E. Hitzig übernommen.
Berlin den 1. October 1810.Die Redaction.
Extrablattzum ersten Berliner Abendblatt.
Durch den Königl. Präsidenten der Polizei, Herrn Gruner, der jedes Unternehmen gemeinnütziger Art mit so vieler Güte und Bereitwilligkeit unterstützt, sind wir in den Stand gesetzt, in solchen Extrablättern, als hier das Erste erscheint, über Alles, was innerhalb der Stadt, und deren Gebiet, in polizeilicher Hinsicht, Merkwürdiges und Interessantes vorfällt, ungesäumten, ausführlichen und glaubwürdigen Bericht abzustatten: dergestalt, daß die Reihe dieser, dem Hauptblatt beigefügten Blätter, deren Inhalt wir auch mit statistischen Nachrichten aus den Provinzen zu bereichern hoffen dürfen, eine fortlaufende Chronik, nicht nur der Stadt Berlin, sondern des gesammten Königreichs Preußen, bilden werden.
Folgende Extracte aus den Polizei-Rapporten sind uns bis heute 10 Uhr zugekommen.
Rapport vom 28. September.
Am 27. in der Nacht ist der Krug in Steglitz mit allen Nebengebäuden abgebrannt, und zugleich ein mit Zucker beladener Frachtwagen nebst 4 Pferden.
Rapport vom 29. September.
Am 28. Abends ist das alte hölzerne Wohnhaus des Zimmergesellen Grassow in der Dresdner Straße Nr. 93. 93 93 abgebrannt.
Rapport vom 30. September.
Gestern Abend sind im Dorfe Alt-Schönberg 3 Bauerhöfe mit sämmtlichen Nebengebäuden abgebrannt. Das Feuer ist in der Scheune des Schulzen Willmann ausgekommen, und zu gleicher Zeit ist ein ziemlich entfernter, gegenüber stehender Rüsternbaum in Brand gerathen, welches die Vermuthung begründet, daß das Feuer angelegt ist.
Rapport vom 1. October.
In dieser Nacht ist das Haus des Bäckermeister Lamprecht in der neuen Königsstraße Nr. 71 abgebrannt. Das Haus war sehr baufällig, und die Entstehungsart ist noch nicht ausgemittelt. Auch außerhalb Berlin, angeblich in Friedrichsfelde, ist in dieser Nacht Feuer gewesen.
In Lichtenberg brennt in diesen Augenblick (10 Uhr Morgens) ein Bauerhof. Die Entstehungsart ist noch unbekannt, und sind alle Vorkehrungen gegen die weitre Verbreitung getroffen.
Auch sind in dieser Nacht von den Stadtthürmen 3 Brände in verschiedenen Gegenden, jedoch außerhalb des Berlinischen Polizei Bezirks, entdeckt worden.
Zu bemerken ist, daß bei einem, in Schönberg verhafteten Vagabonden gestohlne Sachen gefunden worden sind, welche dem abgebrannten Schulzen Willman in Schönberg und dem abgebrannten Krüger in Steglitz gehören. Dieses giebt Hofnung den Brandstiftern auf die Spur zu kommen, deren Dasein die häufigen Feuersbrünste wahrscheinlich machen. (Sobald die Redaction, durch die Gefälligkeit der hohen Polizeibehörde, von diesem glücklichen Ereigniß unterrichtet sein wird, wird sie dem Publico, zu seiner Beruhigung, davon Nachricht geben.)